Karl Simrock
Gedichte
Karl Simrock

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Das arme Seelchen

        »Ach Paul, mein armer Paul,« so rief im Fegefeuer
Ein armes Seelchen oft, »ach Paul, mein vielgetreuer!«

Und stieg der Engel Schar vom Himmel tröstend nieder,
»Ach Paul, mein armer Paul!« so scholl's in ihre Lieder.

Ihr Sang, ihr süßer Trost, wollt' alles nicht verfangen,
Da aus bewegter Brust um Paul die Seufzer klangen.

Teilnehmend hob zuletzt ein Engel an zu fragen:
»Um Paul, den armen Paul, was will dein Seufzen sagen?«

Da sprach's: »Ich trüge gern die Qual um mein Verschulden,
Wenn Paul, der arme Paul, nicht mit mir müßte dulden.

Um meinen frühen Tod wird ihn der Gram verzehren;
Dürft' ich ihm einmal nahn und seinem Jammer wehren!

Dürft' ich ihm einmal nahn und trocknen seine Tränen;
Ich wollt' in dieser Qual mich nicht unselig wähnen!«

Der heil'ge Engel sprach: »Wenn wir dir das erlauben,
Es wird am Himmelsglück dir tausend Jahre rauben!«

Das Seelchen rief erfreut: »Das will ich gern verschmerzen,
Darf ich ihn wiederschaun und ruhn an seinem Herzen.«

Dem Seelchen löste da der Kette Haft der Engel,
Und jubelnd flog es da ins Land der Erdenmängel.

Da fand es seinen Paul an schlimmer Mädchen Brüsten:
O, wär' es blind und taub! so kosten sie und küßten.

Das Seelchen wandte sich und flog mit stillem Weinen
Dem Fegefeuer zu: da ließ es gern sich peinen.

Doch trug's der Engel jetzt empor auf goldner Schwinge.
»Lieb Seelchen,« flüstert er, »sei froh, sei guter Dinge.

Du hast im Augenblick des Leides mehr erfahren,
Als aller Höllen Qual in hunderttausend Jahren.

Dafür bist du erlöst, gehst ein zu Himmelstoren,
Und Paul, der böse Paul, ist ewiglich verloren.«

 


 


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