Karl Simrock
Beowulf
Karl Simrock

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5. Beaw und Heremod.

Wer war nun Skild oder Skeaf und zu welchem Zwecke ward er ausgesandt? Die erste Frage läßt unser Gedicht unbeantwortet, und doch muß er ein Gott oder der Sohn eines der höchsten Götter gewesen sein, da er sowohl im Norden als bei den Angelsachsen, wie Götter pflegen, an der Spitze königlicher Geschlechtsreihen steht. Wirklich nennt die Skalda c. 43 den Skiöld, von dem die Skiöldungen stammen, einen Sohn Odhins, und schon oben fanden wir ihn Skânunga godh genannt. Die spätere christliche Zeit muste dieß freilich tilgen, aber dennoch sind Spuren stehen geblieben. Vergleichen wir die wesentlich identische Schwanenrittersage, so war Lohengrin von Artus ausgesendet, der mit Juno im Berge wohnte. Deutlich ist hier Artus an Odhins Stelle getreten wie Juno an Friggs oder Rindas. Sie wohnen im Berge, wie sich Odhin nach Sigurdarkwidha II, 18 (M. Edda 193) den Mann vom Berge nennt. Nach späterer Vorstellung wohnen zwar die Götter im Himmel, aber noch nach Grimnismal 42 bringt Odhin acht Nächte, d. h. acht Wintermonate hei Geirrödh in der Unterwelt zu, während Uller im Himmel seine Stelle vertritt. Vgl. Handb. S. 337. Daß Lohengrin Artus Sohn gewesen wäre, wird uns freilich nicht gemeldet, aber im Parzival, wo das Königreich des Grals an die Stelle der Unterwelt tritt (Handb. 370), ist Lohengrin der Sohn Parzivals, des Herrn des Grals.

Wenn hienach Skeaf selbst noch in seiner Verjüngung als Schwanenritter der Sohn der höchsten Götter ist, so stimmen hiemit die angelsächsischen Stammtafeln in sofern nicht ganz als sie Skeaf auf Herimôd folgen laßen. Denkt man zwar hierbei an den Hermôdr der jüngern Edda, der Odhins Sohn heißt, so könnte Skeaf immer noch ein Gott sein: wenn auch nicht Odhins Sohn doch sein Enkel. Es ist aber wohl nur an den Heremôd unseres Gedichts zu denken, der kein Gott, höchstens noch ein göttlicher Held ist. Ohne Zweifel fällt er zusammen mit dem Hermôd des Hyndlulieds, der Str. 2.

Er gab Hermôdur   Helm und Panzer,
Ließ den Sigmund   das Schwert gewinnen.

gerade so mit Sigmund zusammengestellt wird wie in unserm Liede XIII, 75 Heremôd. Ich weiß mir dieses Zusammenstimmen nur so zu erklären, daß dem Verfaßer des Hyndlulieds unser Gedicht oder doch aus den Liedern, welche ihm zu Grunde liegen, die betreffende Stelle bekannt war.

Wie in unserm Gedichte Heremôd dargestellt ist, so hatte er einst den Erbsitz der Schildinge beseßen 13, 87, vgl. 24, 66. 62. Er selbst kann aber kein Schilding gewesen sein, da wir deren Geschlecht übersehen, in welchem nirgend Raum für ihn ist. Da aber sein Name in jenen angelsächsischen Stammtafeln unmittelbar vor Skeaf steht, dessen Vater er doch nicht gewesen sein kann, so ist er wohl mit Bouterweck Germ. I. 396 nur als sein Vorfahr im Reich zu faßen. In der Jugend durch Gottes Gunst über alle Helden erhoben war er im Alter so unmilde und blutgierig geworden, daß ihn die eigenen Leute verließen. Nach dieser Schilderung ist er wohlgeeignet, in der Skeafsage die Stelle einzunehmen, welche in der Schwanenrittersage Friedrich von Telramund oder der Graf von Frankenburg spielt. Gegen ihn mochte Skeaf ausgesendet sein und nur das könnte befremden, daß ein Knabe, der nach den angelsächsischen Chronisten recens natus war, in unserm Gedichte (bis zur Landung) noch ungeboren heißt, einen Zweikampf gegen einen ruhmreichen Helden bestehen sollte. In der Schwanenrittersage geschieht dieser Zweikampf unmittelbar nach der Landung, wenigstens liegen nicht Jahre dazwischen. So könnte auch hier der Kampf nur gleich nach Scilds Landung gedacht werden, denn die Jahre der Mannbarkeit hätte ihn Heremôds Blutgier in seinem Lande nicht erreichen laßen. Man wird uns einwenden, weder die Chronisten noch unser Gedicht wüsten von einem solchen Zweikampf. Das ist begreiflich, entgegne ich, denn daß ein neugeborener Knabe einen Zweikampf bestehe, ist in der Geschichte wie in der Heldensage geradezu unmöglich. Wir haben aber gesehen, daß Skeáf keine geschichtliche Person und selbst mehr als ein göttlicher Held war. Er ist ein Gott oder eines Gottes Sohn, und in der Göttersage ist der Kampf eines neugeborenen Knaben weder unerhört noch unmöglich. Um bei der deutschen Mythologie zu bleiben, so bietet schon diese ein Beispiel eines solchen Kampfes dar. Einnächtig fällte Wali den Hödhr, den Mörder seines Bruders Baldur. »Nur Eine Nacht alt gedenkt er des ungesühnten Blutes und schreitet zum heiligen Werk der Rache.« Handb. 92. So heißt es in der Wegtamskwidha 16:

Rinda im Westen   gewinnt den Sohn,
Der einnächtig, Odhins   Erbe, zum Kampf geht.
Er wäscht die Hand nicht,   das Haar nicht kämmt er
Bis er zum Holzstoß brachte   Baldurs Mörder.

