Karl Simrock
Gedichte
Karl Simrock

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Tod der Poesie

      Nach langem Leiden war gestorben
Die Himmelstochter Poesie.
Nie hat ihr Priester viel erworben,
Gewiß, am Hunger starb auch sie.

Und prächtig will man sie begraben
Im goldbeschlagnen Silberschrein,
Doch Gold noch Silber ist zu haben,
Erblindet all der lichte Schein.

Man schickt, den edeln Leib zu salben,
Nach Wein umher von Haus zu Haus,
Doch ach, es liefen allenthalben
Die Flaschen und die Fässer aus.

Nun müht man sich um Totenkränze,
Vergebens, Winter ist's umher:
Nach diesem letzten aller Lenze
Erblühen keine Blumen mehr.

Es eilt, den Leichenzug zu schauen,
Manch liebend Paar im Jugendschein;
Sie fühlen nicht, wie sie ergrauen,
Doch Greis und Greisin stellt sich ein.

Wie sie den Sarg zur Erde schicken,
Wird tiefe Nacht herabgesandt:
Die Sonne würdigt nicht, zu blicken
Hinfort auf ein verödet Land.

Die Leichenrede spricht ein Sänger,
Die Stimme schallt so dumpf und hohl:
»Auf Freuden hoffet nun nicht länger,
Sagt allem Glück ein Lebewohl.«

Nun wird das Trauermahl gehalten,
Die Fackeln scheinen trüb und bleich
Auf die verkümmerten Gestalten:
Sie sitzen wie im Totenreich.

Sie sitzen, stumm in Schmerz verloren,
Und harren auf des Tages Licht:
Laßt euch begraben, arme Toren,
Denn ihr seid tot und wißt es nicht.

 


 


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