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XIII.

Die Gräfin hatte eine freudlose Jugend verlebt. Während ihr Vater noch lebte, blieb sie oft ganze Tage lang allein. Der Graf kehrte abends immer erschöpft und ermüdet durch seine vergeblichen Bemühungen nach Hause zurück. Dann folgten Klagen über seine Mißerfolge. In jungen Jahren war er strebsam und wollte der Aristokratie als Beispiel dienen, wie Adlige sich den Geschäften widmen sollen. Aber schließlich verlor er dabei alles, Geld und Güter. Dafür aber erwarb er Erfahrungen, die er gern für einige tausend Rubel verkauft hätte. Außerdem blieb ihm noch etwas, was er um nichts verkauft hätte, nämlich die Erinnerung an die Vergangenheit und sein Adelsstolz. Seine Verwandten hatten mit ihm gebrochen, und diejenigen, die er noch empfing, ersparten ihm nicht Kränkungen aller Art, wie die Esel in der Fabel von dem sterbenden Löwen. Ja, wenn er einen Sohn gehabt hätte, dann wäre die Sache anders gewesen. Der junge Adler wäre selbst aus dem Nest geflogen, der Sonne zu … aber es war eine Tochter. Der Graf täuschte sich nicht darüber, daß sie entweder eine alte Jungfer werden oder den ersten besten Mann heiraten müsse. Darum widmete der Graf seiner Tochter keine so heiße Liebe, wie sie es verdient hätte.

Und die Tochter, liebte sie ihren Vater aufrichtig? Ja, sie liebte ihn, weil er graue Haare hatte, weil er unglücklich war, und endlich deshalb, weil niemand da war, um ihn zu lieben. Oft erzählte er ihr abends von den glänzenden Thaten seiner Ahnen in alter Zeit. Aber diese Thaten hatten nur Wert für Grafen und Gräfinnen, – dennoch hörte sie ihn aufmerksam an und versetzte sich mit ganzer Seele in diese Vergangenheit. Sie schuf sich selbst eine halb sagenhafte Welt. Sie sah von dem goldenen Hintergrund der Sage ein geflügeltes Wesen sich erheben, einen Husaren mit krummem Säbel in der Hand, einen jungen Helden, einen Sohn der Steppe. Durch einen Wink mit der Hand verjagte er die Tartaren aus der Steppe. Das sind die gewöhnlichen Träume eines Mädchens. Er war ein solcher Held, obgleich noch jung, grausam, obgleich liebenswürdig. Er beugte sich vor einer weiblichen Gestalt, und diese – war sie. Und dieser Held war von königlichem Geblüt, der letzte Sprosse eines glorreichen Hauses.

Wie sie erzogen war, so träumte sie. Aber diese Träumerei war für sie nachteilig, obwohl schön. Wenn der Alte seine Erzählungen beendigte und, sich der Gegenwart erinnernd, hinzufügte: »Ich bin selbst schuld, ich bin selbst schuld,« so umarmte sie ihn und suchte ihn zu beruhigen.

»Du bist nicht schuld, Papachen, nur der Zufall; wenn Gott will, so kehrt auch die alte Zeit zurück.«

