August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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Der Mitläufer

1

Zerbrochene Türme ragen aus sichtbaren Höhen und erzählen von diesen Geschichten – doch wer versteht ihre Sprache? Füchse bauen Gruben im Walde, junge Füchse zerren mit Knurren mürbe Gebeine ins Dämmerlicht, und auch die mürben Gebeine erzählen von diesen Geschichten – doch wer versteht, was sie sagen? Graugelbe Papierbündel ruhen in düsteren, verschwiegenen Gewölben. Sie liegen seit uralten Zeiten, vom Staube bedeckt, sie liegen und schweigen. Kommt aber einer und hebt sie heraus ans Licht der Sonne, dann beginnt es zu knistern und leise zu rauschen, dann wird es lebendig unter seinen Händen und erzählt, erzählt nur ihm von diesen Geschichten, von diesen alten, verworrenen, vergeßnen Geschichten.

Und der Erdboden erzittert. Ein schmaler Streifen blutiger Morgenröte flammt. Ihr stürmen entfesselte Massen entgegen. Der Hornruf des Wächters gellt von Burg zu Burg. Eiserne Reiter fegen über die Felder, Blut raucht gen Himmel, 167 Brandgeruch lagert über den Dörfern. Wie reißende Tiere werden die Menschenkinder in die Wildnis gehetzt. Die Morgenröte erlischt. In tiefen Wäldern modern die Leiber der Erschlagenen. Winterruhe legt sich auf die Lande. Alles ist tot, alles tot. –

Tot? O nein, nicht tot! Saatzeit war's, und dann schliefen sie nur, die ungezählten Körnlein, ruhten und schliefen in schützender Erde dem Frühling entgegen.

Kinder und Kindeskinder lauschten mit gefalteten Händen und stockendem Atem, wenn ein zahnloser Mund beim qualmenden Kienspan raunend erzählte von diesen Geschichten. Aber das Gedächtnis der Sterblichen gleicht einer zerbrochenen Tafel mit grauer, vergänglicher Schrift. Freude und Leid wischen um die Wette darüber. Und ausgelöscht waren auch diese Geschichten in unserm Volke, als die Saat erwachte und die Ernte heranreifte – ausgelöscht wie das Geschriebene von gestern.

*

Weit offen standen die kleinen Fensterflügel, und der Fink im Holzkäfig sang sein Morgenlied. Schneeweiße Blütenzweige schwankten vor den Fenstern in der Morgenluft, und vom Buchwald herüber klang lockender Kuckucksruf.

Die enge Stube war mit feinem Sand bestreut, in der Ecke hinten, über dem blanken Tische, hing 168 ein geschnitzter, angedunkelter Kruzifixus; nahe am Kachelofen aber stand eine Wiege, und in der Wiege lag ein schlummerndes Kindlein.

Die freien Vögel sangen, der gefangene Fink antwortete, und ein wolkenloser Himmel war ausgespannt über dem Frankenlande, über dem einsamen Bauernhofe und über seinen blühenden, blinkenden Bäumen.

Leise wurde die Türe geöffnet, und leise, auf den Zehen, trat der lange Klas herein. Leise, so gut er's eben vermochte. Denn er stand sieben fränkische Schuh hoch in seinen Stiefeln, er stieß mit dem Flachskopf beinahe an die niedrige Decke, und seine Stiefelsohlen waren genagelt. Nun steckte er die großen Hände in die Hosentaschen, hielt den Atem zurück, beugte sich über die Wiege und guckte andächtig auf das schlafende Brüderlein. Das tat er oft untertags, wenn er gerade Zeit hatte. Am liebsten aber saß er des Abends neben der Wiege und freute sich, wenn der Kleine mit den zarten Fingern nach seinem Gesichte tastete und seine Nase packte. Es war nun schon über ein Jahr im Hause, das kleine Geschöpf, aber dem langen Klas erschien es noch immer als eine Art von Wunder und erregte sein Staunen wie am ersten Tage. Zuweilen saß er neben dem Schlafenden, rieb die Knie aneinander und lachte unhörbar in sich hinein. Und 169 wenn sie ihn fragten, warum er lache, dann kam es endlich mühsam heraus: »Weil's halt gar so klein is, gar so klein!«

Nach einer Weile tappte er wieder leise zur Türe.

In den blühenden Bäumen summten die Bienen, auf dem Strohdache gurrten die Tauben, im Stalle blökte das Rind, im Baumgarten gackerten die Hühner, und aus dem Laubwalde klang der nimmermüde Kuckucksruf.

