August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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3

Nachmittag war's. Hell und klar stand die Sonne über dem Lager des fränkischen Bauernheeres. Wimpel flatterten in der warmen Luft zwischen den Hütten und Zelten, Schmiede hämmerten am rauchenden Feuer, Hörner klangen, Trommeln rasselten. Auf den grünprangenden Wiesen übten die Hauptleute ihre Fähnlein, abseits grasten angepflöckte Pferde. An den Tischen der Wirte und Händler drängten sich, schwatzend und feilschend, lachend und scheltend, die Müßiggänger, Juden strichen lauernd umher. Knarrende Lastwagen schwankten auf elender Straße das Tal entlang, die Peitschen knallten, Fluchworte prasselten auf die gehetzten Tiere. Am Eingang des Lagers hielt der Profoß mit Steckenknechten und Trabanten, waltete mit grimmigem Gesichte seines Amtes und prüfte die Zufuhr, schätzte das Brot und schätzte den Wein. –

Nahe dem Hauptmannszelte, wo die Feldstücke im Sonnenscheine blinkten, stand der lange Klas mit offenem Munde, schaute und schaute. Niemand kümmerte sich um ihn. Seine Pferde grasten draußen auf der großen Wiese unter den andern. Einmal nur hatte er versucht, hinüberzugehen. Da war ihm die Wache entgegengetreten mit gefälltem Spieß und bedrohlichen Worten. Nun stand er da, 193 niemand kümmerte sich um ihn. Und zuweilen wußte er gar nicht recht, war er denn wirklich der Klas – – träumte er das alles? Und er kam sich verlassen vor, schrecklich verlassen in dem wimmelnden Lager der wilden Bauern am 29. April des Jahres 1525.

Von Zeit zu Zeit aber zog es wie mit Zaubergewalt seine Blicke zu dem hohen Galgen, der den Eingang des Lagers schmückte, und zu dem toten Menschen, der da droben baumelte, mit hängendem Kopf und wirrem Schopf, und sich langsam drehte im Frühlingswinde. »Da 'nan kommst auch, wenn du dein' Schwur nit hältst!« hatte ihm der bucklige Schneider gedroht, und der mußt' es ja wissen. Murmelnd wiederholte sich Klas die schrecklichen Worte: »Da 'nan kommst auch!«

Dann wieder besann er sich angestrengt: Um die Mittagszeit war er mit den andern in das große Lager gekommen. Er hatte sich nur immer wundern müssen, nur immer wundern müssen über die vielen, vielen Bauern. Man hatte ihm zu essen gegeben; aber das Essen hatte ihm nicht schmecken wollen. Dann war der Trommelschlag durchs Lager gegangen, ein Teil der Bauern hatte die Waffen ergriffen und war hinaus auf die große Wiese gerannt. Auch er war mitgerannt, gezerrt vom buckligen Schneider. Und dann – ja dann hatte er 194 schwören müssen vor dem bärtigen Mann mit den furchtbaren Augen und den wehenden Hutfedern, schwören müssen, stückweise, einen langen, langen Spruch. – Es kroch ihm kalt über den Rücken, angstvoll schielte er wieder nach dem baumelnden Menschen am Galgen. Was hatte er doch geschworen? Er wußte es nicht mehr.

Da lief der Schneider vorbei.

»Du –!«

»Hab' keine Zeit.«

»Du –!« Mit ein paar Sprüngen war der lange Klas an seiner Seite, packte ihn und stieß mit weinerlicher Stimme heraus: »Du, was hab' ich schwören müssen?«

Mit einem Fluch machte sich der Kleine los. »O was, ich werd' dir's schon allemal sagen, was du zu tun hast!«

»O gelt, das tust!« bat Klas.

»Freilich!« beruhigte ihn der Schneider und rannte die Gasse hinunter. »Jetzt wird er schon zahm,« murmelte er ganz vergnügt. So war's ihm recht, so konnte er ihn brauchen, den starken Jungen, so war's ihm recht.

Und dem Klas konnt's auch gefallen. Sein einziger Trost war der bucklige Schneider. An den wollte er sich halten, der mußte ihm alles sagen. Alles! Klas rieb seine Stirne. Er hatte 195 wahrhaftig vergessen, was er dem fürchterlichen Hauptmann hatte schwören müssen mit aufgereckten Fingern.


Da trat der Feldhauptmann Jakob Kohl aus seinem Zelte, und hinter ihm schritt der Junker Namenlos.