Aber die alte Zeit kehrte nicht mehr zurück. Der Alte starb, und kein Ritter erschien, um ihr Hilfe zu leisten und sie unter seinen Schutz zu nehmen. Der Mensch aber, der wirklich erschien, hatte nichts mit einem Ritter gemein. Sein runder Kopf mit der finsteren Miene und der breiten Stirn paßte keineswegs unter einen kupfernen Helm mit Straußfedern. Er war weit davon entfernt, daran zu denken, geflügelte Truppen gegen die Tartaren ins Feld zu führen. Aber andererseits war Schwarz eine ganz neue Erscheinung für die junge Gräfin, die ihre Bewunderung hervorrief. Er machte wenig Worte, dafür aber verstand er zu handeln. In kurzer Zeit hatte er alle ihre Angelegenheiten in die Hand genommen. Sie bemerkte, daß er Entschlossenheit, Energie besaß und schnell zu handeln wußte. Während dem alten Grafen nichts mehr gelingen wollte, brachte Schwarz an einem Tage mehr zu stände als der Alte in zehn Tagen. Er begriff sogleich, daß das junge Mädchen etwas Taschengeld haben müsse, um nicht die Güte der Frau Wisberg in Anspruch nehmen zu müssen, was ihr demütigend hätte sein müssen. Bei dem bloßen Gedanken daran zitterte sie. Aber er hatte alles vorausgesehen. Er sammelte einige Trümmer des Vermögens des Grafen, und es gelang ihm auch mit Hilfe eines ihm bekannten Advokaten, nachdem er alles verwertet hatte, eine nicht unbedeutende Summe für sie zu sammeln. Warum war dies dem Grafen nicht gelungen? Diese Frage rief bei Marie einen anderen Gedanken hervor. Sie stellte sich die Aristokratie in Gestalt ihres Vaters und die Demokratie in Gestalt von Schwarz vor.

»O, was für schreckliche Menschen müssen das sein,« dachte sie, »für welche gar keine Hindernisse existieren.«

Sie ging weit in ihren Träumereien. Einmal fragte sie Schwarz nach seiner Vergangenheit und erhielt die ganz unbefangene Antwort:

»Mein Vater war Grobschmied.«

Sie begriff nicht, wie man so etwas so einfach und natürlich sagen konnte. Sie meinte, er hätte es nicht sagen sollen, wenn er auch wirklich der Sohn eines Grobschmieds sei. Warum verschwieg er nicht seine Vergangenheit? Diese Worte wirkten wie ein Hammerschlag auf sie. Erstaunt sah sie Schwarz an, als ob sie an ihm den Lederschurz suchte oder die Spur von Funken an seinen Händen. Man muß gestehen, daß sie trotz ihrer Dankbarkeit gegen ihn und Frau Wisberg anfangs davon überzeugt war, daß ihre Grafenkrone diese Menschen ihr geneigt machte und daß sie es sich zur Ehre rechneten, einem adligen Fräulein eine Zuflucht zu gewähren. Aber sie wurde getäuscht durch Schwarz. Er sprach das Wort »Graf« ganz ebenso gleichgültig aus wie das Wort »Zigeuner«, »Jude«, »Schlachtschitz«, und so weiter. Es schien ihr, als ob er die Adelsvorrechte absichtlich ignorierte. Ja, sie bemerkte sogar in seinem Benehmen eine gewisse Herablassung ihr gegenüber. Sein Benehmen war immer höflich und delikat, aber in solcher Weise, als ob er Nachsicht für ihre Schwachheit zeigen wollte. Andererseits aber fühlte sie sich vollkommen ruhig unter solchem Schutz. Sie glaubte, daß es für Schwarz nichts Unmögliches gebe, und daß sie ruhig schlafen könne, solange er sie beschützte.

Einige Male aber versuchte sie doch ihm gegenüber eine andere Stellung einzunehmen, sie wollte ihm durch ihre Erziehung und ihre Kenntnisse imponieren. Schwarz aber korrigierte ihre Ansichten und zeigte, was an ihnen richtig oder irrtümlich war. Zu ihrem großen Verdruß mußte sie von ihm Belehrungen hinnehmen. Sie versuchte auch ihre Talente geltend zu machen, und zu diesem Zweck setzte sie sich an das Klavier und spielte anscheinend gleichgültig ein oder zwei brillante Salonstücke. Aber was folgte darauf? Augustinowitsch setzte sich nach ihr ans Klavier und spielte dasselbe, aber viel besser. Dieser Mensch wußte und verstand also alles.

