August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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5

Das Lager wurde abgebrochen, und die Fahrt ging weiter.

Nordwärts zog das Heer im Frühlingsonnenschein durchs blühende Land. Und es war eine lustige Reise. In den Dörfern standen die Weiber und Kinder an der Straße und hatten Weins 231 genug in Stützen und Gelten, winkten und lachten und füllten die Krüge bis an den Rand. Mit roten Köpfen, jauchzend und johlend, rückten die Bauern vor. Frischgrüne Zweige schwankten auf ihren Hüten. Sie waren die Herren. Was galt nun die Welt?

Wie eine langmächtige, dicke Schlange kroch das Heer zwischen Feldern und Weinbergen dahin. Und gierig züngelte das Ungetüm nach rechts und links, wo nur immer Pfaffenmauern ragten und Junkertürme drohten. Auf hohe Felsen kroch es und schlüpfte in fruchtbare Täler und schob sich weiter und weiter. Brandgeruch stank hinter ihm zum wolkenlosen Himmel empor, dicker und dicker wurde das gefräßige Tier. Und wie hungrige Wölfe schlichen gierige Händler mit bauschigen Zwerchsäcken lauernd in seiner Spur. Ja, es war eine lustige Reise, es war ein herzerfreuendes Kistenfegen und Säckelleeren.

Am Abende des dritten Tages zogen die trunkenen Scharen in Gerolzhofen ein.


Mitternacht war's. Der Obristfeldhauptmann hatte Kriegsrat gehalten mit den Führern und den Angesehensten des Heeres.

Zwei Bauern gingen im Sternenscheine durch die stillen Gassen ihrer Herberge zu.

232 »Unser Groschen gilt was im Land. Oder is nit so, Bruder?«

»Kann sein, Bruder Jörg.«

»Kann sein, Bruder Bartel? Sollen wir jetzt nit ein paar hinein in Landtag schicken auf Würzburg? Hat's nit der Bischof selber wissen lassen? Wo hat man denn früher einmal gehört, daß ein Bauer hinein in Landtag 'kommen ist?«

»Ja, ja,« murmelte der alte Bartel.

»Aber wir haben's ihm abgesagt; denn es ist jetzt zu spät zum Reden, und keinen Landtag brauchen wir nimmer.«

»Vielleicht,« murmelte der Alte.

»Kann sein, ja, ja, vielleicht,« grollte der Bauer Jörg. »Ich weiß nit, was du immer hast. Ich hab' mir's oft schon gedacht: die andern schimpfen auf Junker und Pfaffen, und du sagst nit einmal ein Wort dazu; die andern jammern, weil's den Bauern so schlecht geht auf Erden, und du sagst nit einmal ein Wort dazu; die andern können's gar nimmer erwarten, bis der Tanz losgeht, und du sagst nit einmal ein Wort dazu.«

»Meinst?« gab der Alte zurück.

»Jawohl!« rief Jörg.

Sie standen an ihrer Herberge, sie tappten die enge Stiege hinauf und traten in ihre Kammer.

233 Gelassen schnallte der Bauer Bartel seine Wehre ab und streckte sich auf den Strohsack.

»Sag was!« murrte der andre und legte sich in seine Ecke.

»Du meinst also,« begann Bartel, »es muß jeder schimpfen und jeder jammern und jeder schreien? Hör! Es ist nit allen Bauern schlecht 'gangen. Sind ihrer viele hinter guten Herren gesessen. Die welchen aber schreien jetzt am ärgsten? Denen 's am schlechtesten 'gangen ist? Ach was! Die 's gut gehabt haben, die reißen das Maul am weitesten auf. Hör: solang' als der Mensch noch jammern kann und solang' als er gar noch schimpfen und schreien kann, da ist das Aergste noch nit bei ihm. Das Jammern macht das Herz leichter, und das Schimpfen tut dem Magen wohl. Aber wenn einer so lumpig dran ist, daß er nimmer jammern und nimmer schimpfen kann, und er muß jahraus, jahrein alles 'nunterfressen – bei dem steht's schlecht.«

»Jetzt redest doch einmal was!« rief der andre mit Befriedigung.

