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Siebzehntes Kapitel.

In einem der koketten Separatzimmer des Klub de Bade saßen wenige Tage später vier Herren bei dem Nachtisch eines eleganten Junggesellendiner. Der dicke Kammerherr von Pustow hatte eben von seinen berühmten Regalia Regalia Fina, Zigarren (bis heute) aus brasilianischen und kubanischen Tabaken. präsentiert; man that die ersten nachdenklich prüfenden Züge, während der schweigsame Oberkellner eine neue Flasche Champagner vorsichtig in dem Kübel drehte, und der Regen gegen die mit den Vorhängen längst verschlossenen Fenster klatschte.

Schauderhaft! sagte der Assessor von Lengsfeld.

Oho! rief der Kammerherr; ich versichere Sie: achtzehnhundertvierundachtziger Ernte; ich selbst –

Aber, Verehrtester, wie können Sie nur denken! unterbrach ihn der Assessor; erstens sind Ihre Zigarren über jedes Lob erhaben, und zweitens meine ich das Wetter.

Es ist wirklich heute furchtbar; sagte der Legationsrat von Binz; hören Sie nur!

Wird noch besser kommen; sagte der Kammerherr seufzend, indem er zugleich diskret ein paar Knöpfe an seiner weißen Weste lüftete.

Ich weiß nicht, wie Ihr Herren von den paar Regentagen nur ein solches Wesen machen könnt; warf der Major von Liebe ein.

Paar Regentage! rief der Kammerherr; die Augenbrauen in die kahle Stirn hinaufziehend; paar Regentage! ja, wenn's das nur wäre! Aber glauben Sie mir, lieber Major; glauben Sie mir, meine Herren: ich kenne das. Ich komme nun schon seit vierzig Jahren allherbstlich nach Baden: die Sache verläuft immer in derselben Weise. Erst eine Reihe schönster Wochen, bis man den Plan für die Riviera vollständig aufgegeben und sich darauf eingerichtet hat, den ganzen Herbst in Baden zuzubringen. Dann, Ende September, der Regen, erst so versuchsweise gleichsam, wie heute in Absätzen und zur Abwechslung, bis sich nach acht Tagen oder so herausstellt – was die Eingeweihten längst gewußt: daß es keineswegs trockner Spaß, sondern ganz nasser Ernst ist, und der Regen gar nicht daran denkt, wieder aufzuhören. Keine dissolving views mehr jetzt von Wolkenschatten angeblauter, jetzt wieder von Sonnenlicht überglänzter Berge – nein, ganz konstante, von Tag zu Tag sich verdichtende Nebelbilder; keine lockende Ferne mehr, nur noch aschgraue Nähe: Klatschen an die Scheiben, Rauschen der über ihre Kanalränder schäumenden Oos, Rinnen und Rieseln in den Gossen, über die Wege, aus den Dachtraufen, von den windzerzausten Bäumen. Und Regenschirme, wohin man blickt, selbst des Abends auf der Promenade vor dem Kurhause, während die Herren Musici in ihrem zugigen Pavillon mit hochgestellten Rockkragen und steifen Fingern Jupiter Pluvius ein Katzenständchen bringen und anderthalb Dutzend vor Kälte klappernder Verrückter im trüben Scheine der flackernden Gaslichter zwischen den endlosen leeren Sesselreihen umherirren wie Ossianische »Ossian« (1762-65) ist ein angeblich altgälisches Epos aus der keltischen Mythologie, das jedoch in Wahrheit von James Macpherson (1736-96) geschrieben wurde. Inhalt sind episch dargestellte Schlachten und die Schicksale auserwählter edler Helden, die sich meist um die Rettung von Königreichen bemühen. Das Düstere und Vorzeitliche wurde von der Leserschaft über die Grenzen Englands begierig aufgenommen. Geister der Erschlagenen auf einem geräumten Schlachtfelde.

Sehr gut! sagte der Legationsrat von Binz; wohl aus einem Ihrer geistreichen Briefe an die Frau Großherzogin Mutter?

Ich habe meiner gnädigen Freundin allerdings heute morgen etwas der Art geschrieben; sagte der Kammerherr; sie liebt es, immer etwas aus ihrem alten Baden zu hören. Aber in dem Briefe, Ihr Herren, stand es ganz anders – auf mein Wort!

Natürlich, sagte Herr von Binz; aber nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Kammerherr: ein wenig merkt man Ihrer sonst vortrefflichen Schilderung doch an, daß Sie zu einer alten Dame und von vergangenen Zeiten sprechen: von Anno vierzig und daherum. Jetzt ist die Sache anders und praktischer eingerichtet. Jetzt regnet es nur so lange, daß wir, wenn Majestät kommt, und die Sonne glorreich wieder scheint, ohne den Verdacht des Byzantinismus von Kaiserwetter sprechen können. Majestät kommt übermorgen: sapienti sat.

