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I.

»Da ist endlich Kiew,« rief ein junger Mann, Joseph Schwarz, während er in die alte Stadt einfuhr. Nachdem man ihn am Schlagbaum vor der Stadt aufgeweckt hatte, befand er sich plötzlich inmitten städtischer Gebäude, und sein Herz schlug freudig.

Er war noch jung und lebenslustig, und deshalb atmete er mit großem Vergnügen die Stadtluft ein und wiederholte lächelnd: »Da ist Kiew.«

Der Wagen des jüdischen Fuhrmanns klapperte leicht auf dem unebenen Pflaster hin, das ihn jeden Augenblick in die Höhe warf. Schwarz war es überdrüssig geworden, in dem Wagen zu sitzen, der mit Leinewand überspannt war. Deshalb stieg er aus und befahl dem Fuhrmann, ihm im Schritt in das nächste Gasthaus nachzufahren. Dann ging er zu Fuß voran.

Wie gewöhnlich in großen Städten gingen die Bewohner eilig ihren Geschäften nach, vorüber an den Läden mit reichgefüllten Schaufenstern; Equipagen, Droschken fuhren die Straßen entlang; Kaufleute, Generale, Soldaten, arme und reiche Menschen und Beamte eilten in wechselnder Folge an ihm vorüber. Es war ein Werktag, und darum hatte die Stadt ein geschäftiges Aussehen und einen besonderen örtlichen Charakter. Jeder Vorübergehende ging bedachtsam und ernsthaft seines Wegs, niemand verschwendete Worte. Der Kaufmann war mit seinem Handel beschäftigt, die Polizei sorgte für die Ordnung. Alle strebten nach ihren besonderen Zielen, alles atmete Leben und dachte an den morgenden Tag. Und über all dieser unruhigen Menschenmenge, über all dem lärmenden städtischen Verkehr lag eine heiße Atmosphäre, welche von der untergehenden Sonne erhitzt worden war, die sich in den Scheiben der Schaufenster spiegelte, sowie in den Fenstern der großen Häuser, die aneinander gedrängt die Straßen der großen Stadt bildeten.

»Das reine Sodom,« dachte Schwarz, der noch niemals in Kiew und überhaupt noch nicht in großen Städten gewesen war, »was das für ein Leben ist!« Und er dachte unwillkürlich an den ungeheuren Unterschied des Lebens in einem kleinen Landstädtchen und in einer großen, volkreichen Handelsstadt, wo alles sich ohne Rast drehte wie ein Rad. Plötzlich hörte er in der Nähe eine Stimme.

»Ist's möglich, Joseph?«

Schwarz sah sich um und als er den Mann erblickte, der ihn mit Namen gerufen hatte, rief er, die Arme ausbreitend: »Gustav!«

Das war ein kleiner, hagerer junger Mann von etwa dreiundzwanzig Jahren. Die langen kastanienbraunen Haare berührten beinahe seine Schulter, und ein kurzgeschnittener rötlicher Schnurrbart ließ ihn viel älter erscheinen, als er in Wirklichkeit war.

»Nun wie geht's?« fragte er Joseph, »warum bist Du gekommen. Zur Universität, wie?«

»Ja, zur Universität.«

»Vortrefflich! Man weiß nicht, wie man hier leben soll. Es ist auch nicht schön,« fuhr er seufzend fort. »In welcher Fakultät?«

»Ich weiß nicht, ich bin noch nicht entschlossen.«

»Überlege Dir das wohl, ich bin hier schon ein Jahr, und darum kenne ich alles … Viele bedauern es, daß sie ihre Wahl übereilt haben, aber was ist zu machen? Umzukehren, dazu ist es zu spät, vorwärtsgehen – dazu fehlen die Kräfte. Es ist leichter eine Dummheit zu machen als sie wieder gut zu machen. Morgen werde ich Dich in die Universität einführen. Inzwischen, wenn Du noch keine Wohnung hast, lasse Deine Sachen zu mir bringen. Ich wohne nicht weit von hier … Fange bei mir an; wenn es Dir nicht mehr gefällt, so kannst Du Dir ja eine andere Wohnung suchen.«

Schwarz nahm den Vorschlag Gustavs an, und nach wenigen Augenblicken traten sie in ein Studentenzimmer ein.

