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Karo lief schwanzwedelnd und allerhand geheimnisvolle Düfte einschnubbernd durch den Loher Wald. Plötzlich, als ob er sich besonnen hätte, bog er rechts ab und verschwand in dem dichteren Unterholz. »Er kennt den Weg noch,« sagte fröhlich lachend Hinrich Lohmann, der mit seiner jungen Frau – es war am Tage nach der Hochzeit – hinter dem braven Vierfüßler her durch den Wald kam. Und nun bog er das Dickicht auseinander, so daß ein grünes Tor entstand, ließ seine Frau eintreten und folgte dann selbst. Und nun waren sie wieder an ihrer alten, lieben Stätte.

»Hier hast du damals gesessen, im Mai, als die Nachtigall sang,« sagte Hinrich, sie zu ihrem alten Plätzchen leitend. »Und ich setze mich wieder hierher.« »Aber ein bißchen näher heran als damals,« bat sie schelmisch. »Ja, ganz nahe heran!« sagte er mit hellem Aufleuchten seiner Augen und schmiegte sich eng an ihre Seite.

Es war einer jener herrlichen sommerlichen Nachmittage, wie der Herbst sie zuweilen noch einmal beschert. Von oben flutete goldigstes Licht in den Waldwinkel, und goldig glitzerte das Bächlein, das hier und da zwischen dem Buschwerk sichtbar wurde. Goldige Farbentöne sterbender Blätter mischten sich in das müde Grün, das noch die Vorherrschaft hatte. Zuweilen löste sich ein goldiges Blättlein und schwebte leise zur Erde. Und in all diesem flimmernden, fließenden, fliegenden Gold saßen stummselig die beiden glücklichen Menschenkinder, und vor ihnen lag, im Bunde der dritte, auf weichem Moosteppich der Hund, dessen lange, braune Haare die Herbstsonne ebenfalls vergoldete, behaglich hachelnd.

»Du,« sagte Hinrich, endlich ein langes, glückliches Schweigen brechend, »weißt du, wer uns beide eigentlich zusammengeführt hat?«

»Na?«

»Karo,« sagte Hinrich.

Karo dankte für diese Anerkennung durch Schwanzwedeln.

»Ich hatte in diesem dichten Busch nichts zu suchen und hätte dich nie hier gefunden, da hat Karo dich aufgestöbert,« fuhr Hinrich fort, »Karo, du alter guter Ehestifter, komm mal her!«

Karo näherte sich, verlegen ums Maul leckend und langsam mit dem Schwanz wedelnd, und legte die Vorderpfoten seinem Herrn auf die Knie. Der aber nahm seinen Kopf zwischen beide Hände und tollte ihn liebkosend: »Hab Dank, alter Kerl! Wenn du mir auch manchen Junghasen totgebissen hast, das hast du auf einmal alles wieder gutgemacht.« »Auch von mir hab' schönen Dank, mon ami, mon ami,« sagte die junge Frau, dem Hunde das Fell streichelnd. Und Karo machte sich schnell daran, die Stiefel seiner neuen Herrin zu belecken. Seine gute Nase hatte ihm längst verraten, daß diese mit einer sehr aromatischen Wichse behandelt waren.

»Glaubtest du damals, als Karo mich hier aufstöberte, daß du was Rechtes gefunden hättest?« fragte die junge Frau und sah dabei ihren Mann schalkhaft von der Seite an.

»Das ist so 'ne Frage ...« meinte er, verschmitzt lächelnd. »Und du?«

»Ich habe mich furchtbar geärgert, daß ihr beiden mein heimeliges Versteck entdeckt hattet. Na, und als du dich mit meinem Gedicht befaßtest! – – Weißt du noch, wie's anfing?«

»Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen.
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen,«

sagte Hinrich mit schlichtem, warmem Empfinden.

»Kuck mal an! Wie schön du das behalten hast! Und wie fein du das nun sagen kannst! Aber damals war's, als wenn einer mit Holzschuhen durch ein feines Blumenbeet trampt.«

»Du bist ja sehr aufrichtig. Dann will ich dir auch ehrlich sagen, was ich gedacht habe. Als du mit deinem Zungenschlag über alles und noch was dazu deine Meinung abgabst, mußte ich immer an die großen, weißen Vögel auf unserm Hof denken, die so 'n schönen langen Hals haben und sich immer in einem fort was erzählen: Schnatt, schnattschnatt.«

Ein schallender Klaps traf seine Hand. Mit einem »Au!« zog er sie zurück.

»Aber etwas anderes war auch schon mit dabei,« fügte er in verändertem Tone hinzu.

»Bei mir auch ...« sagte sie nachdenklich.

Da blickten sie sich an und suchten dieses Etwas in ihren Augen und sahen es still leuchten und freuten sich.

Da fielen Hinrich, wie er so in ihre Augen schaute, plötzlich die Worte des Gedichts ein, das er damals hier zum besten gegeben hatte. »Wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön.« Und auf einmal verstand er das ganze Gedicht. »Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn,« sagte er fein und zart, so ganz anders als vor vier Jahren, »und da habe ich das allerschönste Blümlein der ganzen Welt gefunden, und gestern habe ich's bei mir eingepflanzt, und da zweigt's und blüht's so fort.«

Und sie hielt nicht wie einst ein Examen über Literaturgeschichte, sondern sagte nur: »Du lieber, guter Gärtner du!«

Da nahm der Gärtner das Blümlein und küßte es, dreimal, ganz fein und zart ...

Er hatte ihre Hand in der seinen behalten und betrachtete mit Verwunderung das schmale, wohlgestaltete Ding, das sich von der rauhen, braunen Umfassung so weiß und fein abhob. Und das gehörte ihm nun? War's möglich? war's nicht nur ein schöner Traum? Er drückte die kleine Hand, da sagte die Besitzerin »Au!«, da öffnete er die mächtigen Arme und drückte den ganzen herrlichen Besitz fest an sich. Nein, es war kein Traum. Es war volle, ganze Wirklichkeit ...

Nun saßen sie wieder still nebeneinander, und die junge Frau schaute sinnend auf ein nahes Fuhrenbäumchen. Es war dasselbe, das ihr mit seinem Knick und trotzdem fröhlichen Wachstum vor einem Jahr, als sie von dieser Stätte Abschied nahm, allerlei Tröstliches gesagt hatte. Auch in diesem Frühling hatte es wieder einen tüchtigen Schuß gemacht.

Sie fuhr mit der Hand wie liebkosend an seinen Nadeln entlang und fragte: »Kannst du dich auf dieses Bäumchen besinnen?«

»Nee,« lachte Hinrich, »das kannst du nicht verlangen, hier gab's damals was Schöneres zu sehen als so'n ollen Fuhrenkröppel.«

»Ja, gebrochen ist das Bäumchen,« fuhr sie ernsthaft fort, »und Harz fließt aus der Bruchstelle. Aber dennoch ist es fröhlich weitergewachsen. Es hat doch wieder den Kopf nach oben gekriegt ...«

»Warum sagst du das?« fragte er, jetzt auch ernsthaft.

»Ich denke an mich und an mein Leben ... Durch das, was damals mit drin war, bin ich aus dem Träumen und Schwärmen herausgewachsen ... Weißt du noch, was für eine Predigt du mir das zweitemal gehalten hast, von den Immen und Drohnen? ... Da fing das Bäumchen an, mit dem Leben zu kämpfen. Dann aber kam der Sturm und brach es ab ... Aber in solchen Zeiten sieht man dem Leben auf den Grund und guten Menschen ins Herz. Und nicht bloß guten Menschen, auch dem Herrgott. Du, soll ich dir mal was sagen? Ich habe früher nicht viel von ihm gewußt. Ich wußte eigentlich nicht mal ganz gewiß, ob's überhaupt einen gäbe. Aber seit der Nacht, in der ich mit deiner Mutter am Sterbebette meines Vaters stand, glaube ich an ihn. Hinrich, wenn's keinen Herrgott gäbe, dann gäbe es auch ganz gewiß keine solchen Menschenkinder wie unsere Mutter.«

Hinrich sah ihr verwundert in die Augen. Daß sie leuchtende Augen hatte, wußte er ja längst. Aber ein so tief heraufkommendes und so warm zu Herzen gehendes Leuchten hatte er in ihnen noch nicht gesehen. Es war ein großes, stilles Leuchten. Er dachte an seine Mutter und an den Herrgott und an seine Frau, und seine Gedanken und die heißen Gefühle seines Herzens gingen zwischen diesen dreien immer hin und her, und er sagte kein Wort und saß feierlich an ihrer Seite ... So tief als in dieser halben Minute, da sie schweigend nebeneinander auf der Thymianbank saßen, hatten die beiden ihr junges Glück noch nicht empfunden. Es war etwas Großes, Unnennbares mit darin, es war Seligkeit und Ewigkeit zugleich.

