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VI.

Augustinowitsch war in die Wohnung von Schwarz gezogen, und mit diesem Augenblick begann eine große Veränderung in seinem Leben. Früher hatte er keine warme Ecke gehabt, und es fehlte ihm an Kleidern und an allem. Schwarz kaufte ein Bett und neue Kleider und teilte mit ihm seine Mahlzeiten. Mit Augustinowitsch ging eine große Veränderung vor sich. Er war wohlgenährt, neu gekleidet, gekämmt, gewaschen und rasiert. Er war ein schrecklich schwacher Charakter, der seine Lebensumstände nicht zu gestalten wußte. Jetzt gewann er Geschmack an einem gesitteten Leben. Am schwersten fiel es ihm, sich den Branntwein abzugewöhnen, aber er hatte keine Gelegenheit, sich zu betrinken, weil Schwarz ihm zwar zuweilen Branntwein gab, aber kein Geld. Und mit welcher Ungeduld erwartete Augustinowitsch den Augenblick, wo Schwarz die Flasche aus dem Schrank nahm und Branntwein eingoß.

Nach und nach milderte Schwarz seine Strenge und behandelte Augustinowitsch mehr wie einen Genossen. Er weihte ihn sogar in seine Studien und in seine Denkungsweise ein. Augustinowitsch eignete sich alles an und wiederholte, was Schwarz gesagt hatte, indem er es für seine Ansicht ausgab und dabei hinzufügte: »Ich denke, ich meine« und so weiter. Er war kaum wiederzuerkennen. Er, für den es früher nichts Beschämendes gab, sagte jetzt in Versammlungen, wenn das Gespräch einen freieren Charakter annahm: »Meine Herren, benehmen Sie sich anständiger.« Alles lachte dann, und auch Schwarz lachte, aber aus Vergnügen darüber, daß es ihm gelungen war, diesen Menschen zu bessern.

Augustinowitsch studierte mit Schwarz in derselben Fakultät und lernte mit ihm jeden Abend zusammen. Jetzt vermochte Schwarz seine Fähigkeiten zu schätzen, nichts fiel ihm schwer und er besaß ein ungewöhnliches Gedächtnis.

Ein häufiger Gast von Schwarz war Wassilkjewitsch. Anfangs kam er mit Karwowsky, dann aber auch allein, und schließlich jeden Tag zu bestimmter Stunde. Seine Gespräche mit Schwarz betrafen die wichtigsten Fragen der Wissenschaft. Diese beiden jungen Männer begriffen einander. Ihre Freundschaft war auf gegenseitige Achtung gegründet, und ihr Einfluß auf die studierende Jugend wuchs mit jedem Tage.

»Sage mir einmal,« fragte Schwarz eines Tages, »was die Studenten von meinem Versuch mit Augustinowitsch sprechen.«

»Manche billigen ihn,« erwiderte Wassilkjewitsch, »andere lachen über Dich. Vor einigen Tagen war ich bei einem Deiner Gegner wegen unserer Bibliothek und traf bei ihm eine große Gesellschaft an, welche eben über Dich und Augustinowitsch sprach. Und weißt Du, wer Dich am meisten verteidigt?«

»Wer?«

»Rate.«

»Karwowsky?«

»Nein.«

»Ich kann es nicht erraten.«

»Gustav.«

»Gustav?«

»Ja. Denen, die über Dich lachten, sagte er soviel unangenehme Wahrheiten, daß sie lange daran denken werden. Du weißt, wie er das versteht. Ich glaubte, sie werden alle außer sich geraten.«

»Nun, das hätte ich von ihm nicht erwartet. Ich habe ihn auch schon lange nicht mehr gesehen.«

»Der arme Kerl ist bis über die Ohren verliebt. Schade um ihn, ein guter Junge! Aber sage mir – Du kennst ihn ja besser – ist er gefährlich krank?«

»Ja, es geht schlecht mit ihm.«

»Wirklich? Immer dieses Asthma?«

Schwarz nickte mit dem Kopf.

»Asthma … übermäßige Arbeit … Unannehmlichkeiten …«

In diesem Augenblick hört man fremde Schritte auf der Treppe. Bald öffnete sich die Thür, und ins Zimmer trat Gustav.

Er hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Sein Gesicht war außerordentlich bleich, fast durchsichtig. Seine Lippen waren farblos. Haar und Bart erschienen noch dunkler auf seinem wachsgelben Gesicht. Er sah aus wie ein schwerkranker Mensch.

Schwarz war verwundert und verwirrt durch diesen unerwarteten Besuch.

»Schwarz,« begann Gustav, nachdem sie sich begrüßt hatten, »ich komme mit einer Bitte: Du hast mir einmal das Wort gegeben, zu Potkanska nicht mehr zu gehen. Nimm es zurück.«

Schwarz war dieses Thema unangenehm.

»Ich bin nicht gewohnt,« sagte er, »mein Wort zurückzunehmen.«

»Mag sein,« erwiderte Gustav ruhig, »aber dies ist ein besonderer Fall. Wenn ich sterben würde, so würde Dich Dein Wort nicht mehr binden, und siehst Du, ich bin krank, sehr krank. Sie aber hat einen Vormund nötig. Ich kann nicht mehr für sie sorgen. Ich muß mich niederlegen … ich bin ganz erschöpft … Nun und ich muß die Wahrheit sagen. Sie liebt Dich … und Du sie auch … Ich stand Euch im Wege … und jetzt gebe ich Euch Raum. Ich gestehe, daß ich das nur gezwungen thue. Es ist keine Selbstaufopferung. Ich habe sie sehr geliebt und die Hoffnung gehegt, daß sie mich auch einmal lieben werde. Aber ich habe mich geirrt … «

Dann fiel Gustavs Stimme um eine ganze Oktave.

»Niemand hat mich jemals geliebt,« fuhr er fort – »und mein Leben war sehr traurig … aber was ist zu machen? In letzter Zeit habe ich viel erlebt, aber das ist jetzt vorüber … Jetzt ist meine Sorge nur die, daß sie nicht ohne Schutz bleibt. Wenn ich mich hätte früher zu dem Opfer entschließen können, so wärst Du schon lange ihr Mann … Schwarz, thue das mir zuliebe … Du bist energisch und reich, und ich weiß, sie liebt Dich. Darum, hoffe ich, wirst Du nicht so endigen wie ich. Ach, was für ein schweres Leben! Doch darum handelt es sich jetzt nicht … Ich wollte Dich nicht kränken … Ich liebe sie immer noch … und ich will nicht, daß sie meinetwegen allein auf der Welt bleibt. Gehe zu ihr, das mußt Du mir zuliebe thun, weil ich sehr krank bin und nicht weiß, ob ich sie und Dich noch einmal wiedersehen werde.«

Wassilkjewitsch wandte sich mit feuchten Augen an Schwarz: »Du mußt thun, um was Dich Gustav bittet.«

»Gut, ich werde zu ihr gehen,« erwiderte Schwarz, »ich gebe Euch beiden mein Wort darauf.«

»Dann,« sagte Gustav, »gehe sogleich zu ihr.«

Nach wenigen Augenblicken blieb er allein mit Wassilkjewitsch. Der Litauer schwieg tief gerührt, endlich sprach er mit einer Stimme voll Mitgefühl: »Armer Gustav, ich kann mir vorstellen, was Du in diesem Augenblick leidest.«

Gustav gab keine Antwort. Er atmete tief, sein Gesicht zuckte und plötzlich gewährte ihm ein Thränenstrom Erleichterung. Die Kraft hatte ihn gänzlich verlassen.


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