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VIII.

Wie Schwarz versprochen hatte, ging er an demselben Abend zu der jungen Frau, und nach einem zweiten Besuch bei ihr war er vollkommen verliebt. Spät in der Nacht kehrte er nach Hause zurück. Es war eine schöne sternenhelle Nacht. Vom Dnjepr herüber wehte ein feuchter Wind, ein leichter Nebel erhob sich im Osten wie ein langes Band. Die ganze Luft schien Schwarz von Musik erfüllt zu sein, weil er berauscht war von der Musik in seinem Innern, – er liebte. Es war ihm als ob die Nacht seine Verlobung mit dem Glück feierte. Das vollkommene Glück ist Erinnerung und Hoffnung. Schwarz fühlte noch in seiner Hand Helenes kleines Händchen. Er erinnerte sich dieser Augenblicke und dachte an das Glück, das ihm morgen bevorstand. Doch seltsam! »Vergessen Sie mich nicht,« hatte sie beim Abschied gesagt.

Wer könnte sein Glück vergessen, wenn ihm die Zukunft lächelt?

Er blickte zum dunklen Himmelsraum auf, und sein Blick voll Feuer drang in die ferne Unendlichkeit. Mit zitternden Lippen flüsterte er: »Wenn Du wirklich bist, so bist Du groß und gut.«

Als Schwarz nach Hause kam, lag Augustinowitsch bereits in festem Schlaf, und schon auf der Treppe war sein Schnarchen zu hören. Schwarz weckte ihn und wollte ihn umarmen.

Augustinowitsch riß die Augen auf und sah Schwarz verwundert an.

Schwarz lachte vergnügt.

»Gute Nacht,« sagte Augustinowitsch, »morgen werde ich Dir sagen, woher Du kommst, aber heute kann ich nicht, ich bin zu schläfrig.«

Der folgende Tag war ein Sonntag. Schwarz stand früh auf und goß Thee ein. Augustinowitsch lag im Bette, rauchte eine Pfeife und blickte zur Decke. Beide dachten an den gestrigen Tag.

»Weißt Du, Schwarz,« begann endlich Augustinowitsch, »was mir in den Sinn gekommen ist?«

»Nein, ich weiß nicht.«

»Nun dann werde ich es Dir sagen. Es ist nicht vernünftig, sein Leben mit dem ersten Weibe, dem man begegnet, zu verbinden. Ich wünsche Dein Bestes, aber ich schwöre Dir beim Zeus – das ist nicht gut. Es giebt auf der Welt noch viel bessere Frauen als sie.«

»Woher hast Du diese Weisheit?«

»Ganz einfach, aus meiner Pfeife. Der Mensch giebt sich einem Gedanken hin und verwächst mit ihm, bis plötzlich sich ein Hindernis einstellt, dann bleibt von allen seinen Luftschlössern nicht mehr übrig als von diesem Rauch aus meiner Pfeife.«

Augustinowitsch stieß große Rauchwolken aus, welche sich an der Decke sammelten.

Das Gespräch verstummte einen Augenblick.

»Schwarz,« rief Augustinowitsch, »hast Du schon früher einmal geliebt?«

»Ob ich geliebt habe?« fragte Schwarz gedehnt – »nun ja, zuweilen, aber das hat mich nicht aus dem gewohnten Geleis des Alltagslebens gebracht. Ich kann offen sagen – ich habe noch nicht geliebt.«

Augustinowitsch erhob die Pfeife und deklamierte feierlich: »Das Weib ist eine Nichtigkeit, ein wetterwendisches Wesen.«

»Warum?« fragte Schwarz lachend.

»Nun, so sind meine Erinnerungen. Mir ist's auch komisch gegangen. Zweimal war ich verliebt bis zum Wahnsinn. Einmal habe ich trotz allem Kummer versucht, mich zu bessern und ein anständiger Mensch zu werden. Es ist mir zwar nicht gelungen, aber ich habe es doch versucht.«

»Nun, und was wurde daraus?«

»Prosa. Bei einem Hausbesitzer gab ich Stunden. Er hatte zwei Kinder, einen kleinen Sohn und eine erwachsene Tochter. Während ich den Sohn unterrichtete, verliebte ich mich in die Tochter. Eines Abends hatte ich die Augen voll Thränen und gestand ihr meine Liebe. Anfangs war sie ein wenig verwirrt, dann aber brach sie in ein Lachen aus. Du wirst es nicht glauben, was für ein widerliches Gelächter das war! Sie wußte, was mich das kostete, obgleich sie selbst Anlaß zu der Liebeserklärung gegeben hatte. Dann ging sie zu ihren Eltern und beklagte sich über mich.«

»Und die Eltern?«

»Ihre Mutter sagte mir erstens, ich sei ein Taugenichts, wofür ich mich verbeugte. Zweitens: ich solle machen, daß ich fortkomme, und drittens warf sie mir fünf Rubel zu Füßen, welche ich natürlich sogleich aufhob, da sie von mir verdient waren. Und an demselben Abend und am anderen Morgen war ich betrunken.«

»Und dann?«

»Und dann wieder abends und am dritten Morgen.«

»Und so weiter?«

»Nein, am vierten Tage weinte ich mich aus, und etwas später, als ich ein wenig geheilt war, – natürlich von der Liebe, nicht von der Trunkenheit, – versuchte ich, mich in eine andere zu verlieben, aber ich konnte nicht. Mein Ehrenwort, ich konnte nicht.«