»Werd' gleich wieder fertig sein,« murmelte der alte Bartel.

»Du willst aber doch auch den Junkern und den Pfaffen den Garaus machen?«

»So gewiß, als wie ich ewig selig werden will,« 234 kam die Antwort zurück. »Aber da haben wir noch weit hin.«

»Ja, wie meinst denn das?«

»Paß auf! Ich bin Landsknecht gewesen in meinen jungen Jahren.«

»Da hast mir noch gar kein Wörtle davon gesagt!«

»Du wirst noch mehr nit wissen. Hör! Wie heißt's in der Heiligen Schrift, wie sagt da der Hauptmann von Kapernaum? ›Ich habe unter mir Kriegsknechte, und wenn ich sage zu einem, gehe hin, so geht er; und zum andern, komm her, so kommt er; und zu meinem Knechte, tue das, so tut er's.‹ – So heißt's in der Heiligen Schrift. Weißt's nit?«

»Ja, ich weiß.«

»Und so soll's auch in einem christlichen Heer sein, Bruder Jörg. Ist's aber bei uns so? Geht nit ein jeder her, wenn er will, und wieder fort, wenn er will?«

»Ein jeder soll vier Wochen bleiben,« sagte Jörg.

»Ja, soll – Aber ob er's auch tut? Und was ist's nachher, wenn einer auch vier Wochen bleibt? Nix ist's. Und hast g'hört: mit dem Schreien und Schimpfen und Singen und Weinsaufen, damit ist's nit getan. Damit gewinnt man keinen Krieg.«

»Ja, wo ist denn der Feind?« rief Jörg.

235 »Der kommt schon, da kannst dich drauf verlassen,« sagte der Alte mit großem Ernste; »und wenn er kommt, nachher treibt er uns auseinander – wie der Geier die Hühner, so treibt er uns auseinander, das kannst glauben. Und jetzt weißt's, warum ich so still bin.«

Schweigend lagen sie auf ihren Strohsäcken.

»Wir müssen des Bischofs Schloß verbrennen, wir müssen auf Würzburg!« rief Jörg nach einer Weile.

»Frauenberg verbrennen? Sag, hast du ihn schon einmal gesehen, den Frauenberg?«

»Gesehen noch nit,« bekannte der junge Bauer.

»Drum,« sagte der Alte.

»Du könntest einem angst machen, Bruder Bartel.«

»Mir ist's nit erst seit gestern angst, Bruder Jörg. – Morgen früh rücken also zweihundert vor den Zabelstein?«

»Ja,« sagte Jörg.

»Mir ist's recht,« meinte der Alte.

»Auf dem Zabelstein, da liegt das viele Papier und Pergament. Das gehört dem Bischof, und da steht's drinnen, was die Bauern leisten müssen im Bistum. Und ich mein', es wär' gut für uns Bischöfliche, wenn sie das alles verbrenneten.«

»Ja, mir ist's recht,« sagte der Alte.

»Und den Stolberg werden sie morgen auch nehmen,« fuhr Jörg fort. »Sag emal, ist das 236 Bischofschloß auf dem Frauenberg viel größer als wie das Stolberger Schloß?«

Der Alte lachte. »Wie viele Bauern hat der Jakob Kohl auf den Stolberg geschickt?«

»Den Ohlschmid von Oberschwarzach und den buckligen Schneider und dreißig Mann, und was halt sonst noch mitläuft von Schwarzacher Bauern,« kam die Antwort zurück.

»Die können ja den Frauenberg hernach auch gleich mit verbrennen!« höhnte der alte Bartel.

*

Die Sonne stand hoch über dem Tal, die Lerchen sangen, der Tau lag silbergrau weithin auf Gras und Kraut, und die braunroten Dächer der Burg Stolberg blinkten im lachenden Morgenlichte.

Ein Haufe bewaffneter Bauern lief den steilen Berghang hinan.

»Da droben wohnt sie, die Gräfin,« sagte der Schneider; »aber ihr Mann ist nit droben, der hat auf Würzburg gemußt.«

»Weißt's gewiß?« fragte einer.

