Karl Simrock
Beowulf
Karl Simrock

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4. Scild Scefing.

Daß zwischen deutschen und skandinavischen Völkern noch kein schroffer Gegensatz waltete, sehen wir auch aus der so eben erwähnten Sage von Skild Skefing. Der Beiname Scefing bezeichnet den Scild als Sohn des Scef oder Sceaf, und von Skeaf wird sonst erzählt, was wir hier von seinem Sohne Scild berichtet finden. Der Grund der Uebertragung aus Scild ist deutlich: von Scild oder Skiöld stammte das dänische Königsgeschlecht der Scildinge oder Skiöldunge ab, die als Schiltunge auch in deutschen Sagen erscheinen. Für den dänischen Ursprung der Mythe von Skeaf läßt sich auch anführen, daß wir sie bei den lateinischen Chronisten mehrfach auf das dänische Schonen bezogen finden und Sciöld FMS S. 239 Skânunga godh heißt. Nach dem Wandererslied herschte aber Sceaf über die Langobarden und Müllenhoff hat Zeitschr. VII, 417 den anglischen Ursprung der Sage dargethan, auch haben wir sie so eben, wenn auch nur in einem Nachklange, in dem von den Angeln gestifteten Mercien wiedergefunden. Einige jener lateinischen Chronisten laßen den Knaben in Schleswig, der Hauptstadt des alten Angeln, landen, ja nach einem derselben sollen die Sachsen von ihm benannt sein; auch heißt es von Scild (Kemble IV) iste primus inhabitator Germaniae fuit. Werden wir so auf das engere Deutschland gewiesen, so läßt sich auch nicht verkennen, daß sich dieselbe Sage auch am Niederrhein und an den Rhein- und Scheldemündungen von Nymwegen bis Valenciennes in vielfachen Gestaltungen festgesetzt hat. Schon Tacitus scheint nach dem was er Germ. c. 3. über Ulyxes berichtet, von ihr vernommen zu haben. Auch Odysseus landete schlafend wie Skeaf und der Schwanenritter; er kam aus dem Lande der Todten: Kalypso ist wörtlich, ja buchstäblich die nordische Hel, die personificierte Unterwelt, und Asciburgium bedeutet die Schiffsburg von Ask, der gehöhlten Esche, von der auch die Ascomannen genannt waren. (Handb. der Myth. 370); was es aber mit dem Schiffe auf sich hat, wird sich bald zeigen. Daß auch der Schwanenritter aus der Unterwelt, dem Seelenlande kam und dahin zurückkehrte, sehen wir aus dem Wartburgkriege, wo er von Artus ausgesendet wird, der im Berge nachlebt mit Juno und Felicia Sibyllen Kind. Felicia ist Frau Saelde und der Berg die Unterwelt, der älteste Aufenthalt der Götter. Das ist auch der Grund, warum die Frage nach seiner Herkunft verboten war: als sie dennoch geschieht, scheidet er hinweg in demselben Kahne, worin er gekommen war. Der Kahn ist von einem Schwane gezogen: dieser ist der Schwanenrittersage eigenthümlich, deutet aber wieder auf die Unterwelt. In dem Brunnen der Urd (Wurd), der Norne der Vergangenheit und des Todes, nähren sich zwei Schwäne und von ihnen kommt das Vogelgeschlecht dieses Namens. Edda D. 16. Auf den Schwan legten die Angelsachsen Eide ab, wie die Alten bei dem Styx schwuren, die Nordländer (und wie Woeste Zeitschr. für Myth. I. 396 nachweist, auch die Deutschen) bei Ullers Ring. Uller war aber, wie Handb. d. Myth. S. 337 gezeigt ist, der unterweltliche Odhin. Ueber die Beziehungen des Schwans zur Unterwelt oder zum Seelenlande vgl. Mannhart Germanische Mythen 342 und W. Müller Germania I. 421. Die Seelen der Verstorbenen pflegen als Schwäne zu erscheinen und so faßt auch das flämische Volksbuch von dem Schwanenritter den Schwan, der das Schiff zieht. Auf Rügen vertritt der Schwan die Stelle des Storchs: man sagt, daß er die Kinder bringe. Von dem Schwan weiß