Eine alte Magd kam durchs Tor gewankt und schleppte einen Graskorb voll frischen Grünfutters zum Kuhstall. Ein Knecht öffnete den Fohlenstall, und in lustigen Bocksprüngen galoppierten die Ein- und Zweijährigen über den Hof, hinaus in den Laufstall. Der lange Klas aber spannte bedächtig die starken Braunen an den Pflug und pfiff leise vor sich hin.

Die rundliche Bäuerin trippelte vom Hause her. Sie trug unterm Arme ein Feuerrohr und in der Hand ein weißes Bündelein. Sie trat vor ihren langen Jungen und steckte ihm das Bündelein vorn unters Wams, an die Brust. Schmunzelnd nickte der Klas.

»Es ist Brot drinnen und ein tüchtig Stück Speck, und laß dir's nur gut schmecken, Klas.«

Der Junge nickte abermals und sprach kein 170 Wort. Aber die Mutter kannte ihn schon und verlangte nicht mehr von ihm. Mit einer bittenden Gebärde reichte sie ihm das schwere Feuerrohr und das Säcklein mit der Munition.

Klas schüttelte den dicken, runden Kopf, schlug auf die kurze Wehre an seiner Linken und lachte ein wenig.

Liebkosend streichelte die Mutter seinen Wamsärmel: »Geh zu, nimm's mit, man weiß nit, was dir vorkommt; 's könnten dir Räuber begegnen. Nimm's mit, Klas!«

Da lächelte der Lange gutmütig übers ganze breite Gesicht, griff nach dem Feuerrohr und hängte sich's über den Rücken. »Hab' mein Lebtag noch keine Räuber g'sehen am Bäumleinsacker draußen,« sagte er bedächtig.

»Da kann man fufzigmal keine sehen, und das nächstemal können ihrer doch kommen,« antwortete die Mutter.

»Sollen sie kommen!« murmelte Klas und schmunzelte.

»O heilige Muttergottes, Bub, versündig dich nit!« jammerte die Bäuerin und schlug das Kreuz.

»Mach, daß du weiterkommst!« rief der Bauer von der Haustüre herüber und musterte seine schönen Pferde.

Klas nickte wieder, schleifte den Pflug auf und 171 sagte Hüh. Da tänzelten die Braunen über den Hof, und der gestürzte Pflug fegte durch den Sand.

Langsam ging die Bäuerin zurück. Nun stand auch sie vor der Haustüre, hielt die Hand über die Augen und sah ihm nach. Lange konnte sie den Knaben verfolgen, wie er mit wuchtigen Schritten hinter dem Pfluge ging und von Zeit zu Zeit die Peitsche knallen ließ.

Am Waldsaume wandte sich Klas und sah zurück. Dann ging er weiter, pfiff und ließ die Peitsche knallen, daß es widerhallte unter den junggrünen Buchen. Er dachte nichts, als er zurückblickte. Hernachmals aber kam es ihm oft noch in den Sinn, wie seine Mutter im grellen Sonnenlichte vor der Haustüre gestanden war und die Hand als ein Dächlein über ihre Augen gehalten hatte. Er sah sie stehen im Wachen und im Träumen und sah den Vater neben ihr, hager und ein wenig nach vorn gebeugt. –

»Lang is er, kräftig is er, fleißig is er,« sagte der Bauer und wandte sich, »aber – –« Mit einem Seufzer öffnete er die Stubentüre.

»Halt's Maul und setz ihn nit 'runter!« wehrte die Bäuerin. »Lang und kräftig und fleißig is er und arg gut, 's ist gar nit zu sagen, wie gut.«

»So is,« sagte der Bauer, »aber –« Wiederholt seufzte er, fuhr mit der Hand an die Stirne und machte ein klägliches Gesicht.

172 Das Kindlein in der Wiege weinte. Mit ein paar Schritten ging die Bäuerin zum Ofen, nahm's auf den Arm und begann summend in der Stube umherzugehen. Dazwischen sagte sie: »Er – soll ja – doch kein Priester – werden, Alter – und auch kein Schreiber – sondern ein Bauer – wie du und der Herrle – oder nit?«

»So is,« kam die Antwort zurück.