»Ja. Gelt, Ohlschmid?«

»Ja,« sagte der Schultheiß von Oberschwarzach.

»Die wird weiter nit erschrecken, wenn sie uns kommen sieht!« rief ein andrer. »Die wird meinen, es geht ihr an den Kragen.«

»Das glaub' ich schon,« lachte der Schneider. 237 »Und was mit ihrem Kind worden ist, das wird sie auch nit wissen. Das ist eben ihr Kind gewest.«

»Was, der ihr's?« sagte der andre.

»Ja, der ihr's,« wiederholte der Bucklige. »Und die Angst, die gönn' ich ihr.«

»Du kennst sie gewiß?«

»Ich hab' sie oft schon von weitem gesehen; aber ich gönn' ihr's.«

Der lange Klas war stumpfsinnig im Haufen gegangen. Jetzt horchte er. »Das kleine Kind, das im Graskorb?« fragte er.

»Guckt nur den an!« lachte der Schneider. »Jetzt sagt er doch auch einmal was! Ja, nu freilich, das Kind mit der Saugamm'. Sie hat ihrer aber noch zwei droben, die Gräfin.«

Etliche liefen aus dem Haufen und rannten quer über eine große Wiese den Berg hinan.

»Wollt denn ihr auch Bauern sein und tretet das schöne Gras zusammen?« grollte einer.

»Gras hin, Gras her – 's ist Herrengras,« sagte der Schneider, schüttelte seinen Spieß und lief den andern nach. Und nun rannten sie alle durch die nasse Wiese den Berghang empor. –

Im Hohlwege sammelte sich die Schar, und man hielt eine Beratung.

»Nehmt's nur nit so leicht,« warnte einer, »'s können doch noch Landsknecht' droben sein.«

238 »Landsknecht'?« Der Schneider lachte. »Ein einziger ist droben – gelt, Ohlschmid? Und das ist der Hinner von Gerleshofen, meiner Schwester ihr Sohn. Die andern haben ja alle fortmüssen auf den Zabelstein, müssen das Pergament und Papier hüten, das der Bischof dort hat.«

»Recht zu trauen ist aber doch nit,« meinte der erste;»recht zu trauen ist nit, wenn man so nah hingeht an so ein fremdes Schloß.«

»Da könnt' uns 'e ordentliche Eul' aufsitzen!« rief ein andrer.

»Könnt' was 'runterfallen auf unsre Köpf', nachher hätten wir's,« sagte ein dritter.

Die andern lachten. Der Schneider aber meinte: »No, da will ich ganz allein hingehen ans Tor – ganz allein!« Und er stemmte den Arm in die Seite und sah stolz im Kreise umher.

»Ja, wenn der Hinner seiner Schwester ihr Sohn ist, da hat er's freilich gut wagen,« äußerte einer.

»O, da sind ihrer schon noch mehr droben, nit nur der Landsknecht!« rief jetzt der Schneider. »Da ist noch ein Amtmann droben und ein Koch und ein paar Gäulsknecht'. 'nan ans Tor geh' ich aber doch ganz allein!«

Und damit riß er seinen Hut vom Kopfe und steckte ihn auf die Speerspitze. Und mit langen 239 Schritten strebte er im engen Hohlweg nach oben. Murmelnd und nicht ohne gebührende Vorsicht kamen die andern hinter ihm drein.

»Der faßt sich aber doch recht viel Kraut 'raus, der Schneider,« keuchte einer.

»Ja, wenn der Landsknecht seiner Schwester ihr Sohn ist!« meinte ein andrer.

Nun blieben sie alle stehen und reckten die Hälse; denn der Schneider war an die Brücke gekommen.

»Die haben nit einmal ihre Brücke auf'zogen!« wunderte sich einer im Haufen.

»Holla – holla!« rief der Schneider, spreizte die Beine gleich einem Landsknechte und hielt den Speer mit dem Hute steif in die Höhe.