»Nun, wir haben uns lange nicht gesehen,« fuhr Gustav fort, nachdem er den Koffer von Schwarz in die Ecke des Zimmers geschoben hatte. »Es ist schon ein Jahr her, seitdem ich das Gymnasium verließ, und ein Jahr ist viel Zeit. Was hast Du in diesem Jahre gemacht?«

»Ich saß zu Hause bei meinem Vater. Er wollte nicht, daß ich zur Universität gehe.«

»Nun, warum nicht?«

»Ohne besonderen Grund. Er war ein guter Mann, aber einfach und ungebildet … ein Grobschmied.«

»Nun und jetzt? Hat er eingewilligt?«

»Nein, er ist gestorben.«

»Das hat er gut gemacht,« sagte Gustav hustend. »Das verdammte Asthma quält mich schon ein halbes Jahr lang. Du wunderst Dich wahrscheinlich darüber. Nun, Du wirst auch anfangen zu husten, wenn Du bei den Büchern sitzest wie ich. So geht's alle Tage, keinen Augenblick Ruhe. Ja, und Kummer habe ich auch erlebt. Ich habe mit ihm gekämpft und mich mit ihm herumgebissen wie ein Hund mit einem anderen. Hast Du Geld?«

»Ich habe zweitausend Rubel. Nach dem Tode meines Vaters habe ich alles verkauft.«

»Nun, das wird für Dich reichen. Mir geht's schlecht … Verdammtes Asthma … und dabei soll man studieren … Nur abends etwas Erholung … Den Tag über in den Lektionen, nachts bei der Arbeit … man kann sich niemals ausschlafen. Du wirst in unseren Klub eintreten, dann wirst Du sehen, was eine Universität bedeutet. Noch heute führe ich Dich in unseren Klub ein, oder richtiger gesagt, in unsere Kneipe, und mache Dich mit meinen Komilitonen bekannt.«

Während dieses Gespräches bewegte sich Gustav im Zimmer umher, hustete stark und blickte zerstreut in alle Ecken. Wenn man seine gebeugten Schultern, sein hageres Gesicht mit den langen Haaren bemerkte, konnte man dies für die Folgen eines unordentlichen Lebens halten, aber die Stöße von Büchern, vollgeschriebenen Papieren und die ganze Einrichtung des Zimmers zeigten, daß der Bewohner desselben zu der Art von Nachtvögeln gehörte, welche über den Büchern gebückt sitzen und sterben mit dem Gedanken, ob ein gewisser Buchstabe einen Accent erhält oder nicht.

Ungeachtet des wenig einladenden Aussehens dieses Zimmers atmete Schwarz die Atmosphäre desselben mit voller Brust ein. Für ihn war das alles eine neue, besondere Welt.

»Heute wirst Du mit vielen von den Unsrigen bekannt werden,« fuhr Gustav fort, indem er unter dem Bett einen kleinen Samowar mit einem Fuß hervorzog und auf den Tisch stellte. Um das Gleichgewicht herzustellen, stellte er einen zerschlagenen Topf darunter. »Aber Du mußt Dich nicht wundern über das, was Du siehst,« fuhr er fort, indem er Wasser eingoß und Kohlen in den Samowar warf, »es sind lauter Tollköpfe. Aber mit der Zeit, wenn Du Dich umgesehen hast, wirst Du sehen, daß es auch hier nicht wenig Dummköpfe giebt, außer diesen aber auch kluge Leute … Obgleich unser Leben ein wenig künstlerhaft wild ist, schreitet es doch mit Riesenschritten vorwärts. Du wirst nicht wenig Originale finden, solche von einer lächerlichen, einfältigen Farblosigkeit, in manchen Köpfen helles Licht, in anderen finstere Nacht.«

Ein kurzes Schweigen trat ein, währenddessen Gustav den Samowar anblies. Es dämmerte bereits. Während Gustav blies, verstärkte sich der Feuerschein vom Samowar und erleuchtete das Dunkel im Zimmer. Endlich fing das Wasser im Samowar laut zu rauschen an. Gustav zündete eine Kerze an.

