August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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6

Und wieder eines Abends stand der bischöfliche Pfleger am offenen Fenster seiner Stube und blickte sinnend über die mondhelle Fläche des Sees. Nach 134 einiger Zeit wandte er sich, trat an den Tisch, machte Feuer und entzündete eine Wachskerze, legte sich einen Bogen Papier zurecht und tauchte die Feder ins Tintenhorn.

»Meinen Gruß zuvor, lieber Vetter. Ich habe das Brieflein gar wohl verwahrt, das mir vor etlichen Wochen aus Deiner Bischofstadt zugekommen ist, nachdem ich mich lächelnd erfreut hatte an den Worten tiefer Weltweisheit, mit denen mich Deine Güte beglückte.

»Ich kann und will Dir nimmermehr bestreiten, daß ein Unterschied besteht zwischen Schule und Leben, daß alle Philosophen miteinander nicht klug genug sind, den Aberglauben des Pöbels auszuroden, und daß – hier bist Du biblisch geworden – Kraut und Unkraut wachsen müssen bis zum Tage der Ernte.

»Wäre ich – Du wirst verzeihen und Deinem gehorsamen Knechte dies Brieflein nicht mit Ungnade lohnen – wäre ich der Skeptiker, als den ich Dich kenne, so ertrüge ich gewißlich den ungeheuern Unterschied zwischen Wesen und Schein, der mir überall entgegengrinst, mit Gleichmut. Und wäre ich der Heide, als der Du den Krummstab würdig schwingst über Gerechten und Ungerechten, so sähe ich mit fröhlicher Gelassenheit von oben herab auf das Satyrspiel des Lebens. Nun aber – 135 ich offenbare Deinem Spotte das Geheimnis meiner Seele – habe ich etwas aus meiner Jugend herübergerettet, was nicht untergehen konnte im Meere der Philosophie: nenne es Ehrfurcht vor dem Unerforschlichen, nenne es heilige Scheu vor dem geheimnisvoll Offenbarten und doch immer unsern blöden Augen Verborgenen, nenne es mit einem einzigen Worte Religion. Und diese meine Religion bäumt sich auf gegen das Narrenspiel, das die Auguren des Seegaus unter meinen Augen zu treiben sich erkühnen.

»Höre und staune, falls Du noch zu staunen vermagst. Wir haben nun seit einem Monat nicht einen, sondern zwei heilige Antoniusse, deren einer, wie Du weißt, mit dem rechten Zeigefinger zu winken, der andre aber, wie ich Dir hiemit pflichtschuldigst melde, mit dem Kopfe zu wackeln versteht. Jener haust seit alten Zeiten im Kloster Seemünster, der andre aber ist – o Wunder – am Feste der Kirchweihe zu Wasser an die Gestade Deiner getreuen Stadt Seefels gekommen.

»Ueber den ersteren Betrug verliere ich kein Wort. Er ist schon ziemlich alt und genießt den Vorzug, daß er sein Recht aufs Dasein gleichsam ersessen hat. Aber der letztere Schwindel ist mit einer Frechheit auf die Szene getreten, die unerhört genannt werden muß. Ein Heiligenprobst und Tavernwirt, dick wie eine Melone, dem der 136 Zusammenlauf des Volkes im Kloster ein Gegenstand giftigen Neides war, ein durchtriebener Rechner, der die Dummheit und die Leidenschaften des Pöbels kennt und den hinfälligen Weltpriester des Städtleins beherrscht wie ein Treiber den Esel, scheint hinter der ganzen Geschichte zu stecken. Schwarze Scharen von Neugierigen wallfahren seit einigen Wochen von allen Himmelsgegenden zu dem gesegneten Städtlein, und schmunzelnd berechnen die Bürger den Gewinn, der hinabrieselt in ihre Truhen – allen voran der pfiffige Heiligenprobst, der die größte Taverne, nahe der Kirche gelegen, sein eigen nennt.

»Oede steht das Heiligtum des Klosters, öde stehen die Schenkstätten der Bauern von Seemünster. Von Tag zu Tage wächst die Wunderkraft des heiligen Antonius zu Seefels. Traurig blinzelt der Heilige zu Seemünster herab auf die leeren Betschemel seines Tempels und verlernt es, mit dem rechten Zeigefinger zu winken.

»Heftig entbrannt ist der Kampf zwischen Kloster und Stadt. Briefe sind über den See geflogen, Briefe, durchwirkt mit auserlesenen Grobheiten in wunderbarer Fülle des Ausdruckes. Städter und Mönche graben aus fünfzigjähriger Vergangenheit alles, was sie wissen von gegenseitigen Sünden, und werfen einander stinkende Geschosse mit Wollust und Kraft in die Gesichter.

137 »Ich bin nun weit entfernt, ihnen dieses Vergnügen zu mißgönnen, und ich lebe der festen Ueberzeugung, daß weder den Söhnen des heiligen Franziskus noch den Bürgern von Seefels, den Wanzenbäckern, wie sie seit uralten Zeiten benamset werden, in Bälde die Munition auszugehen vermag. Soweit wäre also die Sache noch erträglich, und ich hätte Deine Bischöfliche Gnaden nicht bemüht. Nun aber ist es nicht geblieben bei stinkenden Geschossen, sondern es ist zu Mord und Totschlag gekommen.

