August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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Die beiden Heiligen

1

Das Dämmerlicht eines späten Mittsommerabends drang nur noch schwach durch die kleinen rundbogigen Fenster der uralten Klosterkirche, und in tiefroter Glut erstrahlte das ewige Licht der Ampel vor dem Hochaltare.

Welke Birkenbäumchen standen an den Wänden zwischen den wappengeschmückten Grabsteinen und an den dicken, kurzen Säulen, aus denen die flache Decke der Kirche ruhte.

Fest geschlossen waren die Fensterflügel, und es roch in unsagbarem Gemische nach welkem Laub, verbranntem Wachs und dem Schweiß der zahllosen Männlein und Weiblein, die heute unter der roten Ampel ihre Knie gebeugt und ihre wächsernen Weihgeschenke niedergelegt hatten an den Stufen des Altars.

Es war ganz stille in dem düsteren Raum. Hell und scharf klang das lustige Pfeifen der Klosterschwalben herein – zuweilen trug die Abendluft die wehmütigen Töne eines Dudelsackes aus der 89 Ferne herzu – – dann und wann wurde irgendwo am Ufer des Sees ein Schuß gelöst.

Da trappelten genagelte Schuhe in die Vorhalle. Die Glockenstricke begannen zu rauschen, gewaltige Glockenklänge erschollen, sogen alles aus, was irdisch lautete, und verkündeten weithin über den See und die Aue den Frieden des Abends.

Noch während des Läutens kamen drei dunkle Gestalten über den Hof des Klosters und verschwanden in der Sakristei.

Das Licht einer Stallaterne flackerte über die Steinplatten des Fußbodens, und eine gequetschte Stimme rief, unbekümmert um die feierlichen Glockenklänge: »Bruder Heimeran, guck, ob die Türen verschlossen sind!« Dann fuhr sie salbungsvoll fort: »Draußen in der bösen Welt heißt's, eine Hand streuet den Samen ins Ackerland, und zwanzig Hände reichen nicht aus zur Ernte. Bei uns ist's umgekehrt – viel hundert Hände säen, und eine einzige genüget zur Ernte.«

Das Geläute verklang, und die genagelten Schuhe trappelten aus der Vorhalle.

An allen Türen rüttelte der kleine Bruder Heimeran. Dann berichtete sein hohes dünnes Stimmlein: »Wir sind ungestört, Herr Abt, ungestört wie die drei Männer im feurigen Ofen.«

»Lasset uns nun das ebenso heilige als 90 annehmliche Werk beginnen im Namen des heiligen Antonius von Padua und seiner verdienstvollen Mutter Donna Maria Theresia von Tavera, piae memoriae!« befahl der Abt, watschelte zur hinteren Ausgangstüre, zog einen Schlüssel aus der Kutte und öffnete das Vorhängschloß des ersten Opferstockes, klappte den eisernen Deckel zurück und tat einen Griff in die Höhlung: »Voll bis zum Rande – gesegneter Anfang, das!« murmelte er und wühlte ein wenig in den Münzen – – etwa wie eine Mutter liebkosend wühlt im Kraushaar ihres Lieblings. »Den Sack her, ihr Brüder!«

Und sie hielten den Sack weit geöffnet neben den Opferstock. Der Abt aber warf das klirrende Geld handweise in den gähnenden Schlund. Immer tiefer mußte er greifen. Endlich sagte er stöhnend: »Die Natur euers Vaters ist zu kurz geraten. Geh du herzu, Bertolde, und schöpf die Neige aus diesem heiligen Gefäße!«

Und nun packte er den Sack, während Bruder Bertold, der Lange genannt, seinen Arm in die Tiefe senkte und die klirrenden Reste herausholte.

An allen drei Ausgangstüren oblagen die würdigen Söhne des heiligen Franziskus ihrem schweren Geschäfte. Immer tiefer sank die Dämmerung in das Kirchlein. Immer schwerer wurde der Sack. Immer beredter wurde der gute Abt.

