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XIX.

Aber die Zeit verging, und Schwarz kehrte nicht zur Gräfin zurück. Malinka sagte einmal zu Augustinowitsch: »Pelski wird sich wahrscheinlich in einigen Tagen erklären.«

»Erklärt er sich nicht, so wird sie es thun,« erwiderte Augustinowitsch spöttisch.

»Das ist nicht wahr, das wird sie nicht thun.«

»Wir werden sehen.«

»Nein, Adam, Lulu ist zu stolz, und wenn sie wirklich Pelski heiraten würde, so würde sie es nur aus Verdruß über die Gleichgültigkeit von Schwarz thun. Sie hat sich sehr in ihm getäuscht, und deshalb könnte man es ihr nicht verdenken.«

Augustinowitsch schwieg.

»Ja, sie hat sich eben geirrt. Und glauben Sie mir, ich allein weiß, was sie diese Enttäuschung kostet. Obgleich unsere Beziehungen etwas gespannt sind, sehe ich doch, wie sie leidet. Gestern kam ich in ihr Zimmer und traf sie in Thränen. ›Lulu,‹ fragte ich, ›was ist Dir?‹ – ›Nichts, nur etwas Kopfschmerz,‹ erwiderte sie. ›Nicht der Kopf, sondern das Herz schmerzt,‹ rief ich und wollte sie umarmen, aber sie schob meine Hand zurück und stand mit solchem Stolz auf, daß ich erstaunt war. Keine Thräne war mehr in ihren Augen. ›Ich weinte aus Beschämung,‹ sagte sie mit Anstrengung. Ich suchte sie zu begreifen, vermochte es aber nicht. Nur eins weiß ich, daß ich an demselben Abend sie wieder in Thränen antraf.«

»Was beweist das?« fragte Augustinowitsch.

»Daß sie noch immer an Schwarz denkt. Aber was ist denn vorgefallen, daß er nicht mehr kommt?«

»Wenn er aber wiederkäme?«

»Dann würde sie Pelski nicht heiraten.«

»Darüber muß ich lachen.«

»Sie finden alles lächerlich. Aber ist es ehrlich von Schwarz, sie zu verlassen?«

»Er hat keine Zeit, er arbeitet immer.«

Aber an demselben Tage überzeugte sich Malinka, daß Schwarz nicht immer zu Hause saß, wie Augustinowitsch behauptete. Als sie mit ihrer Mutter durch einige Straßen ging, sah sie ihn in Gesellschaft eines Studenten. Er bemerkte sie nicht, aber Malinka war erstaunt über sein Aussehen. Er sah so bleich und erschöpft aus wie nach einer schweren Krankheit.

»Er ist wohl krank gewesen,« dachte sie, als sie nach Hause zurückkehrte.

Jetzt glaubte sie zu begreifen, warum Augustinowitsch die Ursache seines Fernbleibens nicht erklären wollte.

»Jedenfalls hat ihn Schwarz gebeten, Lulu nichts von seiner Krankheit zu sagen,« schloß sie, und Schwarz stieg in ihrer Achtung.

Am Abend kam wie gewöhnlich Augustinowitsch. Dieses Mal waren die Gräfin und Frau Wisberg im Salon.

»Ah,« rief Malinka, »jetzt weiß ich, warum Schwarz so lange nicht bei uns war.«

Die Augen der Gräfin leuchteten, und ihre Hände zitterten merklich, obgleich sie sich zu fassen suchte.

»Ja, der Arme muß sehr krank gewesen sein,« sagte Frau Wisberg, »er sieht totenbleich aus. Warum haben Sie uns nichts davon gesagt, Herr Augustinowitsch?«

»Herr Adam hat wahrscheinlich befürchtet, daß Du Lulu davon sagen werdest; aber ist das schön?« fragte Malinka.

»Was ist Dir, Lulu, bist Du krank?«

»O nichts, ich komme gleich wieder.«

Sie war ganz bleich geworden und eilte in ihr Zimmer. Frau Wisberg wollte ihr nachgehen, aber ihre Tochter hielt sie freundlich, aber entschieden zurück.

»Laß sie, Mama,« sagte sie. Dann wandte sie sich an Augustinowitsch. Ihre Stimme klang ernst und traurig. »Herr Augustinowitsch, glauben Sie noch immer, daß Lulu eine herzlose Kokette sei?«

»Ich kann mich geirrt haben,« murmelte er, »aber … aber …«

Er vermochte in diesem Augenblick nicht, ihr mitzuteilen, daß Schwarz Helene heiraten und daß er nicht mehr kommen werde.

Als er nach Hause zurückgekehrt war, sagte er auch nichts davon, was bei Frau Wisberg vorgegangen war.

Die Gräfin hatte sich in ihr Zimmer eingeschlossen; ihr Kopf glühte und ihre Schläfen hämmerten. Ihre Gedanken verwirrten sich, vor ihren Augen drehten sich Schwarz, Pelski, Malinka, Augustinowitsch in einem unbegreiflichen Chaos, aus welchem sich die Gestalt von Schwarz mit geschlossenen Augen höher und höher erhob.

»Der Arme,« dachte sie, »er stirbt vielleicht, und ich werde ihn nicht mehr sehen.«

Sie hatte noch eine andere Erklärung gefunden für das Fernbleiben von Schwarz. Sie dachte, er opfere sich für sie auf. Er wolle nicht zwischen ihr und Pelski stehen, er überlasse ihm den Platz, und darum leide er.