Wegen dieses Zweikampfs, den sie beide Einen Tag alt bestehen, halte ich den eddischen Ali oder Wali und den angelsächsischen Sceaf oder Skild für Eine Person. Sie treffen auch in einem Beinamen zusammen, den sie beide führen. Skeaf hieß, wie wir sehen werden, auch Beaw, und Wali wird bei Saxo Bous genannt, was altnordisch Bûi wäre und mit dem angelsächsischen Beaw oder Beow stimmt. Vgl. Müllenhoff a. a. O. 411. Die Namen Ali, Wali und Bûi sind Handb. 338 erklärt: Ali als der segenspendende Frühlingsgott, der die dunkle Jahreshälfte, die in Hödur vorgestellt ist, beendigt und die neue schöne Jahreszeit herbeiführt; Wali als der Gott des Glücks und Wohlstands, der dem neuen Frühling verdankt wird; Bûi endlich als das wieder baulich gewordene Land im Gegensatz zu Rinda, der hartgefrornen Erde.

Nach der Edda ist es Hödhr, den Wali einnächtig erschlägt, nicht dessen Bruder Hermôdhr: dieß scheint unserer Auffaßung entgegenzustehen. Allein Hermôdhr ist wohl nur ein anderer Name für Hödhr und gerade der, unter dem dieser Gott den Angelsachsen bekannt war. Sehen wir von Wali (Bûi oder Beaw) als dem Rächer Baldurs ab, so sind es eigentlich nur zwei Brüder, Baldur und Hödhur, welche die beiden der Zeit nach gleichen, dem Lichte nach ungleichen Hälften des Jahrs bedeuten. Tacitus hatte von ihnen vernommen: er nannte sie Germ. c. Alces und verglich sie mit Castor und Pollux. In unsern Sagen, den Nachklängen der Mythen, werden diese beiden Brüder »bald als Freunde bald als Feinde, bald zum Verwechseln ähnlich bald höchst ungleich geschildert, der eine schön, der andere häßlich, der eine weiß, der andere schwarz« (Handb. 342). Statt dieser beiden nimmt aber die Edda auffallender Weise dreie an, indem sie den Hermôdr hinzufügt, was auf eine Störung der Ueberlieferung deutet. Jene beiden Brüder, Balder und Hother, lernen wir aus Saxo als feindlich kennen und wenn sie nach der Wöluspa in der verjüngten Welt Hand in Hand aus Hels Hause zurückkehren, so gehen sie sich doch nirgends jenen sonst in Mythen und Sagen herkömmlichen Beweis der Freundschaft, der darin besteht, daß Einer für den Andern die Schrecken des Todes überwindet. Dieser in der griechischen Mythe nicht vermisste Zug fehlt indessen hier keineswegs ganz, nur ist er auf den dritten Bruder, Hermôdr übertragen. Dieselbe Faßung des Mythus dürfen wir aber bei den Angelsachsen nicht voraussetzen: ihnen waren vielleicht wie dem Saxo nur die beiden Brüder bekannt, welche das zunehmende und abnehmende Licht oder die dunkle und lichte Jahreshälfte bedeuteten; sie nannten sie aber Bäldäg und Heremôd.

In unserm Gedicht ist Heremôd wie im Hyndlulied kein Gott mehr, nur noch ein göttlicher Held. Da aber sein Gemüth sich immermehr verfinstert, so ist er nicht ungeeignet, für einen epischen Nachklang des göttlichen Wesens zu gelten, in welchem einst die dunkle Seite des Jahrs (von der Sommersonnenwende bis zum Julfest, Weihnachten) angeschaut wurde. Wali, an dessen Stelle bei den Angelsachsen Skeaf tritt, bedeutet als Baldurs Rächer das nach dem Siege über das Dunkel der winterlichen Jahreshälfte im Frühjahr wiederkehrende Licht. Den Zweikampf, in welchem dieser Sieg von dem einnächtigen Göttersohn erfochten wird, konnte die angelsächsische Sage nicht berichten, weil sie zur Heldensage herabgesunken, ja in den Stammtafeln bereits historisiert ist. Die fränkische Sage wuste wahrscheinlich niemals davon, daß der Rächer Baldurs den Kampf mit dessen Mörder einnächtig bestanden habe: sie hatte ihn stäts erwachsen gedacht: darauf läßt sowohl die Meldung des Tacitus über Ulyxes als die Schwanenrittersage schließen. In beiden wird ein Kampf angenommen: Odysseus hat die Freier zu bestehen; der Schwanenritter einen Grafen. Aber sie kämpfen ihn erwachsen; nur die angelsächsische und nordische Sage wißen von dem neugeborenen Knaben.