Summend ging sie auf und ab, auf und ab. Die Hühner gackerten im Baumgarten, die Tauben gurrten auf dem Dache, und aus dem Walde klang es kuckuck, kuckuck in einem fort. Und zwischenhinein brummte sie: »Ja, kräftig ist er und schießen kann er, sagst's ja selber, den Vogel trifft er im Flug.«

»Schießen, ja, 's ist so,« bestätigte der Bauer, nahm das Brot aus dem Tischkasten und schnitt ein Stück ab. »Schießen, es ist so, und das hat er von mir.«

»No ja, von mir freilich nit,« lachte sie, und das Kind zappelte mit Aermchen und Beinchen.

»Aber –« begann der Alte kauend.

»Ach was!« rief sie.

»Aber es langt auch nit für 'n Bauern – das da, mein' ich!« Und wiederum fuhr er mit der Hand an seine Stirne. »Den verkauft ja jeder und handelt ihn wieder ein, und er merkt's nit einmal.«

173 »Dafür kann noch gesorgt werden,« sagte die Bäuerin schmunzelnd. »Aber das hat gute Weil. Er is nit ganz siebenzehn Jahr; jetzt bin ich noch da und sorg' für ihn.«

»Du kannst ihn auch nit immer am Bändel haben,« meinte der Bauer und kaute.

»Du hast immer 'was auszusetzen an ihm,« brummte die Bäuerin und hielt ihr Kind empor zum Holzkäfig, wo der gefangene Fink hüpfte von Stänglein zu Stänglein. Und vom Walde kam es herüber, bald laut, bald leise: kuckuck, kuckuck.


2

Wuchtig stapfte der lange Klas über den riesigen Bäumleinsacker. Die Rosse schnaubten, die metallenen Blättchen an den Kumten klirrten, das Lederzeug ächzte, lautlos durchschnitt das Pflugeisen die fette Krume, und lautlos hüpften die zutraulichen Krähen in den Furchen hinter dem Pflüger. –

Die Sonne stieg hoch empor, und Schweißtropfen rannen von der Stirne des Klas. Drei Stunden hatte er geschafft und hatte ein schönes Stück Landes umgeworfen. Nun beschloß er in seinem Herzen, die Morgenrast zu halten.

Er trieb die Pferde hinaus auf den Wasen, nahe an den großen Birnbaum, er legte den Pflug um und spannte einen Strang aus. Die Pferde 174 schnaubten, stellten die Ohren und schielten mit großen, begehrlichen Augen zurück. Klas lachte, ging nach vorne, schlug den Sattelgaul mit seiner breiten Pratze auf den glänzenden Schenkel, trat vor die nickenden Köpfe und begann ihnen Brot zu schneiden. Er wußt' es nicht anders. Zuerst das Vieh, das arme, und nachher der Mensch; so hatte er's von Kind auf bei Vater und Mutter gesehen. –

Das Brot war zum größten Teile verschnitten, und immer gieriger drangen die Pferde auf ihn ein. Da lachte er wieder, schlug sie sachte auf die Nasen und drohte mit der geballten Faust. Dabei sprach er, als könnt' es die unvernünftige Kreatur verstehen: »Jetzt komm' ich dran!« Er setzte sich an den Stamm des blühenden Baumes, nahm den Speck aus dem Tuche, belegte das schwarze Brot mit feingeschnittenen Streifen und begann zu kauen. Die Pferde aber rauften hörbar das frische, saftige Gras.

Weitmächtig dehnte sich das wellige Land gegen Mitternacht, gegen Morgen und Abend. Viele Kirchtürme blinkten im Sonnenlichte, viele Dörfer lugten aus blühenden Obsthainen. Ganz draußen aber, gegen Abend, blitzte hie und da ein silberner Wasserlauf. Droben im blühenden Birnbaume summten und brummten die Bienen und Hummeln, über den Feldern sangen die Lerchen, aus den 175 Wäldern klang es laut und leise kuckuck, kuckuck in unermüdlichem Wechsel, und aus weiter, weiter Ferne kamen zitternde, schwere, tiefe Glockentöne durch die heiße Luft.