»Holla!« rief er zum drittenmal und begann in singendem Tone, wie ein Leichenbitter, das Sprüchlein der Bauern: »Eröffnet euer Schloß dem hellen christlichen Haufen! Wo nit, so bitten wir um Gottes willen, tut Weib und Kind daraus; denn nun wird dieses Schloß den freien Knechten zum Sturm gegeben.«

Ueber dem Torbogen öffnete sich ein Holzladen, und eine Eisenhaube schob sich heraus.

»Holla! Aufmachen sollt ihr! Habt ihr's gehört?«

»Mach nur nit das Geschrei gar so arg, Vetter!« sagte der Landsknecht.

240 »Da gibt's keine Vettern und keine Basen,« erklärte der Schneider mit Würde. »Da gibt's nur freie Bauern, und die haben mich hergeschickt. Mach auf, wenn du dein Leben liebhast!«

Als die andern den Schneider so mutig vor dem Tore stehen sahen, und als ihm nichts auf den Kopf geworfen wurde, rückten auch sie heran in geschlossenem Haufen, machten bedrohliche Gesichter und starrten zum Guckloch empor.

»In Teufels Namen, macht auf!« schrie nun der Schneider und reckte sich gleich einem Gockel.

»So darfst du nit sagen; denn wir sind ein evangelisches Heer!« strafte ihn der alte Ohlschmid, der eigentlich der Führer war. Und mit hallender Stimme rief er: »In Gottes Namen machet auf!«

»Macht auf!« brüllten sie alle und schüttelten ihre Waffen gegen die Burg.

»Und wenn wir euch aber nit aufmachen?« fragte der Landsknecht von oben herab.

»Nachher legen wir Leitern an und steigen über eure Mauern,« sagte der Führer.

»Und nachher gnad' euch Gott allen im Schloß!« rief der Schneider. »Sei nit so dumm, du da droben! Du bist ja doch auch ein Bauernsohn. Und haben wir denn nit einen richtigen Bauernkrieg? Ich traget auch meine Haut zu Markt für die Junker!«

241 Ein zweiter Kopf erschien neben dem Landsknecht, ein weißhaariger Kopf mit einem freundlichen, rosigen Gesicht. Und eine gutmütige Stimme versuchte möglichst schreckhaft zu drohen: »Geht heim, ihr Leute! Was wollt ihr denn vor unserm festen Schloß? Ihr werdet euch blutige Köpfe holen; denn die Mauern sind euch zu hoch!«

»Zu hoch?« spottete der Schneider. »Hungrige Katzen machen große Sprüng' – kennst du das Sprichwort nit, Bruder Amtmann?«

»Wo ist die Gräfin?« rief der alte Ohlschmid.

»Die Gräfin soll 'raus!« schrie ein andrer.

»'raus!« johlte der Schneider, und mit ihm johlten sie alle. Einer aber legte das Feuerrohr an und schoß mitten auf den Torflügel.

Die zwei Köpfe fuhren zurück, und stille war's in der Burg.

Da begann der Schneider das Lied:

»Luset, wer hat das geschaffen,
Daß der Bauer insgemein
All den Junkern und den Pfaffen
Muß zugleich das Reittier sein?«

Und brüllend fielen die andern ein:

»Ja, der Bauer, glaubt es mir,
Ist ein armes, armes Tier!«

Andre Bauern liefen den Hohlweg herauf. Sie 242 schleppten einen Heubaum. Der Schneider hielt mitten in der Strophe inne, begann zu tanzen und schrie: »Jetzt passet auf!«

Keuchend standen die mit ihrem Heubaum vor dem Tor. Ein paar Dutzend andre Hände griffen nach dem schweren Balken und begannen ihn zu schwingen. Und zum erstenmal stieß er krachend auf den Torflügel. Dann wieder, und ein drittes Mal.

Da flatterte ein weißes Tuch aus dem Guckloch, und Ohlschmid gebot mit starker Stimme Einhalt.

»So höret doch, Leute!« rief der Amtmann von oben herab.

»So red halt!« höhnte der Schneider von unten hinauf.

»Die gnädige Gräfin –«

»Das gibt's nimmer, keine gnädige Gräfin und keine ungnädige erst recht nit!« unterbrach ihn der Schneider.

