August Sperl
Kinder ihrer Zeit
August Sperl

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9

Die weite Fläche des Sees, die Auen und die Wälder waren noch bedeckt vom wallenden, wogenden Nebel. Aber die schneeigen Berggipfel ragten schon empor ins Sonnenlicht, und ein wolkenloser Himmel wölbte sich über der herbstlichen Erde.

Mit einem festlich gekleideten Troß von 150 bischöflichen Lehnleuten, von Schreibern und Knechten kam der Pfleger sporenklirrend aus der Burg herab zum Landungsplatze und bestieg mit all seinen Begleitern das große Amtsschiff, das sich schaukelte auf den leise glucksenden Wellen und bis an die Spitze des Mastes geschmückt war mit Laubgewinden und herbstlichen Blumen.

Die Fährleute stemmten ihre langen Stangen an den Landungssteg, und die Fahrt in den Nebel begann. Kleine Fischerboote stießen vom Ufer und folgten im Kielwasser des großen Schiffes.

Ein frischer Windhauch erhob sich von Mitternacht her.

Nur noch in Fetzen wallte der Nebel nahe über der gekräuselten Fläche, und schon glitzerten zuweilen graue Wellenkämmlein hervor.

Im Takte plätscherten die kurzen und die langen Ruder. Schweigend saßen die Männer auf den Bänken. Schweigend, mit ernster Amtsmiene stand der Pfleger vorn an der Spitze des großen Schiffes. Die Morgensonne funkelte auf seinem Harnisch, und lustig wehten von seiner Eisenkappe die Federn in den Farben des Bischofs.

Rauschend fuhr das Segel am laubumwundenen Maste empor und blähte sich goldgelb im Sonnenschein. Von den hochgehobenen Rudern rieselten die silbernen Tropfen.

151 Der See hatte den Nebel verschluckt. Tiefblau kräuselten sich seine Wellen.

Weit drüben zur Rechten blinkten die grausilbernen Schindeldächer des Klosters unter dem Grüngelb der riesigen Linden. Und weit drüben zur Linken stieg die Stadt mit ihren grauen Türmen und mit ihren blendendweißen Häusern aus dem dunkelblauen See empor.

Kleine Möwen strichen schreiend über die Wellen, und rauschend brachen sich die Wellen am Kiele.

Helle Glockentöne zitterten vom Kloster herüber.

Der Wind legte sich und das goldgelbe Segel klatschte am laubumwundenen Maste. Von neuem tauchten die Ruder in die glitzernde Flut.

Da begannen auch drüben zur Linken die Glocken zu läuten, alle Glocken der Stadt. Und alle die Klänge, die tiefen, summenden, brummenden Klänge und das klagende, hohe Gebimmel – alles verschwamm über dem See zu einer einzigen festlichen Melodie.

Kraftvoll arbeiteten die Schiffsleute.

Murmelnd deuteten die Bischöflichen hinüber zur Rechten, wo nun das Klosterschiff vom Ufer stieß, und zur Linken, wo sich das Stadtschiff vom blinkenden Strande löste.


Mit halbgeschlossenen Augen trat Leutold, der Knecht, hinter den Pfleger und flüsterte etwas.

152 Ein kurzer Befehl ertönte. Die Ruder wurden eingezogen, und stille lag das Schiff auf der spiegelglatten Fläche.

Der Pfleger wandte sich und flüsterte ebenso leise: »Weißt du's gewiß?«

Da verzog sich das breite Gesicht des Knechtes und murmelnd sagte er: »Wenn sie hier unser' Burg mitsamt dem Felsen dreimal aufeinander stellen, dann guckt vielleicht noch die Wetterfahn' auf der Kemenate aus dem Wasser heraus.« –

Rauher Mönchsgesang erscholl von rechts her, und sogleich antwortete von links die feierlich quiekende Musik der Stadtpfeifer.

Näher kam das Klosterschiff, näher rauschte das Stadtschiff. Zur Rechten und zur Linken des Amtsschiffes zogen auch sie die Ruder ein.