die Sage von Skeaf noch nicht; aber das steuerlose Schiff, das Winden und Wellen überlaßen ist, läßt keinen Zweifel darüber, woher er kam und wohin er fuhr. Was das letzte betrifft, so wird man nicht leicht verkennen, daß bei seinem Hinwegscheiden das Todtenland sein Ziel war; sogar noch die Worte unseres Liedes (Einleitung 52), Niemand wiße, wer die Ladung des Schiffes empfangen habe, laßen sich dahin deuten: die heilige Scheu vor der Unterwelt gebot in so geheimnissvoller Weise von ihr zu sprechen, dieselbe Scheu, um derentwillen auch der Schwanenritter nicht nach seiner Herkunft gefragt sein wollte. Es ist bekannt genug, daß man Leichen in Schiffen beisetzte und den Wellen übergab. Handb. S. 368. Mannhart Germ. Mythen 357 ff. Skeaf lag auf dem Schaub, dem manipulus frumenti, dem Bündel Stroh (Müllenhoff Sagen, Märchen und Lieder S. 4), von dem er den Namen hat, wie die Chronisten ausdrücklich melden. Auf dem »Schoof« liegen heißt am Niederrhein gestorben sein, weil es Sitte war, die Todten auf ein Schaub Stroh zu betten. Wenn dieß zu dem Beweise genügt, daß Skeaf, als er heimkehrte, zum Todtenlande fuhr, so bleibt eins noch darzuthun, daß er auch aus dem Seelenlande kam. Skeaf lag auf dem Schaub, nicht bloß als er heimfuhr, schon als er ankam. Damals war er noch ungeboren, wie es Einl. Z. 46 ausdrücklich heißt, so sehr man sich auch gesträubt hat, diesen deutlichen Sinn des Wortes umborwesende gelten zu laßen, obgleich man zuletzt zugestehen muste, daß es dem valde recens puer der Chronisten entspricht. Ungeboren und gestorben steht sich mythisch gleich: die Unterwelt ist die Quelle alles Lebens wie auch alles Leben dahin zurückkehrt. Das Kind, das der Storch bringt, ist noch nicht geboren, so lange der Storch es im Schnabel hat: erst wenn er es der Mutter in den Schooß legt, kommt es zur Geburt. So galt auch Skeaf noch für ungeboren, so lange er im Schiffe auf dem Schaube lag: erst als das Schiff landete und die Leute des Landes ihn für ein Wunder aufnahmen, schien er zur Geburt zu kommen. Zu Schiffe werden nicht bloß die Todten der Unterwelt zugesandt, zu Schiffe kommen auch die neugeborenen Kinder. Mannhart a. a. O. 370. Rochholz Schweizersagen I. 51. In Cortryk kommen die Kinder, statt mit dem Storch oder aus dem Kinderbrunnen, zu Schiffe herbei. Wenn die Kinder fragen: Moder, wennehr kopen wy een Kindje? so antwortet die Mutter: Het Schip zal weldra kommen, dann zult gy een Züsterken hebben. Wolf Beitr. I. 164. Vgl. Mein Kinderbuch Nr. 154, 155.

Dubbedubbedub, minge Mann es kumme,
Dubbedubbedub, wat hät hä brahd?
Dubbedubbedub, en Schef voll Junge,
Dubbedubbedub, datt es kott Waar.

Die mythische Vorstellung, daß das Schiff die neugebornen Kinder bringe, liegt auch dem Weihnachtsliede zu Grunde, das sich an Taulers Namen knüpft:

Es kommt ein Schiff geladen
Bis an den höchsten Bord,
Trägt Gottes Sohn voll Gnaden u. s. w.

Der Annahme, daß Skeaf aus dem Seelenlande komme und dahin zurückkehre, widerspricht es nicht, daß er mit Waffen und Schätzen umgeben ist. Waffen und Schätze gab man den Todten mit, und sowie der Schaub, die Bausche Stroh, die eigentlich nur dem ins Todtenreich zurückkehrenden Helden zu gehören scheint, auf den noch ungeborenen übertragen ist, wie sie beide auch schon durch das Schiff gleichgestellt sind, das sie brachte und wieder hinwegführte, so mögen Waffen und Schätze ursprünglich auch nur dem heimkehrenden Helden gehört haben, aber auf den anlandenden übertragen sein.


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