»Der Thee ist fertig; wir wollen trinken, und dann gehe ich eine Stunde geben. Trinke Thee und lege Dich schlafen bis ich zurückkomme. Du mußt auch Stunden geben, wenn Du Dein Kapital ausgegeben hast … Es ist langweilig, aber was soll man machen? Das ist die unangenehmste Seite des Studentenlebens, aber es ist überflüssig, schon jetzt davon zu sprechen. Unsere eigene kleine Welt und die Welt, mit der wir in Berührung kommen – das sind zwei verschiedene Welten. Wir sind nicht beliebt und werden nicht ausgenommen. Wir streiten uns mit allen und zu Hause unter uns. Ein schweres Leben! Wenn man krank wird, so reicht uns niemand eine hilfreiche Hand, außer die Genossen. Das ist einmal unser Schicksal, und es ist auch nicht zu verwundern, man liebt uns nicht, weil wir nicht Komödie zu spielen verstehen und die Dinge beim rechten Namen nennen.«

»Mir scheint, Du siehst alles zu düster an,« bemerkte Schwarz.

»Düster oder nicht,« erwiderte Gustav hitzig, »davon wirst Du Dich selbst überzeugen; ich sage nur, daß auch Du nicht auf Rosen schlummern wirst. Die Jugend hat ihre Rechte und Forderungen. Wegen dieser Rechte und Forderungen hat jeder das Recht, Dir ins Gesicht zu lachen und Dich einen exaltierten Menschen zu nennen. Natürlich ist es Dir gleichgültig, wie man Dich nennt, aber wenn Dich etwas brennt oder etwas schmerzt … übrigens, das wirst Du selbst sehen … Nun trinke Thee und schlafe; in zwei Stunden komme ich zurück, bleibe gesund so lange.«

Im nächsten Augenblick hörte man die schweren Schritte und das Husten Gustavs auf der Treppe. Schwarz blieb allein.

Die Worte Gustavs machten auf Schwarz einen unangenehmen Eindruck, er hatte ihn ganz anders gekannt. Heute erklangen in seiner Stimme Enttäuschung, Verbitterung und Kummer. Früher war er physisch und moralisch gesund gewesen, jetzt aber atmete er schwer; in seinen Gesprächen und Bewegungen äußerte sich eine ungewöhnliche Reizbarkeit.

»Hat ihn das Leben so angegriffen?« fragte sich der junge Mann, »man muß kämpfen und gegen den Strom schwimmen, das mag sein, aber diesem armen Kerl ging es augenscheinlich über die Kräfte, und darum kann er jetzt nicht von der Stelle kommen. Das darf nicht sein, hier muß man siegen. Aber es ist eine schlimme Geschichte. Augenscheinlich verwöhnt uns das Schicksal nicht und legt uns seine schwere Hand auf … aber mir scheint, Gustav ist ein Misanthrop und hat schon seine Flügelchen verbrannt … aber wie es scheint, ist er nicht müßig und kommt immer noch vorwärts; vielleicht ist diese Misanthropie nur eine Schutzwand, hinter welcher man ungefährdeter lebt. Mag sein oder nicht … Immerhin, wenn man den Widerwärtigkeiten trotzen oder untergehen muß, so werde ich ihnen natürlich trotzen oder untergehen,« entschied der junge Mann in lautem Selbstgespräch.

In diesem Ausruf lag aber mehr Entschlossenheit als Verzagtheit.