»Hat man eine Zählung des frommen Volkes 91 veranstaltet?« fragte er am dritten Opferstocke und wischte seine Stirne.

»Bruder Lazarus und ich schätzen die Zahl der Wallfahrer auf fünftausend Seelen,« antwortete das hohe Stimmchen.

Befriedigt murmelte der Abt: «Im Vorjahre sind's ihrer nur dreitausend gewesen, heuer schon fünftausend. Mir dünkt, es wird nun bald heißen – wer zu Padua nicht erhöret wird, der ziehe nach Seemünster. Seit dreiundzwanzig Jahren entleere ich die Opferstöcke unsers Kirchleins; ich habe ihren Inhalt zumeist in der hohlen Hand davongetragen. Jetzt aber hat sich die Sache zum Besseren gewendet. Die Absichten des Heiligen sind unerforschlich. Schon sehe ich Zehntausende zusammenlaufen in den zukünftigen Jahren. Lasset uns bereit sein, Brüder, wenn der Strom des Segens heranflutet! Und nun schnüret den Sack zu, schließet die Stöcke!«

Er trat unter die rote Ampel und lächelte freundlich zu der Holzstatue des Heiligen empor, faltete die Hände über dem Bauch und murmelte: »Gesegnet sei die Stunde, heiliger Mann, wo du dem rechten Zeigefinger dieses vergänglichen Menschenwerkes gebotest, daß er sich winkend bewege! Gesegnet sei das triefäugige Weiblein, das du gewürdigt hast dieses Anblickes! Gesegnet sei das Geschrei, mit dem es aus der Kirche ins Dorf gerannt ist! 92 Ich weiß es noch wie heute, und sein Gekrächze klingt mir angenehmer in den Ohren als der Gesang einer Nachtigall. Gesegnet seist du, heiliger Antonius, daß sich unter den frommen Pilgern immer wieder Männlein und Weiblein finden, die deinen Zeigefinger wackeln sehen – wenn du gleich mich Unwürdigen durch diesen Anblick noch niemals erbaut hast. Winke auch hinfort von Zeit zu Zeit und locke die Andächtigen zu Tausenden in unsre bescheidene Niederlassung. Amen.«

Der Abt hatte seine seltsame Andacht murmelnd vollendet und lächelte freundlich empor zum Heiligen. Freundlich lächelte auch dieser herab auf seinen frommen Verehrer im ungewissen Lichte der roten Ampel.

Der Lange und der Kleine schleppten den schweren Sack herbei. Der Abt nahm die große Laterne.

»Sind die Tore verrammelt?« fragte er.

»Seit einer Stunde,« berichtete der Kleine.

»Die Wachen ausgestellt?«

»Sechs Knechte halten die Nachtwache,« berichtete der Lange.

»So ist's gut,« lobte der Abt. »Ich liebe den Schwarm der Wallfahrer beim Tageslichte. Aber zur Nachtzeit könnte in dem einen oder andern von ihnen die Bosheit erwachen.« –

Sie durchschritten geräuschvoll die Sakristei.

93 Dann verschloß der Abt die kleine Türe hinter sich und löschte das Licht aus.

»Es ist ein schöner Abend,« murmelte er und warf einen Blick zu den Kronen der uralten Linden empor, die goldig glänzten in den Strahlen der scheidenden Sonne. »Wer von den Fremden weilt noch in unsern Mauern?«

»Der gestrenge Herr Pfleger, der Weltpriester von Seefels und sein Heiligenprobst –«

»Der Heimtücker!« murmelte der Abt.

»– sonst niemand,« vollendete das hohe Stimmchen seinen Bericht.

»So lasset uns den Segen bergen am sicheren Orte und hernach einen guten Trunk tun zum Lobpreise des Heiligen!« befahl der Abt. –

Wortlos gingen die drei mit ihrem Sack über den Hof und verschwanden im Hause.



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