Endlich fuhr sie leise fort: »Und der liebe Gott und gute Menschen haben mir geholfen, daß ich den Kopf wieder in die Höhe gekriegt habe ... Und das, was alle die Zeit im Herzen gesessen hat ...«

»Die Liebe,« sagte Hinrich bewegt. »Und die soll uns auch weiter helfen ...«

»Dann laß die Stürme nur kommen!«

»Was meinst du?« fragte sie und sah ihn verwundert an.

»Dann können die Stürme kommen,« wiederholte er.

»Stürme, jetzt? Ich meinte, nun wären wir im Hafen.«

»Wir werden es nicht leicht haben,« sagte Hinrich düster.

»Wie du auf einmal bist!« sagte sie ängstlich.

»Es ist am besten, wir machen uns gleich heute die Sache klar ... hast du gestern Vater wohl mal angesehen?«

»Ja, öfter als einmal. Es schien, er fühlte sich nicht ganz wohl.«

»Es ist ihm furchtbar schwer geworden, uns seinen Segen zu geben.«

»Soo? Er schrieb mir doch für seine Art ganz lieb und herzlich ... Ich meinte, nun wäre alles gut.«

»Wir beide werden es nicht leicht haben,« sagte Hinrich wieder und sah ernst vor sich hin.

»Nun, wenn ich seine Liebe noch nicht habe, muß ich sie mir durch Liebe gewinnen,« sagte die junge Frau mutig und warm.

»Ja, aber nun darfst du nicht denken, daß du den ganzen Tag mit Papa, Papachen, Väterchen, Vatting um ihn herum sein mußt. Das hält er für Albernheit, und es ist ihm in der Seele zuwider. Und denn wollen wir uns, wenn er dabei ist, doch nicht küssen ... Ein Kuß von dir ist ja das süßeste, was es auf der Welt gibt« – und gleich holte er sich deren drei – »aber Vater hält solche Küsserei für Kinderei.«

»Was?« rief sie mit komischem Entsetzen, »nicht mal küssen dürfen sich bei euch Mann und Frau? Und nicht mal in den Flitterwochen?«

Hinrich antwortete ernst: »Du bist in ein Lüneburger Bauernhaus gekommen, und da hilft alles nichts, du mußt dich an Lüneburger Bauernart gewöhnen. Nicht gerade meinetwegen. Ich mag dich just so am liebsten, wie du bist und dich gibst. Aber wegen Vater und Mutter, vor allem wegen Vater. Die beiden sind alt und können sich an fremde Art nicht mehr gewöhnen. Aber wir beide sind jung. Wir können uns eher schicken. Und als Kinder müssen wir's auch. – Es ist nichts schrecklicher, als wenn in einem Hause die Alten und die Jungen nicht miteinander auskommen können. Wenn das auch bei uns so werden sollte, bin ich dafür, daß wir einpacken und uns anderswo unser Brot suchen ...«

»Hier von diesem schönen Hof weg?« rief die Frau erschrocken. »Das kann doch keiner verlangen. Du bist ja der Erbe.«

»Ja ... das bin ich woll,« sagte Hinrich gedehnt. Dann fügte er lebhafter hinzu: »Wir wollen ja auch hoffen, daß alles gut geht. Die Hauptsache ist, daß wir beiden erst einmal treu zusammenhalten ... Nicht wahr, du nimmst mir's nicht übel, wenn ich dich die nächste Zeit mal so'n bißchen in die Schule nehme?«

»Also ewig an mir herummäkeln und herumerziehen willst du?« schmollte die junge Frau. »Das sind ja schöne Aussichten.«

Hinrich sagte sehr ernst: »Du mußt dich an des Landes und Hauses Brauch gewöhnen, in das du hineingefreit hast. Da hilft alles nichts. Du kannst nicht verlangen, daß wir uns alle nach dir umwandeln. Vater will ein Bauer bleiben, und glaub' mir, ich will's auch. Auch ich habe keine Lust, den feinen Herrn und Gutsbesitzer zu spielen. Solche haben wir hier in der Heide schon genug gehabt. Aber von Bestand ist solche Art nicht.«

Sie rückte von ihm ab, sah ihn entsetzt an und rief: »Heinrich!«

Er sah ihr erschrocken ins Gesicht. Dann sagte er: »Vergib! An deinen Vater habe ich dabei wirklich mit keinem Gedanken gedacht. Ich wollte bloß sagen, wir Lohmanns wollen Bauern bleiben bis an den jüngsten Tag, und dagegen kann auch meine lüttje Frau nichts machen. De mutt nu mal mit de Buern buersch leben.«

»Aber Heinrich, man muß doch auch für den gesunden Fortschritt sein.«

»Bitte, Kind, nenn' mich nicht immer Heinrich! Ich heiße, wie mein Großvater geheißen hat, Hinrich.«

»Hinrich – aber das ist ja plattdeutsch, und wir sprechen doch hochdeutsch miteinander,« stieß sie heraus.

»Du hast nun mal einen Plattdeutschen und einen Hinrich geheiratet, wenn dir der bäuerische Hinrich nicht paßte, mußtest du dir das früher überlegen.«

»Na, man nicht gleich so grob! Also Hinrich – Hinrich, Hinrich, daß ich's behalte – ich meine, wir Bauersleute brauchten doch nicht gegen den gesunden Fortschritt zu sein.«

»Wollen wir auch gar nicht. Ein Ackerstück, das etwas feucht liegt, haben wir vor zwei Jahren dräniert. Bei deinem Vater hatte ich gesehen, wie gut das ist für das Land. Und künstlichen Dünger brauchen wir nun auch viel, wir haben bei euch gesehen, wie Hafer und Klever danach geilt. Und auch sonst ist Fortschritt. Als ich ein ganz kleiner Junge war und die Großeltern noch das Regiment hatten, wurde eine große Suppenschüssel mitten auf den Tisch gestellt, und da langte alles mit den Holzlöffeln hinein, alt und jung, Herrschaften und Dienstboten.«

»Igittegitt, das könnte ich nicht, und wenn mir einer hundert Mark gäbe,« meinte sie, zusammenschaudernd.

»Na, so schlimm ist das doch nicht. Menschen sind wir ja alle. Aber das ist ja nun auch bei uns großen Bauern nicht mehr Mode. Jeder hat seinen eigenen Teller und Messer und Gabel. Du siehst also, auch bei uns Bauern ist Fortschritt.«

»Aber immer langsam voran, immer langsam voran, daß der Lüneburger Bauer mitkommen kann,« trällerte sie.

Es verdroß ihn, daß sie seine Bitte so wenig ernst nahm. Deshalb legte er seine Hände fest auf die ihren, die sie im Takt der Melodie auf und ab bewegt hatte, und wiederholte mit Nachdruck: »Ja, das stimmt: immer langsam voran! Alle Neuerungen allmählich und ganz vorsichtig! Denke immer daran, noch ist mein Vater der Bauer und meine Mutter die Frau. Ich bin eigentlich nur der erste Knecht ...«

»Und ich? Ich bin dann wohl die erste Magd?«

»Ja, so ist es ganz genau.«

»Na, nun sage ich gar nichts mehr,« sagte die junge Frau, sich abwendend. Hinrich wußte nicht, war das Scherz oder Ernst.

»Es ist nun mal,« sagte er, »ein Haushalt, und da können nicht zwei Herren und zwei Frauen das Kommando haben. Das wird ja später anders, nach ein paar Jahren, wenn Vater abgibt und aufs Altenteil zieht. Aber fürs erste ist es einmal so, und ich bitte dich von Herzen« – dabei drückte er ihre Hände, die er festhielt, mit einem warmen, starken Druck – »schicke dich da hinein! Sonst wird's böse. Tu's mir zuliebe! ... willst du?«

Sie sah ihm in die ernsten, bittenden Augen und sagte dann: »Ja, dir zuliebe tue ich alles.«

Da schloß er sie in die Arme und jubelte: »Das wußte ich ja. Diese ganzen Wochen hat mir dies wie ein Stein auf dem Herzen gelegen. Und nun freue ich mich, daß er herunter ist ...«

Sie sah ihn verwundert an. Endlich schien es ihr aufzudämmern, wie wichtig ihm die Sache war ...

