August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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4

Mit hundert Mann zog Michl Hasenbart am nächsten Vormittag in großer Heimlichkeit aus dem Lager. Zwanzig leere Wagen fuhren hinter dem Haufen. An einen waren die Pferde des Klas gespannt; doch er selbst durfte sie nicht lenken. Mitten in der Schar mußte er gehen und dem buckligen Schneider dies und das schleppen, was schwer war. Nur das Feuerrohr hatten sie ihm gelassen.

Weit abseits von der Heerstraße, friedlich eingebettet zwischen junggrünen Waldhügeln, lag ein behäbiges Kloster. Dem galt der Zug.

Mit Geschrei brachen die Bauern aus dem Holze, rumpelten den Abhang hinunter und zerschlugen das Tor, drangen in den Hof und sprengten die Türen. Da erscholl Wehklagen der mißhandelten Mönche, da krachten die Truhen unter wütenden Axthieben, da flogen die weißen Federn aus den zerschnittenen Betten in der Frühlingsluft wie wirbelnder Schnee. –

Abend war's. Im Dämmerlichte verschwammen die Waldhöhen, und auf den Wiesen sang die Heidelerche ihre geheimnisvollen Weisen. Aber drunten im großen Weiher quakten die Frösche, und ihre rauhen Lieder verschlangen die süßen Melodien. Und im Refektorium saßen die Bauern und schrien 209 auf ihre natürliche Art und ließen sich's wohlsein und überschrien Heidelerche und Frösche.

Der lange Klas stand unter der offenen Saaltüre und sah schweigend in das Gewühl der schmausenden, trinkenden Bauern. Es war ihm wieder einmal zumute, als träumte er. Und zuweilen knurrte sein Magen. Aber keiner von den Bauern sagte. ›Komm her, Klas, iß und trink mit uns und sei guter Dinge!‹ – Mit Verwunderung sah er ihnen zu: sie saßen an langen Tafeln, sie hatten Krüge und Schüsseln vor sich, und die Schinken lagen umher wie Brotlaibe. Mönche bedienten keuchend die trotzigen Gesellen und vermochten kaum Weins genug zu schleppen für ihre durstigen Kehlen.

Es wurde dunkel im Saale. Da brachte man Lichtspäne und steckte sie den Wänden entlang in die eisernen Ringe.

Dem langen Klas gefiel nicht, was er zu sehen bekam. Und vor allem dünkte ihm unrecht zu sein, daß die Mönche so unbarmherzig umhergejagt wurden. Er kannte doch von Jugend auf, was ein Mönch war: ein heiliger Mann. Und schon als Bub hatte er's nicht anders gewußt: er küßte jedem solchen Heiligen die Hand. Und etliche von diesen hier gingen gar mit verbundenen Köpfen umher. Nein, es konnte ihm nicht gefallen, was er zu sehen bekam. –

210 Da erhob sich wüster Lärm in einer Ecke des Saales.

Michl Hasenbart reckte den Hals. Dann sprang er auf die Bank und gebot mit donnernder Stimme Frieden.

»Er will den Junker spielen unter uns!« rief einer aus der Ecke.

»Ich werd' dir Frieden halten!« brüllte der Hauptmann.

»Laßt mich meine Wege ziehen, dann ist gleich Friede,« sagte der Junker mit trotziger Stimme.

»Wieder 'naus möcht' ich, hat der Hecht g'sagt, wie er im Netz gesteckt is,« spottete einer, und die Bauern lachten sehr.

»Schaut nur den an!« rief einer in der Mitte des Saales. »Was sich so ein Junker einbildet! Dumme Bauern sind's, so denkt er. Und wenn er kommt, da werden s' gucken, so denkt er. Und zum Hauptmann werden s' ihn machen, so denkt er. Nur auf ihn haben s' gewartet, so denkt er. Aber das Maul wird ihm sauber gehalten werden, so denk' ich. Und das hat er halt nit gedacht, der Junker.«

Da lachten die Bauern im Saale.

»Hauptmann, es gibt noch ein Unglück!« schrie der Junker.

»Du hältst dein Maul, Bruder Bauer!« 211 entschied Michl Hasenbart. »Und ihr andern seid zufrieden! Singt eins, es ist gescheiter.«

»Recht hast, Bruder Hauptmann,« rief einer über den Tisch und stimmte ein Lied an. Und nach einer Weile sangen sie alle, daß die Mauern erbebten.