Hoch aufgerichtet stand der Pfleger vorne in seinem Schiffe, lautlos saßen und standen die Leute in den Schiffen und Kähnen. Mit einer großartigen Gebärde strich der Pfleger seinen Schnurrbart und begann:

»Andächtige und Ehrbare! Ihr alle wisset, daß Irrung und Zwietracht entstanden sind zwischen den Andächtigen hier« – er bewegte die Hand nach rechts, wo das feiste Gesicht des Abtes vorn im Klosterschiff leuchtete – »und zwischen den Ehrbaren dort« – er wies mit der Linken zu den Stadtleuten 153 hinüber. »Andächtige und Ehrbare! Ihr alle wisset, daß der heilige Antonius« – er neigte nun demutsvoll sein Haupt – »vor etlichen Jahren sein geschnitztes Abbild im Kirchlein zu Seemünster beauftragt hat, etliche Male mit dem Zeigefinger der rechten Hand sichtbar zu winken.«

Beifälliges Gemurmel erhob sich im Schiffe der Klosterleute.

»Dieses Wunder hat, wie billig, die Gläubigen in großer Anzahl zur Stätte des Wundertäters gelockt. Sie kamen und baten ihn um Hilfe in allerlei Gebresten des Leibes und der Seele.«

»Und fanden, was sie suchten, wie männiglich weiß!« rief der Abt und strich erregt sein dreifaches Kinn.

»Um so größer war nun das Staunen, als vor nicht langer Zeit der Heilige ein zweites Abbild seiner irdischen Gestalt in Bewegung setzte. Es glich jenem Heiligtume der andächtigen Brüder vollkommen und erregte das Erstaunen und die Ehrfurcht der Gläubigen durch wahrnehmbares Wackeln des Kopfes.«

»Nicken – Nicken!« erscholl es in allen Tonarten aus dem Schiffe der Städter.

»Verzeiht, ich erinnere mich, es nickte,« bestätigte der Pfleger, »das heißt, gesehen habe ich das eine so wenig wie das andre. Man sagt, es nickte.«

154 »Lug und Trug!« rief der Abt von rechts herüber. Und drohendes Gemurmel antwortete von links.

»Andächtige und Ehrbare!« Der Pfleger hob nun plötzlich seine Stimme zur vollen Stärke. »Wir sind nicht auf den See gefahren, um den Streit des Landes hier fortzusetzen. Das Hirtenherz unsers gnädigen Herrn Bischofs ist tiefbetrübt –,« er legte ehrerbietig die Hand an die Eisenkappe – »tiefbetrübt, weil der Friede dieses lieblichen Sees gestört ist und die Andächtigen und die Ehrbaren einander sehr unandächtig und unehrbar in den Haaren liegen.«

»Wer ist schuldig des Streites?« kreischte der Abt und schnappte nach Luft.

»Ruhe!« donnerte der Pfleger. »Und so hat er mir ein Brieflein zukommen lassen des Inhalts: ›Siehe zu, wie Du die Wurzel der Zwietracht ausreißest. Wir erteilen Dir volle Gewalt in dieser mißlichen Sache und Unsern bischöflichen Segen zu ihrer endlichen Lösung.‹« Einen Augenblick hielt der Pfleger inne. Dann hob er das lustige Gesicht nachdenklich zum blauen Himmel empor: »Du bist Zeit deines Lebens ein Mann des Friedens gewesen, heiliger Antonius, und willst gewiß nicht, daß die Leute einander die Köpfe einschlagen um deinetwillen,« sprach er mit andächtigem Ernste. »Du 155 hast einst einem Esel die Knie gebeugt. Du wirst auch heute noch Macht haben –,« murmelnd und nicht weithin verständlich setzte er hinzu: »über Esel und Ochsen.« Dann hob er die Stimme wieder: »Und männiglich ist bekannt der Scharfsinn, den du während deiner Erdenwallfahrt so vielfach bewiesen hast. Darum erachte ich für billig, daß du selbst entscheidest über die beiden Standbilder, über das mit dem winkenden Finger und über das mit dem nickenden Kopfe.«

»Er hat entschieden!« rief der Abt und schlug zornig mit der Faust auf den Schiffsrand.

»Durch zahllose Wunder, geschehen zu Seemünster!« brüllte einer von den Mönchen.

»Heil dem heiligen Antonius von Seefels! Er ist der wahre Wundertäter!« kreischte eine Frauenstimme vom Stadtschiffe herüber. »Heil dem heiligen Antonius von Seefels!« erhob sich brausend der Ruf.

Lächelnd winkte der Pfleger, und es wurde wieder ganz stille in beiden Schiffen. Und in der Stille war jedes seiner Worte zu vernehmen: »Ihr seht, der heilige Antonius von Seemünster und der heilige Antonius von Seefels sind bitterböse aufeinander. Und doch behaupten die Leute von Seemünster, in ihrem Antonius winke der wahre Antonius, und die Leute von Seefels sagen gleichermaßen, hier nicke der wahre Antonius!«

156 »So ist's!« rief der Abt.