Sie erhoben sich und traten den Rückweg an. Die junge Frau hängte sich in den Arm ihres Mannes, und dieser drückte den ihren fest an sich. »Hier im Busch, wo's keiner sieht,« sagte er lächelnd, »dürfen wir uns auch mal einhaken.«

»Dürfen wir das denn sonst nicht?« fragte sie verwundert.

»Nee, das würde schönen Spektakel geben!« rief Hinrich. »wenn der Bauer mit seiner Frau über Land geht, dann marschiert er vorauf und sie drei Schritt hinterher.«

»Was habt ihr hier für entsetzliche Moden!« rief sie, mit dem Fuße einen Tannenzapfen fortschleudernd. »Und diese Verrücktheit wollen wir auch mitmachen?«

»Nee,« sagte Hinrich, über ihre Aufregung belustigt, »wir wollen's ruhig wagen, nebeneinander zu gehen, aber einhaken wollen wir uns nicht.«

»Aber Hinrich, wozu ist man denn bloß Mann und Frau, wenn man sich nicht mal einhaken und küssen darf?«

»Och lüttje Kind,« begütigte er sie, indem er ihre Hand streichelte, »reg di man nich up! Et giwt jo ok Tieden und Gelegenheiten genog, dar schert wi uns den Dübel wat um de Minschen und ehre Moden.« –

Tags darauf, am ersten Sonntag der Ehe, hielt das junge Paar nach der Sitte der Gemeinde seinen »Kirchgang«. So ist's seit alters in Wiechel: der erste Besuch der Jungverheirateten, und später der erste Besuch der jungen Mutter, gilt dem Herrgott in seinem Hause.

Bruder Diedrich fuhr, Hinrich saß im blitzblanken Hochzeitszylinder neben seiner Frau. Potztausend, wie hatte sich in den wenigen Tagen die Welt geändert! Von den Fußgängern, die das flotte Gefährt überholte, griffen einge wirklich und wahrhaftig an die Mütze. Das machte die neue Würde, die von dem glattgebürsteten Zylinderhut strahlte, das machte die junge Frau, die freundlich lächelnd zur Rechten und zur Linken grüßte, das Leben und das Glück in den Augen.

Die sauber gestriegelten Braunen mit dem frisch lackierten Lederzeug trappelten in munterer Gangart über das Straßenpflaster von Wiechel und hielten mit scharfem Ruck vor Cord Stallboms Gasthaus.

Als das Pärchen ausstieg, nahm die Frau unwillkürlich des Mannes Arm. Der aber machte sich leise frei, und sie lächelten sich zu.

Bei Cord Stallbom waren vor der Kirchzeit zwei lange Kaffeetische gedeckt, einer für die großen Bauern im »Entreezimmer«, und ein zweiter in der Gaststube für die kleinen Leute. Je nach dem Stande stärkte man sich hier oder dort für den langen Gottesdienst durch eine Tasse Kaffee und ein stück Butterkuchen.

*

Die beiden traten in das Entreezimmer. Er voran, so gehörte sich das hier. »Gon Dag alltohopen!« rief er frisch in den Kreis hinein. »Guten Dag!« echote seine Ehehälfte hinter ihm. Vom Tisch antwortete ein reserviertes Grummeln, und einige scheue Blicke, die man auch für mißtrauische halten konnte, flogen den Eintretenden entgegen. Hinrich führte seine Frau an einen unbesetzten Platz der Frauenseite und sagte: »Na, Rungenmudder, min Fro kann ja woll bi Jo sitten.« Diese führte gerade die Kaffeetasse zum Munde, gab aber durch ein schwaches Kopfnicken zu erkennen, daß sie keinen Widerspruch erhob. Er begab sich an das obere Ende des Tisches, wo die Männer saßen.

Die junge Frau hatte auf dem Vorplatz bei einem Blick durch die sich zufällig öffnende Tür den Eindruck gehabt, daß drinnen eine muntere Unterhaltung im Gange war. Jetzt war diese gänzlich verstummt; nur bei den Männern fiel, von Hinrich hervorgerufen, hin und wieder eine Bemerkung. Die Frauen, alte und junge, saßen stocksteif auf ihren Stühlen und führten abwechselnd die Tasse und den Butterkuchen zum Munde. Die neugebackene Bauersfrau hatte das Gefühl, daß sie etwas sagen müßte. Aber sie scheute sich, ihr Hochdeutsch in diese plattdeutsche Gesellschaft hineinplumpsen zu lassen. Und wie leicht konnte denn auch etwas über ihre Lippen kommen, was zu sagen bei dieser Gelegenheit keine Mode war! Es überfiel sie ein Frieren bei dem Gedanken, daß sie nun alle ihre Lebtage diesem ihr so fremden Kreise angehören sollte. Ja, Hinrich, der paßte zu diesen Leuten, aber sie würde unter ihnen ewig eine Fremde bleiben.

Einige der Frauen standen auf und nahmen aus einem Wandschrank Hutschachteln. Aus diesen hoben sie sehr behutsam ihre Hüte, die sie sich dann unter gegenseitiger Hilfeleistung aufsetzten. Die Fremde sah verwundert diesem Beginnen zu. Also diese guten Frauen brauchten ihre Hüte nur für den lieben Gott am Sonntagmorgen, alle übrige Zeit ruhten diese friedlich in Cord Stallboms Wandschrank. Das ist praktisch und sparsam, dachte sehr belustigt die junge Frau und suchte durch Augenzwinkern Hinrichs Aufmerksamkeit auf die ergötzliche Kopfbedeckungsszene zu lenken. Aber der machte ein fragendes, verständnisloses Gesicht. – Er war doch eigentlich auch ein rechter Bauer.

Hinrich sah nach seiner Uhr, stand auf und sagte leise zu seiner Frau: »Wir müssen jetzt.« Schnell erhob sie sich, murmelte etwas wie Adieu und atmete erleichtert auf, als sie die Tür hinter sich hatte.

Sie gingen quer über die Straße zum Pfarrhaus, hier ließ Hinrich seine Frau vorantreten; denn das wußte er auch, daß es sich hier so gehörte.

»Ach, da sind Sie ja, liebe Frau Lohmann,« jubelte die kleine kregele Frau Pastorin und nahm ihre beiden Hände, »guten Morgen, junger Ehemann! Bitte, treten Sie hier herein! – liebes Kind, wie gefällt es Ihnen denn in Lohe und in dem jungen Ehestand? Ach, es war so eine reizende Feier, Ihre Hochzeit. So urgemütlich, ... ich mag die alten großen Riesenhochzeiten gar nicht. Das sind ja doch bloß Abfütterungen. Aber bei Ihnen war's zu nett. Mein Mann und ich haben gestern noch den ganzen Tag davon gesprochen ... Und nun will ich Ihnen schnell eine Tasse Bouillon holen. Mein Mann macht's etwas lang in der Kirche. Damit stärke ich ihn immer, daß er's aushält. Lohmann, wollen Sie nicht erst zu meinem Mann gehen? Nachher, wenn's läutet, geht er gleich in die andere Stube und segnet die Wöchnerinnen ein.«

Hinrich begab sich in die Studierstube, um den Pastor zu bitten, daß er ihn und seine Frau »mit ins Gebet nähme«, die alte Dame zuckelte mit ihren kurzen Schritten in die Küche, und die junge Frau saß gemütlich lächelnd in ihrer Sofaecke und sah sich in dem behaglich eingerichteten Raume um. Ja, hier war's gemütlicher als drüben im Entreezimmer. Hier wurde es einem warm ums Herz, wenn auch an diesem frischen Oktobermorgen nicht geheizt war. – Es ist doch eine schöne Sache um etwas Geschmack und Bildung. Lohmanns und auch der gute Hinrich ...