Der Junker Namenlos! Ach, sie wußten jetzt gar wohl, wie er hieß. Etliche hatten ihn erkannt, und mit Lachen war sein stolzer Name weitergegeben worden von Munde zu Mund. Aber keiner nannte ihn bei diesem Namen. Bruder Bauer hieß er im Lager des fränkischen Heeres.

Er war sehr rot und sehr zornig, der hübsche Junker. Und Jakob Kohl, der Obristfeldhauptmann, machte ein sehr höhnisches Gesicht.

»Ist das Euer letztes Wort, Hauptmann?«

Jakob Kohl nickte.

»Und da soll ich mich nun hinstellen unter die Kerle, alle die hergelaufenen Kerle?«

»Unter die Brüder!« sagte Jakob Kohl mit Nachdruck. »Unter die Brüder hinstellen? Je nun, Bruder Bauer, du kannst auch hintennach laufen, im Troß, wenn du willst.«

»Vornhin gehör' ich, und vornhin will ich!« rief der Junker mit bebenden Lippen. »Und gib mir ein Fähnlein, wie sich's gebührt!«

»So –?« lachte Jakob Kohl und schielte unter seinen buschigen Brauen hervor.

196 »Ueberall sind wir vorn dran gewesen von jeher,« rief der Junker und stampfte.

»So –?« sprach Jakob Kohl. »Gewesen!« setzte er lachend hinzu.

»Einer von meinen Ahnen hat schon gegen die Ungläubigen gefochten im Heiligen Lande!« rief der Junker und reckte sich.

»So –? Vielleicht hat ihm da einer von meinen –« Jakob Kohl hielt inne und sagte dann sehr gedehnt – »von meinen Ahnen die Stiefel geputzt.« Er lachte hart auf. »So genau haben wir's ja nit aufgeschrieben, wir Kohle. Und ich verlang's auch gar nit, daß du mir heute die Stiefel putzest, Bruder.« Dann schloß er mit Würde. »Bruder Bauer, das schlag dir aus dem Kopf. Und merk dir: wohin ich dich stelle, da stehst du.«

»Wenn ich das gewußt hätte –« murmelte der Junker.

»Und was hättest nachher getan?« erkundigte sich Jakob Kohl wohlwollend.

»O, ich kann's auch jetzt noch tun!« brauste der Junker auf.

»So – meinst?« sagte der Bauer. »Und was ist nachher mit deinem Schwur?« Er sah furchtbar aus, der Obristfeldhauptmann.

Der Edelmann murmelte etwas Unverständliches.

Ein Bewaffneter lief die Lagergasse herauf. 197 Jakob Kohl sagte über die Schulter weg zum Junker: »Kannst dir's ja überlegen.« Er machte eine gebieterische Handbewegung. »Wart jetzt da drüben!«

Mit geballten Fäusten trat der Edelmann zur Seite. –

Flüsternd stand der Bewaffnete vor dem Obristfeldhauptmann.

»Der Graf?« raunte dieser. »Welcher – der alte oder der junge?«

»Der alte,« flüsterte der Bewaffnete. »Sein Bruder, der junge, ist doch beim Bischof in Würzburg, und dem seine Gräfin ist mit ihren Kindern allein auf dem Stolberg. Der alte ist's, und erbärmlich sieht er aus. Er sitzt auf einem Wagen und glotzt – wie ein Sack voller Fausthandschuh glotzt er. Und den Zipper hat er –«

»Ich hab' ihm nit geschrien, dem großen Herrn,« sagte Jakob Kohl. »Wär' er daheim geblieben und hätt' sein' Balg gepflegt. Was will er denn im Bauernlager?«

»Er will mit dir reden, Bruder Obristhauptmann. Ich mein', er hat um sein Bergschloß Angst.«

»So laß umschlagen und ruf die Leut' zusammen!« befahl Jakob Kohl.

Der Bewaffnete wandte sich.

»Du –!« rief ihn der Hauptmann zurück. 198 »Du –,« flüsterte er, »ist denn nit der dort« – er schielte nach dem Junker –»ist denn nit der dort hinter dem Grafen gesessen?«

Der Bewaffnete lachte: »Ja freilich, der hat sein Lehn vom Grafen. Aber liegt auch im Prozeß mit ihm – die Jagd is strittig, wenn mir recht ist.«

»Die Jagd? Aha, die Jagd! Jetzt versteh' ich's.« Jakob Kohl, der Bauernführer, sah tückisch aus. »Laß umschlagen im Lager. Und führ ihn her, den Grafen!« –

Der Trommler schlug mit großer Gewalt auf das Fell, und von allen Seiten rannten die Bauern hinaus auf die Wiese.