Klas wandte sich zum Gehen. Da packte ihn der Bucklige am Arm. »Langer Klas, hast denn auch 'was davongebracht von dem Schmaus?«

Der arme Junge schüttelte den Kopf, und sein Magen knurrte vernehmlich.

Da lachte der Schneider, ging zum Tische und holte ein Schinkenbein. »Kief dir's ab, es ist noch genug dran! Und da hast ein Brot auch.«

Klas machte seine Danksagung und trollte ins Freie.

Draußen im Hof war's noch dämmerig. Da trat einer an ihn heran und griff nach dem Schinkenbein. Aber der Lange war sehr hungrig und hielt den Knochen fest und schob den Feind zur Seite. Der warf einen schiefen Blick auf den Riesen und ging brummend davon. Dem Klas aber war's nicht geheuer inmitten der Klostergebäude. Er trollte hinunter zum Weiher, setzte sich neben einen Weidenstrunk und aß sich satt.

Die Frösche quakten weit und breit im weiherreichen Tale, über den westlichen Höhenzügen glühte eine schmale Abendröte, Fledermäuse schwirrten im 212 Zwielichte, aus den dunkeln Wäldern ertönte von Zeit zu Zeit der Ruf des Käuzleins, und im Kloster droben erscholl wilder Gesang.

Der lange Knabe schnitt ein Weidenrütlein ab und begann sich ein Pfeiflein zu klopfen, wie's ihm vor Jahren der Vater gelehrt hatte. Da packte ihn allgemach das Heimweh, und über seine dicken Backen rannen die Tränen. Er klopfte mit Eifer und klopfte die Rinde locker. – Fortlaufen – die Mutter – der Vater – die Pferde – dableiben – der Eid – alles bewegte sich in seinem engen Hirn wie ein langsam kreisender Knäuel. Und eifrig klopfte er, schob und schnitt und paßte die Stücke zusammen, bis das Pfeiflein fertig war. Dann starrte er eine Weile hinaus auf die dunkle Wasserfläche; denn er mußte gerade sehr weinen, und wenn einer weint, kann er unmöglich die Lippen spitzen zum Pfeifen.

Endlich gelang's ihm, und der jammernde Ton seiner Flöte mischte sich in das ferne Geschrei der singenden Bauern und in das lustige Quaken der Frösche. Der lange Klas blies mit Eifer, und seine Augen wurden trocken.

Die Abendröte war erloschen, und am klaren Himmel blinkten die Sterne.

Vom Kloster kam eine kleine Gestalt. »Klas – langer Klas – langer, dummer Klas –!«

213 Der Knabe vernahm den Ruf, kannte auch die Stimme gar wohl, aber just mocht' er nicht hören. Drum blies er unbekümmert weiter.

»Hab' mir's doch gedacht,« sagte der Bucklige und trat neben den Jungen. »Was setzt dich denn da her ans Wasser, daß du's 'nein in die Bein' kriegst?«

Klas hielt inne. »Weil's mir droben nit gefallen hat.«

»Nit gefallen?« Der Schneider lachte. »Mein' Lebtag hab' ich noch kein' solchen Wein g'soffen, das kann ich dir sagen. Hab' nie gewußt, was die Pfaffen und Herrenleut' für einen Tropfen saufen. Jetzt weiß ich's.«

»Mir hat niemand kein' Wein zum Trinken gegeben,« sagte Klas. »Aber g'hört sich's denn, daß man die Mönch' so hunzt?« Er stand auf.

»Oho, oho, da guck einer den an! Der will uns vorschreiben, was wir tun und lassen sollen!« Des Buckligen Stimme überschlug sich, und er trat hart an den langen Klas. »Weißt was, du Krautstar? Ich will dir's sagen: Die Mönch' dienen nit Gott, sondern dem Teufel. Das steht in der Heiligen Schrift. So, da hast's jetzt.«

Klas bekreuzigte sich, als er vom Teufel hörte; denn so hatte ihm's die Mutter gelehrt. Aber die argen Sachen von den heiligen Männern waren 214 ihm verborgen gewesen bis auf den heutigen Tag. Er mußte die Mutter fragen.

»Siehst – ihn – dort –?« lallte der Schneider, dem die Weingeister sachte emporkletterten in den dicken Kopf.

Klas erschrak.