Weiter kam sie mit ihren Gedanken nicht, denn Hinrich trat durch die eine Tür ein, und durch eine andere die Frau Pastorin mit zwei dampfenden Bouillontassen. Und nun saß das junge Paar im Sofa, und Frau Pastorin vor ihnen im Sessel, und ihre herzensguten, lebhaften Augen sprangen von einem zum andern, und sie schwärmte von dem Glück und der Seligkeit der Flitterwochen, und die beiden, die diese glückselige Zeit eben durchkosteten, hörten lächelnd zu – daß sie so schön sei, hatte Hinrich kaum gewußt –, und die Sonne lachte ins Fenster, und die Glocken läuteten jubelnd darein, und der Kanarienvogel im Bauer schmetterte sein schönstes Lied.

Es hatte schon einige Minuten ausgeläutet, als Hinrich sagte: »Frau Pastorin, nun müssen wir aber zur Kirche. Sonst schilt Herr Pastor.«

Durch den Pfarrgarten gingen sie Arm in Arm. Keiner dachte in diesem Augenblick daran, daß sich das nicht gehörte. Und es hat's zum Glück auch niemand gesehen, außer der Frau Pastorin, die ihnen bis vor die Tür das Geleite gegeben hat. Und die hat's auch nicht gesehen.

Nun schreitet das junge Paar durch den Hauptgang der Kirche, und Hinrich gibt seiner Frau einen leisen Wink nach dem Frauenstand des Lohhofes hin. Aber ob sie das nicht verstanden hatte, oder verwirrten sie die vielen auf sie gerichteten Augen, oder tönten Frau Pastorins Schalmeien noch in ihrer Seele nach, genug, als Hinrich seinen Zylinder vor sein Gesicht hält, um zu beten, da fühlt er sie zu seinem Entsetzen neben sich, und als er sich setzt, da läßt sie sich neben ihm nieder. Hinrich wünschte in diesem Augenblick seine Frau auf den Blocksberg. Was machte das nun wieder für ein Aufsehen! Ein alter Bauer, der aus seinem Gesangbuch mächtig dröhnend sang, blickte ihn unter der Brille weg ernst und mißbilligend an und sah, den Kopf reckend, zu dem Frauenstand hinüber, als wollte er sagen: »Dar gehört se hen.« Katenlene, die halbschräg vor ihnen saß, wandte alle Augenblicke ihr hämisches Gesicht um und tuschelte mit ihrer Nachbarin. Einige dumme Deerns drehten sich um und lachten.

Hinrich biß sich vor Ärger die Lippen fast blutig. Daß die Menschen auch so kleinlich waren! Aber die sind nun einmal so! Daß seine Frau sich so gar nicht an die rechten Sitten gewöhnen konnte! Das konnte doch ein Kind sehen, daß die Männer und Frauen getrennt saßen! Am liebsten hätte er ihr einen kleinen Stoß in die Seite gegeben. Es zuckte ihm schon dazu im Arm.

Drüben saß Hinkens Gretschen mit ihrer Mutter ... Wenn er die ... pfui! Solche Gedanken zwei Tage nach der Hochzeit, und dazu in der Kirche? – Und nun zwang Hinrich Lohmann sich, auf die Predigt zu hören. Die war schon eine gute Viertelstunde im Gange, aber bislang hatte er nichts von ihr mit Bewußtsein aufgenommen. Nicht einmal auf den Text konnte er sich besinnen. Aber als er nun aufpaßte, merkte er bald, welcher es war. Der ehrwürdige Weißkopf dort oben predigte über das Evangelium des Sonntags: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen deinen Kräften, und deinen Nächsten als dich selbst. Das erste hatte Hinrich ja verpaßt, aber nun sagte der Ate: »Gott lieben und dann auch: Zweitens, lieben das Gottesgeschenk – den Nächsten ...« Und da auf einmal fiel ein Wort nicht bloß in Hinrichs Ohren, nein, in seine Seele: »Du Mann, dein herrlichstes Gottesgeschenk ist dein Weib, und du sollst es lieben als dich selbst, ach, was sage ich! viel, vielmal mehr als dich selbst ...« Der Prediger ging dann schnell weiter und suchte den Nächsten in immer weiteren Kreisen, zuletzt bei den Betschuanen in Südafrika. Aber so weit konnte Hinrich heute nicht mitspazieren. Er blieb bei seinem größten Gottesgeschenk, bei seiner Allernächsten, deren Arm warm an seinem lag.

Nun freute sich Hinrich, daß sie sich an seine Seite verirrt hatte, daß sie ihm nun auch im Raum die Allernächste war, – trotz Katenlene und der ganzen Gemeinde Wiechel.

Hinrich hatte hier in seinem Kirchenstuhl vom lieben Herrgott ja schon viel gehört, aber noch niemals hatte er ihn sich so nahe gefühlt als in dieser Stunde. In seinem Geschenk war er ihm so nahe gekommen. Nun schien es ihm auch gar nicht so schwer, ihn selbst zu lieben von ganzem Herzen, obgleich er nichts davon gehört hatte, wie der Pastor das in dem ersten Teile ausgelegt hatte.

In der Kirche waren viele Menschen. Einige schliefen, einige rechneten, andere machten Pläne, andere hörten und dachten, andere nahmen das Wort auf in einem feinen, guten Herzen, – aber durch zwei junge Seelen läutete es mit jedem Herzschlag: mein Gottesgeschenk, mein Gottesgeschenk, mein Gottesgeschenk! Und das läutete von Seele zu Seele, obgleich kein Blick und auch nicht die leiseste Bewegung es verriet. – –

Nun saßen die beiden wieder im Wagen, und keiner sagte ein Wort. Denn noch immer läuteten die leisen, heimlichen Glocken, und sie hatten keine Lust, dieses feine Läuten, das durch die Seele ging, mit platten Alltagsworten zu stören. Aber auch solche Stunden, da es tief drinnen klingt wie Himmelsglocken, gehen zu Ende, und das äußere Leben mit seinen Kleinigkeiten und Nichtigkeiten drängt sich wieder vor und fängt wieder an, zu schwatzen und zu lärmen.

»Du, wenn wir nun wieder zur Kirche fahren, können wir dann nicht direkt vom Wagen in die Kirche gehen?« fragte die junge Frau.

»Warum?« fragte Hinrich.

»Ach, ich mag dann doch noch nichts wieder essen und trinken ...«

»Was du nicht magst, Kind, das läßt du ruhig liegen. Es ist Mode, daß wir uns bei Lord Stallbom eben guten Tag sagen.«

»Zum Kuckuck mit euren alten verrückten Moden! Man kann keine fünf Schritte gehen, so purzelt man auch schon über sechs unsinnige Moden. Ich finde es einfach entsetzlich, wie ein Ölgötze zwischen all den steifen Beginen zu sitzen, Stallboms Blümchenkaffee zu trinken und seinen fürchterlich dicken Butterkuchen hinunterzuwürgen.«

»Steife Beginen?« fragte Hinrich, durch ihre Worte unangenehm berührt. »Was ist denn das? Wie ihr Vornehmen, so sind unserer Art Leute nicht, daß wir uns gleich jedem Fremden mit süßem Lächeln und süßen Worten an den Hals werfen, und nachher ist nichts dahinter als Falschheit. Wir sehen uns erst unsere Leute an. Wenn wir aber Vertrauen zu ihnen gefaßt haben, schließen wir uns auf, und wer dann nicht mit uns auskommen kann, na, bei dem ist's eigene Schuld. Neben dir saß Rungenmutter. Sie ist noch so was 'ne Tante von mir – und von dir nun auch. Ich sage dir, ein solch gutes, treues Menschenkind kannst du lange suchen.«

»Die – ist – meine Tante? ...« sagte die junge Frau gedehnt.

»Natürlich,« lachte er, »meine Tante deine Tante. Das ist nun mal so bei Mann und Frau. Und auf eine solche Tante kannst du stolz sein.«

Sie sah sehr wenig stolz aus und sagte nichts darauf.

Nach einer Weile fragte sie: »Du, war das recht, daß ich in der Kirche bei dir saß?«

»Nein,« sagte er, »es war ganz gegen die Mode. Es wird jetzt wieder schön darüber hergehen. Mir war's erst auch sehr unangenehm.«

Die junge Frau schluckte einen erneuten Jammerruf herzhaft hinunter, fragte aber spitz: »Du sag' mal, gibt's denn keinen Knigge über den Verkehr mit Bauern?«

»Weiß nicht, was du meinst,« brummte er. »Hier muß einer, der nicht bei uns groß geworden ist, die Augen aufmachen und sich schicken.«

Beide schwiegen.