Klas lauschte und kaute, und es wurde ihm andächtig zumute. Ob das vielleicht die Glocken des Bischofs waren, die großen Glocken, die in hohen Kirchtürmen hingen, die allergrößten Glocken im ganzen Lande? Seine Lippen bewegten sich, als sagte er ein Sprüchlein auf. Und es war auch eine Art von Sprüchlein – ein Sprüchlein, das er zu oft gehört hatte von seinem Vater: ›Klas, horch, in der Bischofstadt gibt's Häuser so hoch wie die Kirch' in unserm Dorf drüben, und Kirchen dreimal so hoch wie der Kirchturm. Und das ist Würzburg. Und da fließt ein Strom, der ist so breit, Klas, wie das Dorf. Und man heißt ihn den Main. Und auf dem Wasser schwimmen Schiff', so groß wie kleine Häuser. Und über dem Wasser drüben, hoch auf dem Berg, da steht dem Herrn Bischof sein großmächtiges Haus, so groß, das kannst dir gar nit denken, wie groß. Und an dem Berg wächst ein Wein –‹ Klas schnalzte mit der Zunge, genau wie sein Vater, wenn er vom Würzburger Wein erzählte. ›Und die Glocken, Bub', die Glocken läuten den ganzen Tag, bimbam, bimbam; wenn die eine aufhört, fängt die andre an, daß 176 du denkst, es ist alle Tag Feiertag. Und sie leben auch herrlich und in Freuden, die Stadtleut', jahraus und jahrein.‹ – – – ›Bimbam, bimbam,‹ sagte Klas vor sich hin und schob ein Stück Speckbrot in den breiten Mund. Ob das wohl die Glocken von Würzburg waren –? Er mußte den Vater fragen, wenn er heimkam zu Mittag; ja, er mußte ihn fragen.

›Dummer Kerl!‹ sagte er ganz laut und griff nach vorn. Ein großer schwarzer Käfer lag im Sande auf dem Rücken und zappelte angstvoll mit den Beinen. Vorsichtig half ihm der lange Klas auf die richtige Seite. ›Lauf!‹ sagte er mit leisem Lachen, und schwerfällig kroch der Schwarze unter die Gräser.

›Bimbam, bimbam,‹ summte der Junge wieder vor sich hin und träumte mit offenen Augen seinen liebsten Traum. ›An Kiliani, Klas, an Kiliani, da ist die schönste Zeit.‹ – ›I glaub's nit, Vater. Ihr habt mir's vorm Jahr schon versprochen auf Kiliani, und war nachher doch nix.‹ –›An Kiliani, Klas, heuer ganz gewiß!‹ – Ja, der Vater hatte es gesagt: dies Jahr noch kam der Klas in des Bischofs Stadt. Klas schnalzte mit der Zunge, wie er's beim Vater gesehen. Und aus dem Wald rief es kuckuck, kuckuck!

Er war nun fertig mit seiner Mahlzeit, saß mit 177 halbgeschlossenen Augen und horchte ins Land hinaus. Aber die Glocken klangen nicht mehr. Nur die Bienen und Hummeln droben im schimmernden Baume sangen und summten, und es war auch beinahe wie Glockengeläute, so lustig und so feierlich.

Da riß Klas die Augen auf. Ein Gewirr von Menschenstimmen und Waffenklirren schlug an seine Ohren. Schwerfällig wandte er den Kopf. Hinter dem Birnbaum, wo der Hügel gegen Mittag abfiel, mündete ein Hohlweg, und aus der Tiefe des Hohlweges kam der Lärm, kam näher und näher. Mit offenem Munde horchte der Junge. Da stiegen zwischen den weißschimmernden Dornbüschen funkelnde Hellebarden und Sensen und große Hüte mit schwankenden Federn empor.

›Räuber!‹ fuhr's dem langen Klas durch den Kopf, der Atem stockte ihm, und er schlug ein Kreuz, wie er's heute morgen bei der Mutter gesehen. Dann wollte er nach seiner Feuerbüchse greifen. Aber die lag neben der abgeschnallten Wehre weit drüben, wo er mit dem Ackern begonnen hatte.

›Räuber?‹ Angstvoll sah er zu den Bewaffneten empor, die ihn umringten und alle zugleich auf ihn herabschrien. Er atmete tief auf: Bauern waren's, Bauern, wie er und der Vater.

Der lange Klas verstand nicht viel von dem, was sie schrien. Langsam erhob er sich, wischte 178 bedächtig das Messer an seiner Sitzseite ab und sah sich die Leute der Reihe nach an.

»Was wollt ihr denn von mir?« fragte er endlich einen kleinen, verwachsenen Kerl, der ganz nahe vor ihm stand, einen feuerroten Rock anhatte, eine großmächtige weiße Hahnenfeder auf der Kappe trug und am lautesten schrie.

»Mitsollst!« antwortete der Kleine, reckte sich auf den Fußspitzen, reichte aber mitsamt seiner Kappe und Feder dem langen Jungen doch kaum bis zur Brust.

»Wohin denn?« fragte Klas bedächtig von oben herunter.

»Wohin? Auf Würzburg!«

»Was, auf Würzburg?« fragte Klas verwundert. Da lachten die Bauern, und Klas lachte mit ihnen.