»Siehst ihn dort?« Der Bucklige zerrte ihn am Arme und wies gegen Mitternacht auf einen langgestreckten dunkeln Berg. »Siehst den Berg dort? Und hörst, wie die Kuh blökt?«

»Ich hör' kein' Kuh,« murmelte Klas.

»Freilich!« Der Schneider schüttelte seinen Arm. »Sie blökt, und jeder im Land hört's, und jeder im römischen Reich hört's, und ist ja gar nimmer das römische Reich –!« Er lachte. »Ist alles eine einzige freie Schweiz. Hörst's nit, wie die Kuh blökt?«

So raunte der Bucklige mit heißem Atem und zerrte den Knaben am Arme, und der verstand doch kein Wort von der wüsten Rede. Aber angstvoll stieß er heraus: »Ich glaub', ich hör's.«

»Alles, was edel ist, muß 'runter vom Gaul!« sagte der Schneider und knirschte mit den Zähnen. »Weißt noch, was du geschworen hast?«

Der lange Klas erschrak. Dann flüsterte er: »Ich weiß kein einzigs Wörtle mehr davon.«

»Tut nix,« meinte der andre wohlwollend und 215 schlug ihn auf den Rücken. »Halt dich nur recht zu mir. Ich will dir's immer sagen, was du zu tun hast; denn ums Schwören ist's eine heilige Sach'.«

Wie gut er's doch mit ihm meinte, der bucklige Mann! Und laut mußte Klas seine Dankbarkeit bezeigen: »Vergelt's Gott!«

»Geh mit!« befahl der Schneider.

Gehorsam ging Klas neben ihm zum Kloster.

»Man muß sich zu Tod lachen, wie der Junker dasitzt!« lallte der Kleine.

Klas wußte nicht, wen er meinte.

»Gut hat er's nit, das ist gewiß. Er ist halt gefangen unter uns Bauern. Ich hab' einmal einen gefangenen Löwen gesehen. Grade so glotzt er, der Junker. Man muß sich zu Tod lachen. Man meint grad, er möcht' uns fressen, so hockt er da und glotzt.«

*

Der Gesang war verstummt. Lautlos saßen die Bauern im Refektorium, und lautlos, mit angstvollen Gesichtern standen die Mönche an den Wänden und warteten auf die Befehle ihrer Peiniger.

Lautlos saßen die Bauern. In der Ecke aber, unter dem lebensgroßen Kruzifixus stand jetzt einer und hielt eine Rede. Lautlos saßen die Bauern und sogen den Wein aus den Krügen und sogen 216 die Worte des hageren, schwarzhaarigen Mannes in ihre Seelen.

»Sagt's, wenn ich recht habe!« rief der Redner. »Sitzet ihr nit da wie die Stockfische und horcht, als wär' ich ein Prädikant und wäret in der Kirche? Sagt's, wenn ich recht habe, und wenn ich unrecht rede, so sagt's auch!« Er hielt inne.

»Recht hast, Schulmeister!« riefen etliche im Saale, und murmelnder Beifall folgte ihrem Zuruf.

»Es ist freilich eine rechte Lumperei,« fuhr der Redner fort, »jetzt in der notwendigsten Zeit 'rumlaufen im Land mit dem Feuerrohr, eine Lumperei ist's, sag' ich –«

»Eine Lumperei, Schulmeister!« wiederholte ein schneeweißer Bauer mit Nachdruck.

»Eine Lumperei, wenn der ganze Feldbau liegen bleibt –«

»Eine Lumperei!« riefen nun mehrere im Saale.

»– aber,« brüllte der Mann unter dem Kruzifix und schlug auf das Pult, auf dem sonst das Buch des Lektors lag, »aber wer ist schuld an der Lumperei? Die Bauern oder die Herren? Die Bauern oder die Pfaffen?«

»Die Herren, die Pfaffen!« schrie es wild durcheinander im Saale.

»Und so sag' ich, was bleibt ihm andres übrig, dem Bauern? Er muß!«

217 »Muß! Muß!« brüllten sie zur Antwort.

»Ist's recht, daß einer dem andern leibeigen ist – ich frag' euch – ist's recht?«

»Nein!« schrien die Bauern und schlugen mit den Fäusten zwischen Krüge und Becher.

»Leibeigenschaft ist höllischer Greuel. Christus hat beide erlöst, den Kaiser wie den Bauern, und so sag' ich, Leibeigenschaft soll ab sein und tot!«

»Ab und tot!« brüllten sie drunten im Saale.