»So ist's!« riefen die Städter.

»Doch weil der heilige Antonius,« fuhr der Pfleger fort, »zu seinen Lebzeiten ein sehr schlichter und aller Zweideutigkeit abholder Mann, mit einem Worte: ein Heiliger gewesen ist, so gibt's nur eine Möglichkeit. In dem einen Standbilde steckt der wirkliche Antonius, im andern aber –«

»Der Teufel!« brüllte der Abt. »Der Teufel!« brüllten die Mönche, während sich im Schiffe der Städter verworrenes Geschrei erhob.

»Da es nun,« fuhr der Pfleger fort, »sehr schwierig ist, mit Menschenwitz das Richtige zu treffen, so bin auf diesen Ausweg gekommen: Wenn unsre Altvordern in ähnlicher Lage waren, so ordneten sie ein Verfahren an, das man die Wasserprobe nannte. Der Angeklagte wurde ins Wasser geworfen. Schwamm er oben, dann ward er schuldig gesprochen und verfiel der Bestrafung; sank er unter, dann ward er ans Ufer gefischt und in Freiheit gesetzt. Für gewöhnlich wird diese Probe nicht mehr angewendet in unsrer Gegend. In unserm Falle aber scheint sie mir sehr zweckmäßig zu sein, und ich erhoffe den dauernden Frieden von ihr.«

Zur Rechten und zur Linken des Redners blieb alles ganz stille.

Endlich brachte der Abt mühsam hervor: »Eine 157 seltsame Probe. Und ich setze den Fall, unser heiliger Antonius versinkt, wie ich gewiß weiß, im See –?«

»Ich wüßte nicht, welche Gefahr daraus folgen könnte,« sagte der Pfleger ganz freundlich. »Denn es wird uns aus dem Leben des heiligen Antonius folgende Legende berichtet: Eines Tages stand er betend am Brunnen im Garten der Predigermönche zu Bologna. Da stach ihn eine nichtswürdige Fliege in den Finger, und es entfiel ihm das Brevier in die Tiefe. Er aber krümmte den Zeigefinger, und das Büchlein entstieg schwebend der Tiefe des Brunnens. Ruhig, als ob nichts geschehen wäre, vollendete der heilige Mann seine Andacht. – Ich bin überzeugt, der wirkliche Heilige braucht nur seinen Finger zu krümmen, und seine, das heißt die wahre und einzig richtige Statue wird alsogleich wieder emporsteigen aus der Tiefe des Sees. So schätze ich, ein weltlicher Kriegsmann und Richter. Und Ihr seid doch gewiß auch der Meinung, Herr Abt?«

Dieser machte ein zorniges Gesicht, öffnete und schloß etliche Male die Lippen und brachte endlich heraus: »Daß er's kann, glaube ich wohl; ob er jedoch vorhat, uns solchen Wunders zu würdigen, vermag ich nicht zu entscheiden.«

»Ei, ei, Herr Abt,« lachte der Pfleger, »das 158 solltet Ihr doch billigerweise in die Hände des großen Wundertäters legen! – Aber damit Ihr erkennet, daß ich auf allerhand Einwände und menschliche Schwachheiten gerechnet habe« – er wandte sich nun zu den Fischern – »spannt das Netz aus!«

Vier kleine Kähne ruderten vor das Amtsschiff, die Männer versenkten ein großes Netz und hielten es fest an den vier Enden.

Mißtrauisch hatte der Abt das schwache Netz betrachtet. Aber es blieb ihm keine Zeit mehr zum Nachdenken. Mit kraftvoller Stimme befahl der Pfleger: »Ihr Andächtigen und Ehrbaren, fahret nun etwas näher an das Netz heran und rüstet euch zur Probe der Heiligen!«

Langsam ruderte das Schiff der Städter vor das Amtsschiff, und langsam glitt das Schiff des Klosters von der andern Seite herzu.

»Es ist nur billig, daß wir dem Heiligen von Seefels den Vorrang lassen,« sagte der Pfleger; »denn er hat den Streit entfacht, und er soll sich reinigen vor dem Heiligen von Seemünster.« Dann aber mahnte er die Gegner mit freundlichen Worten: »Mir dünkt, es geziemt sich, daß ihr den Heiligen selbst anrufet vor euerm Beginnen.«

Da erhoben die Mönche und die andern Klosterleute ihre Stimmen zu einem gewaltigen Gesange.