Ihrer etliche aber wandten sich ab und machten sich an den Pferden zu schaffen. Das verdroß den langen Klas, und er rief drohend über die Köpfe der nächsten Bauern hinüber: »No, was wollt ihr denn? Laßt mir meine Gäul' stehen!«

Der Verwachsene nickte seinen Genossen grinsend zu, fuhr mit der Hand an seine Stirne und schüttelte den Kopf. Da lachten sie wieder, die Bauern im Kreise.

»Auf Würzburg?« sagte Klas, und sein Gesicht 179 begann zu glänzen. »Ja no, auf Würzburg wollt' ich schon, wenn nur unser Acker fertig wär'.«

»Der Acker liegt gut,« sagte der Verwachsene und tippte den Langen mit dem Zeigefinger zutraulich auf den Bauch. »Das is der einzig nit, der liegen bleibt in so 'ner Zeit. Geh zu und besinn dich nit lang und geh mit auf Würzburg!«

Sagte der Lange: »Laßt mich in Ruh', ich muß unsern Acker fertigmachen.«

»Sieh dich vor, Hans oder Klas –!« drohte der Kleine mit giftigem Lächeln.

»Klas heiß' ich, ja, Klas,« sagte der Junge verwundert. »Woher weißt du das? Aber jetzt laßt mir mein' Ruh' und macht Platz, ich muß ackern.«

»Es ist aber kein Spaß!« schrie der Kleine, packte ihn am Arm und schüttelte ihn.

Das war dem langen Klas zu dumm. Er wischte den Verwachsenen mit einem Griffe von sich ab, daß er schreiend auf den Rasen purzelte, ging gegen die Männer vor, die zwischen ihm und seinen Pferden standen, und schob den einen nach rechts und den andern nach links.

»Packt ihn an, packt ihn an!« kreischte der Verwachsene und raffte sich empor. Und zu viert warfen sich die Bauern auf ihn, rissen ihn zu Boden und hielten ihn fest an Händen und Füßen. Der Kleine aber sprang wie eine Katze zwischen sie und kniete 180 auf die Brust des Gestürzten, hielt ihm ein funkelndes Messer an die Gurgel und sagte keuchend: »Hast dein Leben lieb?«

Der lange Klas verdrehte angstvoll seine Augen und schielte nach der Messerspitze. Jetzt wußte er's, das waren Räuber. Und mühsam brachte er heraus: »Aber was wollt ihr denn von mir?«

»Horch: entweder gehst mit uns, und nachher tun wir dir nix. Oder du gehst nit mit, nachher stoß' ich dir 's Messer in Hals. Was d' jetzt willst –!«

Gefährlich funkelte die Klinge vor den Augen des armen Jungen.

»Mitgehen will ich,« würgte er heraus. »Aber was wollt ihr denn von mir?«

»Alle Bauern müssen auf Würzburg,« erklärte der Bucklige und hob ein Knie von seiner Brust.

Das leuchtete dem Klas ein. So sagte ja der Vater auch zweimal im Jahr: ›Jetzt muß ich wieder auf Würzburg.‹

Ob er nun mitwolle, fragte der Kleine und gab ihn frei.

Klas erhob sich von der Erde, raffte seine Mütze auf und begann bedächtig an seinen Kleidern zu putzen. Dabei schielte er nach den Hellebarden und Aexten und Feuerrohren rings umher. »Es ist mir recht. Ich muß nur erst meine Gäul' heimtun und 181 andre Stiefel anziehen. Aber warum habt ihr mir denn meine Gäul' ausg'spannt?«

Da lachten die Bauern über den dummen Klas. Und wiederum ergriff der Bucklige für alle das Wort: »Ich will dir's sagen, paß einmal auf! Wir haben uns zusamm'geschworen und haben eine große Bruderschaft. Ja – weißt denn eigentlich, was Schwören ist?«

Der lange Klas horchte aufmerksam. »Schwören?« Ja, das wußte er wohl, aus der Kirche und von der Mutter. Und nach einigem Besinnen sagte er: »Eine heilige Sach'.«

»Ganz recht!« lobte der Bucklige. »Eine heilige Sach'. Das ist das richtige Wort, wir haben eine heilige Sach'.«

Da brachte einer das Feuerrohr des Langen, und neugierig umringten ihn die Männer.

»So eins hab' ich noch nie gesehen,« meinte einer.

»Es ist ein neues, ein Nürnbergisches, eines mit 'nem Rad,« erklärte ein andrer.

