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Am Abend, nach vollbrachtem Tagewerk, belohnte Hinrich sich damit, daß er zum erstenmal aus seiner langen, kunstvoll gedrehten und geschnitzten Reservistenpfeife mit den Troddeln in den Regimentsfarben rauchte. Es schmeckte eigentlich scheußlich aus dem frischen Kopf, trotz des stolzen Ulanen darauf. Aber welchem Reservisten hätte das Anrauchen dieses Prunkstücks, das mit dem Stock, der Flasche und dem Bilde der mit ihm zur Reserve entlassenen Kameraden die Ausrüstung des jungen Reservemannes bildet, nicht Freude gemacht, zumal wenn die älteren Glieder der Familie schmunzelnd und die jüngeren ehrfurchtsvoll dabei zusehen!

Während seine Pfeife dampfte, »as wenn'n lütten Mann backt,« dachte Hinrich plötzlich wieder an den Dampfpflug und die Heideaufforstung. Vater hatte sein Pflügen eben gelobt, und in diesen ersten Tagen der Freude über seine Heimkehr hörte er vielleicht noch am ersten auf ihn. So brachte er denn sein Anliegen vor.

»Vader, wo väl Morgen Heide hewwt wi woll?«

»An anderthalw dusend fehlt'n por Stieg'.«

»Dat is mit Scha'e, Schade dat de so wild rümliegt. Wöt wi nich'n por hunnert Morgen mit'n Dampplog rümrieten laten und to Forst maken?«

»Jung', hest du woll mal wat sehn?« fragte der Alte spitz.

»Jawoll, ick heww sehn, dat unse Nahwer stark vorwars strewt.«

»Jawoll, Herr Anton Kiewitz, Gutsbesitzer auf Delmsloh, der kann das gut machen,« sagte Vater Lohmann sehr ironisch. »Sünd wi Apen, dat wi nahmakt, wat annere Lüe uns vörmakt?«

»Wenn't wat Godes is, worüm nich?« fragte Hinrich.

»Van de Delmsloher is nix Godes to leern, man blot dat Bankrottmaken,« sagte der Alte spöttisch.

»De Regierung will ok geern, dat wi Buern de Heide upforstet, und giwt ok Bischuß darto.«

»Du wullt mi woll klok maken? Meenst du, dat ick dat nich weet? Abers meenst du, dat ick von de enen roden Pennig annehmen doh? Dat mi nahsten de Preuß in minen Kram rinkunjoniert? Dat kann de Herr Godsbesitter van Delmsloh maken. De Lohbur makt sökke Dummheiten nich. Junge, kumm mi nich mit sone Geschichten!«

Hinrich widmete sich jetzt ganz seiner Reservistenpfeife und schwieg. Wenn Vater erst auf Delmsloh zu sprechen kam, war keine Möglichkeit mehr, eine Sache mit ihm verständig zu bereden.

*

Delmsloh hatte seit einem Vierteljahrhundert eine traurige Geschichte, die Vater Lohmann als nächster Nachbar miterlebt hatte, zuerst mit schmerzlicher Teilnahme, zuletzt aber nur als unbeteiligter Zuschauer, der gleichgültig ein unabwendbares Geschick sich vollziehen sieht.

Die beiden großen, kaum zehn Minuten voneinander entfernten Höfe an der Werle waren durch ihre einsame Tage auf gute Nachbarschaft angewiesen und hatten diese seit unvordenklichen Zeiten treu gehalten. Die Kinder hatten gemeinsam den weiten Schulweg gemacht, waren zusammen aufgewachsen, und manche waren Mann und Frau geworden im Laufe der Jahrhunderte. Aber das alles war vorbei, seit Vater Lohmanns Schulkamerad, Ahlhorns Schorse, den einen dummen Streich gemacht hatte, sich aus dem Altpreußischen jenseits der Elbe, wo er eine Zeitlang Verwalter gewesen war, eine Frau mitzubringen. Ach, wenn Lohmann an die Zeit zurückdenkt, so könnte ihm noch die Galle überlaufen – wie sie ihm bei der ersten Begrüßung die Fingerspitzen reichte, und als er trotzdem die ganze Hand nahm, diese mit merkwürdigem Gesicht zurückzog, um sie heimlich abzuwischen, wie sie seine gute Frau wie ein Dienstmädchen behandelte. Das arme Delmsloh! Der arme Schorse, der immer ein guter Kerl gewesen war! Der hochmütigen Person genügte das alte Bauernhaus, das noch hundert Jahre hätte stehen können, natürlich nicht. Es mußte niedergerissen werden und einem zweistöckigen städtischen Kasten mit einem Anbau, beinahe wie ein Kirchturm, Platz machen. Im Sommer, wenn der Bauer alle Hände voll zu tun hatte, machte das Frauensmensch Reisen in die teuersten Bäder, natürlich immer zweiter Klasse. Schorse, den sie ganz unter dem Pantoffel hatte, durfte meistens mit. Ein Inspektor, von dessen Leistungen im Trinken man sich Wunderdinge erzählte, verwaltete den Hof. Das heißt, ein Hof war's ja jetzt nicht mehr. »Gut Delmsloh« stand mit roten Buchstaben auf dem weißen Milchwagen. Das ging nun solange, als es ging. Eines Tages waren die beiden verschwunden. Kein Mensch wußte, wo sie geblieben waren. Nur Ribckes Krischan, der im letzten Winter seine Kinder in Amerika besucht hatte, behauptete steif und fest, er hätte den Schorse in Neuyork als Droschkenkutscher auf dem Bock schlafen sehen. Seine Nase wäre sehr dick, aber sein Gaul sehr mager gewesen. – Der Hof kam unter den Hammer. Natürlich wollte kein ordentlicher Bauer oder Bauernsohn in den neumodischen Kasten mit dem Kirchturm hinein. So kamen denn Fremde, Männer, die hinten irgendwo in Altpreußen Inspektor gewesen waren, einige Mittel hatten und es deshalb einmal auf eigene Faust versuchen wollten. Zwei waren schon damit fertig. Mit den neuesten Maschinen und schwerem ostfriesischem Vieh fingen sie an, mit Holzauktionen und Zwangsversteigerungen hörten sie auf. Anton Riewitz war jetzt der Dritte. Daß es ihm nicht besser gehen würde als seinen Vorgängern, daran zweifelte Lohmann keinen Augenblick, obgleich er ihn erst einige Male getroffen und nur wenige Worte mit ihm gewechselt hatte. Das hatte er doch schon gemerkt, daß er von derselben Art war, wie die anderen. Diese Art kommt eben in der Heide nicht vorwärts. Diese Art glaubt nichts und geht beinahe niemals in die Kirche. Den alten Weisheitsspruch: »De Bur vörup!« kennt sie nicht; mit den einheimischen Dienstboten, die von dem vielen Fluchen und der schmalen Kost nicht satt werden, hat sie deshalb auch bald abgewirtschaftet. Dann werden die Handwerksburschen von der Landstraße festgehalten, und dann ist's bald vorbei. Nein, solche Art mag dahinten in der Kassubei gehen, in der Lüneburger Heide geht sie nicht. Vater Lohmann hat einmal mit der Faust auf den Tisch geschlagen und dazu gesagt: »Et möß keen Gott in'n Himmel wän, wenn so'n Heidenwirtschaft Bestand hewwen schöll!«