»Du, Hinrich, ich will dir mal was sagen,« begann sie endlich wieder. »Du bist ja Soldat gewesen und bist sonst ein fixer Mensch, aber in einem Stück bist du doch ein rechter Feigling.«

»Nanu!?«

»Daß du so furchtbar bange bist vor den Leuten. Daß du immer Angst hast, daß wir mal etwas tun, was nicht alle Leute just so machen.«

»Wenn ich das wäre, was du meinst, dann wärest du niemals meine Frau geworden. Das war ganz gegen die Mode, so eine zu nehmen, wie du bist ...«

»Ach, ich meine das nicht von den großen Dingen ... Aber in den kleinen Dingen, im täglichen Leben, da bist du ein Bangeböx und hast immer Angst vor den Moden.«

»Och Menschenkind,« rief er unwillig und ärgerlich, »nun schweig doch endlich still von deinen Moden! Die gelten nun einmal. Und ein Bauer will ich bleiben, das habe ich dir gestern schon gesagt. Und eine Bauersfrau mußt du werden und mußt dich schicken. Gestern hast du mir versprochen, mir zuliebe wolltest du es tun. Denk' doch an dein Versprechen!«

Sie erschrak über seinen Ton, und wieder merkte sie, wie wichtig ihm diese Kleinigkeiten waren. Schmeichelnd legte sie die Hand auf seinen Arm und bat:

»Bester Hinrich, sei nicht böse! Ich will das ja auch alles lernen. Habe nur Geduld mit deinem dummen Frauchen!«

»Ist gut,« brummte er, nur halb versöhnt, »aber dann mußt du auch nicht immer mit dem Kopf gegen Mauern anrennen und mußt dir sagen lassen.«

Nach einer Weile sagte er, jetzt wieder ganz freundlich: »Schade, daß du kein Plattdeutsch kannst!«

»Ja, das habe ich heute auch schon gedacht,« meinte sie nachdenklich, »Verstehen kann ich fast alles,« fügte sie hinzu.

»Willst du nicht auch lernen, Platt zu sprechen?« fragte er.

»Och! Das Hochdeutsche ist doch nun mal meine Muttersprache.«

»Aber das Plattdeutsche ist deines Mannes und deines Hauses Sprache.«

»Ob ich's wohl lernen könnte?«

»Natürlich. Du hast ja Englisch und Französisch gelernt. Das ist nun alles für die Katz! Plattdeutsch ist sicher viel leichter zu lernen, und damit ist uns wirklich geholfen, dir und uns allen. Dieses Mischmasch von Hoch und Platt in unserem Hause ist schrecklich.«

»Jaa ...«

»Willst du's Vater nächsten Sommer nicht zum Geburtstag schenken, daß du von da an Platt sprichst?«

»Man to,« sagte sie, sich nach kurzem Besinnen mit einem Ruck zu ihm wendend und ihn anlächelnd.

»För'n Anfang all ganz god,« sagte er vergnügt. »Und denn wöt wi man glieks 'n bäten School holen, dat wi 't bet dorhen binnen kriegt.«

Sie sah ihn erwartungsvoll an.

»Wat is dat för 'n Bom dar achter?« fragte er, mit dem Finger nach rechts weisend.

»Dat is 'n Eckernbom.«

»Nee, dat is nich ganz recht. Eekbom nennt he sick, und Eckern hett he up sick ... Und wat sünd dat för Büsch up de Heide?«

»... Wacholder.«

»Ganz verkehrt. Machandel sünd dat... Wat för 'n Deert hett de lüttjen Irdklumpen dor up de Wischen upsmäten?«

»Dat hett de Mulworf gedan.«

»Nee, nee, min beste Deern, dat hett de Windworm dan ... Wo heeten de lüttjen roden Deerter, de in unsen Busch so fardig hurtig, schnell. den Bom rupneiet und van Telgen Zweig. to Telgen springt?«

»Dat sünd de Eekhörnken.«

»Nee, nee, Kind, dat sünd de Katheker, nich to verwesseln mit'n Afteker. Dat is ja ok 'n bannig flinken Keerl, wenn he in sin Afteken de Ledder rupneiet, abers de Katheker sünd em noch öwer ...

Wat is dat för 'n lütt Kropptüg, wat in den Busch so grote Barge ut Dannennadeln tohopen sleppt und den ganzen Sommer so flietig is, just so flietig as de Immen?«

»Meenst du de Amisen?«

»Nee,« lachte Hinrich, »dat sünd keen Amisen, dat sünd de lütten Miegimken. De wecken nennt jüm ok Hatzkaders, weil se't so ielig hewwt.«

»Das ist ja eine schrecklich schwere Sprache, euer Plattdeutsch. Das lerne ich nie,« rief die junge Frau, in komischer Verzweiflung die Hände ringend.

»Ach wat, dumm Tüg,« sagte Hinrich, »min lüttje Fro, de ingelsch kann und französch und weet, wat Mongami up dütsch heet, de will dat bald weg hewwen. Wat meenst du, Dierk?« wandte er sich an seinen Bruder, der sich auf dem Bock über dieses plattdeutsche Examen gehögt hatte und absichtlich Schritt fuhr, um es nicht abzukürzen.

»Dat's gewiß,« meinte Diedrich, »de mit ehren apen Kopp! Ick heww't ja ok leert.«

»Dor hörst du't,« sagte Hinrich zu seiner Frau, und sich wieder nach vorn wendend:

»Nu, Jung, rög din Peer abers 'n bäten an mit de Swipp. De weerd uns jo bi lütten slap.«

Diedrich schwang die Peitsche, und in flottem Trab fuhr das junge Ehepaar nach seinem ersten Kirchgang auf den Lohhof zurück.

Fünf Wochen war die junge Ehe nun alt. Die kleine Frau schalt nicht mehr so viel über die dummen Bauernmoden, saß in der Kirche züchtiglich bei den Frauen, hatte auch mit Rungenmutter schon einige Worte gewechselt, und machte ihrem heimlichen Lehrer im plattdeutschen durch ihre Fortschritte viel Freude.

Am meisten freute sich dieser aber darüber, daß seine Schülerin, die nicht nur der Bauern Sprache, sondern auch der Bauern Art erst lernen mußte, mit Vater so gut auskam. Dieser hatte ihr nie ein unangenehmes Wort gesagt, auch seinem Sohne gegenüber nie über sie geklagt.

Da saß Vater Lohmann eines Nachmittags in der Dönze, hatte die Stiefel ausgezogen und hielt die Füße an den warmen Ofen, der längst wieder ein guter Freund geworden war. Dazu rauchte er in aller Behaglichkeit sein Pfeifchen. Es war Schummerstunde. Er war allein in der Stube, die Spinnräder standen und warteten auf die fleißigen Hände, die noch draußen mit Hausarbeiten beschäftigt waren.

Nun kam auch Hinrich herein und stellte sich an die andere Seite des Ofens, um die von der Arbeit in der naßkalten Novemberluft verklamten Hände zu wärmen. Zu reden war nichts, und darum redeten die beiden auch nichts.

Plötzlich erhob sich draußen ein halblautes Singen. Hinrich kannte Text und Weise des Liedes und hatte es gern. Es fing an: »Noch ist die blühende goldene Zeit, noch sind die Tage der Rosen.« Das schien ihm zu stimmen, obgleich draußen die Novemberstürme längst die letzten welken Blätter von den Bäumen gerissen und die ersten Frostnächte die letzten kümmerlichen Herbstblumen getötet hatten.

Anders dachte Vater Lohmann über das Lied. Als die fröhliche Stimme draußen sich hören ließ, machte er eine ärgerliche Bewegung mit dem ausgestreckten rechten Bein und brummte: »Dor singt se dat ol slechte Leed wedder!«

»Och vader, is dat Leed so slecht?« fragte Hinrich, dem ein Schrecken in die Glieder gefahren war.

