Karl Simrock
Gedichte
Karl Simrock

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Parabel

        Ein Knabe, wenn er zur Schule ging,
Einen Dreier von der Mutter empfing;
Das war sein freies Eigentum,
Und niemand durft' ihn schelten drum,
Er mocht' ihn verzetteln oder vernaschen,
Mocht' ihn sparen in seiner Taschen.
Einst sah er, wie er heim wollt' gehn,
Einen Guckkasten am Wege stehn,
Dabei viel ehrlicher Leute Kind,
Guckten sich fast die Augen blind.
Der Kästner rief wie ein Marktschreier:
»Schaut Wunder, Wunder, für einen Dreier.«
Denkt der Knabe: »Was soll er rosten?
Die Herrlichkeiten muß ich kosten.«
Trat vor das Glas, gab hin das Geld
Und sah in eine Zauberwelt
Voll Sonnenschein und Farbenglanz:
Der Anblick war entzückend ganz,
So herzerquicklich, augenlabend,
Er hätte geguckt bis spät am Abend;
Nur reizt' er mit zu vollem Lob
Den Nachbar, der ihn zur Seite schob.
Andern Tages, als er wiederkam,
War er seinem Dreier so gram,
Daß er nicht ruhen mocht' und rasten,
Bis er stand vor dem Guckkasten.
So ging's von Tag zu Tage fort;
Die Geschichte rückte nie vom Ort,
Wollt' ich's ausführen: es sei genug,
Daß er Dreier viel zu Markte trug.
Doch eines Tags begab es sich,
Als der Kästner von der Stelle wich,
Daß unser Knabe den Kasten erklimmte
Und gleich vor Ärger sehr ergrimmte,
Wie er sah, daß all die Pracht und Zier
Nichts war, als ein beklext Papier.
Hiermit hatt' er so viel erfahren,
Daß er den Dreier mochte sparen.
Rief ihn seitdem der Kastenmann,
Nach seinen Pfennigen lüstern, an,
Gab er zur Antwort: »Laßt mich gehn:
Ich habe von oben hineingesehn.«

*

Hieraus mögt ihr nichts weiter lernen,
Als daß betrügerisch sind die Fernen,
Wie ihr denn hoffentlich alle wißt,
Daß optische Täuschung – Täuschung ist.

 


 


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