»Und ich frag' euch, sind wir Aufrührer, sind wir Gottlose, wir Bauern? Sind die Kinder Israel Aufrührer gewesen, da sie zu Gott schrien in großer Angst vor dem Pharao? Arme Bauern sind wir, die nach Gott schreien in großer Angst vor vielen Pharaonen. Und er wird uns erretten, und alles, was nicht geschrieben steht im heiligen Evangelium, wird ab sein und tot.«

»Ab sein und tot!« kam die Antwort zurück.

»Wir wollen, daß es keinen Blutzehent mehr gibt; denn Gott der Herr hat das Vieh frei geschaffen dem Menschen.«

»Frei geschaffen!« brüllten sie.

»Kornzehent wollen wir geben, wo er besteht zur Ehre Gottes –«

»Wir werden uns auch mit dem Kornzehent besinnen,« rief der Schneider, und es entstand beifälliges Lachen im Saale.

218 »Und fischen wollen wir im fließenden Wasser, wie uns gelüstet,« brüllte der Redner und schlug auf das Pult, »und jagen im grünen Wald. Sie haben uns geschunden und geschaben, und das ist aus und gar, Gott selber will's nimmer leiden. Und wißt ihr, Bauern, wißt ihr, was schuld ist von alters her an allem Jammer und aller Last? Ich will's euch sagen: Die geschriebenen Briefe sind schuld daran.«

»Die geschriebenen Briefe!« brüllten sie da und dort im Saale.

»Und ich rat' euch, führet einen rechten Bauernkrieg gegen alles, was geschrieben ist auf Pergament und Papier. Traget zusammen auf einen Haufen Briefe und Bücher, stecket harzige Späne dazwischen und verbrennet's in Gottes Namen. Denn ich sag' euch, es wird kein Friede im Reich, bis alles Geschriebene ist aufgegangen in Asche und Rauch.«

»In Asche und Rauch!« brüllten sie ringsumher.

Der lange Klas war nahe der Tür stehen geblieben. Das Schneiderlein aber hatte sich zwischen den Bänken bis in die Mitte des Saales gedrängt. Mit dummem Gesicht stand der lange Klas und horchte auf die Worte, die er nicht verstand.

»Schrei auch!« fuhr ihn sein Nachbar an.

»Was –?«

219 »Du Rindvieh, was wir schreien, das schreist halt' auch!«

»In Schwaben hat's angefangen,« hetzte der Schulmeister unter dem Kruzifix. »Hochauf haben die Feuerflammen geschlagen. Und ins Frankenland sind die Funken geflogen, und im Rothenburger Landhag ist's Feuer aus dem Erdboden gebrochen. Aus dem Odenwald steigt der Rauch auf, und überm Neckartal steht ein feuriger Schein. Ihr Leut', ihr Brüder – in der ganzen Welt brennt's und stinket gen Himmel – –«

Er hielt inne und fuhr mit der Hand über die nasse Stirne.

»Vor Weinsberg haben s' einen Grafen durch die Spieße gejagt,« rief der Schneider.

»Wir haben's gehört,« kam die Antwort aus einer Ecke.

»Und die schwarze Hofmännin hat ihm das Messer im Leib umgedreht und mit dem Fett ihre Schuh' geschmiert.«

»Wir haben's gehört.«

»Und die Gräfin hat auf einem Mistwagen fortfahren müssen.«

»Es ist ihr recht geschehen,« schrie einer.

»Recht geschehen!« schrien zehn, zwanzig Stimmen.

Aber mit aller Kraft brüllte der Schulmeister aus seiner Ecke: »Recht geschehen oder nit – was 220 kümmert das uns? Getan ist getan. Und was haben wir an dem einzigen Grafen? Daß wir uns die Schuh' schmieren mit seinem Fett? Ist's auch der Mühe wert? Nein, sag' ich!«

»Nein, nein!« riefen sie ihm zu.

»Wir gehen nit gegen einen Grafen, wir meinen sie alle –«

»Alle!« kam die Antwort grollend zurück.

»– und nit gegen einen Pfaffen – – gegen alle!«

»Gegen alle!« schrien sie und stampften mit den Füßen.

»Und wo sind alle Grafen, alle Junker und alle Pfaffen – wo, frag' ich?«

»In Würzburg!« rief der Schneider.