»Ick heww't nudags ganz genau hört: ›Und ein fröhlicher Kuß ist nicht minder frei, so unverschämt auch die Lippe sei.‹ So was paßt sick nich för 'n christlich Hus.«

»Vader, dor dest du nich recht henhört. Dat heet nich: ›So unverschämt auch die Lippe sei.‹ Dat heet: ›So spröd und verschämt auch die Lippe sei.‹«

»Mag wän, aber dat kummt up't sülwige Enne herut. Wat schät de Knechte und de Deerns darvan denken, wenn de junge Fro jüm so 'n unchristlich Tüg vorsingt?«

»Och Vader, dat is ja man 'n Leed. Dor brukt 'n nich jedes Word so scharp to nehmen,« entschuldigte Hinrich.

»Ach wat,« sagte Vater Lohmann, mit den Füßen in die Holzpantoffeln fahrend, »kumm mi nich mit sökke Utflüchte, Jung'! Wat nich gellen schall, dat mutt'n anstännigen christlichen Minschen ok nich seggen und singen.«

»Ja, Vader, wenn di dat dünkt, will ick min Fro seggen, dat se dat Leed nich wedder singt,« gab Hinrich nach.

»Ji beiden,« fuhr der Alte nach einer Weile, während der er sich seiner Pfeife gewidmet hatte, fort, »lewt nu all fief Wäken as Mann und Fro, und ick heww bet up düssen Dag nix seggt. Mann und Fro mutt 'n gewähren laten und nich glieks dartüschen sitten. Abers nu ward't bi lütten för mi as Vader Tied, dat ick ok mal 'n Word darto segg ... Hinrich, din Fro is mi wat rieklich flutterig.«

»Vader, dat makt dat junge Hart,« entschuldigte Hinrich.

»Dat junge Hart? Dor heww ick nix gegen. Nee, se hett'n wild Hart.«

»Lewe Vader,« bat der Sohn, um den Ofen herum näher an ihn heranrückend, »du mußt 'n lütt bäten Geduld mit ehr hewwen. Se hett sware Jahren achter sick. Wäs ehr dat doch to gunnen, dat se nu, in unsen jungen Ehestand, erst mal örndtlich 'n bäten upläwt. De Irnsthaftigkeit kummt mit de Tied van sülwst, wenn de Sorgen erst kamt.«

»Mannige Tög',« fuhr der Alte fort, »paßt mi gor nich bi ehr. Nudags bi'n Abendsegen, as ick dat ene ol swore Word nich glieks richtig rutbringen kann, dar könn se sick dat Lachen nich verbieten. Schickt sick dat för so'ne Deern, 'n olen Mann uttolachen, und darto noch bi Gotts Word?«

Hinrich sagte darauf nichts. Auch er mußte sich oft wundern, daß sie da lachte, wo er gar nichts Komisches zum Lachen fand.

Der Vater fuhr fort: »Und dat find' ick ok nich schön, dat se för di und sick sülwst sülwerne Läpels henleggt hett, und wi beiden Olen möt't mit tinnerne don. Wöt ji beiden vornehmer wän as jone Öllern?«

»Vader,« sagte Hinrich, sich mit dem einen Fuß auf den andern tretend, so daß es schmerzte, »so is dat nich meent. Die beiden Läpels stammt ut dat Hochtiedsgod van ehre Öllern und wi brukt se ton Angedenken an jüm.«

»Soo ...,« gab sich der Vater zufrieden, »dat is wat anners.«

»Abers ick will ehr seggen,« fügte Hinrich hinzu, »dat se de Läpels anne Sied leggt.«

»Din Fro,« fuhr der Alte fort, »mutt öwerhaupt noch väl leern. Vör allen dat Melken mutt se künnig weern. Wenn se hier mal Fro weern schöll, können de Deensten van ehrenwegen jo de Beester verrungeneern, wenn se nix darvan versteiht.«

»Vader, dat hett se ok all seggt, dat se dat leern wull. Abers Mudder sä, se schöll düsse Wäken man erst dormit töwen. Denn wull se sülwst ehr vörnehmen.«

»So, dat freut mi, dat se goden Willen hett ... Und denn mutt se dat Spinnen leern. Wenn de Fro nich mehr spinnt, ward ok ut dat Spinnen van de Deerns nix. Und de Spinneree möt wi in Ehren holen. Wenn de Deerns nix mehr to dohn hewwt to Winterstied, kamt se up fule Knäp.«

»Heww man Geduld, beste Vader, mit min lüttje Fro,« bat Hinrich und legte ihm die Hand auf die Schultern. »Glöw mi, se hett goden Willen! Paß man up, se sleit noch mal so god in, dat du din Hartensfreude an ehr hewwen schast.«

»Wöt dat Beste höpen,« sagte Vater Lohmann in wenig hoffnungsvollem Tone. »Aber de Wildheit, de dor instickt, de Wildheit!« fügte er seufzend hinzu. –

Hinrich mußte seine Frau also wieder einmal vornehmen, um die Steine des Anstoßes aus dem Wege zu räumen. Er gab es ihr in einzelnen Dosen, und so fein und schonend als möglich. Also die unverschämten Lippen und die silbernen Löffel verschwanden. Auf Mutter Lohmanns Spinnrad wurde in heimlicher Unterrichtsstunde mit Abreißen und Wiederanknüpfen ein jammervoller Faden gesponnen, bald dick und klumpig, bald dünn wie Spinngewebe. Die bravste aller Kühe, die ihre Milch doch so willig hergab, mußte unter ungeschickten Händen entsetzliche Qualen ausstehen, bis endlich Mutter Lohmanns sichere Hand sie von ihrer Peinigerin befreite. Hinrich und seine Mutter merkten beide, daß es gar nicht leicht war, eine junge Frau anzulernen. Hinrich hatte mit Widerworten und Schmollen zu kämpfen, seine Mutter mit einer Ungeschicklichkeit, die sogar eine Geduld wie die ihrige auf eine harte Probe stellte. –

Etwa acht Tage, nachdem Vater Lohmann die Anregung zu der bäuerlichen Erziehung seiner Schwiegertochter gegeben hatte, fand in Wiechel eine Versammlung der Landwirte der Umgegend statt, die Hinrich besuchen wollte. Seine Frau bat ihn, sie mitzunehmen. Sie wollte einmal die gute Pastorin besuchen, von der sie beim ersten Kirchgang so herzlich eingeladen war.

Hinrich fuhr selbst. Die junge Frau meinte, das sähe nicht gut aus, wenn sie neben ihm mit auf dem Bock säße, und nahm hinten im Wagen Platz. Ihrem Manne war das zwar nicht ganz recht, aber er sagte nichts. Wo er irgend konnte, schwieg er lieber. Es gab schon genug der Anlässe, wo er nicht schweigen durfte.

Während der Fahrt wurden nicht viel Worte gewechselt. Er hatte keine Lust, sich immer umzuwenden, und sie ebensowenig, sich nach ihm überzulehnen und das Geratter des Wagens zu übertönen. Was sollte man sich auch schließlich immer erzählen? Außer den allerhand Lappalien, über die man sich nur ärgern mußte, erlebte man auf dem einsamen Hofe ja nichts, was Gesprächsstoff liefern konnte.

Als der Wagen in Wiechel hielt, trennten die beiden sich mit flüchtigem Händedruck. Er ging zu Lord Stallbom, sie in die gegenüberliegende Pfarre.

Die Aufnahme bei der guten alten Pastorin war ganz so, wie das junge Frauchen es erwartet hatte. Große Augen, von Herzlichkeit überfließende Begrüßung, etwas wie eine mütterliche Umarmung, sich überstürzende Fragen, auf die keine Antwort erwartet wurde, ein Sofaeckchen in einem geschmackvoll eingerichteten und behaglich durchwärmten Stübchen, eine dickbauchige, blaugeblümte Kaffeekanne, und ein Teller mit Backwerk, Teekuchen, Spekulatius und russischem Brot.

Und nun fragte die alte Dame wieder: »Wie sieht's denn aus, liebes Kind, in der jungen Ehe?« Und diesmal erwartete sie eine Antwort.

»Oh, ganz gut,« lautete sie.

»Ganz gut?« wiederholte die andere und machte verwunderte Augen.

»Och ja, es sind ja auch noch unsere Flitterwochen,« sagte Else Lohmann, zum Fenster hinaussehend.

Sie fühlte, daß die Frau Pastorin ihr prüfend in das Gesicht blickte.