»Wer hat ihm aber gesagt, ich werde mit Pelski glücklich sein?« flüsterte sie. »O mein Gott, warum hat er mir nicht vertraut! – Aber konnte er mir vertrauen?« Sie erinnerte sich mit Gewissensbissen jener Augenblicke, wo sie Pelski mit glänzenden Augen, entzückendem Lächeln und freundlichen Worten aufgenommen hatte; sie erinnerte sich an die Schamröte, welche auf ihren Wangen erschienen war, als Augustinowitsch erzählt hatte, Schwarz sei der Sohn eines Grobschmieds. Heftig fuhr sie noch jetzt zusammen und bedeckte ihr Gesicht. Aber das war jetzt ein anderes Erröten und eine andere Beschämung. Jetzt würde sie mit größerer Liebe seine Stirn küssen und mit größerem Glück sich an ihn schmiegen, wenn er auch selbst Grobschmied wäre. »O, wie dunkel ist es vor meinen Augen. Ich wußte selbst nicht, daß ich ihn so sehr liebe.«

Zwei Tage lang zeigte sich Augustinowitsch nicht bei Frau Wisberg. Dafür aber kam der Graf, und wie Malinka vorausgesehen hatte, erklärte er sich gegen die Gräfin. Er sprach seine Hoffnung auf eine glänzende Zukunft, mit ihr vereint, aus; aber wie groß war sein Erstaunen, als Lulu mit entschiedener Stimme seinen Antrag ablehnte

»Ich liebe einen anderen,« sagte sie.

Pelski wünschte zu wissen, wer dieser Glückliche sei und erhielt eine entschiedene Antwort, worauf die Gräfin, wie das in solchen Fällen üblich ist, ihm ihre Freundschaft anbot.

Aber der Graf wies ihre Freundschaft und selbst ihre Hand beim Abschied zurück.

»Du hast mir zu viel genommen, Cousine, und giebst mir viel zu wenig,« sagte er düster. »Für ein ganzes Lebensglück – nur Freundschaft.«

Aber die Gräfin sah ihn ohne Bedauern gehen und dachte an einen anderen. Das ist der Egoismus der Liebe, sie denkt immer nur an sich.

Die Gräfin suchte Malinka auf. Sie fühlte das Bedürfnis, ihr Herz auszuschütten.

Malinka saß träumend am Fenster, als plötzlich fremde Arme ihren Hals umfaßten.

»Bist Du es, Lulu?«

»Ja,« erwiderte die Gräfin und setzte sich vor sie auf einen Fußschemel und legte ihren Kopf auf Malinkas Knie. »Bist Du mir nicht böse?« fragte sie. »Ich mache mir Vorwürfe Dir gegenüber, aber jetzt bin ich gern bei Dir. Wir wollen uns unterhalten, ich habe Dir etwas zu erzählen. Willst Du?«

Malinka lächelte halb traurig, halb schalkhaft. »Bald wird sich alles ändern,« sagte sie, »es wird ein Herr erscheinen und uns Lulu entführen, und ich bleibe allein.«

»Meinst Du?« fragte leise die Gräfin.

»O gewiß! Der Arme ist krank und wahrscheinlich vor Kummer. Ich habe nicht begreifen können, warum Augustinowitsch nicht sagen wollte, warum er nicht kommt. Und erst jetzt habe ich es begriffen. Schwarz hat ihm verboten, es zu sagen, um Dich nicht zu erschrecken.«

»Ich aber glaube, er wollte Pelski nicht im Wege stehen.«

»Wie ist's mit Pelski?«

»Darüber eben wollte ich mit Dir sprechen. Heute hat er mir einen Antrag gemacht.«

»Nun?«

»Ich habe ihn abgewiesen.«

Eine Stille trat im Zimmer ein.

»Er hat nicht einmal meine Hand zum Abschied angenommen. Aber konnte ich anders handeln? Ich gestehe, ich habe mir Vorwürfe zu machen, aber ich konnte nicht anders handeln. Ich liebe ihn nicht.«

»Besser spät als gar nicht. Du bist der Stimme Deines Herzens gefolgt und kannst nur mit Schwarz glücklich sein.«

»O, ja ja.«

»In einem Monat werden wir Fräulein Lulu im weißen Kleide sehen, und dann wird es kein Fräulein Lulu mehr geben. Er muß wirklich ein sehr guter Mensch sein, da ihn alle so achten und lieben. Meine Mama fürchtet ihn beinahe und ich auch, aber ich achte ihn wegen seiner Charakterstärke.«

Die Gräfin stützte den Kopf auf beide Hände und stellte ihre Ellbogen auf Malinkas Knie. Sie blickte Malinka in die Augen, während Thränen über ihre Wangen liefen.

Es war ganz dunkel geworden. Der Mond ging auf. Im Zimmer herrschte Schweigen, das nur von dem Geflüster der jungen Mädchen unterbrochen wurde. Plötzlich ertönte die Glocke.

»Wer ist das?« rief die Gräfin. »Sollte er es sein?«

Aber er war es nicht.

Im Vorzimmer hörte man die Stimme von Augustinowitsch.

»Sind die Damen zu Hause?« fragte er.

»Gehe in das andere Zimmer und höre, was wir reden werden,« sagte Malinka hastig. »Ich werde ihm sagen, daß Du Pelski einen Korb gegeben hast, und werde ihn bitten, dies Schwarz zu erzählen. Dann wollen wir sehen, ob er kommt.«

Die Thür öffnete sich, und Augustinowitsch trat in den Saal.


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