»Würzburg ist unser!« sprach der Schulmeister. »Aber ich sag's euch, auf dem Frauenberg ob Würzburg, da sitzen die Vögel und gucken aus den Schießscharten ins Land.«

»Wir wollen das Nest ausnehmen!« rief einer im Saale.

»Ausnehmen!« jauchzten sie rings um ihn her.

Da sprang der Schneider auf den Tisch. Er schlug wild um sich, seine Lippen bebten: »In Kitzingen haben s' die Totenbein' vom alten Kitz und von der heiligen Hadlog aus ihren Gräbern gerissen, und mit dem Totenkopf vom alten Kitz 221 haben s' geschoben auf die Totenbein' von der heiligen Hadlog – juh, juh, alle neun! Wir wollen auf Würzburg und wollen Kegel schieben mit Herrenköpf auf Pfaffenbein – juh, juh, alle neun!«

»Auf Würzburg!« schrien die Bauern.

»Aus dem Odenwald, aus dem Neckartal ziehen die Brüder mit ihren Fahnen –« rief der Hagere hinter dem Pulte.

»Auf Würzburg!« brüllten die Bauern.

»Wir noch nit –!« rief der Hagere.

»Auf Würzburg!« brüllten die Bauern, schwenkten die Trinkgefäße, stießen an, verspritzten den Wein.

»Wir noch nit!« donnerte der Schulmeister. »Müssen noch mehr werden, ihr Brüder, müssen noch etliche Kisten fegen zuvor –«

»Kisten fegen!« antworteten sie jubelnd.

»– und etliche Säckel leeren –«

»Säckel leeren!« jauchzten sie im Saale.

»Kloster Schwarzach –!« brüllte der Hagere.

»Kloster Schwarzach!« jauchzten sie ringsumher.

»Gerleshofen!«

»Steckt voller Korn und Wein!« kreischte der Schneider.

»Stolberg! Bimbach, Zabelstein!« hetzte der Redner.

»Stolberg, Zabelstein, Kisten fegen, Säckel leeren!« 222 schrien und tobten die trunkenen Brüder. Und wieder stieß der Nachbar den langen Klas in die Seite: »So schrei halt auch!«

Da kreischte draußen im Gang eine Weiberstimme: »Laß mich gehen, sag' ich!«

»Nur vorwärts – da 'nein!« befahl einer.

»Was hab' ich dir denn getan?« jammerte das Weib.

»Du mußt zum Hauptmann,« brüllte der andre und schob sie unter die Tür des Saales. »Bruder Hauptmann!«

Der Schulmeister unter dem Kreuze hielt inne, und die Bauern sahen alle nach der Tür.

»Was gibt's?« rief der Hauptmann von der Seite her.

»Die da hab' ich aufgefangen. Und sie is nit von hier, und sie will mir auch nit sagen, wo sie hingeht. Und ich mein' halt, sie will was auslauern.«

»Ich will nichts auslauern,« jammerte das Weib.

»Was willst denn?« fragte Michl Hasenbart, der Hauptmann.

»So laßt mich halt mein' Weg gehen!« rief das Weib und hob die Hände.

»Wo geht dein Weg hin?«

»Auf Bibert.«

»Sie is nit auf Bibert zu'gangen,« sagte die 223 Wache; »ich mein', sie kommt von Speckfeld und will nach Kastl.«

»Das ist ein sauberes Mädle«, rief einer aus dem Haufen; »die passet mir gleich.«

Die andern lachten.

»So laßt mich halt gehen!« rief die Dirne und wandte sich dem Ausgang zu.

»Auf Kastl –?« fragte Michl Hasenbart und kam nahe heran. »Vielleicht zum Grafen?«

»Auf Bibert!« sagte sie trotzig.

»Und was machst denn in dei'm Graskorb, Mädle?« fragte der Hauptmann und griff ihr über die Schulter.

»Laßt mir mein' Graskorb in Ruh'!« kreischte sie.

»Na, na, was machst denn für ein Geschrei, Mädle, wenn du deiner Sachen recht hast? Du kommst mir doch verdächtig vor. Emal 'runter mit deinem Korb!«

Sechs, acht Hände griffen nach dem Graskorb.

»Um Gottes willen – ihr werdet mir doch mei'm Kind nix tun?«

»Dei'm Kind? Na, so weis uns emal dein Kind!«

Der Korb stand auf dem Fußboden.

»Ich kratz' euch die Augen aus!«

»So weis uns halt dein Kind!« wiederholte der Hauptmann.