»Ja, liebe Frau Lohmann, die Flitterwochen – sie sind ja eine schöne Zeit,« sagte die alte Dame nach einer Weile. »Aber ich muß doch sagen, so schön, wie sie immer gemacht werden, sind sie nicht. Wenigstens mein Mann und ich, wir haben nachher in unserer Ehe viel schönere Zeiten gehabt als die viel gepriesenen Flitterwochen.«

Die junge Frau sah die alte voll Interesse an.

»Ja, ja, ganz gewiß,« beteuerte diese. »Mein Vater war Geheimrat bei der Landdrostei in Hannover und mein Bräutigam Adjunkt an der Kreuzkirche. Darauf konnten wir natürlich nicht heiraten. Als das Konsistorium ihm dann seine erste Pfarre in der Lüneburger Heide gab, ei, da war die Freude groß. Ei, wie dachte ich mir das reizend und poetisch, unter dem gemütlichen, alten Strohdach mit meinem Gottlieb zu hausen, ganz allein! Aber liebes Kind, wie kam das doch so ganz anders! In Brunbüttel gab's außer dem Lehrer nichts als Bauern und Handwerker.«

Sie stärkte sich durch einen Schluck Kaffee.

»Ja,« sagte Frau Lohmann voll Verständnis, »den Verkehr mit gebildeten Menschen entbehrt man auf dem Lande doch sehr.«

»Ja, ich habe ihn schrecklich entbehrt. Ich kam mir vor, als ob ich in die wüste Sahara verbannt wäre. Und dann brachten die Verhältnisse es mit sich, daß wir Landwirtschaft treiben mußten. Davon hatte ich so viel Ahnung wie ein neugeborenes Kind. Ach, was habe ich da für Lehrgeld bezahlen müssen! von meinen dummen Streichen, glaube ich, erzählen die Brunbüttler sich noch, wenn ich hundert Jahre tot bin. Sie sind ja Landwirtstochter, sie können sich davon gar keinen Begriff machen.«

»Ach, Frau Pastorin, ich bin als Kind auch nicht viel dabeigekommen,« sagte die andere.

»Aber so dumm, wie ich war, sind Sie gewiß nicht in diesen Dingen. Und was das Schlimmste war, mein Mann – er stammt vom Lande – verstand ziemlich viel davon und wurde oft recht ungeduldig. Und er verlangte von mir in den Flitterwochen, daß ich mit ihm von Haus zu Haus gehen mußte, vom Bauer zum Häusling, von Gevatter Schneider zu Gevatter Schuster, und überall dieselbe Frage: ›Na, Fro Pestohrin, mögt Se bi us woll wän?« – Oh, was habe ich damals lügen müssen, Gott vergeb' mir meine Sünden! – Und dann immer dieselben Betrachtungen über das Wetter und die Kartoffeln und die Schweine! In manchen Häusern war's so, daß man sich kaum setzen mochte, und da sollte man dann sogar Kaffee trinken. Ich konnte es nicht herunterkriegen, mit dem besten Willen nicht. Ich flehte meinen Mann an, er sollte mich bei diesen Besuchen zu Hause lassen. Aber er sagte immer stramm nein! Liebe Frau Lohmann, Ihnen darf ich's wohl im Vertrauen sagen, er hat mir da einmal, fünf Wochen nach unserer Hochzeit, eine Szene gemacht, ich sage Ihnen, ich wäre ihm am liebsten weggelaufen, und manche junge Frau hätte es sicher getan.«

*

Sie hielt einen Augenblick inne. »Ja, leicht muß es nicht gewesen sein für die Geheimratstochter aus der Residenz.« sagte ihre Sofanachbarin. »Haben Sie sich denn schließlich doch einigermaßen gewöhnt?«

»Und wie, bestes Kind!« sagte die alte Dame mit Nachdruck, »allmählich, durch die freundliche Hilfe unserer Lehrerfrau, kam ich hinter die Geheimnisse der Landwirtschaft. Und ich kann auch dreist behaupten, eine tüchtige Landwirtin bin ich geworden. Meine Kühe und meine Schweine nehmen es mit denen unserer größten Bauern auf.«

»Das habe ich schon von meinem Schwiegervater gehört,« bestätigte die junge Frau.

»Sehen Sie!« triumphierte die Pastorin. »Und allmählich gewöhnte ich mich auch, die Leute im Dorf mit den Augen meines Mannes anzusehen. Und wissen Sie, was ich da gefunden habe, als ich nur erst ordentlich die Augen aufmachte? Ich habe gefunden, unsere Lüneburger Bauern, wenn man sie nur erst recht kennt, sind die prächtigsten Menschen der Welt, wer sie wirklich kennt und sich dann noch nach den knicksenden, polierten, hohlköpfigen Frackträgern, wie sie in der Stadt in jeder größeren Gesellschaft herumscharwenzeln, zurücksehnt, der kann mir herzlich leid tun. Vor allem unsere Großbauern auf ihren alten Höfen, – wir können sie getrost Edelhöfe nennen – was sind das manchmal für Kernmenschen, für Charaktergestalten! Zum Beispiel so einer wie Ihr Schwiegervater, liebe Frau Lohmann, was ist das für ein Prachtmensch!«

Die Pastorin machte eine Pause und sah die junge Frau an.

»So? Meinen Sie das wirklich?« fragte diese gedehnt.

»Ja, das meine ich, und mein Mann, der die Leute noch besser kennenlernt als ich, denkt gerade so über ihn.«

»So ... das – freut mich.«

»Der Grundzug seines Wesens,« fuhr die Pastorin fort, »ist Treue. Treue gegen der Väter Art und Sitte, Treue gegen den Geist der Familie und des Stammes, und nicht zuletzt Treue gegen den Gott seiner Väter, da haben Sie Ihren Schwiegervater, wie er leibt und lebt. Er ist konservativ bis in die Knochen.«

»Erlauben Sie, Frau Pastorin, mein Schwiegervater ist durch und durch welfisch gesinnt.«

»Ach ja, die Treue gegen das angestammte Herrscherhaus hatte ich eben noch vergessen. Die gehört natürlich auch mit dazu.«

»Ach soo ... So fassen Sie das auf ...«

»Natürlich hat so ein alter, tiefgewurzelter Eichbaum auch seine Knorren und eine rauhe Borke. Sonst wäre er ja eben kein Eichbaum.«

Die alte Dame warf einen forschenden Blick nach der jüngeren, die vor sich niedersah. Plötzlich wandte diese sich ihr voll zu, ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie sagte: »Liebe Frau Pastorin, Sie haben hier ein todunglückliches Menschenkind vor sich. Ich bin in Lohe eine Fremde, man läßt es mich immer wieder fühlen, daß man mich als Eindringling und Friedensstörerin ansieht, man schimpft und stößt mit mir herum. Ich weiß nicht, was daraus werden soll.«

Die Pastorin nahm ihre Hände und sagte herzlich: »Liebes Kind, wenn ich damals den Mut verloren hätte! Sie müssen auch den Kopf hoch halten. Sie und Ihr lieber Mann müssen nur in Liebe treu zusammenhalten. Dann kommt das andere alles von selbst.«

Die junge Frau schien einen Augenblick in sich zu kämpfen. Dann sagte sie in bitterem Tone: »Ja, mein Mann! Der steht immer gegen mich auf der Seite seines Vaters.«

»Soo?« fragte die Pastorin ungläubig, »wenn sie ihm da nur nicht unrecht tun?«

»Sie glauben gar nicht, was er in diesen Tagen alles an mir herumgemäkelt hat. Küssen darf ich ihn nicht und singen darf ich bloß, was im Gesangbuch steht, und alles, was ich mache, ist verkehrt.«

Die alte Dame lächelte. »Erlauben Sie, daß ich Ihnen mal sage, wie ich über Ihren Mann denke. Sehen sie, ein ganzes Jahr hat er auf Ihrer Seite gegen Vater und Mutter gestanden, hat sogar mit ihnen gebrochen, um Ihretwillen. Die Treue gegen die Eltern und die Liebe zu seiner Braut haben miteinander in heißem Kampf gelegen. Nun geht's ja äußerlich, aber innerlich ist die Harmonie noch immer nicht völlig. Und da ist der gute Hinrich nun dabei, sie herzustellen. Er muß das Alte, an das sein Leben durch Pietät und Treue gebunden ist, mit dem Neuen, das durch Sie in sein Leben hineingetreten ist, vermitteln. Das ist's.«

Sie sah ihre Sofanachbarin an. Die blickte vor sich nieder und sagte nichts.