»Nun, und hoffst Du nicht auf die Zukunft?«

Augustinowitsch dachte nach. Dann erwiderte er: »Nein, ich mache mir nichts mehr aus den Frauen. So sehr ich in früherer Zeit an sie glaubte, sie verehrt und geliebt habe als Belohnung für alle Mühen der Welt – jetzt ist nur die Leidenschaft geblieben, nicht die Liebe.«

»Aber auch nicht das Glück?«

»Ja, Du hast recht. Deshalb pfeife ich immer, wenn ich weinen will, und darum beneide ich Dich.«

Schwarz warf ihm einen raschen Blick zu. »Um was?«

»Um Dein Verhältnis zu Helene. Du brauchst keine finstere Miene zu machen und Dich zu wundern, daß ich davon weiß. O … man hat auch seine Erfahrungen. Natürlich kann ich Dir sagen, daß ich mich selbst in die Potkanska verlieben wollte. Diese Frauen ihrer Art gefallen mir besser als andere, obgleich andererseits … ach, ich fürchte, Du wirst Dich ärgern …«

»Sprich.«

»Ich gestehe, ich begann mich stark in sie zu verlieben. Sie ist eine Unglückliche. Aber das ist nicht meine Sache. Ich weiß nur, daß das Vermächtnis von einem auf den anderen übergeht, und daß jeder, der sie liebt, die ewige Seligkeit gewinnt. Brr, – mein Ehrenwort, ich möchte nicht der Erbe eines solchen Stipendiums sein und wünsche es auch meinen Freunden nicht.«

Schwarz setzte sein Glas Thee nieder, ohne zu trinken, und sagte kalt: »Gut, aber da das Erbe jetzt mir zugefallen ist, so bitte ich Dich, mit mehr Achtung davon zu sprechen.«

»Schön, ich werde ganz ernsthaft sprechen, aber nicht davon, wer Potkanska ist, sondern davon, was Du thun sollst. Ich sage das ohne jedes eigene Interesse.«

Augustinowitsch setzte sich auf das Bett.

»Siehst Du, ich kenne Dich und sie. Sie hängt sich Dir an den Hals, und eine solche Initiative von seiten der Dame ist nicht wünschenswert. Ihre Liebe muß man verdienen. Nach einem Monat wirst Du überdrüssig und sendest sie zu allen Teufeln. Ich wünsche Dein Bestes, und darum sage ich es Dir offen: Heirate sie, so lange es noch Zeit ist.«

Schwarz verfinsterte sich noch mehr und antwortete kurz: »Ich werde thun, was ich für nötig finde.«

Wirklich war ihm das kleine Wörtchen »heirate« noch nicht in den Sinn gekommen. Wenn er die Hand der jungen Frau küßte, dachte er nicht an die Folgen solcher Küsse. Darum war er über sich auch darüber verdrießlich, daß ein fremder Mensch ihn an Gewissenspflichten erinnerte. Nach einem oder zwei Tagen würde er sich selbst ihrer erinnert haben. Ein Erinnern aber von fremder Seite nahm diesem Gedanken das Entzücken und die Genugthuung eines selbständigen, aus der Liebe hervorgehenden Entschlusses. Das war schon Zwang.

Am Abend desselben Tages traf Augustinowitsch mit Wassilkjewitsch zusammen.

»Weißt Du,« sagte der erstere, »daß Schwarz immer zur Potkanska geht?«

»Nun, was dann?«

»Sie ist sinnlos verliebt in ihn. Kannst Du Dir vorstellen, was daraus hervorgehen kann, und was Schwarz thun müßte?«

»Sie auch lieben,« erwiderte Wassilkjewitsch entschieden.

»Nun, und was weiter? Und dann noch eine Frage,« fügte er hinzu, »was würdest Du thun?«

»Wenn ich sie liebte?«

»Ja.«

»Ich würde sie gleich heiraten.«

Augustinowitsch ergriff ihn am Arm, legte die Hand aufs Herz und sprach im Tone tiefster Überzeugung: »Siehst Du, wie Du weißt, bin ich Schwarz sehr zu Dank verpflichtet und möchte ihm gern wenigstens mit einem guten Rat dafür dienen. Er befindet sich in einer falschen Lage, aber es giebt gewisse Grenzen der Ehrenhaftigkeit, welche man nicht überschreiten darf. Ich möchte nicht, daß jemand ihm sagen könnte: Du hast unehrlich gehandelt. Offen gestanden möchte ich ihm das nicht sagen, aber Du hast Einfluß auf ihn.«

Anstatt ihm beizustimmen, wurde Wassilkjewitsch zornig: »Was geht das Dich an? Laß ihn zufrieden. Er hat erst vor kurzem angefangen, sie zu besuchen. Ach, Augustinowitsch, Du sprichst davon nicht aus reinem Herzen, Du hast Hintergedanken. Das ist nur Deine Einmischungssucht. Du liebst Dich wichtig zu machen und schöne Worte zu machen. Spiele nicht Komödie! Du denkst natürlich nicht daran, daß Du Deine Wohnung verlieren wirst, wenn er heiratet, und willst Dich selbst zum Opfer bringen. Laß das und kümmere Dich nicht um Schwarz. Du hast nicht für einen Groschen Takt.«

»Behalte Deine Lehren für Dich; Du willst also nicht ein Wörtchen sprechen?«

»Wenn ein solches Verhältnis etwa länger dauert, so werde ich der erste sein, der offen mit ihm spricht und ihn sogar veranlassen, sie zu heiraten. Aber heute habe ich nicht die Absicht, mich einzumischen. Das wäre eine Dummheit von meiner Seite.«

Ganz entmutigt kehrte Augustinowitsch nach Hause zurück, aber er fühlte, daß der Litauer recht hatte.


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