224 Mit zitternden Händen hob die Dirne ein weißes Tuch.

»Nur 'raus damit!«

Vorsichtig hob sie ein schlafendes Kind aus dem Korbe.

»Ein Licht her!« befahl der Hauptmann.

Sie rissen eine Fackel aus dem Ringe und leuchteten über das Kind. Das Kind erwachte und begann zu weinen.

»Warum trägst denn dein Kind bei der Nacht über Land?« fragte der Hauptmann.

»Heim will ich!« antwortete sie und drückte das Kind an ihre Brust.

Ganz nahe stand der lange Klas und sah aufmerksam herab auf das weinende Kind.

»Guckt nur emal das feine Kinderzeug!« rief einer von den Bauern.

»Und das güldene Kettle!« sagte ein andrer.

»Und so e feins Kindle!« brummte wieder einer und trat ganz nahe herzu. »So fein!« wiederholte er, und sein heißer Atem strich über das Köpflein.

»Ein Herrenkind ist's!« rief der Schneider.

»'s ist nit wahr, 's ist mein Kind!« schrie das Weib.

»Ist's ein Bub?« fragte der Hauptmann.

»Das werden wir gleich sehen!« rief der Schneider und wollte nach dem Kinde greifen.

225 »Es ist ein Bub und ist mein Bub,« kreischte sie und wich zurück.

»Ein Herrenkind ist's!« schrien die Bauern im Kreise und drängten sich heran. »Schlagt's tot, die Brut –!«

»Zurück!« donnerte der Hauptmann. »Wir sind ein evangelisches Heer und keine Räuber und Mörder.«

»Schlagt's tot!« johlten die trunkenen Bauern.

»Es ist mein Kind!« zeterte das Weib und sank auf die Knie.

»Bin ich der Hauptmann oder seid ihr's?« brüllte Michl Hasenbart.

»So laß sie halt schwören!« rief der Schneider.

»Schwören – schwören!«

»Das Kreuz her!« befahl der Hauptmann.

»Das Kreuz!« erscholl es im trunkenen Haufen. Und sie rissen den Heiland von der Wand und reichten ihn über die Köpfe herüber.

Zwei Bauern hielten das schwere Holz.

»Da – leg die drei Finger drauf – – daher, und schwör!«

Mit verzerrtem Gesichte stand das Weib unter der qualmenden Fackel.

»Aha!« rief der Schneider.

Da raffte sie sich zusammen, preßte die Schwurfinger auf die Brust des Heilandsbildes und stieß heraus: »Ich schwör' –!«

226 »Daß es mein leibliches Kind ist,« sagte der Hauptmann ihr vor.

»Daß es mein leibliches Kind ist,« wiederholte sie ganz laut.

»Sie ist – meineidig –!« rief eine lallende Stimme aus der Ecke, und alle Köpfe wandten sich zurück. Lang und hager stand einer und hielt sich am Tische.

»So red!« befahl der Hauptmann.

»Das ist – ihr Kind – nit. Es gehört dem – jungen – Grafen – und sie is – nur – Saugamm' – bei ihm,« lallte der Bauer.

Zitternd stand das Weib da. Ihre Brust ging keuchend. Fest umschlungen hielt sie das Kind.

»Habt ihr's gehört?« rief der Schneider und zerrte an dem Kinde.

»Ja, was ist jetzt wahr?« fragte der Hauptmann.

Da drängte sich einer heran, der stieß die Bauern zur Rechten und Linken aus seinem Wege und schwang ein Schwert und brüllte: »Ihr Teufelskerle, was wollt ihr denn mit dem unschuldigen Kind?«

»Junker!« kreischte die Dirne und hielt ihm ihr Kleinod entgegen.

»Zurück du –!« Der Junker packte den Verwachsenen am Kragen und schleuderte ihn gegen die Bauern.

Einen Augenblick war alles totenstille. Dann 227 brach der Lärm los. Die Wehren blitzten. Wie rasend schlug der Junker um sich. Schreiend, stampfend drangen sie gegen ihn vor.

»Hört auf, hört auf!« kreischte der Hauptmann und zerrte ihrer etliche an den Wämsern.

Wie eine Katze verzog sich das Weib rückwärts zur Türe und gewann den Ausgang.

Da stand ein riesiger Bauer.

»Sei barmherzig!« flehte das Weib und hielt ihm das kleine Kind unter die Augen.