»Kannst denn schießen?« fragte der Bucklige.

Klas nickte und beguckte die wilden Männer, einen nach dem andern. Sie sahen aus wie richtige Bauern, und doch wieder anders. Er hatte gedacht, es seien Räuber. Und nun sagte der Verwachsene da, sie hätten eine heilige Sach'.

182 Seine Gedanken verwirrten sich.

»Heim muß ich. Mein' Mutter weiß ja gar nit, wo ich bleib',« sagte er auf einmal mit kläglichen Gebärden, und seine Augen füllten sich mit Tränen.

»Deiner Mutter ist's schon recht,« sprach ihm der Bucklige zu, und die andern lachten. »Alle Bauern müssen auf Würzburg – hat sie dir's nit auch schon gesagt heut früh?«

Klas schüttelte den Kopf: »Sie hat nix gesagt.«

»Alle Bauern!« wiederholte der Bucklige.

»Der Vater auch?«

»No freilich, der is ganz gewiß schon auf dem Weg.«

»Nein, der is daheim bei der Mutter,« sagte Klas furchtsam.

In diesem Augenblick führten ihrer etliche die ausgespannten Pferde hinter dem Birnbaum auf den Feldweg hinaus. Dem langen Klas kam die Heiligkeit ihrer Sache wieder sehr verdächtig vor, und er wollte ihnen nachlaufen. Der Verwachsene aber hielt ihn am Wams zurück und sagte drohend: »Hast dein Leben lieb?«

Da fürchtete sich Klas. »No freilich – aber wo wollt ihr denn mit meine' Gäul' hin?«

»Auch auf Würzburg,« lachte der Kleine. »Sei gescheit, Klas, und frag nit lang 'rum!«

183 »Mein Feuerrohr!« sagte Klas.

»Das kriegst du, wenn du zum Haufen geschworen hast,« sagte einer der Bauern.

Klas verstand nicht, was der meinte. Aber willig ging er nun mit dem Buckligen und stapfte im Haufen hinter seines Vaters Pferden drein.

»Darf ich denn meine Gäul' nit selber führen?« fragte er nach einer Weile den Buckligen.

»Wenn du zum Haufen geschworen hast,« kam die Antwort zurück.

»Und was wollt ihr mit meine' Gäul'?«

»Die müssen's Schlängle ziehen,« sagte der Kleine.

»'s Schlängle?« fragte Klas verwundert. »No, warum schlagt ihr denn 's Schlängle nit tot?«

Da lachte der Bucklige, daß er sich bog. »Habt ihr's gehört, habt ihr's gehört? Wie is der nur so dumm, so dumm!«

Und mit Lachen und Schreien zog die Schar durch die sonnige Landschaft.

Da war's dem Klas, als hörte er aus weiter Ferne wieder das tiefe Glockengeläute.

»Du,« sagte er nach einigem Ueberlegen zum Buckligen, »du, dort is doch Würzburg?«

»Da brauchst du nit zu sorgen, Langer!« grinste der Kleine. »Wir wissen unsern Weg schon.«

Nun schwieg der Klas und trollte gehorsam fürbaß.

184 Hinter ihm gingen zwei Bauern, ein alter und ein junger. Die führten ein lautes Gespräch miteinander.

»Das ist jetzt,« sagte der Alte, »das ist jetzt grad, wie wenn's regnet. Tropfen auf Tropfen. Und die Tropfen laufen das Dach 'runter und 'nein in die Dachrinne, und aus der Dachrinne schießt's Wasser auf den Erdboden. Und so schießt's von all den Dächern, und das Wasser fließt alles zusammen. Und nachher wird's ein Bach, und nachher wird's ein Fluß und zuletzt –«

»– wird's so groß wie der Main, wenn's Eis bricht im Frühjahr,« schloß der andre und hängte sein Feuerrohr von der rechten an die linke Schulter. »Wie der Main, wenn's Eis bricht,« wiederholte er und blickte starr vor sich hin, als wollte er den reißenden Strom verschlingen in seine Augen.

»So is,« sagte der Alte.

»Und der Strom wird alles fortschwemmen, was gegen das heilige Evangelium ist,« meinte der andre nach einer Weile. »Alles –!«

»So ist's,« mischte sich der Bucklige ins Gespräch und wandte den Kopf halb rückwärts. Dann fuhr er mit der Zunge über die schmalen Lippen, räusperte sich, spuckte aus und sagte nach rückwärts im Predigertone: »Alles, was dem wahren Wort Gottes entgegen ist, soll tot und nichtig sein; denn 185 alle Pflanzung, die Gott der himmlische Vater nit gepflanzet hat, soll ausgereutet werden.«

Die beiden andern schwiegen. Der Bucklige aber bekräftigte nach einer Weile seinen Ausspruch: »So is!« Dann fragte er den Klas: »Hast du's verstanden?«

Der schüttelte den Kopf und stapfte fürbaß. »Na,« sagte er.