»Am letztvergangenen Sonntag haben sich die Bauern des Klosters zusammengerottet und haben einen großen Zug von Wallfahrern überfallen, der soeben die Boote zur Fahrt über den See besteigen wollte. Ein wahres Treffen wurde geliefert. Sechs Wallfahrer und zwei Bauern sind ihren Wunden erlegen, etliche schweben noch, schwerverletzt, zwischen Leben und Tod. Die Städter aber warfen sich auf die Nachricht von dieser Freveltat alsogleich auf etliche Seemünsterer Bauern, die sich gerade in ihrem Weichbilde aufhielten, und verwundeten sie gefährlich.

»Damit war die Sache auf dem Punkte angekommen, der mich zum Handeln zwang, und Du darfst mir glauben, daß ich den Landfriedensbruch mit aller Kraft geahndet habe. Den ganzen Tag über dringt vernehmlich in meine Kemenate das Gekrächze der Raben, die sich ergötzen drüben unterm 138 Galgen an den Leibern des Rädelsführers dieses hinterlistigen Ueberfalles und etlicher seiner Genossen.

»Aber nun ist die Angelegenheit noch keineswegs erledigt. Die giftige Wurzel liegt unversehrt im Erdreich, und jeden Tag kann sie wieder ins Kraut schießen. Ueber die Menschen hast Du mir die Gerichtsbarkeit erteilt; den Heiligen gegenüber bin ich machtlos, daher unterbreite ich alles Weitere Deiner Weisheit und Deiner Entscheidung. Lebe wohl!«

*

Es währte nicht lange, dann kam ein Brieflein aus der Stadt des Bischofs in die einsame Burg des Pflegers:

»Unsern Gruß zuvor, lieber Vetter und getreuer Pfleger. Deine Briefe schmecken nach Lampenöl, und Deine Worte riechen nach dem Staube, der nun – Du magst wehe schreien über Uns – seit Jahren die Bücher Unsrer Jugend bedeckt. Aber mit Lächeln haben Wir trotzdem Deine letzte Epistel gelesen und Uns beim Anhören Deiner philosophischen Bekenntnisse mit nicht geringem Entsetzen erinnert, wie nahe auch Wir einst daran waren, ein solcher Esel zu werden. (Wobei wir bemerken, daß Uns Unsre Würde verhindert, Dir im Zweikampf genug zutun – falls Du nicht nur die Scherzreden erhitzter Mönche und zorniger Bürger, sondern auch 139 die Deines Bischofs auf die Goldwage zu legen geneigt wärest.)

»Es gibt Unsers Erachtens zweierlei Arten von Menschen: die einen gehen schwermütig umher, heben jedes dürre Blatt von der Erde und gucken begierig, ob nicht etwa die hintere Seite mit einer neuen Verdrießlichkeit beschrieben sei. Zu dieser Klasse von Menschen bist Du zu zählen. Die andern pflegen ihre Blicke überhaupt grundsätzlich nicht dahin zu wenden, wo sich Unannehmlichkeiten erheben könnten, und sind der Wahrheit eingedenk, daß der Mensch tänzelnden Fußes leichter hingelangt an das unbekannte Ziel seiner Wallfahrt.

»Unsre Base Kunigunde ist wieder im Lande. Ist es notwendig, Getreuester, daß Wir nach Art der alten Glossisten hinzufügen: die Katze, die geschmeidige, mit den schwarzen, funkelnden Augen und den weichen Pfötchen –? Du wirst Uns auch ohne dieses gütigst vergeben, wenn Wir Uns in solcher Lage augenblicklich nicht näher befassen mit Deiner liebenswürdigen Ehrfurcht vor dem Unerforschlichen und Deiner ganzen übrigen Philosophie oder Religion. Die Sonne lacht, und ein Tag erhebt sich schöner als der andre aus dem Schoße der Nacht. Und sie lacht gleich der Sonne am Himmel und schleppt Uns in Ketten als ihren Sklaven von Fest zu Fest.

140 »Ja so – fast hätten Wir vergessen: Der eine Antonius, der von Seemünster – je nun, der ist Uns gar nicht so verächtlich gewesen; denn aus den Einkünften seines Klosters sind ganz erkleckliche Abgaben in Unsre bischöfliche Kasse geflossen, und Wir hätten den Mönchlein ihren winkenden Heiligen mit Freuden gegönnt auf viele Jahre hinaus. So aber – nein! Zwei Antoniusse sind ohne jeden Zweifel ein Ueberfluß, und zwei so feindliche Antoniusse eine Gefahr. Sieh zu, wie Du die Wurzel der Zwietracht ausreißest. Wir erteilen Dir volle Gewalt in dieser mißlichen Sache und Unsern bischöflichen Segen zu ihrer endlichen Lösung. Vergiß niemals, daß Wir immer Dein getreuer Vetter und gnädiger Bischof sind – desto gnädiger, je mehr Du Uns verschonest mit dem Vortrage jämmerlicher, alltäglicher Geschäfte. Lebe wohl!«

Lächelnd überlas der Pfleger den Brief, lächelnd ließ er das rundliche Antlitz des Bischofs aufsteigen vor seiner Seele. Dann trat er in Gedanken an das Fenster und blickte hinaus über die sonnige Wasserfläche. Friedlich lugte weit drüben zur Rechten der dicke Kirchturm des Klosters zwischen den Lindenbäumen hervor, freundlich blinkten weit drüben zur Linken die weißen Häuser von Seefels.

Und lange ging der Pfleger mit sich zu Rate, 141 wie er die Wurzel der Zwietracht auszureißen, bis auf das letzte Fäserchen auszureißen vermöchte.

 


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