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XXI.

Beide Mädchen saßen schweigend im Zimmer Lulus. Es war ein peinliches Schweigen. Die Gräfin hatte ihr ganzes Ich in diese Liebe gelegt. Sie hatte ihre Standesvorurteile überwunden, die Hand eines liebenden Mannes zurückgewiesen und damit zugleich das Leben im Überfluß und die eigene Unabhängigkeit, und nach all dem erfuhr sie nun, daß der Mann, den sie liebte, eine andere heiraten werde.

O, sie verlor noch mehr. Sie verlor Glaube und Hoffnung. Die Erde schien unter ihren Füßen zu schwanken. Sie fühlte sich, als ob sie in einem Boot ohne Ruder in die Zukunft hinaussegeln sollte, in der sie kein Ufer, keine Zuflucht sah. Eine Waise, die bei guten Menschen eine Zuflucht gefunden hatte, konnte sie morgen ohne Mittel zum Leben sein. Von Kummer niedergedrückt, saß das junge Mädchen mit trockenen Augen neben der schluchzenden Malinka und drückte sie an sich. Die Gräfin weinte nicht, und wenn sie auch Thränen hatte, so trocknete sie doch der Zorn sofort.

Am folgenden Morgen erhielt die Gräfin zwei Briefe, den einen von Pelski, den andern von Schwarz.

Pelski schrieb:

 

»Verehrte Dame!

Der Kummer, den ich infolge Ihrer unerwarteten Antwort empfand, verhinderte mich, meine Worte zu überlegen. Ich verzichtete auf die Freundschaft, die Sie mir anboten statt der Liebe, und jetzt bereue ich das. Obgleich ich mir Ihr Verhalten gegen mich nicht erklären kann, sehe ich doch, daß Sie der Stimme Ihres Herzens gefolgt sind. Gott gebe, daß Sie sich nicht geirrt haben und daß Ihr Erwählter Sie so sehr lieben wird wie ich, und dann werde ich beruhigt sein über Ihr Glück. Ich wage nicht, den Mann zu beurteilen, den Sie lieben, aber was mich betrifft, so bin ich durch die grausame Notwendigkeit gezwungen, auf die Hoffnung zu verzichten, Sie jemals zu besitzen. Ich flehe Sie an, die Worte zu vergessen, die ich im Kummer gesprochen habe. Erlauben Sie mir, zu Ihnen zurückzukehren, um der Freundschaft teilhaftig zu werden, die ich unbedachtsamerweise zurückgewiesen habe und welche künftig mein einziges Glück sein wird.«

 

Den zweiten Brief brachte am Abend Augustinowitsch. Die Gräfin wollte ihn nicht öffnen.

»Beleidigen Sie ihn nicht,« sagte er bittend. »Denn in diesem Augenblick ist mein alter Freund vielleicht schon … « Thränen erstickten seine Stimme. Endlich fügte er mit Anstrengung hinzu: »Vielleicht sind in diesem Briefe seine letzten Worte enthalten, die er vor dem Tode noch sprechen konnte. Gestern habe ich ihn in das Hospital gebracht,« schloß er flüsternd.

Die Gräfin erbleichte, begann zu schwanken und wäre beinahe gefallen. Vergebens suchte sie sich zu fassen, kalt und gleichgültig zu erscheinen. Sie ergriff den Brief, riß ihn auf und las folgendes:

 

»Meine Teuerste!

Ich verstehe den Verlust Deiner Hand, aber nicht Deiner Achtung zu tragen. Lies diesen Brief und urteile selbst. Mein guter Freund hat mir diese Frau sterbend anvertraut, die er mit der ganzen Kraft seines Herzens liebte, und deren Liebe ich, ohne es zu wollen, ihm abwendig gemacht habe. Nach dem Tode meines Freundes wurde ich näher mit der Frau bekannt, und ich glaubte, sie zu lieben. Zum Unglück habe ich ihr das auch gesagt, dann … aber Du weißt ja schon selbst, meine Teuerste, was dann kam. Ich verbarg mir selbst meine Neigung zu Dir. O, wie sehr habe ich gelitten! Aber verzeihe mir! Auch ich bin ein Mensch, auch ich mußte lieben, doch von dieser Liebe hast Du nicht aus meinem Munde erfahren. Als ich endlich allein meinem Gewissen gegenüber stand, und als ich zur Besinnung kam – wie sollte ich handeln, wohin mich wenden, und was sollte ich wählen? Urteile selbst. Der Schwur, den ich dem Sterbenden gegeben, und mein Wort, das ich der unglücklichen Frau gegeben hatte, mit einem Worte, alles außer meinem Herzen, nötigte mich, auf Dich zu verzichten. Es ist nicht meine Schuld, daß Du erst gestern das erfahren hast. Du solltest es schon am ersten Tage nach Pelskis Ankunft erfahren. Aber zum Unglück und durch menschlichen Leichtsinn ist das anders gekommen.

Das ist die jetzige Lage der Sache. Jetzt urteile Du selbst, und wenn Du kannst, so verzeihe mir.

Augustinowitsch sagt, ich sei krank. Ja, das ist möglich. Meine Gedanken verwirren sich, mein Blut ist erhitzt. Und aus diesem Schmerz und aus diesem Nebel heraus sehe ich nur eins: Daß ich Dich liebe, innig liebe, teurer Engel.«

 

Als die Gräfin diesen Brief gelesen hatte, verschwand der Rest von Zorn und Stolz in ihr, und ihr schönes Gesicht drückte nur tiefen Kummer aus.

Augustinowitsch warf sich vor ihr auf die Knie: »Vergeben Sie auch mir, ich war unaufrichtig gegen Sie und habe Sie geschädigt. Aber damals wußte ich nicht, und glaubte ich nicht, daß solche Engel wie Sie auf Erden wandeln.«


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