Nach einer Stunde oder mehr hörte man aus der Treppe wieder das Keuchen und die Schritte Gustavs, welcher gleich darauf die Thür öffnete.

»Nun, jetzt auf den Weg, Du stehst auf der Schwelle des Studentenlebens, und heute wirst Du es von seiner heiteren Seite sehen. Aber wir wollen nicht die kostbare Zeit verlieren.«

Mit diesen Worten nahm er die Mütze ab, ging zu einem Tischchen und nahm aus einer Schieblade einen Kamm, womit er seine langen, wirren und ganz farblosen Haare kämmte.

Endlich traten sie auf die Straße hinaus.

Zu der Zeit, wo diese Erzählung beginnt, existierten in Kiew sogenannte Kneipen, wo sich alle Studenten versammelten. Die Umstände hatten sich so gestaltet, daß die Studenten nicht in Freundschaft mit den gesellschaftlichen Kreisen der Einwohnerschaft leben konnten, und man der Jugend nicht leicht Zutritt in die Familien gewährte, zum Teil wegen ihrer Armut und mangelhaften Erziehung, Gleichgültigkeit in der Wahl ihrer Worte und anderer angeborener oder angenommener, der Jugend anhaftender Mängel, welche nicht den Rücken beugen und freundschaftliche Kreise bilden wollte. Infolgedessen schlossen sich die Studenten ab und verbrachten ihre Zeit bei Tage bei den Büchern und nachts im Klub.

Die beiden Freunde schritten schnell durch die Straßen nach den hell erleuchteten Zimmern des Klubs. Beim Licht des Mondes bildete die gesunde, kräftige Gestalt von Schwarz einen leicht erkennbaren Kontrast zu dem neben ihm gehenden Gustav mit seinem gebeugten Rücken und großen Kopf. Gustav sprach bald mit Schwarz, bald mit sich selbst; dann blieb er plötzlich bei einem Fenster stehen, erhob sich auf die Fußspitzen und sah durchs Fenster hinein. Dann ließ er sich wieder auf die Absätze herab und wischte die Knie ab, die er mit Kalk befleckt hatte.

»Nicht da,« sagte er.

»Wer?«

»Entweder ist sie schon dagewesen, oder sie kommt gar nicht.«

»Wer denn?«

»Wieviel Uhr ist es?«

»Elf Uhr. Nach was hast Du denn durchs Fenster gesehen?«

»Nach der Witwe!«

»Nach welcher Witwe?«

»Ich fürchte, sie ist krank geworden.«

»Eine Bekannte von Dir?«

»Natürlich! Würde ich sie nicht kennen, so würde ich mich nicht für sie interessieren.«

»Nun, das ist klar. Komm hinein.«

Schwarz drückte auf die Thürklinke, und sie traten in die Kaffeewirtschaft ein.