»Halt's Maul!« sagte Ohlschmid.

»Wir wollen euch das Schloß übergeben, wenn ihr die gnädige Gräfin mit ihren Kindern und mit ihrem Gesinde und Hausrat frei ziehen laßt, wohin sie will,« vollendete der Amtmann, hielt sich aber vorsichtig hinter der Mauer verborgen.

»Da müssen wir uns erst beraten,« erklärte Ohlschmid, und der ganze Haufe zog sich in den Hohlweg zurück.

Nach kurzer Zeit rückte er wieder vors Schloß, 243 und der Alte sagte: »Wir sind's zufrieden. Aber jetzt macht ihr's Tor auf!«

»Und ihr versprecht mir's heilig?« rief eine helle Stimme, ein schönes Frauenantlitz, umrahmt von weißer, abstehender Flügelhaube, erschien im Guckloche, und zwei klare, große Augen blickten furchtlos auf die Bauern herab.

»Das ist sie!« raunte der Schneider.

Etliche griffen an die Hüte, aber giftig rannte der Bucklige: »Laßt nur gut sein, wir sind doch freie Bauern!« Da schämten sie sich und ließen die Hände sinken.

Eine ängstliche Stimme sprach hinter dem Guckloch auf die Gräfin ein. Die wandte das Haupt ein wenig und sagte ganz laut: »I was, die Mannsleute da drunten werden doch auf kein wehrloses Weib schießen?«

»Da habt Ihr recht!« rief der alte Ohlschmid hinauf. »Wir führen keinen Krieg gegen Weiber und Kinder, und wir tun Euch nix.«

»Also versprecht ihr's heilig? Freien Abzug für mich, die Gräfin, für meine Kindlein, für meinen Amtmann und die Knechte?«

»Wir versprechen's heilig!« antwortete der Führer.

»Und für meinen Hausrat?« fragte die Gräfin.

»Was Ihr auf einen Wagen laden könnt, ist Euch unverwehrt.«

244 »Gut!« nickte die Gräfin und rief über die Schulter zurück: »Dann mach ihnen auf!«

Nach kurzer Zeit wurden die Balken zurückgeschoben, die Schlüssel rasselten, die Angeln kreischten, und mit Gedränge schoben sich die Bauern in den Schloßhof, stießen einander, traten sich auf die Füße.

»Wie eine Schafherde!« bemerkte der Schneider und schritt als letzter, würdevoll und grimmig anzusehen, mit geschultertem Speer in den Torweg.

Nein, nicht als letzter. Mit offenem Munde stand der lange Klas und starrte zum Guckloch empor, starrte und meinte, sie müsse sich wiederum zeigen. Endlich trollte er den andern nach über die Brücke.

*

Der Hof war im Besitze der Bauern, und sie hatten sich häuslich niedergelassen. Die Gnadenfrist war bald zu Ende.

In der Ecke hinter dem Brunnen prasselte ein Feuer; mit Eifer drehte ein halbwüchsiger Junge den Bratspieß und beobachtete das schmorende Kalb.

Auf dem gedeckten Brunnen lag ein großes Faß, und aus Krügen und Schüsseln tranken die Bauern den Wein.

»Sind alte Schriften auch drinnen?« fragte der Ohlschmid den Buckligen, der eben geschäftig aus dem Portale rannte.

245 »Eine ganze Kammer voll. Ui, das wird brennen! Aber 's ist Zeit, daß wir anfangen.«

Vor dem Tore ertönte Peitschenknallen. Mit Poltern fuhr ein Leiterwagen über die Brücke, machte die Kehre und hielt vor dem Portale. –

Truhe auf Truhe ward nun herabgetragen. Neugierig, mit ihren Trinkgefäßen in den Händen, umstanden die Bauern das Fuhrwerk.

»Da wird auch manch schönes Kleid drinnen stecken,« sagte einer.

»Und manche goldene Kette,« rief ein andrer.