An diesem Abend ging die Gräfin sehr nachdenklich in ihr Zimmer. Über diesen kleinen Vorkommnissen vergaß sie nicht ihre Trauer um den Vater, aber man darf nicht vergessen, daß die Verzweiflung und der Kummer einer wohlerzogenen jungen Dame immer eine gewisse, mehr oder weniger erkennbare, aber immer unschuldige Koketterie in sich schließen.

So wurde ein stiller Kampf geführt zwischen dem Kind des Volkes und der Aristokratie. Dieser Kampf war für ihn um so gefährlicher, als er ihn nicht bemerkte. Die Gräfin verstand nicht, ihm zu schmeicheln, aber erregte in ihm die lebhafteste Sympathie, und er sah in ihr ein Kind, dessen Schicksal er in seinen Händen zu halten glaubte.

Er interessierte sich lebhaft für sie und vernachlässigte Potkanska, die er nur noch selten besuchte. Desto mehr dachte er daran, der Gräfin das Leben angenehm zu machen.

Wie leicht begreiflich, hegte auch die Gräfin keine feindlichen Gefühle. Die erwachende Liebe erregte in ihr den Wunsch, diesen energischen Demokraten gezähmt zu ihren aristokratischen Füßen zu sehen.

Aber dieser Wunsch war ihr anfangs nicht selbst klar. Erst dann wurde sie sich desselben bewußt, als sie sich überzeugte, daß Schwarz wirklich in seiner Art ein schöner Mann war. Beiläufig müssen wir auch daran erinnern, daß die Gräfin zwanzig Jahre alt war und daß in ihrem Herzen schon lange eine gewisse Unruhe entstanden war, die sie sich selbst nicht erklären konnte. Sie hegte den von den Poeten oft beschriebenen Wunsch, »zu lieben und geliebt zu werden und vielleicht jung zu sterben.« Und dieser Wunsch erlaubte ihr nicht, Schwarz zu vergessen. Der Glaube an ihn und die Dankbarkeit für seinen Schutz verstärkten von Tag zu Tag ihre Sympathie für ihn. Die Mutter der Gräfin hatte bei Lebzeiten ihrer Tochter oft gesagt, ein wohlerzogenes Mädchen dürfe sich nie verlieben, aber die Natur der Mutter sprach selbst ganz anders. Wirklich sind solche Mütter oft im Widerspruch mit sich selbst. Daraus folgt, daß in den meisten Damen selten wirkliches Gefühl lebt; anstatt des Gefühls sind sie mit tausend Kleinigkeiten beschäftigt.

So kam es, daß die Gräfin sich, der Thatsache bewußt wurde, daß Schwarz ein kluger, edler und schöner junger Mann sei. Es ist schwer zu sagen, welcher Eigenschaft sie den Vorzug gab.

Eben an jenem Abend, als sie sich schlafen legte, beschäftigte sie sich mit der ernsten Frage: »Was dann, wenn er mich liebt?«

Anstatt darauf zu antworten, lief sie halb entkleidet barfuß zum Spiegel. Das Schlafhäubchen umschloß ihr Gesicht, und unter der Haube legten sich ihre dunklen Haare lose auf die weißen Schultern. Mit glänzenden Augen blickte sie in den Spiegel.

»Aber wenn er mich liebt?« wiederholte sie, »wenn er erbleichend vor mir jetzt auf den Knien liegen würde … Hier und um diese Zeit?«

Eine tiefe Röte erschien auf ihren Wangen, und sie löschte das Licht aus.

Seit dieser Zeit ging eine große Veränderung in ihr vor. Zuweilen befiel sie eine eigentümliche Unruhe. Sie versank in Nachdenken und ging oft wie von Schwäche oder Schlaf befallen umher. Zuweilen aber verbarg sie ihren Kopf an der Brust Malinkas und küßte sie ohne jeden Anlaß.

Schwarz kam jeden Tag.