Eine heiße, raucherfüllte Atmosphäre umgab sie. Im Hintergrunde sah man verschiedene Personen, welche Schwarz zum größten Teil unbekannt waren, aus einer Rauchwolke, welche das Licht der Lampen verschlang, und unter lautem Stimmengewirr und Gelächter vernahm man die Klänge eines Klaviers in Begleitung einer Guitarre, welche sich in den Händen eines hageren jungen Mannes mit glatt gekämmten Haaren und einer Schramme auf der Wange befand. Lässig fuhr er mit seinen langen Fingern über die Saiten und blickte träumerisch nach der Zimmerdecke. Am Klavier saß ein ganz junger Mann mit einem Milchgesicht, dunklen Haaren, welche im Genick zusammengekämmt waren, einem süßen Lächeln aus den aufgedunsenen Lippen und schwärmerisch blickenden Augen. Er war schmächtig und schlank und schien schon lange gespielt zu haben, da sein Gesicht gerötet war und ermüdet aussah. Näher am Licht standen einige muntere junge Leute und große Musikfreunde nach ihrer Art. Sobald sich jemand ans Klavier setzte, umgaben sie dasselbe, hörten zu, lachten, freuten sich und blickten gefühlvoll nach den Tasten, je nach dem Charakter des Musikstücks. Andere junge Leute saßen auf Bänken oder Stühlen. Einige junge Mädchen aus der Welt der Grillen, welche den ganzen Sommer über zirpen, saßen beisammen. Es war drückend heiß und geräuschvoll, da und dort hörte man Anstoßen mit Bierkrügen. In einem Nebenzimmer wurde verzweifelt Karten gespielt. Durch die halboffene Thür sah man das Gesicht eines der Spieler, der eine Cigarre an einer neben ihm stehenden Kerze anzündete. Die helle Flamme erleuchtete dabei seine scharfen Gesichtszüge. Die Dame am Büffett achtete nicht auf das, was um sie her vorging, und blickte gleichgültig nach ihrer Feder, mit der sie die ausgegebenen Getränke und Speisen notierte. Ihre Gehilfin schlummerte in einem Stuhl neben ihr; eine Katze, welche auf der Ecke eines Tisches saß, öffnete zuweilen die Augen, überblickte mit Würde den Saal und schloß sie dann wieder mit philosophischer Ruhe.

Schwarz überflog mit einem Blick alle Anwesenden.

»Ah, Schwarz, wie geht es Dir?« riefen einige Stimmen.

»Ich danke, ganz gut. Was macht Ihr?«

»Ich werde ihn zum Klubmitglied vorschlagen,« rief Gustav, »Du mußt ein für allemal wissen, daß es die Pflicht der Mitglieder ist, jeden Abend hierherzukommen und sich niemals auszuschlafen wie andere Menschen.«

»Als Mitglied, um so besser. Du wirst gleich eine Rede hören … Anfangen!«

Aus dem zweiten Zimmer, in dem Karten gespielt wurde, trat ein unschöner junger Mensch mit etwas krummer Haltung und beginnender Glatze Er warf den Hut auf einen Tisch, setzte sich auf einen Stuhl und begann seine Rede:

»Meine Herren! Wenn Sie nicht ruhig sitzen, so werde ich gelehrte Phrasen anwenden, weil ich weiß, meine Verehrtesten, daß Euch nichts widerlicher ist als Gelehrsamkeit jeder Art. Endlich aber ist es doch Zeit für Euch, Euch an das parlamentarische Leben zu gewöhnen!«

Infolge dieser Drohung verstummten alle sofort. Der Redner überblickte alle triumphierend und fuhr fort:

»Meine Herren! Daß wir uns hier versammelt haben, geschah nicht, um uns in dieser Versammlung an die unangenehmsten Augenblicke unseres Lebens zu erinnern. (Ausgezeichnet!) Mir sagte jemand, daß man sich hier jeden Tag versammelt. (Bravo!) Nun, und auch ich komme jeden Tag hierher, das bestreite ich nicht, wie auch Ihr nicht leugnen werdet, daß ich heute hier bin. (Händeklatschen, der Redner strahlt.) Silentium, meine Herren! Wenn ich glauben würde, daß alle meine Anstrengungen vergeblich blieben, unseren Versammlungen einen gewissen Zweck zu geben, der sich von dem allgemeinen Leichtsinn unterscheidet – wenn ich sagen darf ›allgemeinen‹ (o ja, o ja!), der durch keine gesellschaftliche Eintracht zu lenken ist, und schon beim Entstehen der Gesellschaft (bemerken Sie, meine Herren, ›der Gesellschaft‹) das Bestreben nach Einheit vereitelte; – wenn unsere Bestrebungen, uns um eine Fahne zu scharen, in der direkten Richtung auf die Vereinigung auseinandergehender Gedanken auf irgend einer Seite, und ein Ganzes zu bilden – das niemals vom Wege der Phantasie auf das reale Feld der Wirklichkeit übergeht – dann werde ich, der erste sein, und ich bin überzeugt, auch viele andere werden mit mir darin übereinstimmen, zu einem Aufgeben und endgültiger Abschaffung des jetzigen Regimes unseres Lebens (bravo!) und zur Ergreifung anderer Maßregeln (ja ja!), welche, wenn nicht alle, so doch die ›Auserwählten‹ verpflichten und beschränken (Beifall).«

»Was bedeutet das?« fragte Schwarz.

