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Viertes Kapitel.

Kora hatte es sich zuerst angelegen sein lassen, die Amme in dem für sie bestimmten Zimmer zurechtzuweisen. Die rüstige junge Person – eine Spreewälderin, wie Kora wußte, welche Escheburg selbst in Berlin ausgesucht und nach Ossecken geschickt hatte – zeigte sich willig und anstellig. In wenigen Minuten hatte sie die notwendigsten Sachen ausgekramt und nahm jetzt Kora, die sich an den blauen, zu ihr aufblickenden Augen nicht satt sehen konnte, die Kleine wieder ab.

Ist es nicht ein herziges Schnuteken? sagte Dorette. Und immer krähen und strampeln. Und wie sie ihre Leute kennt! Bei Ihnen ist sie gleich gut gewesen – sie hat Ihnen an den Augen abgesehen, daß Sie mein Schnuteken lieb haben. Nicht wahr, Schnuteken? Aber die Frau Großmama hat so strenge Augen, da fürchtet sich unsereiner – nicht wahr, Schnuteken?

Sie hatte sich auf eine Fußbank gesetzt und das Kind angelegt, das gierig trank.

Es wird bald das letzte sein, sagte Dorette; aber ich geb's ihr gern – nicht wahr, Schnuteken? Hab's dir immer gern gegeben. Meinem Kinde zu Hause bei Muttern hat es deshalb nicht gefehlt. Der Herr hat ja so für uns gesorgt; Sie glauben gar nicht, gnädiges Fräulein, was für ein guter Herr das ist. Und so geduldig! wie ein Lamm! Na, er hat's auch nötig. So, Schnuteken, nun wollen wir in die Baba gehen. Sum – sum –

Dorette, die sich vorsichtig erhoben hatte, nickte, das schlafende Kind in den Armen wiegend, Kora freundlich zu, daß sie nun auch gehen möge. Kora entfernte sich auf den Fußspitzen nach dem Nebenzimmer. Sie hatte Dorettens Nicken mit einem Lächeln des Einverständnisses erwidert; aber sobald sie dem Mädchen den Rücken gewandt, fiel es wie ein Schleier über das lächelnde Gesicht. Das war alles so lieb gewesen – das süße Kind und das brave Mädchen, dem die Treuherzigkeit und Geradheit aus dem knochigen Gesicht und den braunen Augen sah. Warum mußte sie nur das böse Wort aus dem großen redseligen Munde bringen! Aber weshalb sollte er nicht Geduld nötig haben? hat sie nicht jeder nötig?

Sie fand in dem Salon Adalbert zu ihrer Verwunderung noch immer allein, trotzdem doch mittlerweile eine gute Viertelstunde vergangen war. Er stand, als sie eintrat, mit dem Rücken nach ihr, vor dem Tisch in der Mitte, wandte sich schnell und kam ihr mit weit ausgestreckter Hand entgegen.

Schönsten Dank, liebe Kora, für das wundervolle Boukett! und verzeihe, daß ich darum noch depeschiert habe! Du hättest wahrscheinlich selbst daran gedacht. Aber Hilde ist es so gewöhnt und – nochmals herzlichen Dank!

Er hatte ihr die Hand geküßt, und jetzt war auch wieder in seiner Stimme der alte, helle, frohe Klang und in seinen blauen Augen, um seine vollen Lippen das alte, halb schelmische, halb zärtliche Lächeln. – Gott sei gelobt, sprach Kora bei sich und laut sagte sie:

Ich kann den Dank nicht annehmen. Erstens habe ich mit keinem Gedanken an die Blumen gedacht, und zweitens sind sie nicht von mir. Rate, von wem? Aber ohne einige Nachhilfe kannst Du nicht darauf kommen. Also von einem guten alten Freunde.

Ich habe viel gute alte Freunde –

Nun denn: von Deinem besten Freunde.

Ich habe auch so viel beste Freunde.

Aber doch nur einen allerbesten? denke einmal nach!

Mit welchem Buchstaben fängt er denn an?

Schäme Dich! Nun sage ich es gar nicht.

Was willst Du gar nicht sagen? rief Hilde, die eben lachend und trällernd hereingetreten war.

Von wem das wundervolle Boukett hier ist, sagte Adalbert; ich zerbreche mir den Kopf; es soll von meinem besten, nein, von meinem allerbesten Freunde sein.

Das freilich kannst Du nicht raten! wenn's noch von der allerbesten Freundin gewesen wäre! aber von einem Freunde! einem simpeln Freunde!