So vergingen Tage und Monate, und im Innern Schwarz' vollzog sich nach und nach eine vollständige Umwälzung. Aus diesem Kinde war ein schönes Weib aufgeblüht. Wenn er sie ansah, hatte sein Blick nicht mehr seine frühere Reinheit, Durchsichtigkeit und Ruhe. Mit jedem Tage zogen ungebetene Gäste in ihrer beider Herzen ein und setzten sich dort fest. Endlich nach einigen Monaten fanden in der Wohnung von Madame Wisberg und in der von Schwarz folgende Gespräche statt:

»Aber wenn Du liebtest, Malinka … «

»Dann, meine liebe Lulu, wäre ich sehr glücklich. Vielleicht würde der Himmel es so fügen, daß auch er mich lieben würde.«

»Aber wenn er Dich nicht lieben würde … «

Malinka strich über ihre Stirn: »Das weiß ich nicht, aber ich würde ihn so sehr lieben, ich würde ihn unaussprechlich lieben.« Malinka schlang ihre Arme um den Hals ihrer Freundin, drückte sie an sich und küßte sie innig: »Dann, meine liebe Lulu, muß auch er mich lieben.«

Ein Schweigen trat ein.

»Malinka,« sagte Lulu mit Thränen in den Augen.

»Was, meine Liebe?«

»Ach, ich liebe.«

»Ich weiß es, Teuerste.«

*

»Höre mal, Alterchen,« sagte Augustinowitsch zu Schwarz.

»Nun, was giebt's Neues?«

»Ich weiß nicht, ob das etwas Neues ist. Ich habe gesehen, Freundchen, wie Du den Schleier der Gräfin geküßt hast. Ich lasse mich aufhängen, wenn Du ihn nicht geküßt hast … Aber wenn Du solch ein Freund vom Küssen bist, so werde ich Dir meinen alten Regenschirm geben, oder wenn Du den nicht willst, den alten Paletot. Er ist zwar ein bißchen zerrissen an den Ellbogen, aber sonst ganz gut. Den kannst Du küssen. Aber gieb mir meine Pfeife … Ich weiß, Alterchen, was das zu bedeuten hat. Diese einfältige Mama Wisberg sieht und hört nichts. Ich aber, ich weiß es schon sehr wohl.«

Schwarz bedeckte das Gesicht mit den Händen.

Augustinowitsch blickte ihn schweigend an. Er scharrte mit den Füßen unter dem Tisch, hustete und murmelte zwischen den Zähnen. Endlich sprach er mit aufgeregter Stimme: »Höre, Alterchen.«

Schwarz schwieg.

Augustinowitsch stieß ihn mitleidig an die Schulter. »Nun höre doch, quäle Dich nicht selbst. Gräme Dich nicht. Sprich doch ein Wort. Es handelt sich um Helene.«

Schwarz fuhr zusammen.

»Ja, um Helene, mein ehrlicher Alter. Was soll aus ihr werden? Ach ich weiß. Wenn Du willst, heirate ich sie. Ja, ich heirate sie, beim Zeus! ich heirate sie.«

Schwarz stand auf. Auf seiner breiten Stirn lag Entschlossenheit. Ungeachtet der zuckenden Augenbrauen war der Kampf ersichtlich. Er bewies, daß Schwarz siegt, wo er siegen will.

Er drückte Augustinowitsch die Hand.

»Ich gehe,« sagte er.

»Wohin?«

»Zu Helene!«

Augustinowitsch riß die Augen auf: »Zu Helene?«

»Ja, erwiderte Schwarz, »genug des Trugs und des Schwankens, ich werde sie um ihre Hand bitten.«

Der treue Freund blickte ihm nach, schüttelte den Kopf und murmelte zwischen den Zähnen: »Siehst Du, dummer Adanka, wie die Menschen sind.«

Dann stopfte er sich seine Pfeife, legte sich aufs Bett und begann mit doppelter Kraft zu qualmen.


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