Jakob Kohl sah tückisch aus, als er zum Junker trat und ihm befahl: »Komm mit, Bruder Bauer!«


Auf dem Anger draußen vor dem Lager, unter einem blühenden Birnbaum, stand der Obristfeldhauptmann Jakob Kohl, ihm zur Seite Michl Hasenbart, der Bauernleutnant, und Kunz Bauer, Schultheiß und Pfennigmeister des fränkischen Heeres. Hinter ihnen standen die andern Führer und in einem riesigen Halbkreis die bewaffneten Bauern.

Langsam rollte der Wagen über den Rasen und hielt. Die Gewappneten sprangen von ihren Pferden. Diener hoben den alten schweren Grafen 199 von seinem Sitze. Mit schmerzverzerrtem Antlitz stand er da, warf sein Barett in den Wagen, nahm den Eisenhut und stülpte ihn über den kahlen Schädel, weit in den Nacken zurück. Sein Harnisch funkelte im Sonnenlichte, vieltausend Augen sahen auf ihn. Er nahm den Speer aus der Hand eines Knechtes, und mit vorsichtigen Schritten, mit eingekniffenen Lippen ging er allein zum Birnbaum.

Mit halbgeschlossenen Augen, mit unbewegtem Antlitz erwartete ihn Jakob Kohl, und lautlos harrte das Bauernheer unter den blinkenden Waffen.

»Seid Ihr der Führer?« fragte der Graf und hob grüßend die Hand.

Jakob Kohl nickte. »Obristfeldhauptmann des fränkischen Heeres,« äußerte er mit Würde.

Der Graf machte ein verächtliches Gesicht. »Ich hätt' Euch lieber allein gesprochen. Die andern da brauche ich nicht.«

Jakob Kohl zuckte mit den Schultern. »Der Obristfeldhauptmann des evangelischen Heeres kann und soll nichts vornehmen noch handeln ohne Wissen und Willen der geordneten Hauptleute, die vom ganzen Haufen geordnet sind. Ist's also?« fragte er halb nach rückwärts.

»So ist's,« murmelten die Hauptleute und Führer.

»Und was wollt ihr dann mit euerm« – der 200 Graf hielt inne – »mit euerm Heere?« sagte er geringschätzig.

»Eure Ordnung abschaffen und totmachen im heiligen römischen Reich und die neue Ordnung aufrichten in der weiten Welt, das wollen wir, und weiter wollen wir nix,« erklärte Jakob Kohl.

»Wir haben die alte Ordnung nicht gemacht; wir haben sie von unsern Vätern überkommen,« entgegnete der Graf mit Würde.

»Und wir machen die neue Ordnung und hinterlassen sie unsern Kindern,« versetzte der Bauernführer mit Hoheit.

Wortlos standen sie nun eine ganze Weile voreinander, der Mann der alten Ordnung und der Mann der neuen Zeit, beide hochaufgerichtet, und starrten einander in die Augen.

»Mit denen da?« fragte endlich der Graf und machte eine Handbewegung.

Der Bauer verzog keine Miene und sprach kein Wort.

»Leute,« begann nun der Graf und trat einen Schritt näher, »Leute,« wiederholte er wohlwollend und herablassend, »seht ihr denn nicht, daß euer Beginnen zu schlimmen Häusern führen muß?«

»Wenn Ihr die schlimmen Häuser meint, die überall auf den Bergen stehen – jawohl, Euer Gnaden, zu solchen schlimmen Häusern geht unser 201 Weg, gradaus geht er dorthin,« sagte der Bauer mit unbewegtem Angesichte. Und beifälliges Murmeln antwortete ihm aus dem Kreise.

Bis unter die Sturmhaube fuhr dem Grafen die Röte, und mit bebender Stimme rief er: »Dann ist es wahr, daß ihr's auf alle Schlösser im Lande abgesehen habt?«

»So ist's,« antwortete Jakob Kohl.

»Dann will ich euch fragen öffentlich. Was habt ihr gegen unser gut, alt, fest Haus auf dem Berg?«

»So will ich Euch antworten öffentlich« – der Mund des Bauernführers verzog sich spöttisch –»wir haben nit mehr und haben nit weniger gegen Euer Haus als gegen alle die andern guten, alten, festen Häuser auf den Bergen und in den Tälern im Land.«

»Und was habt ihr gegen uns Grafen?« fragte der Alte.

