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Und wieder sang die Nachtigall in Lohmanns Busch. Was Neues hat sie nicht gelernt, singt alte, liebe Lieder, alte – liebe – Lieder. Und doch, wenn in holder Maiennacht die alten, lieben Lieder mit süßem Schall in ein efeuumranktes Fenster hineinklingen, so wecken sie im Hall und Widerhall doch etwas Neues – süße, stillverschwiegene Hoffnungen.

Und wieder ging's nach den Worten, die einst im traulichen Waldwinkel ein junges Mädchen einem jungen Bauernburschen aus dem Nachtigallen- und Rosenlied vorlas:

»Sie war doch sonst ein wildes Blut,
Jetzt geht sie tief in Sinnen– –«

Über die Wildheit der jungen Frau hatte Vater Lohmann nun nicht mehr zu klagen. Von unverschämten oder verschämten Lippen sang sie nicht mehr, wenn sie noch einmal sang, waren es schwermütige Weisen vom Scheiden und Meiden. Auch eins von den Sterbe- und Begräbnisliedern des Gesangbuches war darunter.

Einmal hatte sie einen kleinen Auftrag ihres Schwiegervaters vergessen, und sie hörte, wie dieser vor sich hinbrummte, es sollte ihn gar nicht wundern, wenn sie ihren Kopf mal aus Vergeßlichkeit irgendwo liegenließe. Da stürzten ihr die Tränen aus den Augen. »Mit dat Wiewervolk kenn ener sick ut!« knurrte er hinter ihr her.

Am andern Morgen, als er auf die Wiese gehen wollte, um nach dem Stauwerk zu sehen, kam Hinrich sehr aufgeregt hinter ihm her.

»Wat wullt du?« fragte er, stehenbleibend.

»Vader, du bist gistern abend hard gegen min Fro wän,« sagte Hinrich energisch.

»So? Ick heww ehr man seggt, se schöll ehren Kopp man nich ut Vergeternheit mal liggen laten,« sagte Lohmann, spöttisch lachend.

»Und se hett düsse Nacht bet Klok twölf in'n Bed weent, und sä jümmer, ick schöll mit ehr annerwegen hen trecken.«

»Nanu,« brummte der Alte. »Nun geiht se woll van dat Wille up eenmal in dat Weenhaftige und Blarige öwer. Ick will di man seggen, dat is mi noch weniger to paß as dat Utgelatene.«

»Vader, ick bidd' di, wäs in düsse Tied jümmer god mit ehr!« bat Hinrich.

»Junge, dat bin ick ja ok,« sagte der Alte.

»... Vader, freust du di ok 'n bäten?« fragte Hinrich, ihn froh ansehend.

»O ja,« sagte der Vater leichthin.

Hinrich wandte sich um, wobei er von einem Ellernbusch ärgerlich eine Handvoll jungen Laubes abriß. Dieses »O ja« hatte ihn verletzt. – Aber wenn Vater sich auch nicht freute, er wollte sich dadurch die Freude nicht verderben lassen. Und das wußte er ja, die liebe Mutter freute sich mit ihm. Sie sah ihn manchmal so glücklich an.


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