Und Ihre Majestät die Kaiserin, die schon seit vier Tagen eingeregnet ist, wie wir?

Ihre Majestät gönnt dem erlauchten Herrn wie seine anderen Prärogative auch die des guten Wetters.

Ich schließe mich dem Herrn Vorredner völlig an; sagte der Assessor von Lengsfeld; beklage aber doch in aller Unterthänigkeit und Loyalität die schöne verlorene Zeit. Ich ging heut an dem Lawn vorüber – es war ein Sumpf; an dem Krocketplatz – es war ein See.

Und auf dem Platz in der Veranda des Café, wo die Huldinnen allabendlich thronten, ein schiefgestellter Tisch und umgekippte tröpfelnde Stühle; sagte der Legationsrat.

Nun, sagte der Kammerherr, mit der entente der beiden Damen war es so wie so aus, als letzten Donnerstag Frau Baronin Krell, geborene Golde, einrückte. Sie soll von einer grauenhaften Eifersucht sein.

Und Krell ist doch so diskret! sagte der Legationsrat lachend: schon seit Mittwoch ist die verschwiegene Villa oben am Friesenwald wieder à louer!

Und seit eben so lange ist ein gewisser Jemand, der sich immer in der Nähe der schönen Poly umtrieb, verduftet; bemerkte der Assessor.

Ich glaube nicht an das Gerede; sagte der Major von Liebe; der Herr war in meinen Augen der reine Popanz. Und wenn der Geheimrat auch gerade kein Adonis ist –

Das weiß der Himmel; warf der Assessor ein.

So ist das doch kein Grund, den Geschmack der jungen Frau so zu diskreditieren; fuhr der Major fort; und übrigens hängt die Sache – ich meine: die Trübung der entente der beiden Damen und ihres respektiven Gefolges ganz anders zusammen.

Dann, bitte, heraus damit, Herr Major! sagte der Kammerherr.

Um den Herren wieder Stoff zu neuem Cancan zu geben! rief der Major; ich werde mich wohl hüten. Auch würde ich nicht einmal aus eigener Quelle schöpfen, sondern weiß das Wenige, was ich weiß, nur von Herrn von Steinbach.

Wenig oder viel; sagte der Kammerherr; wir sind mit allem zufrieden.

Wir Aelteren haben die Pflicht, den jungen Herren mit dem guten Beispiel der Diskretion und Nächstenliebe voran zu gehen; sagte der Major lächelnd.

Wir dispensieren Sie davon für heute; rief der Legationsrat.

Vollends bei dem schauderhaften Wetter; meinte der Assessor.

Amen! murmelte der Kammerherr, sich langsam sein Glas füllend.

Aber es ist wirklich nicht der Rede wert; sagte der Major, – bitte, Herr von Pustow, da Sie die Flasche gerade in der Hand haben – es soll am vorigen Mittwoch gewesen sein, wo die ganze Gesellschaft bei Ossecks zum Thee war: ein großer Krach, ursprünglich provoziert durch die Taktlosigkeit des Herrn Jägerianers, der ein neues, übrigens noch nicht ganz fertiges Trauerspiel von der Renner, ohne deren Wissen, mitgebracht und zu ihrem Entsetzen vorgelesen hat unter wenig schmeichelhaften Bemerkungen der Gesellschaft, von der keiner den Wollmenschen ausstehen kann, und die natürlich dachte, das Stück sei von ihm. Nur Krell, der entweder den wahren Sachverhalt kannte, oder, als ein feiner Kenner, herausfand, ist für dasselbe eingetreten, bis dann endlich die Herrschaften begriffen haben, daß sie düpiert worden. Nun ist es aber doch zu spät gewesen. Aeußerlich ist natürlich alles in Frieden und Freundschaft verlaufen, aber man kennt ja dergleichen: geärgert hat man sich doch, reingefallen ist man doch, und die itio in partes ist fertig. Nebenbei dürfte dadurch auch die plötzliche Abreise des Wollmenschen ihre Erklärung finden; er hat jetzt in Straßburg Zeit, über seine Badenser Dummheiten nachzudenken.

Sehr schön, sagte der Assessor; aber einen Haken hat die Geschichte: wie kommt es denn, daß Wolfsberg nach wie vor – und ich weiß ganz bestimmt, daß es der Fall ist – mit Ossecks verkehrt? Er soll jeden Abend da sein.