Der Bucklige lachte. Dann begann er mit schriller Stimme:

»Luset, wer hat das geschaffen,
Daß der Bauer insgemein
All den Junkern und den Pfaffen
Muß zugleich das Reittier sein?
Ja, der Bauer, glaubt es mir,
Ist ein armes, armes Tier.«

Da und dort fielen rauhe Stimmen ein und wiederholten den Rundreim:

»Ja, der Bauer, glaubt es mir,
Ist ein armes, armes Tier.«

Der Bucklige aber spuckte abermals aus und begann aufs neue:

»Junker haben feste Schlösser,
Pfaffen feine Klösterlein,
Schlechter oft als ihre Rösser
Hausen ihre Bäuerlein.
Ja, der Bauer, glaubt es mir,
Ist ein armes, armes Tier.«

186 Nahe auseinander gerückt war die Schar, und zornig antwortete der Rundgesang:

»Ja, der Bauer, glaubt es mir,
Ist ein armes, armes Tier.«

Der Weg führte über einen großen Anger, dem dunkeln Tannenwalde zu. Der Bucklige reckte sich wie ein krähender Hahn, im gleichen Schritt und Tritt marschierte die Schar über den grünen Wasen. Und wieder begann der Bucklige:

»Bauer muß die Erde pflügen,
Und sie gibt ihm Brot und Wein,
Und er hätt' wohl sein Genügen –
Aber hat er's insgemein?
Bauer ist ein armes Tier,
Glaubt es mir, ja, glaubt es mir.

Muß sein Brot den Junkern lassen
Und den Pfaffen seinen Wein,
Pfaffen schwelgen, Junker prassen,
Bauern hungern zwischendrein.
Ja, der Bauer, glaubt es mir,
Ist ein armes, armes Tier.

Luset, soll das immer bleibe,
Luset, Bauern groß und klein,
Sollen Junker, sollen Pfaffen
Ewig unsre Reiter sein?
Muß der Bauer für und für
Bleiben das geschundne Tier? 187

Luset, anders soll es werden!
Stopft den Pfaffen frisch das Maul,
Reißet alles, was auf Erden
Sporen trägt, herab vom Gaul!
Schaut euch nur den Bauern an,
Was der Bauer leisten kann!

Luset, brechet ihre Mauern,
Werft den Feuerbrand hinein –
Wer ist stärker als wir Bauern
Von der Donau bis zum Main?
Schaut euch nur den Bauern an,
Was der Bauer leisten kann!

Nein, er will es nimmer tragen –!
Gott im Himmel sieht darein,
Nimmt uns ab die schweren Plagen,
Läßt uns freie Bauern sein.
Schaut euch nur den Bauern an,
Was der Bauer leisten kann!

Frei hat Gott den Mann geschaffen,
Keiner darf geknechtet sein.
Freier Bauer, schwing die Waffen
Von der Donau bis zum Main –
Schaut euch nur den Bauern an,
Was der Bauer leisten kann!«

Zwischen den Tannen schob sich der Hause vorwärts, und brüllend erscholl es zwischen den dunkeln Tannen.

Schaut euch nur den Bauern an,
Was der Bauer leisten kann!«

Dann zogen sie schweigend fürbaß, die Bauern.

188 »Das ist ein lustiges Lied,« sagte nach einer Weile der lange Klas zum Buckligen.

»Gelt?« meinte dieser mit heiserer Stimme und patschte den Jungen kräftig auf den breiten Rücken.


»Paßt auf!« schrie einer der vordersten und streckte den Arm nach rechts. Ueber eine Waldwiese trabte ein Reiter.

Aller Augen waren auf ihn gerichtet.

»Halt!« befahl der weißhaarige Führer. Und der Haufe stand.

»Wer ist's?« rief der Alte.

Langsam trabte der Reiter heran.

»Wer ist's?« wiederholte der Alte drohend.

»Junker Habenichts von Nirgendhausen,« rief der Reiter mit lachendem Munde, hielt sein Pferd an und hob grüßend die Hand zur Eisenkappe.