»Gegen euch Grafen?« antwortete der Führer mit Bedacht. »Es sind ihrer genug im Bauernheer von Eurer Grafschaft. Und wir haben ein' jeden gefragt – was treibt dich her zu uns? Einen jeden, und –«

»Und –?« rief der Graf.

»Es hat grad keiner nix Sonderliches gegen Euch gehabt,« vollendete der Bauer mit Ruhe.

»Also –!« rief der Graf.

202 »Also –« Jakob Kohl verzog den Mund, »– also tretet gutwillig in unsre Bruderschaft, das ist mein Rat.«

»Ich –?« Der Graf wich zurück.

»Gutwillig, und gebt uns die Feldstücke aus Euerm Schloß.«

»Ich –?«

»Und laßt Euer Schloß dem Erdboden gleich machen.«

»Ich –?« Der Graf schüttelte seinen Speer, und mit bebenden Lippen rief er: »Wenn ich – wenn ich aber nicht will?«

»Dann müssen wir's tun,« sagte der Bauer.

»Müssen?«

»Ja, müssen; denn wir haben's geschworen. Alles, was Schloß heißt im Land zu Franken, muß gebrochen werden. Und alles, was dem wahren Wort Gottes entgegen ist, muß tot sein und ab; denn alle Pflanzung, die Gott der himmlische Vater nit gepflanzt hat, soll ausgereutet werden.«

Wortlos standen die beiden voreinander und starrten sich in die Augen. Da rief der bucklige Schneider von der Seite her: »Oder hat vielleicht unser Herrgott Euer Schloß auf den Berg gestellt?«

Der Bauernführer sah über die Schulter zurück und befahl mit Ruhe: »Hau ihm einer eine aufs Maul; alleweil red' ich!« Dann wandte er sich 203 wieder zu seinem Gegner, und nun begann er's mit Wohlwollen. »Ich sag's Euch im guten, Euer Gnaden. Tretet in unsre Bruderschaft und öffnet Euer Schloß dem fränkischen Heer. Wo nit, so bitten wir um Gottes willen, tut Weib und Kind daraus; denn wir müssen's den freien Knechten zum Sturme geben.«

Der Graf wandte sich zum Gehen.

»Ihr wäret nit der erste und der letzte auch nit,« sagte der Bauernführer und trat einen Schritt vor. »Grafen, Herren und Junker haben schon zu den Bauernheeren geschworen.«

»Die Lumpen möcht' ich sehen!« rief der Graf und spuckte aus.

»Ich mein', Ihr habt die Zeit her geschlafen,« spottete der Bauer. »Heda –!« Er trat ein wenig zur Seite, sah halb rückwärts über seine Schulter und rief: »Der Bruder Habenix soll 'raus!«

Eine zornige Stimme antwortete hinter dem Birnbaum: »Laßt mich stehen, wo ich steh'!«

»Nichts da, nur 'raus, nur 'raus!« riefen andre.

Widerwillig kam der blonde Junker hervor.

Der Graf stand auf seinen Speer gestützt. »Du –?« murmelte er.

Höfisch beugte der Junker das Knie vor seinem Lehnsherrn. Dann stand er mit abgewandtem Gesicht.

Jakob Kohl sah tückisch aus, als er mit heiserer 204 Stimme sagte: »Ich will's Euch nur weisen, Gnaden Herr Graf, wie die alt' Ordnung aus dem Leim geht im heiligen römischen Reich – weiter nix.«

»Du –?« sagte der Graf zum zweiten Male ganz laut. »Laß dich anschauen, du –, so 'was sieht man nicht alle Tage.«

Die Hauptleute lachten, und das Lachen lief über den Kreis der Bewaffneten, und es entstand lautes Gemurmel, bis sich die Stimme Jakob Kohls dröhnend erhob und Ruhe gebot.

Mit geballten Fäusten und abgewandtem Angesichte stand der Junker.

»Sie werden dich dazu gezwungen haben,« sagte endlich der Graf.

»Er ist freiwillig zu uns gekommen,« bemerkte Jakob Kohl.

»Ich – ich –« murmelte der Junker und wagte nicht weiterzureden.

»Ja, du –« sagte der Graf und wandte sich ab, nickte dem Bauernführer einen stolzen Gruß hinüber und bewegte sich mühsam zu seinem Wagen.