Ich glaube, darüber kann ich Auskunft geben; sagte der Legationsrat. Die Herren wissen, daß die drei Gleichen – die übrigens auch an dem verunglückten Leseabend zugegen gewesen sind – bei der Baronin aus- und eingehen – selbstverständlich immer alle drei zu gleicher Zeit. Und der gute Wolfsberg hat plötzlich vom Baum der Erkenntnis gegessen; und siehe, seine Augen sind ihm aufgethan, und er hat herausgefunden, daß die jüngste Gleiche mit ihren beiden älteren Schwestern nur von einem Blinden verwechselt werden kann. Das ist keine Erfindung: ich habe die letzten Worte aus seinem eigenen Munde. – Und als ich mir darauf die Bemerkung erlaubte, daß dann vielleicht bereits in der nächsten Generation der Wolfsbergs auch etwas englisches Blut fließen würde, hatte er zur einzigen Antwort jenes unausstehlich suffisante Lächeln, über das nur Leute verfügen, die bereits ihre Verlobungskarten drucken lassen.

Nun, und Geld hat der Engel auch; sagte der Assessor trocken.

Aber, meine Herren, keine Indiskretionen, wenn ich bitten darf! rief der Major lächelnd mit erhobenem Finger.

Ei was! sagte der Legationsrat; der geistreiche Erfinder des geflügelten Wortes ist ja nicht unter uns.

Ist es wahr, daß Papa und Mama Golde auch angekommen sind? fragte der Kammerherr.

Aufzuwarten, sagte der Assessor, bin Krell schon heute morgen begegnet, Arm in Arm mit Mamachen, während Papachen mit Goldchen hinterdrein ging.

Pauvre homme! sagte der Kammerherr seufzend, nicht für die vier Millionen!

Na, na, lieber Kammerherr!

Auf Ehre, Herr Major!

Mein Geschmack wäre es auch nicht; sagte der Major; aber was wollen Sie! Die Armee braucht Geld, viel Geld, und hat wenig, verzweifelt wenig. Zur römischen Kaiserzeit stattete man verschuldete Legionäre mit den Landgütern von Leuten aus, die man vorher um einen Kopf kürzer machte; heute muß sich der Soldat selber vor seinen Gläubigern retten und thut es, indem er ganz friedlich eine Bankierstochter heiratet. Mein Gott: il faut vivre –

Sagte auch Wolfsberg, als er um die dritte Gleiche anhielt; warf der Assessor ein.

Justament! rief der Major. Indessen so weit ist die Sache denn doch nicht, obgleich die Berichte meines Gewährsmannes mit den Ihren, lieber Binz, so ziemlich übereinstimmen. Auch Herr von Steinbach hält eine demnächstige Verlobung zwischen Wolfsberg und der kleinen Miß nicht nur für möglich, sondern sogar für wahrscheinlich.

Und darf man erfahren, woher denn eigentlich Herr von Steinbach das alles so genau weiß? fragte der Kammerherr. Ich dachte, er wäre abgereist; ich habe ihn seit der Champagnerfete nicht wieder gesehen.

Sie scheinen die eigentliche Veranlassung der Fete ganz vergessen zu haben, sagte der Major mit schlauem Lächeln.

Habe in der That keine Ahnung mehr.

Natürlich; sonst würden Sie wissen, erstens, daß unser jovialer Freund nicht so leichten Herzens abreisen konnte, und vielleicht auch zweitens, warum er für uns so spurlos verschwunden ist. Jetzt sage ich aber nichts mehr, und wenn –

Nichts verreden, Herr Major! rief der Assessor; wir haben beinahe noch eine ganze Flasche auszutrinken; und worüber könnten wir besser reden, als über etwas, das uns alle so interessiert. Also wirklich! Nun, ich kann seinen Geschmack nicht tadeln. Ich habe mir die junge Dame seitdem genauer angesehen und finde sie, wenn nicht so schön wie ihre unvergleichliche Schwester, doch sehr distinguiert und interessant aussehend. Nun, und da diesmal wenigstens er das nötige Kleingeld hat, so können wir uns ja wohl auf die Gratulation präparieren.

Ich schlage vor, daß wir ihm bei der Gelegenheit ein Dinerchen oder Souperchen arrangieren; wir müssen uns so wie so für neulich abend revanchieren; sagte der Kammerherr.

Mit Vergnügen! – Abgemacht! riefen der Assessor und der Legationsrat.