»Es ist gar nit zu sagen, was die reichen Leut' für Zeug haben!«

»Und das darf sie jetzt alles fortfahren?«

»Na, wir haben's ihr doch versprechen müssen!«

»Da waren wir dumm genug.«

»Die lädt sich eine Fuhr' auf, Schmucksachen und Kleider, das langet für ein ganzes Dorf!«

Immer neue Truhen kamen die Stiege herab.

»Ist ihr denn das alles versprochen?« fragte der Schneider.

»Alles, was sie auf den Wagen laden kann,« sagte Ohlschmid.

»Da waren wir dumm genug.«

»Die Hälft' langet auch.«

»Es könnt' sonst der Wagen zusammenbrechen. Wär' schad' um den Wagen!«

246 Die Bauern lachten.

»Ich wenn mein' Krempel auflad', da bricht kein Wagen,« spottete der Schneider.

»Recht hast, Bruder Schneider!«

In diesem Augenblicke kam der alte Amtmann sporenklirrend aus dem Portale. Hinter ihm schritt die Gräfin im Reisekleide, und ihr zur Rechten und Linken trippelten zwei Knäblein, die sahen furchtsam auf die wilden Bauern hinüber.

»Das ist die junge Brut,« sagte der Schneider hörbar. »Das werden einmal die Bauernplacker und Leutschinder.« Und hoch erhob er seinen Krug und rief über den Wagen: »Auf Euer Wohl!«

Mit unbewegtem Antlitz stand die Gräfin und sah in die Luft.

»Auf Euer Wohl, hab' ich gesagt!« Der Schneider ging langsam hinter dem Wagen herum.

Regungslos stand die Gräfin und sah über den Buckligen in die Luft.

»Geh zurück, Bruder Schneider!« flüsterte Ohlschmid.

Der aber ließ sich nicht irre machen und trat noch einen Schritt näher. »Sind das da die zwei einzigen Buben?«

Die Gräfin schwieg.

»Auf Euer Wohl!« sagte der Schneider und trank. »Habt Ihr denn« – lauernd blickte er von 247 unten herauf in das schöne Antlitz –, »habt Ihr denn nit noch ein kleines – ein ganz kleines –«, er gab das Maß mit dem Krug und mit der Hand an – »so ein kleines Kindle gehabt, was?«

Die Augen der Gräfin wurden groß, das Antlitz wurde bleich bis unter die Haube, und ein angstvoller Blick streifte das grinsende Gesicht des Verwachsenen.

Erwartungsvoll standen die Bauern.

Hinten aus dem Stalle wurden Reitpferde geführt, und ihre Eisen klapperten auf dem Pflaster.

»So klein –!« wiederholte der Schneider. »Und ist das Kindle nit auf Speckfeld gewesen beim Schenken von Limpurg? He? Und ist's nit in der Nacht von seiner Saugamm' fortgeschafft worden auf Kastl, wie die Bauern auf Speckfeld gezogen sind – he?«

Die Lippen der Gräfin bebten, und der größere Knabe drängte sich furchtsam an seine Mutter.

»Na, das hätt' ich Euch nit geraten!« Der Schneider trat noch einen Schritt näher. Mit Grauen wich die Frau bis an die Mauer zurück.

»Na, das hätt' ich Euch nit geraten! Ihr hättet's in Speckfeld lassen sollen in so 'ner schlechten Zeit. So ein feines Junkerle, so ein Junkerle wie Milch und Blut!« Wiederum hob er seinen Krug: »Auf Euer Wohl! – Ja, da gibt's ihrer genug in der schlechten Zeit, die sagen, man muß den ganz 248 kleinen Wölfen die Köpf' eintreten, das geht leichter als wenn sie später so hart sind, und sagen, man muß – auf Euer Wohl! – man muß den Raubvögeln die Nester ausnehmen. Na, ich hätt's Euch nit geraten, ist ewig schad' um das Junkerle, es ist ja grad' wie Milch und Blut – und Blut gewest.«

Die bebenden Lippen der Gräfin öffneten sich. Der Amtmann aber fuhr den Verwachsenen zornig an: »So sag's, was du weißt!«

»Oho!« rief der Schneider, wich einen Schritt zurück und ließ die Mutter nicht aus den Augen. »Mit dir, Bruder, hab' ich gar nix zu schaffen; mit der da red' ich! Und ich sag's, es ist ewig schad' für sein junges Leben.«

Ueber die Zugbrücke polterte eine neue Bauernschar. Der Schneider ging rückwärts zu den andern. Da stieß er hart an einen an, verschüttete seinen Wein und wandte sich mit einem Fluche um. Der lange Klas war's, an den er gestoßen.