»Eine Rede,« erwiderte Gustav, mit den Achseln zuckend.

»Zu welchem Zweck?«

»Was geht das uns an?«

»Wer ist das?«

»Ein gewisser Augustinowitsch, ein kluger Kopf, aber heute ist er betrunken und darum ist ihm die Zunge schwer; aber er weiß, was er will und worauf er hinzielt. Er hat wirklich recht.«

»Was will er denn?«

»Er will, daß wir nicht unnützerweise hierherkommen, daß unsere Versammlungen einen gewissen Zweck und Charakter haben sollen, aber, wie Du siehst, lachen alle über seine Zwecke und seine Rede. Am Ende würde das zu einem Bruch mit der Freiheit und der Erholung führen, die wir bisher in dieser Versammlung genossen haben.«

»Welchen Charakter will er ihr geben?«

»Einen gelehrten, schöngeistigen.«

»Das wäre gar nicht schlecht.«

»Ich habe ja gesagt, er hat recht. Und wenn ein anderer darüber gesprochen hätte, würde die Sache sich besser machen.«

»Nun, und er?«

»Mit welchem Vorschlage er hervortritt und was er auch unternimmt, immer erntet er nur Gelächter und Verhöhnung. Nimm Dich in acht, Schwarz, ich weiß, daß Du ihm in keiner Weise ähnlich bist, aber hier muß jeder auf die eine oder andere Weise ausgleiten.«

Gustav überblickte die Versammlung, sah nach Augustinowitsch, zuckte mit den Achseln und fuhr fort: »Das Schicksal dieses Menschen hat sich seltsam gestaltet. Er ist ein Lexikon aller möglichen Worte und Fähigkeiten, aber mit schwachem Charakter, hochstrebenden Wünschen und mit einer unbedeutenden Aktionsfähigkeit. Seine Wünsche stehen in keinem Verhältnis zu seiner Kraft, und darum …«

Inzwischen waren noch einige Bekannte von Schwarz herangekommen. In den Gruppen wurde das Gespräch lebhafter und allgemein. Schwarz fragte nach dem Universitätsleben.

»Nun, wie lebt Ihr? In allgemeiner Freundschaft wie eine Familie?« fragte er.

»O nein, das ist undenkbar,« antwortete einer der Litauer, »hier hat man mit Leuten von verschiedenem Begriffsvermögen zu thun. Natürlich entstehen demzufolge auch verschiedene Gruppen, getrennte Kreise.«

»Das ist schade.«

»O nein. Ich lasse die Einheit nur gelten für gewisse höhere Ziele, aber die Einheit in der Kameradschaft ist unmöglich. Und darum lohnt es nicht, sich darum abzumühen.«

»Aber die deutschen Universitäten?«

»Nun, auch dort gießt es Vereine, welche für sich leben. Das Leben der Gefühle und Gedanken muß mit dem praktischen Leben in Einklang gebracht werden, wenigstens bei uns. Darum ruft die Verschiedenheit im ersteren auch die Verschiedenheit im zweiten hervor.«

»Das heißt, Ihr seid niemals einig?«

»Das ist eine andere Sache. Wir gehen zusammen, aber nur in gemeinsamen Interessen, welche die Universität oder alle zugleich betreffen. Natürlich glaube ich, daß alle diese Streitigkeiten, mit welchen man zu kämpfen hat, nur unsere Lebhaftigkeit beweisen, das heißt, daß wir in Gefühlen und Gedanken leben. Darin liegt unsere Einheit, und das, was uns trennt, vereinigt uns auch mit gleicher Stärke.