»Sagen Sie mal, warum haben Sie Ihren Mann eigentlich geheiratet?«

Da hob die kleine Frau den Kopf und sagte verwundert: »Das ist mal eine Frage! Weil ich ihn lieb hatte!!«

»Na, das wollte ich man meinen! Aber dann muß Ihre Liebe sich nun auch darin beweisen, daß Sie Vertrauen zu ihm haben. Das Vertrauen, daß er in den häuslichen Schwierigkeiten so handelt, wie die Dankbarkeit und Treue gegen seine Eltern und die Liebe zu seiner kleinen Frau es verlangen.«

Frau Lohmann schwieg.

»Noch eins,« fuhr die Frau Pastorin fort, »wir beide stammen ja wohl aus Kreisen, in denen man auf den Bauern etwas von oben herabsieht. Es muß schon eine starke Liebe gewesen sein, daß Sie trotzdem einem Bauern die Hand gegeben haben. Na, die Liebe macht bekanntlich blind. Vielleicht haben Sie im Anfang gar nicht einmal deutlich gesehen, daß Hinrich ein Bauer ist. Jetzt, in dem täglichen Zusammenleben, tritt Ihnen das immer wieder entgegen. Ich könnte mir denken, daß das für Sie manche Enttäuschung mit sich bringt. Ist's nicht so?«

»Ja,« stieß die junge Frau kurz heraus.

»Aber deshalb brauchen Sie nicht zu verzweifeln. Sehen Sie, Sie werden durch ihn immer mehr eine prächtige Lüneburger Bauerfrau werden, und er wird in Ihren kleinen Händen manche bäuerische Ecke und Kante verlieren. Sie sollen mal sehen, Sie machen aus dem guten Jungen, der vom Vater den freien, stolzen, treuen Sinn und von dem einzigen Mütterchen ein weiches, warmes Herz geerbt hat, auch noch so was wie einen Gebildeten. Wohl keinen Gesellschaftsmenschen, mit dem Sie auf Bällen und Promenaden renommieren könnten. Aber ganz gewiß einen Menschen, mit dem Sie sich verstehen und mit dem Sie ein reiches, glückliches Menschenleben leben können. Und das, meine ich wenigstens, ist die Hauptsache.«

Die kleine Frau lächelte. Aber plötzlich wurde ihr Gesicht sehr ernst. »Bitte, liebe Frau Pastorin,« bat sie, »sagen Sie mir mal ganz aufrichtig, war's eigentlich recht von mir, daß ich mit Ihnen so über meinen Mann gesprochen habe?«

Sie sah die alte Dame unsicher, wie mit bösem Gewissen, an.

»Warum nicht?« sagte diese lächelnd, »den Mannsleuten gegenüber sind wir Frauen immer Bundesgenossinnen, und wenn's unsere eigenen Männer sind. Es ist gut, daß Sie sich mal ausgesprochen haben, viel besser, als wenn Sie sich in Ihre Mißstimmung hineingegrübelt hätten. So was kommt in jeder Ehe vor und schadet gar nichts. Die Hauptsache ist bloß, daß es sich nicht festsetzt, nicht einfrißt. Deshalb kann Ihre Ehe doch noch, nächst meiner mit meinem Pastor, die glücklichste Ehe in der ganzen Gemeinde Wiechel werden.«

»Meinen Sie wirklich?« fragte die kleine Frau ungläubig.

»Ja, das weiß ich gewiß,« sagte die mütterliche Freundin mit Überzeugung. »Wenn der liebe Gott nicht sie und Ihren Mann füreinander geschaffen hat, dann will ich überhaupt nicht mehr glauben, daß er im heiligen Ehestand seine Hand mit im Spiele hat.«

Die junge Frau sah nachdenklich zum Fenster hinaus, plötzlich blickte sie die andere voll an und rief aus: »Frau Pastorin, wie können Sie einen trösten!«

»Wissen sie,« fuhr die alte Dame fort, »was mein Mann mir neulich sagte, als wir von Ihrer Hochzeit nach Hause fuhren?«

»Nein,« sagte die andere gespannt.

»Ach nein,« besann sich die Pastorin, »ich will's Ihnen doch lieber nicht sagen.«

»Nun haben sie mich einmal neugierig gemacht, nun müssen sie auch damit herauskommen,« bat Frau Lohmann schmeichelnd.

»Wenn sie mir versprechen, daß sie nicht eitel werden wollen ...«

»Ach, das hat bei mir wirklich keine Gefahr.«

»Wissen sie, was er sagte?«

»Nein, aber nun sagen sie mir's doch!«

»In seinen siebenzig Jahren hätte er noch nie ein Pärchen mit solcher Freude getraut als den jungen Lohmann und seine Else.«

»Das hat er wirklich gesagt?« fragte die kleine Frau und sah die Alte mit großen, verwunderten Augen an.

»Wörtlich,« versicherte diese und blickte der anderen mit ihren gütigen Augen triumphierend in das liebe Gesicht. Darin las sie, daß sie das Band, das ihr Gottlieb vor sechs Wochen in der Kirche um zwei Herzen gelegt hatte, in dieser Kaffeestunde noch fester gezogen hatte. Und wieder einmal freute sich die Geheimratstochter aus der Residenz, daß sie eine Heidepastörsche geworden war, eine »Pastors-Mudder«, wie die Leute so traulich sagten.

»Ich muß nun wohl hinüber, daß mein Mann nicht zu warten braucht,« meinte die junge Frau mit einem Blick auf die Uhr.

»Ach was,« sagte die Pastorin, »Sie müssen ihn auch nicht verwöhnen. Wenn er Sie wiederhaben will, wird er Sie schon abholen. Kommen Sie, ich muß Ihnen doch eben noch mein Haus und die Wirtschaft zeigen.«

Und sie führte ihren Besuch über die Diele, wo ihre stolzen Kühe standen, in die Küche und Speisekammer, auf den Boden hinauf und in den Keller hinab, und manche gute Lehre fiel dabei für die junge Hausfrau ab.

Als sie wieder auf dem Vorplatz ankamen, öffnete sich die Haustür, und Hinrich trat steif und verlegen ein.

»Na, Sie junger Ehemann Sie,« rief die Frau Pastorin ihm munter entgegen, »Sie können's wohl schon wieder nicht mehr ohne Ihre lüttje Frau aushalten?«

Der junge Ehemann machte ein verwundertes Gesicht. Die Sehnsucht war, wie es schien, gar nicht so arg gewesen.

»Es wird Zeit für uns nach Hause,« sagte er trocken.

»Natürlich,« lachte die Pastorin herzlich, »so jungen verliebten Eheleuten gefällt's nirgends anderswo als daheim, im eigenen Nest.«

Dennoch lud sie ihn ein, für ein Weilchen einzutreten. Aber er sagte, die Pferde ständen vor der Tür.

Als er seiner Frau den Schlag zum Hintersitz öffnete, sagte sie: »Nein, ich steige vorne mit auf.«

Der Wagen hatte das Dorf bereits verlassen, als Hinrich das Schweigen, das zwischen ihnen war, brach und fragte: »Na, wie war's bei Frau Pastorin?«

Sie druckste und sagte dann: »Du, ich bin heute nachmittag schlecht gewesen.«

»So?«

»Ich habe mich über dich beklagt.«

»Soo?«

»Es tut mir leid. Es war nicht recht von mir.«

»Schadet nichts. Bei der nicht.«

»Ja, sie hat mir auch schön den Kopf gewaschen.«

»Das freut mich, da brauche ich's am Ende nicht mehr so oft zu tun.«

»Du böser Mensch du!« sagte sie und klatschte ihm auf die Hände.

Die Braunen langten tüchtig aus. Bald erschien Hof Lohe im Dunkel. Trotz allem doch ein schönes, herrliches Heim und warmes Nest ... mit einem, den man liebhat, dachte sie und rückte ganz dicht an den Geliebten heran. Und als der Wagen stand, warf sie die Arme um ihn und küßte ihn stürmisch. Dann half sie ihm die Pferde ausspannen und in den Stall führen. Dann gingen sie eng umschlungen langsam über die dunkle Diele. –


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