Er hat aus dieser Geschichte Delmslohs für seine Welt- und Menschenkenntnis viel gelernt. Er weiß, woran auch der größte und schönste Hof zugrunde gehen muß. Und so will er seinem Hinrich, der das Leben noch nicht so kennt, gleich heute abend, wo der einmal das Gespräch auf Delmsloh gebracht hat, aus dessen Geschichte drei ernste, wichtige Lehren fürs Leben mitgeben.

»Min lewe Junge,« beginnt er, »nimm von dinen Vader, de dat Leben kennt, und de dat mit ansehen hett, woans dat mit Delmsloh trüg gahn is, dree Stücken an und lehr se dine Kinner, wenn ick'r mal nich mehr bün. Denn hewwt ji hier in de Heide för alle Tieden jon Brod und gode Utkamen.

Ton ersten: Bliew all den Lebenstied 'n Bur, und wenn du friegen wullt, denn nimm di'n Fro, de ok nix anners wän well, as 'ne rejalige reell Burfro. Du weeßt ja: Hochmut kümmt vor den Fall, aber den Demütigen gibt Gott Gnade.

Ton tweten: Wahr di vör den neemodschen Kram! Wo din Vader und Grotvader sin Hot hangen hett, dor hang dinen ok hen! Du weeßt, et kummt jümmer wat Nee's up, abers nich faken oft wat Godes.

Ton drütten, und dat is de Hhauptsack: Vergitt unsen Herrgott nich; denn vergitt he di und den Lohhoff ok nich. Du weeßt ja, wat öwer unse Missendör schrewen steiht: An Gottes Segen ist alles gelegen!«

Vater Lohmann merkte selbst, daß seine Vermahnung mit ihren drei Teilen und Bibelworten etwas wie eine Predigt geworden war. Darum schloß er mit Amen. Es war ein zuversichtlich gewisses Amen. Ja, ja, es sollte also geschehen. Hinrich war ja ein vernünftiger Junge, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Wenn ihm da draußen in der Welt vielleicht etwas angeflogen war, was zu der guten Lüneburger Bauernart nicht paßte, so würde sich das schon verlieren, jetzt, wo er wieder alle vierzehn Tage regelmäßig zur Kirche kam, wo die festgefügte Sitte des Lohhofes ihn wieder umhegte und die Eltern ihm mit gutem Beispiel vorangingen. Und eine gute, tüchtige Frau würde dann auch wohl bald das Ihre tun, Hinrich in rechter Bauernart festzulegen. –

Welche mochte es wohl werden?

Auf den elf Vollhöfen der Gemeinde, die dafür in Betracht kamen, saßen etwa acht Mädchen, die den Jahren nach so ungefähr zu Hinrich passen mochten. Drei von diesen waren wegen zu naher Verwandtschaft mit Lohmanns nicht gerade erwünscht. Blieben noch fünf, von diesen war eine etwas »weitläufig«, leichtsinnig eine andere hatte den Fehler, ›in die Kuhle zu pedden hinken‹«. Kurz, wenn Vater und Mutter alles richtig überlegten, Mitgift, Tüchtigkeit, Alter und Äußeres – »denn bi junge Lüe will dat Og' ok wat hewwen« –, so blieb doch eigentlich nur eine einzige übrig, Hinkens Gretschen vom Dierkshof. Lohmanns beschlossen, den freundschaftlichen Verkehr mit dem Dierkshof in der nächsten Zeit recht zu pflegen. Dann würde die Sache sich allmählich schon von selbst machen, und Eile hatte es ja nicht. Marie, das Nesthäkchen, ging noch in die Schule, und Vater Lohmann war noch zu jung und rüstig, als daß er wünschen konnte, den Hof schon gar zu bald abzugeben.


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