Die Bauern blieben murmelnd stehen und sahen den Grafenknechten zu, wie sie den schweren Herrn behutsam hinaufhoben.

Wie gebannt war auch der Junker stehen geblieben und starrte vor sich hin.

205 »Das is keine Bauernkrankheit, die den zwickt,« meinte einer von den Hauptleuten mit Lachen.

»Mich freut's immer,« sagte ein andrer, »wenn ich so einen Herrn seh', dem's den Wein zur großen Zehe 'raustreibt.«

»Totschlagen sollt' man einen jeden aus dem Stand,« murrte ein dritter; »totschlagen, aber nit laufen lassen.«

»Totschlagen?« rief Jakob Kohl. »Das wär' ja doch eine Schand', totschlagen, so einen alten, wackeligen Herrn.«

Langsam schwankte der Wagen auf holperigem Wege den Waldhügeln zu. Langsam gingen die Bauern auseinander.

Mit gesenktem Haupte schritt der Obristfeldhauptmann neben Michl Hasenbart ins Lager zurück: »Den Grafen und den Junker, die hab' ich alle zwei ins Herz getroffen, mitten 'nein ins Herz –«

Da sagte Michl Hasenbart: »Wie du 's Reden nur immer so fertig bringst, Bruder!«

»Ja no, das muß man freilich verstehen,« meinte Jakob Kohl nicht ohne Stolz. – Nach einer Weile raunte er: »Bruder Michl, das Junkerle stell' ich in deinen Haufen, und laß du's nit zu mucksig werden, ich rat's dir.«

*

Nacht war's. In einem großen Zelte lag der Junker. Die andern Leute Michl Hasenbarts 206 schnarchten um die Wette. Er aber lag schlaflos mit offenen Augen.

Seine Gedanken jagten sich, und Bilder aus vergangenen Tagen marterten seine Seele.

Da saß seine Ahnfrau, klein und uralt, in dem tiefen Lederstuhle neben dem Ofen, und er stand als blondlockiges Knäblein vor ihr. Sie sprach nicht viel; denn das Reden war ihr sehr mühsam; sie dachte wohl auch nicht mehr viel. Aber einen Spruch murmelte sie immer wieder von Zeit zu Zeit vor sich hin – das Knäblein hatte seine Bedeutung niemals verstanden:

Wirf dich nit weg
Und dräng dich nit auf,
Steig nit herunter,
Begehr nit hinauf!

Heute verstand ihn der Mann um so besser. –

Und er sah sich emporreiten zum verschneiten Bergschlosse des Grafen. Er sah sich knien vor dem alten Herrn und empfing aus seinen Händen das kleine Lehn seines Geschlechts. Er sah sich knien und die Finger heben zum Treuschwur, der ihn binden sollte an das Grafenhaus, wie alle seine Väter. So deutlich sah er das Bild. Dieses Bild und das andre: Er schritt neben der Gräfin und führte sie zum feierlichen Lehnmahle. Draußen wirbelten die Flocken, im hohen Saale war's 207 behaglich warm. Und er saß neben der Gräfin – ein blutjunger Mensch, der sich kaum die Augen zu erheben getraute zu dem schönen Antlitz der gütigen Frau. Ganz schüchtern saß er und doch wieder sehr stolz: denn er hatte ja auch ihr die Treue geschworen.

Er sah die Bilder scharf und klar. Wie hatte er sie doch vergessen können in so kurzer Zeit?

Die strittige Jagd – jawohl, die Jagd war schuld daran. Der grobe Brief des alten Grafen – der Junker sah ihn ganz deutlich, den Brief mit den krausen Schriftzügen – und er sah den Anwalt, der ihm mit Eifer zum Prozeß riet. Ja, der verlorene Prozeß war schuld daran, und die Armutei in seiner öden Burg und der Leichtsinn, der Leichtsinn, der bodenlose Leichtsinn – all das war schuld daran, daß er das wunderschöne Antlitz und seinen Treuschwur vergessen hatte.

Er knirschte mit den Zähnen. Er schämte sich. Ein Schauer lief über seinen Leib. Was hatte er mit diesen gemein, zu denen er hinabgestiegen war? Es ekelte ihn. Und was mochte wohl sie von ihm denken, wenn der alte Graf seiner Schwägerin erzählte von der Fahrt ins Bauernlager? – Und des Junkers Ahnfrau saß nickend in ihrem Lehnstuhle und murmelte:

Steig nit herunter,
Begehr nit herauf! 208



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