»So paß halt auf!« schrie der Schneider und schüttelte den Jungen am Arme.

Geduldig trat dieser zur Seite.

Der Leiterwagen setzte sich rasselnd in Bewegung.

Aber am Tore standen Bauern. Etliche fielen den Pferden in die Zügel, etliche schoben die Torflügel zusammen und legten die Balken vor.

»Ja, was ist das?«

249 Jetzt raffte sich auch die bleiche Gräfin zusammen. Mit ein paar Schritten trat sie vor den Bauernführer: »Du hast mir's doch versprochen?«

»Ja, ich schon,« antwortete dieser und rückte seinen Hut.

»Heilig versprochen!« grollte die Gräfin. »Also, das Tor auf – die Pferde vor!«

Die Reitpferde kamen über den Hof geklappert.

Um den hochbeladenen Wagen standen dicht gedrängt die Bauern. Sie murmelten und betasteten die Truhen und Säcke.

Der Amtmann hob die Herrin auf ihren Zelter, schwang sich auf sein Pferd und hob den größeren der beiden Knaben herauf und setzte ihn vor sich. Der Reitknecht tat das gleiche mit dem kleineren Kinde.

Der Amtmann ritt gegen den Haufen und befahl: »Das Tor auf!«

Drohendes Gemurmel kam als Antwort zurück.

»Leute!« rief die Gräfin mit heller Stimme und ritt an den Haufen. »Leute, der dort hat mir's heilig versprochen!«

»Aber wir nit!« rief der Schneider. »Und die da auch nit. Oder hast du's versprochen – oder du – oder du?«

»Leute!« rief die Gräfin. »Seid ihr Bauern oder seid ihr Räuber?«

250 »Wir wollen eine neue Ordnung aufrichten im Reich, was groß ist, soll klein werden, und was unten ist, soll obenauf kommen,« sagte einer aus dem Haufen.

»Und fängt eure Ordnung also an, daß ihr wehrlose Weiber und unschuldige Kindlein quält und euern Mutwillen übt an fremdem Gut? Schämt euch, ihr Bauern!«

»Ich hab's ihr versprochen,« sagte nun der alte Ohlschmid und trat neben das Pferd der Gräfin.

»Und was ein frommer Bauer ist, der bricht auch seinem Feinde das Wort nicht!« rief diese.

»Wir wollen's einmal beraten,« meinte einer im Haufen.

Da zogen sie alle ab in die Ecke, hinter den Brunnen, wo das Kalb schmorte. –

Neben dem Wagen hielt die Gräfin. Am Brunnen murmelten die Bauern. Dann und wann war ein lautes Wort zu hören: »'nunter mit ihr in Turm! – Wir haben's doch versprochen! – Hängt sie an den Baum! – Wir sind doch ein evangelisches Heer –!«

Da zupfte einer die Gräfin am Kleide. Und als sie erschrocken umsah, stand ein furchtbar großer Bauer da, der ihr fast an die Brust reichte.

»Was willst du?« stieß die Gräfin heraus und zog die Zügel an.

251 »Na, ich bin doch der Klas!« sagte der Lange mit gutmütigem Lächeln. »Und – is denn das dein Kind gewesen, das in dem Graskorb?«

Mit angstverzerrten Zügen, tief herabgebeugt, lauschte die Gräfin.

»In dem Graskorb –?« wiederholte Klas.

»Hast du das Kind gesehen?« flüsterte die Gräfin.

»No freilich!« sagte der Lange. »Es ist im Graskorb gelegen und hat gegreint.«

»Und sie haben's – umgebracht, die Bauern?« flüsterte die Gräfin.