»Du, hast g'hört, wir lassen uns fein nit viel Haar' am Bart flechten!« sagte der Alte mit finsterer Miene.

»Und du bist, scheint's, heut auch verkehrt aufg'standen, wo's doch so schön is im Wald,« gab der Junker sorglos zurück.

Die Bauern murrten.

»Schön?« sagte der Bauer. »Ja, für unsereinen is schön – aber für dein' Sorten is nit schön. Wo geht dein Weg hin?«

189 »Ins Bauernlager.«

»Und wer bist denn?«

»Hab's dir ja schon gesagt – der Junker Habenichts von Nirgendhausen.«

»Das gilt nix,« rief der Bauer drohend. »Nur 'raus mit der Farb'!«

»Ja, wenn ich mag. Aber ich mag nit,« sagte der Junker trotzig.

Die Bauern murrten.

»Ich mein' halt,« lenkte er ein, »ihr Bauern könnet ein paar kräftige Arm' brauchen, und wer ich bin, das wird euch nix kümmern.«

»Kräftige Arm', die haben wir selber,« rief der Bucklige.

»Du schweigst, Bruder Schneider!« befahl der Alte. »Und in unser' Bruderschaft willst treten?« fragte er mißtrauisch und musterte den Reiter mit seinen verschmitzten Aeuglein.

»So ist's.«

»Nachher mußt 'runter vom Gaul und mußt laufen zu Fuß.«

Ein halbes Dutzend Arme griff nach den Zügeln.

»Oho!« rief der Reiter und riß sein Pferd zurück.

Ein halbes Dutzend Feuerrohre richtete sich im Anschlag auf ihn.

»Wird mir hart gehen,« lenkte der Junker ein. »Ich hab' gemeint, ihr könnt auch Reiter brauchen.«

190 »Alles, was 'nein in die Bruderschaft will, muß laufen zu Fuß,« wiederholte der Alte.

Murrend stieg der Junker ab.

»Und nit einmal ein Feuerrohr bringt er mit,« spottete der Schneider.

»Willst mit mir um die Wette schießen?« rief der Junker verächtlich und nahm seine Armbrust vom Rücken. Dann kreuzte er die Bügel über dem Sattel und gab dem Pferde einen Schlag mit der flachen Hand.

»Oho!« brüllte der Bauernführer.

Das Pferd aber hatte die Ohren zurückgelegt, war auf den Hinterbeinen herumgefahren und jagte nun mit langen Sätzen in den Wald zurück.

»So hab' ich's nit gemeint,« rief der Alte zornig.

Lachend sagte der Junker: »So spring ihm nach, wenn du kannst.«

»Pfeif ihn wieder her!« schrie der Alte und stampfte.

»Jawohl – sonst nix? Daß ihr mir meinen Gaul zu Tod schindet an euern Karren?«

»Nehmt ihn hinein in die Mitte!« befahl der Alte.

Ein Dutzend Bauern drang auf den Junker.

»Oho!« rief dieser, sprang zurück, riß einen Bolzen aus dem Köcherlein und legte ihn auf die Rinne.

»Ein sauberer Bruder!« kreischte der Schneider. »Stecht ihn übern Haufen!«

»Ruhig!« befahl der Alte und trat vor. »Willst jetzt gut tun und willst mit uns in unser Lager?«

191 »No, was sonst?« kam die Antwort zurück.

»Dann mußt's uns fest versprechen, sonst is nix.«

»Auf meine ritterliche Ehre!«

»Bei uns gibt's nur 'e Bauernehr', das merk dir!« sagte der Alte und winkte die andern zurück.

Verdrossen kam der Junker, bückte sich, schnallte die Sporen ab und steckte sie ein.

»Her zu mir!« befahl der Führer.

Murmelnd setzte sich der Haufe in Bewegung.

»Ich hätt' gemeint, ihr nehmet einen mit offenen Armen in euer' Bruderschaft,« sagte der Junker nach einer Weile.

»Auf mich wenn's ankäm',« antwortete der Alte bedächtig, »nachher könnten alle Junker wegbleiben vom fränkischen Heer. Sing noch eins, Bruder Schneider!«

Da reckte sich der Verwachsene im Gefühle seiner Wichtigkeit und stimmte krächzend das Lied an:

»Luset, wer hat das geschaffen,
Daß der Bauer insgemein
All den Junkern und den Pfaffen
Muß zugleich das Reittier sein?«

Und brüllend antworteten die Gesellen:

»Ja, der Bauer, glaubt es mir,
Ist ein armes, armes Tier!« 192



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