Betrachten wir jetzt die angelsächsischen Stammtafeln näher, so finden wir folgende Reihe, welcher wir die entsprechende unseres Gedichts zur Seite stellen:

Heremôd       Heremôd
Sceáf       Scéf
Sceldwa       Seyld
Beaw       Beow(ulf)
Taetwa       (Healfdene).

Was von Sceáf bis Taetwa Zeugungen scheinen, das waren eigentlich, wie das auch von Müllenhoff 414. 418 angenommen wird, nur »Prädicate« eines und desselben Gottes: »der Mythus ist in seine einzelnen Momente zerlegt und auf mehrere Personen vertheilt.« Skeáf hieß der noch ungeborene Wali, weil er vor der Geburt wie einst nach dem Tode auf dem Schaube liegend gedacht wurde. Der Grund, warum er den zweiten Namen Scelvwa = Scyld führte, ist bei den Angelsachsen nicht zu finden; nur die nordische Mythe giebt darüber Auskunft, wenn auch nicht bei Skiöld, doch bei Uller. Nach Skalda c. 14 und 49 hieß Uller Schild-As (Skialdar-ás), und der Schild Ullers Schiff, ohne Zweifel weil er sich seines Schildes als eines Schiffes bediente wie jene kühnen Allemannen bei Ammianus Marcellinus 16, 12, die in Ermangelung eines Schiffes auf ihren Schilden über den Rhein setzten. So war vielleicht auch Skild, wie schon Wackernagel Zeitschr. IX, 574 vermuthete, nach älterer Darstellung statt des Schiffes auf einem Schilde gekommen. Oder waren die Schilde in älterer Zeit Schiffen gleich gebildet? Saxo bekanntlich erzählt von Ollerus (Uller), er habe einen Knochen so zu bezaubern verstanden, daß er sich desselben als eines Schiffes bedienen konnte. Aus Knochen von Pferden und Rindern wurden kleine schildartige Kähne gebildet, die man an die Füße schnallte als Schrittschuhe und Waßerschuhe. Vgl. Handb. 338.

Von dem dritten Namen Beaw wißen wir schon, daß er dem Bous (altn. Bûi) des Saxo entspricht. Er giebt diesen Namen dem sonst Wali genannten Sohne der Rinda, der Baldurs Tod an Hödhr (Hermodr) zu rächen bestimmt ist. Varianten der Stammtafeln nennen den Beaw auch Beow und Beowinus, was ich nur für eine Ableitung von Beaw oder Beow halte, während es andere für Zusammensetzung erklären und als Freund des Beaw verstehen. Wenn unser Lied für Beaw Beowulf setzt, so sehe ich dieß für einen sinnstörenden Schreibfehler an, der aber in einem Gedichte, dessen Held Beowulf hieß, leicht erklärlich ist. Der Schreiber, der Beow in seiner Vorlage fand, mochte dieß für eine Abkürzung von Beowulf ansehen, und sich für berechtigt, ja verpflichtet halten, es voll aus zu schreiben. Nur wenn der Held unseres Gedichtes, dem der Name Beowulf wirklich gebührt, auf Wali zurückgeführt werden könnte, ließe sich I. 1 die Lesart Beowulf Scyldinga rechtfertigen. Den Skeaf für Wali zu halten, hat mich Müllenhoff gelehrt, der Zeitschr. VII, 418 zunächst an diesen zu denken versucht schien, sich aber dabei schon darum nicht hätte beruhigen dürfen, weil er an dem überlieferten Texte festhaltend beide darin vorkommenden Beowulfe nur auf denselben Gott deuten konnte. Aehnlich verhielt es sich auch, um mir hier selber vorzugreifen, bei jenem Beowulf, welcher unserm Gedichte den Namen giebt; auch diesen schien er 426. 439 als Donar (Thôr) erkannt zu haben; aber schon weil jener Beaw der Stammtafeln, der in unserm Gedicht gleichfalls Beowulf hieß, auf Thôr nicht zu beziehen war, konnte ihm nur ein Gott genügen, in welchem beide Beowulfe unseres Liedes vorgebildet schienen, und da bot sich ihm Freyr an, der ihm sowohl den Wali als den Thôr verdrängte. Weil aber nach unserer Ansicht das Gedicht nur Einen Beowulf kennt, und Beaw mit Beowulf nichts zu schaffen hat, so sind wir nicht abgeneigt, noch immer den einen wie den andern auf die Götter zu deuten, welche zuerst Müllenhoffs Scharfsinn in ihnen erkannte.

Der vierte Beiname Taetwa, der einem hochdeutschen Zeizo (tener) entsprechen würde, könnte für den Göttersohn, der im zartesten Alter den Zweikampf besteht, nicht glücklicher gewählt sein.


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