Hildes Wangen waren lebhaft gerötet; ihre Augen blitzten; Kora glaubte die schöne Schwester nie so schön gesehen zu haben, wie diese jetzt, die Arie des Siebel aus der Margarete trällernd, sich über die Blumen beugte und dann, sich aufrichtend, wieder in lautes Lachen ausbrach:

Er weiß es noch immer nicht, darf ich es ihm sagen? Von Mephisto, dem guten lieben Mephisto, der einen kräftigen Zauber darüber gesprochen hat. Gib acht: sobald ich eine von den Rosen in die Hand nehme, fallen die Blätter ab. Siehst Du!

Sie hatte eine herrliche gelbe Rose herausgezogen und begann zierlich und hastig die Blätter abzurupfen und auf den Teppich zu streuen, indem sie wieder: »Blümlein traut, sprecht für mich recht inniglich« – mit einer Stimme intonierte, durch deren kraftvolle Helle doch eine gewisse Erregung zitterte.

Aber, Hilde, rief Adalbert, die schöne Rose!

Von deinem allerbesten Freunde! – » Que mon c?ur nuit et jour languit d'amour« –

Du wirst noch das Kind aufwecken, sagte Adalbert mit sanftem Vorwurf.

Verzeihe! sagte Hilde, aber nicht zu ihrem Gatten, sondern zu Kora. Du weißt, das kommt so über mich, und Mama hat mir eben so lustige Geschichten erzählt. Also Escheburg ist hier? und Du hast ihn gesprochen? und er logiert hier im Hotel? das ist ja wundervoll. Wie geht es ihm denn? Noch immer der alte Menschenfeind? Wir wollen ihm das gründlich austreiben. Nicht wahr, Kora? meine Herzens-Kora! Ich freue mich ja so unbeschreiblich, daß ich Dich einmal wieder habe. Du bist meine allerbeste Freundin, nicht wahr?

Sie warf sich der Schwester in die Arme, herzte und küßte sie und sprang dann wieder nach dem Boukett, zwischen den Rosen ein Paar der schönsten nach den Farben zusammenstellend, um sie Kora am Busen zu befestigen. So, mein Herzenskind! Das steht Dir ausgezeichnet. Und nun noch einen – diese dunkelrote – in Deine schwarze Perücke! Still gesessen! So! Und nun, lieber Schatz, muß ich mich noch ein bischen schön machen, auf daß Du Dich Deiner alten verheirateten Schwester nicht zu schämen hast.

Sie ließ Kora, die sie vor sich auf einen Stuhl gedrängt hatte, los, begleitete sie bis zur Thür, küßte sie da noch einmal mit heißen, zitternden Lippen und kam langsamen Schrittes von der Thür zurück. Ihr Gatte hatte die Augen gesenkt; er wußte, auch ohne sie anzusehen, daß der Ausdruck ihres Gesichtes wieder derselbe sein würde, wie er bereits seit Monaten gewesen war – jener Ausdruck von Kälte, ja von Feindseligkeit, über den er sich nun schon fast das Herz abgegrämt hatte. Das Singen und der Scherz – es war ja alles nur Komödie gewesen. Die Komödie war nun aus; das alte Leid trat in seine Rechte. Mit einer gewaltsamen Anstrengung, um sich den unleidlichen Druck von der Seele wegzusprechen, sagte er:

Das ist ja prächtig, daß Escheburg hier ist; ich denke, das soll uns allen zu gute kommen. Ich begreife nicht, wie ich nicht gleich auf ihn verfiel; aber freilich –

Hast Du dieses Arrangement beliebt?

Adalbert hob die Augen: Hilde stand in der offenen Thür zu dem Schlafzimmer, in das sie mit ausgestreckter Hand deutete.

In des Mannes Herzen wallte es heiß auf, aber er bezwang sich und erwiderte ruhig:

Ich habe gar nichts arrangiert; man hat es arrangiert – soviel ich sehen kann, in der Weise, wie sie durch die ganze Welt in den Hotels üblich ist.

Ueblich oder nicht. Du weißt, daß ich Dorette bei mir haben muß und das Kind.

Daß Du es mußt, erlaube ich mir zu bezweifeln: das Kind ist bei Dorette sicher aufgehoben. Sage also: Du willst es; das ist wenigstens ehrlich.

Nun gut, so will ich es: hier, wie zu Hause und wie auf der ganzen Reise.