Abwarten, meine Herren, abwarten! sagte der Major, wir teilen das Fell, bevor wir den Bären haben, wenn Steinbach auch zweifellos in dem Osseckschen Kreis in aller Form aufgenommen ist, und, wie er mir selbst anvertraut hat – also Diskretion, Ihr Herren! – mit der Generalin und mit der Baronin ausgezeichnet steht. Ei nun, meine Herren, ich glaub's gern. Ein Freier, wie er: in den besten Jahren, von uralter Familie, reich, unabhängig, hoch angesehen hier zu Lande und, ich glaube, weit über die Grenzen von Baden, als musterhafter Landwirt, großer Industrieller, einflußreiches Mitglied der Kammer – und was weiß ich! – vor allem ein so liebenswürdiger Charakter – wahrhaftig: die Generalin müßte ja blind sein, was sie gar nicht ist, ebensowenig wie die kleine Baronin und, wir müssen doch wohl annehmen, die junge Dame selbst. So ist denn auch Steinbach, wie es scheint, nach dieser Richtung besten Mutes; aber, wenn ich ihn recht verstanden habe, hat er sich von seiten der Herren, ich meine des Professors Escheburg, bekanntlich des Familien-Intimus, und was noch schwerer ins Gewicht fällt, von seiten Ossecks, als des Chefs der Familie, keineswegs derselben Gunst zu erfreuen. Besonders Osseck soll sich – was nun wirklich gar nicht seine Art ist – auffallend kühl bis zur Ablehnung verhalten.

Aber was in der Welt könnte er gegen einen Mann, wie Herrn von Steinbach einzuwenden haben! rief der Kammerherr; er müßte doch froh sein, wenn seine arme Schwägerin unter eine so reiche Haube kommt!

Er hat nun vielleicht einmal die Antipathie; meinte der Assessor.

Oder, rief der Legationsrat, er ist auch bloß verstimmt und läßt seine üble Laune an dem unglücklichen Freier aus; er soll bereits eine tolle Summe an Mister Douglas verloren haben. Ich weiß das übrigens von Oberst Krell, um gleich meinen Gewährsmann zu nennen.

Von wem soll Krell das wissen? sagte der Major kopfschüttelnd. Osseck hat's ihm schwerlich gesagt und Mister Douglas gewiß nicht.

Doch möglicherweise der letztere; erwiderte der Legationsrat. Jedenfalls kennen sich der Oberst und Mister Douglas ganz gut; ich habe sie gestern zufällig hinten in den Anlagen gesehen, wo sie in so eifrigem Gespräch auf und ab gingen, daß sie mich nicht einmal bemerkten. Freilich, es regnete schauderhaft, und ich hielt den Schirm absichtlich vor. Offen gestanden, ich war etwas verwundert, die beiden Herren da zu finden.

Ich sehe aber darin doch nichts Verwunderliches; sagte der Major. Krell hatte von jeher eine Leidenschaft für Originale – er ist ja in vieler Hinsicht selbst eines; und Mister Douglas scheint mir doch ein richtiges. Ein Mann, dem halb Schottland gehören soll, oder doch einmal gehören wird, der glückliche Gatte einer der schönsten Frauen, die man an einem langen Sommertag sehen kann, wie der Engländer sagt, und dessen Vergnügen darin besteht, den ganzen Tag Zeitungen zu lesen und am Abend im Klub seine Partie zu spielen – natürlich möglichst hoch – das stagnierende Blut doch etwas in Bewegung zu bringen – lawn-tennis innerhalb der vier Wände!

Bleibt zu wünschen, daß dem Baron Osseck die Unterstützung dieser, wie mir deucht etwas insipiden Sorte von Originalität nicht allzu teuer zu stehen kommt, bemerkte der Assessor.

Nun, ich glaube, er kann's aushalten; erwiderte der Major. Und übrigens teilen sich die Gatten gleichmäßig in das edle Paar. Steinbach sagte mir, daß die kleine Baronin jede Stunde, die sie dem kranken Kinde und der Gesellschaft abmüßigen kann, bei Lady Douglas zubringt. Muß ebenfalls ein vollständiges Original sein, die Dame. Sie macht nie ein Buch auf, nie eine Handarbeit oder dergleichen, sondern sitzt so still da – stundenlang auf dem Sofa oder am Fenster, vor sich hinstarrend, ohne etwas zu sehen – wie es scheint, denn wenigstens soll ihr hier alles noch so fremd sein, wie am ersten Tage. Dabei, wenn sie sich einmal, wie mit der Baronin, zum Sprechen herbeiläßt: sehr klar, von tiefstem Gefühl, voller Welt- und Menschenkenntnis, der Ausbeute ihrer Reisen in Europa und wo weiß ich. Aber nun, Ihr Herren, die Flasche ist leer. Ich soll heute abend zum erstenmal bei Ossecks, als Steinbachs Adlatus, den liebenswürdigen Schwerenöter spielen. Also: gesegnete Mahlzeit!



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