»Ich werd' dir doch nix tun!« sagte der lange Klas. »Ich zeig' dir den Weg, geh mit!«

Unbemerkt kamen sie in den Hof und hinaus ins Freie.

»Vergelt's Gott!« keuchte sie und riß ihr Kopftuch ab und schlang es um das wimmernde Kind.

»Ich hab' doch auch so e Brüderle daheim,« sagte der lange Klas. »Wo willst denn hin?«

Sie besann sich, dann flüsterte sie: »Auf Kastl.«

»Weißt denn dein' Weg?«

»O ja, ganz gut.«

»So lauf, daß es der Schneider nit merkt!«

Wie ein Wiesel lief sie zum Walde und verschwand in der Dunkelheit.

*

Das Frührot leuchtete über den Waldbergen, die Vögel sangen in den Blütenbäumen. Mit 228 wüsten Gesichtern standen die Bauern dichtgedrängt auf dem Gottesacker, und mit zitternder Stimme segnete ein Mönch drei Leichen zur ewigen Ruhe ein. –

Mit wüsten Gesichtern zogen die Bauern ab. Gefangene Mönche schleppten schwere Bündel; hochbepackt mit Klostergut ächzten die Wagen. Auf dem sandigen Feldwege kroch der Zug den Wald entlang.

Zuerst war's keinem so recht um Unterhaltung zu tun. Die meisten hatten über böses Kopfweh zu klagen. Allmählich aber kam doch die Rede in Fluß. Warum wohl die Saugamme mit dem Grafenkinde zu Speckfeld gewesen, wo doch die Gräfin auf dem Stolberg saß? So fragte der erste.

»Na ja, sie werden halt ihre Kinder auch nit gern auf einem Platz bei'nander lassen wollen in so 'ner bösen Zeit,« meinte der Schneider.

»Na, wir hätten ihm doch nix zuleid getan, dem Grafenkind!« murrte ein alter Bauer.

»Wer weiß denn, wo die Saugamm' hin'kommen ist?« fragte Michl Hasenbart.

Keiner wußte es.

»Vielleicht weiß es der dumme Klas!« rief einer mit Lachen.

»Klas, hast du die Saugamm' gesehen?« fragte der Schneider.

229 »Ich weiß von nix,« antwortete Klas und nahm das schwere Bündel des Schneiders auf die andre Schulter.

»Ich glaub's wohl!« sagte der Bucklige und lachte.

»Wenn ihr mir folgt, so laßt ihr kein' solchen Junker mehr in unsre Bruderschaft,« bemerkte Michl Hasenbart nach einer Weile.

»Na, wir hätten ihm doch nix zuleid getan, dem Grafenkind!« wiederholte der alte Bauer und starrte nachdenklich vor sich hin.

»Hättet ihr euch halt nit so aufgeführt, wie ich Ruh' geboten hab'!« grollte der Hauptmann.

»Da ist der Wein dran schuld gewesen,« rief einer.

»Ja, der Wein!« bekräftigte der Schulmeister.

Der lange Klas ging schweigend zwischen den andern. Er mußte immer an das Kindlein denken. Er freute sich, daß es den Bauern entkommen war. Und heute fragte er den Buckligen kein einzig Mal: »Du, was hab' ich schwören müssen?«


Aus dem geplünderten Kloster wirbelte feiner Rauch zum strahlenden Morgenhimmel. Auf den Dielen des Refektoriums aber lag die nackte Leiche des Junkers. –

»Gucket!« rief der Schneider droben am Waldsaum Die Bauern machten Halt und sahen zurück.

230 Flämmlein züngelten aus den Dächern. Qualm drang aus den Luken. Flammen schlugen empor und leckten gierig hinauf am niederen Kirchturm. Die Glocken begannen zu schwingen; leise schlugen die Klöppel an die metallenen Wände. Stärker wurde das Geläute.

Unter Glockenläuten zogen die Bauern in den duftenden Wald. –

Aus den Dielen des Refektoriums quoll Rauch und wirbelte aus den offenen Fenstern.

Prasselnd stürzte der Dachstuhl zusammen. Turmhoch schlugen die Flammen empor.

Und auf den brennenden Dielen lag der Mensch, der trotz allem gehandelt hatte nach seiner beschworenen Pflicht.


Um die Mittagszeit kam Hauptmann Michl Hasenbart mit seinem Fähnlein zurück ins große Lager des fränkischen Heeres.



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