»O – mein Leben nit – umgebracht?« Der lange Klas lächelte. »Ich hab' sie ja doch selber aus dem Kloster geführt, die Saugamm' und das Kind.«

»Aus welchem Kloster?«

Angestrengt besann sich der Junge, dann machte er eine Wendung, als wollte er zu den andern und einen von ihnen fragen.

Aber angstvoll hielt ihn die Herrin an der Schulter fest und flüsterte: »Denk nur selber nach, es wird dir schon einfallen.

»Birkle heißt's, haben s' gesagt,« brachte er endlich heraus.

»Heilige Jungfrau!« murmelte die Gräfin mit glücklichem Lächeln.

252 »Gelt, da freust dich?« sagte der Lange und machte selbst ein glückliches Gesicht.

»Vergelt's Gott!« flüsterte die Herrin und streifte einen Ring von ihrer Hand. »Da – nimm!«

Er nahm ihn zwischen seine starken Finger und betrachtete den rotfunkelnden Stein.

»Und warum bist du denn bei denen da?« fragte sie.

»Ich hab's ihnen doch schwören müssen,« sagte der lange Klas, und seine Augen füllten sich mit Tränen. –

Vom Brunnen her kamen die Bauern und umringten Wagen und Reiter.

»Ich hab's Euch versprochen,« erklärte Ohlschmid, »und wir wollen's auch halten.«

»Aber alle Truhen,« rief ein andrer, »alle Truhen dürft Ihr nit mitnehmen, einen Teil davon müssen wir schon aufmachen und müssen nachsehen, was drinnen ist.«

Viele Arme griffen nach der Ladung und rissen Truhe auf Truhe herab.

Wortlos hielt die Gräfin auf ihrem weißen Pferde. Ein glückseliges Lächeln, nur ein glückseliges Lächeln hatte sie für die Worte der Bauern. Und in weite, weite Ferne blickten ihre großen klaren Augen.

253 »Halt!« befahl endlich der Führer. »Was jetzt übrig ist, das gehört Euch. Machet das Tor auf!«

»So, jetzt wird er nimmer zerbrechen, der Wagen,« sagte der Schneider neben der Gräfin und lachte befriedigt.

Mit glückseligem Lächeln sah die Mutter auf ihren Peiniger.


Langsam rollte der halbleere Wagen über die Zugbrücke, langsam folgten ihm die Berittenen.

Im Laubwalde schlugen die Amseln, aus dem Tale klang der Kuckucksruf, an den Rändern des Hohlweges blühte das Dorngesträuche.


»Was hast du mit der Gräfin gered't?« fragte der Schneider und blinzelte mit roten, schwimmenden Aeuglein zum langen Klas empor.

»Na, ich hab' ihr's doch sagen müssen,« antwortete dieser.

»Was hast ihr sagen müssen?«

»Wegen ihrem Kindle,« murmelte der lange Klas.

»Was hast ihr g'sagt?« fauchte der Bucklige.

»Daß – daß – es im Graskorb gelegen ist, und –«

»Und?«

»Und daß – und daß es die Saugamm' fortgetragen hat in Wald –«

254 Wie eine Katze sprang der Schneider an dem Langen empor und gab ihm einen Schlag ins Gesicht. »Meineidiger, weißt nimmer, was d' geschworen hast?«

Klas wandte sich ab und sagte kein Wort. –

Geschworen? Nein, davon hatte er nichts geschworen, das wußte er ganz gewiß. Und es war ihm auch recht vergnüglich zumute, trotz dem Schlage, der auf seiner Wange brannte. Und sorgsam verbarg er das güldene Ringlein der Gräfin vor den habgierigen Augen des Schneiders.


Johlend drangen die Bauern in die Gemächer des Schlosses.

Klas nahm sich ein Herz und fragte einen, der mit dem qualmenden Feuerbrand über den Hof strebte: »Wo reitet die jetzt hin?«

»Die Gräfin?«

Klas nickte.

»Auf Kastl,« sagte der Bauer. »Und da kann sie dasselbe erleben; denn das wird heut oder morgen auch 'runtergebrennt.«



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