159 Die Städter wollten auch nicht zurückbleiben, und ihre Pfeifer begannen eine erschütternde Weise zu blasen, und die Weiber im Stadtschiffe taten ein übriges und vereinigten ihre hohen Stimmen zu einem schreienden Gebete. Und auf beiden Seiten schwenkte man die Rauchfässer, daß gar bald die feindlichen Schiffe eingehüllt waren in seinen blauen, wohlriechenden Rauch.

»Es kommt nichts 'raus bei der Probe; denn sie sind beide aus Lindenholz,« murmelte ganz befriedigt der dicke Heiligenprobst im Stadtschiff dem Schultheiß ins Ohr.

Auf seine Fäuste gestützt, umwogt vom schauderhaften Gewirre der Töne, stand lächelnd der Pfleger. Und ganz vorne in den feindlichen Schiffen standen die beiden Heiligen, gestützt von den Armen ihrer Getreuen, und glotzten einander freundlich in die hölzernen Gesichter.

Nun winkte der Pfleger. Da legten sich die Wogen des Gesanges, die Musik verstummte, und auch die Weiber hielten inne mit ihrem Schreien und reckten die Hälse. Lautlos qualmten die Rauchfässer.

»Heiliger Antonius von Seefels,« rief der Pfleger mit schallender Stimme, »beweise uns, wes Kind du bist! Ihr Männer von Seefels, rudert herein über das Netz!«

Da gehorchten die Seefelser und brachten ihr 160 Schiff hart vor des Amtmanns Schiff, hoben ihren Antonius und ließen ihn fallen. Er tat einen gelinden Plumps, die Kutte blähte sich auf und, den Kopf nach oben gerichtet, schwamm, ein wenig schräg, gleichsam inmitten eines großen dunkeln Blumenkelches, der heilige Antonius von Seefels im Wasser.

»Des Teufels!« schrie der Abt. »Des Teufels!« brüllten die Mönche.

»Zurück!« befahl der Pfleger, und langsam ruderte das Stadtschiff aus dem Bereiche des Netzes.

»Heiliger Antonius von Seemünster, nun ist die Reihe an dir!« rief der Pfleger.

»Haltet das Netz fest!« kreischte der Abt auf die Fischer hinab.

Stolz glitt das Klosterschiff herein. Zwei Mönche hoben den Bildstock, die Rauchfässer wurden geschwenkt, noch einmal lächelte das freundliche Gesicht im Tageslichte, dann gab es einen gewaltigen Plumps; hochauf spritzte das Wasser, und wie ein steinbeschwerter Sack mit jungen Katzen versank der Antonius von Seemünster in der Tiefe.

»Meinen Glückwunsch, andächtiger Abt!« rief der Pfleger. Und ein Wutgeheul erhob sich im Schiffe der Städter.

Der Abt aber beugte sich weit über den Bord seines zurückweichenden Schiffes und kreischte angstvoll. »Haltet fest, ihr Männer!«

161 Mit roten Gesichtern standen die Fischer in ihren Kähnen und hielten die Enden des Netzes.

»Heiliger Antonius, bist du schwer!« murmelte einer von ihnen hart unter dem Schiffe des Pflegers.

Einen kurzen, sehr bedenklichen Seitenblick warf dieser auf seinen Getreuen. Der aber stand regungslos neben ihm und zwinkerte fast unmerklich mit den Augen, als wollte er sagen: »Ganz recht so.«

»Ziehet an, ziehet an!« kreischte und spuckte der Abt.

»Halt!« donnerte der Pfleger. »Hier befehle ich!« Dann sagte er ganz freundlich. »Es ist außer allem Zweifel, daß der Antonius von Seefels die Probe nicht bestanden hat. Ihr aber, Andächtiger, wie meinet Ihr –? Das eine Wunder ist unleugbar geschehen; eine Statue, geschnitzt aus Lindenholz, versank vor unsern Augen im Wasser. Wie wär's nun, wenn Ihr den Heiligen anriefet? Wer weiß, vielleicht winkt er, und sein Abbild entsteigt von selbst dem Schoße des Sees?«

Ungeduldig trippelte der Abt von einem Fuß auf den andern und eifrig rief er: »Nein, nein, Ehrenfester, das ginge gegen die natürliche Ordnung der Dinge. Zwei Wunder an einem Tage – das wäre zuviel. Lasset ihn emporheben, unsern siegreichen Heiligen!«

162 »Ich will nicht streiten gegen Euch,« meinte der Pfleger mit gütigem Lächeln. »Also – ziehet ihn heraus!«

Mit allen Kräften zogen die Fischer.