Das heißt, Du willst hier, wie dort, den Unfrieden fortsetzen, der für uns, für mich wenigstens und, ich sollte doch denken, auch für Dich unerträglich geworden ist. Ich hatte gehofft, es würde nun anders werden. Was soll Deine Mama, Kora – was sollen sie alle von uns denken? Es kann ihnen ja nicht verborgen bleiben. Komm, Hilde, laß uns Frieden machen!

Er war auf sie zugetreten; sie nahm seine ausgestreckte Hand nicht; er ließ sie langsam sinken und fuhr mit leiser, bebender Stimme fort:

Und wenn Du mich denn wirklich nicht mehr lieben kannst, so laß uns wenigstens friedlich nebeneinander hergehen, solange – es geht. Aber es wird gehen; ich weiß es gewiß, wenn wir nur den rechten guten Willen haben. Ich habe ihn – von ganzem Herzen – ich schwöre es Dir. Willst Du?

Er hielt ihr zum zweitenmal die Hand entgegen. In dem Busen der jungen Frau wogte es wild. Eine Stimme in ihr rief: ja, ich will's; und eine andre – es war ihr aber, als ob es die der Mutter wäre: – um Dich abermals wegzuwerfen an ihn, der sich von Deiner Mutter mit Dir losgekauft hat und zuletzt aus den Armen der roten Poly in Deine gelaufen ist. –

Aus ihren Augen, die für einen Moment weich geschimmert hatten, blickte wieder der alte Trotz, starrer als je; und von den feinen Lippen, die so süß zu lachen wußten, kam es kalt und schneidend:

Ich will – mich anziehen; es ist die höchste Zeit.

Er zuckte zusammen, als habe ihn ein Schlag ins Gesicht getroffen; eine rote Zorneswolke stand urplötzlich auf seiner weißen Stirn; die zur Versöhnung ausgestreckte Hand ballte sich krampfhaft, löste sich aber sofort wieder, und etwas wie ein verächtliches Lächeln zuckte über sein Gesicht. Gelassenen Schrittes ging er nach der Thür, die auf den Korridor führte und drückte in gemessenem Tempo zweimal auf den Knopf der elektrischen Klingel. Dann sagte er, an der Thür stehen bleibend, den Kopf über die Schulter wendend:

Ich bin bereits angezogen, wie Du siehst, und werde Dich also nicht stören. Du wirst mich unten im Speisesaal finden; Du kannst mit der Mama und Kora hinuntergehen.

Es wurde an der Thür geklopft; das Zimmermädchen kam herein: die Herrschaften befehlen?

Wir möchten noch einige Veränderungen in den Zimmern; die gnädige Frau wird Ihnen Bescheid sagen. Sie können das mit der Zofe der gnädigen Frau besorgen, während wir bei Tisch sind. – Auf Wiedersehen!

Er verbeugte sich leicht gegen Hilde und schritt an dem Zimmermädchen vorüber, zur Thür hinaus, durch welche von dem Vestibül der helle Ton einer Glocke hereinschallte.

Das Zimmermädchen sah, wie die schöne junge Frau, die in der Thür zu dem Schlafgemach stand, plötzlich beide Arme ausstreckte, gewiß vor Schrecken, daß es schon zu Tisch läute, während sie noch Toilette machen wollte.

Es läutet zweimal, sagte sie, die gnädige Frau haben noch eine gute Viertelstunde Zeit.

Sie war ein paar Schritte hereingekommen und lief nun eilends auf die gnädige Frau zu, die auf einen der Lehnsessel gesunken war und dalag, das zarte Gesicht kreidebleich, mit halbgebrochenen Augen. Indem kamen auf Bärbchens Rufen zu ihrem großen Trost die Amme und Lisette aus dem Kinderzimmer herbei; die drei Mädchen bemühten sich um die Ohnmächtige, welche aber alsbald die Augen wieder aufschlug, einen Moment verwundert um sich, dann starr vor sich hinblickte und, plötzlich sich aufrichtend, die erschrockenen Mädchen mit bleichen Lippen anlächelte.

Es sei gar nichts – ein bischen Abspannung von der Fahrt. Dorette solle bei der Kleinen bleiben. –

Und Sie, liebes Kind, können auch gehen; Lisette hier wird Ihnen hernach sagen, wie ich die Betten gestellt haben will. – Und, Lisette, mein grauseidenes Kleid – aber schnell! wir haben nur noch ein paar Minuten.



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