August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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Um dieselbe Zeit stand der bischöfliche Pfleger in der mondhellen Stube seiner Burg am offenen Fenster und blickte sinnend über die silberne Fläche des Sees. Tief unter den Fenstern flüsterten die dunkelgrünen Baumkronen geheimnisvoll im Hauche der Nachtluft. Weit drüben zur Rechten des Sees schimmerten die grauen Schindeldächer des Klosters Seemünster, weit drüben zur Linken die weißen Häuser und Türme von Seefels.

Der Pfleger wandte sich, trat an den Tisch, suchte Stahl und Stein, schlug Feuer und entzündete endlich eine Wachskerze.

Dann schrieb er in lateinischer Sprache einen Brief:

»Meinen Gruß zuvor, lieber Vetter! Seit vier Wochen frißt mein schwarzer Bukephalos den goldenen Hafer dieses gesegneten Gaues, und seit vier Wochen nähre ich mich von den Erträgnissen dieses Amtes, das ich unsrer Verwandtschaft nicht minder verdanke als der vertrauten Freundschaft, die uns seit Jahren verbindet.

»Aber ich glaube, mein Roß fühlt sich wohler als ich; denn mir ist nach den langen Jahren der Wanderschaft im sonnigen Italien zumute wie Ovid, als er verbannt lebte am Gestade des fremden Meeres, oder wie einem gelehrten Feldherrn der Römer im Lande der Barbaren.

107 »Südwärts, in weiter Ferne vor meinen Fenstern, jenseits der blauen Wellen des Sees, ragen die rauhen, schneebedeckten Mauern der Berge und scheiden mich auf ewig vom Lande der Schönheit und von den sprudelnden Quellen der Wissenschaften.

»Die Büste der Minerva, Du kennst sie, die weiße, schimmernde Büste aus Marmor, steht in meiner Stube wie ehedem in meiner Stube zu Padua. Und die kleinen Bücher, die irdischen Gefäße der unermeßlichen Poetengedanken, schmücken den Bord meines Kamins wie vorzeiten. Aber es ist mir wehmütig, die schimmernde Büste anzusehen; denn sie stammt aus einer andern Welt und sagt mir täglich mit Lächeln, daß wir beide nicht hierher gehören. Und in die wohllautenden Verse Virgils tönen die barbarischen Mißlaute der Fischersprache vom Gestade des Sees.

»Ich habe den Pöbel immer verachtet, als ich noch enge verbunden lebte mit denen, die gleich mir dachten und strebten. Hier bin ich allein; denn alle, die mich umgeben, denken anders als ich. Und so bleibt mir nur zweierlei übrig: entweder zu paktieren mit dem Pöbel und herniederzusteigen ins Gemeine oder mich zurückzuziehen in stolze Einsamkeit. Ich gedenke das letztere zu wählen. Fürchte Du aber nicht, mein Teuerster, daß ich mein Amt vernachlässigen werde. Ich hoffe die Wage der 108 Gerechtigkeit und das Schwert der Obrigkeit getreulich zu handhaben nach den Grundsätzen, die Du seit langem kennst als die meinigen.

»Alte Zeiten kommen mir in die Erinnerung. Ich sehe mich wandeln neben Dir am Bachiglione und Pläne schmieden für die Zukunft. Mit hellleuchtender Fackel gedachte ich zurückzukehren über die Alpen und Lichter anzuzünden in der Finsternis unsrer Heimat. Jugendlicher, weltfremder Tor! Wo ist meine Fackel, o Vetter? Ich muß schweigend zu Gast sein bei versoffenen Mönchen und geduldig atmen den Schweißgeruch der Menge, die mit geknickten Knien sich vorüberwälzt an einer hölzernen Bildsäule. O heiliger Horaz, es ist schwierig, nicht in den Ton der Satire zu fallen!

»Als ich gestern vormittag in das Kloster ritt, dessen Name in aller Munde ist, belästigten wahre Wolken blutdürstiger Bremsen die Pferde. Mitten im Walde konnte ich's nimmer mit ansehen. Wir stiegen ab. Ich ging rings um meinen armen Bukephalos und versuchte, ihn zu befreien von seinen Peinigern. Immer wieder war's dasselbe Bild: Die braune Bremse hatte sich tief eingewühlt in das schwarze Fell. Ihr Kopf war unsichtbar, nur der geschwollene Hinterleib ragte über die Spitzen der Haare; zitternd vor Gier zappelten die Beinchen in der Luft. Rings um die Bestien aber blinkten 109 auf den gesträubten Haaren hellrote Tröpflein verspritzten Blutes, und an diesen Tröpflein tranken, nicht minder gierig, schwarze winzige Fliegen, im Kranze geschart um den geschwollenen Steiß der Starken, sich sättigend am Ueberflusse von ihrer Tafel.

»Es bedarf nicht der Versicherung, daß ich unzählige Male die Hand hob und die ganze Gesellschaft erschlug.

»Dann kam ich ins Kloster und roch den Schweiß der Tausende und hörte die Silberlinge klirren in den tiefgründigen Opferstöcken. Und ich sah den vollgesogenen Abt mit seinem Konvent und die gierigen Bauern!

»Als ich heimritt, hatten sich die Bremsen des Tages längst verkrochen unter die Blätter des Waldes. Aber ich gedachte jener andern Bremse und des gierigen Schwarmes um sie herum, deren Anblick ich nachmittags genossen hatte.

»Vetter, Freund und ehrwürdiger Hirte! Es saugen zahllose Bremsen am Leibe des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, und wie gerne möchte ich die Hand heben zum Schlage – wenigstens gegen die eine in meinem Bereiche! Aber es geht nicht; denn Deine Gnade hat mich bestellt zum Pfleger dieses Gaues, nicht zum Zensor klösterlicher Mißbräuche. Und ich werde handeln nach meiner Pflicht. Vale!« 110



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