Hart neben dem aufgeblähten Heiligen der Städter tauchte das lächelnde Gesicht seines sieghaften Gegners empor.

»Haltet fest!« kreischte der Abt.

Die Mönche stimmten einen Lobgesang an, die Städter schrien und pfiffen darein, und bis unter die Schultern entstieg der Heilige von Seemünster dem feindlichen Elemente.

Da –! In den Kähnen der Fischer entstand eine Verwirrung. Etliche taumelten zurück. Das Netz war zerrissen unter der schwerer und schwerer drückenden Last, und lautlos war der Klosterheilige abermals in der Tiefe versunken.

Die Mönche drängten sich vorne in ihrem Schiffe zusammen und starrten ihm angstvoll nach. Der Pfleger aber sagte hörbar: »Nun zeigt er uns das Wunder trotzdem zum zweiten Male, andächtiger Abt.«

Dann gab er seinem Getreuen ein Zeichen. Mit einem langen Haken fischte dieser behende den schwimmenden Heiligen von Seefels aus dem Wasser. Befehle erklangen, und unter dem drohenden Murren der Städter wandte sich das Amtsschiff und fuhr 163 den Pfleger nach seiner Burg. Eilig ruderten die Fischerboote hinter ihm drein. –

»So wink ihm doch, Abt, wink ihm doch, dann kommt er wieder heraus!« schrie der Heiligenprobst von Seefels.

Wutbebend stand der Abt und schnappte nach Luft und nach Worten. Endlich kreischte er: »Anathema, Anathema! Wer ist schuld daran? Die Wanzenbäcker sind schuld daran!«

»Die Wanzenbäcker!« schrien die Mönche in unheiligem Grimme einhellig über das Wasser.

Als aber die Städter ihren uralten Spitznamen hörten, begannen sie zu schreien und zu kreischen und sandten ehrenrührige Schimpfworte hinüber zu den Geschorenen.

Lange Zeit wogte der Wortkampf, lange und unentschieden. Zuletzt unterlagen die Mönche; denn ihren heiseren Kehlen entrang sich kein Wort mehr. Drüben, auf der Seite der Städter, waren die Männer zwar auch schon sehr stille geworden; aber die Weiber äußerten ihre Meinung noch immer mit ungebrochener Kraft.

Da gab der Abt das Zeichen zur Heimkehr. Und auch das Stadtschiff wandte sich nach einer Weile zur Rückfahrt.

Hoch stand die Sonne am klaren Herbsthimmel, feiner bläulicher Dunst ruhte über der spiegelglatten 164 Fläche des Sees. Fern im Süden blinkten die schneebedeckten Gipfel der Bergkette.

*

Des andern Tages entsandte der Abt einen Bruder zum Pfleger und ließ ihn fragen, auf welche Weise er den sieghaften Heiligen des Klosters aus der Tiefe zu heben gedächte. Denn erstens müsse der Heilige doch wieder an seinen gebührenden Platz kommen, und zweitens seien etliche Kleinodien an ihm verborgen gewesen, die man unmöglich in der Tiefe des Sees lassen könne.

Da setzte sich der Pfleger und schrieb ein zierliches Antwortbrieflein in lateinischer Sprache:

»Andächtiger Herr Abt. Ich bin weit davon entfernt, Euerm sieghaften Heiligen ins Amt zu greifen; denn es ist mit Bestimmtheit zu hoffen, daß er ohne fremde Hilfe zu seiner gelegenen Zeit unversehens wieder aus dem Wasser emportauchen und an die Pforte Euers Klosters pochen wird. Vermutlich hält er's zurzeit für notwendig, den Fischen unsers Sees zu predigen. – Was die Kleinodien betrifft, so war ich verwundert, derartiges zu hören; denn es ist mir bis heute unbekannt gewesen, daß der heilige Antonius ein Liebhaber solcher Nichtigkeiten sein sollte. Nun kann ich mir wohl denken, daß Euch, Andächtiger, gerade daran besonders viel liegt. Nur weiß ich leider keinen guten 165 Rat in so schwieriger Angelegenheit; denn der See ist an dieser Stelle von ganz beträchtlicher Tiefe. Euch selbst aber kann es an Hilfsmitteln unmöglich fehlen. Sankt Antonius ist berühmt als Wiederfinder verlorener Sachen, und Euer vertrauter Umgang mit ihm gibt Euch auch hier gewiß das Richtige an die Hand. Lebet wohl!« 166

 


 


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