»Unter welcher Fahne steht Ihr?«

Unter der der Arbeit und des Kummers. Wir haben keine eigenen Beruf, und die Bauernfreunde nennen uns ›Bäcker‹«

»Warum?«

»Das wird die Zeit lehren. Jeder von uns sucht sich mit einem Getreidehändler oder Bäcker zu befreunden, um Kredit zu haben, das ist so unsere Art. Diese glauben uns, und wenn auch ein großer Teil der Studenten keine Leckerbissen speist, so kann man doch Weißbrot bekommen, soviel man will, und zahlen – wenn es einem gefällt.«

»Das ist ausgezeichnet!«

»Ja, ausgezeichnet! Außer unserer Koterie, welche keinen eigenen Verband hat, giebt es noch eine Gesellschaft der Bauernfreunde, welche ein gewisser Antonowitsch gegründet hat und welche eine Zeitlang Rülski und Stenkowsky geleitet haben. Aber im jetzigen Augenblick stehen ganz dumme Menschen an der Spitze, welche nicht wissen, was sie wollen. Sie sprechen kleinrussisch und trinken gewöhnlichen Schnaps. Das ist alles.«

»Nun, giebt es noch andere Gesellschaften?«

»Klar umschrieben nicht, aber es giebt solche mit verschiedenen Schattierungen. Die einen werden durch die allgemeinen Interessen der wissenschaftlichen Ideen vereinigt, andere durch Parteiinteressen. Hier giebt es Demokraten, Aristokraten, Liberale, Ultramontane, natürlich auch Faulenzer und Schwätzer.«

»Welchen halten Sie für den Klügsten?«

»Unter den Studenten?«

»Ja.«

»Das kommt auf die Art der Beschäftigung an. Man sagt – Augustinowitsch, aber das ist nicht meine Ansicht. Wer am meisten sich auszeichnet durch Arbeitsamkeit und gelehrtes Wissen, das ist Gustav.«

»Ah!«

»Die Meinungen gehen auseinander, und einige können ihn nicht ausstehen. Aber wenn Sie mit ihm zusammen wohnen, können Sie ihn besser beurteilen. Zum Beispiel sein Verhältnis mit der Witwe. Ein exaltierter Mensch! Ein anderer würde ganz anders gehandelt haben. Natürlich ist das nicht leicht, aber …«

»Ich hörte von ihr durch Gustav, aber sagen Sie mir, was ist das für ein Vogel?«

»Das ist eine junge Person, die mit uns allen bekannt ist. Sie hat traurige Tage erlebt; sie liebte den Juristen Potkansky bis zum Unverstand. Ich erinnere mich nicht mehr dieser Zeit, aber Potkansky kenne ich wohl. Das war ein fähiger, kluger, reicher und thätiger Mensch. Auf welche Weise er mit der jetzigen Witwe bekannt wurde, weiß ich nicht, – es find verschiedene Gerüchte im Umlauf, aber das ist wahr, daß sie sterblich ineinander verliebt waren. Damals war sie erst achtzehn Jahre alt, und Potkansky beschloß, sie zu heiraten. Seine Verwandten thaten alles, um diese Heirat zu vereiteln, aber Potkansky beharrte auf seinem Willen und heiratete sie Sie lebten friedlich nur ein Jahr. Plötzlich erkrankte er am Typhus und starb und ließ die junge Frau ohne Mittel zum Leben zurück, da die Verwandten sein ganzes Vermögen an sich nahmen. Ein Kind, das kurz vor seinem Tode zur Welt kam, starb auch – sie blieb allein, und wenn nicht Gustav wäre, so wäre sie ganz untergegangen.«

»Was thut denn Gustav für sie?«

»Er hat Wunder gethan. Ungeachtet seiner Armut reichte er eine Klage gegen die Familie ein, und es war schwer anzunehmen, daß er die Sache gewinnen werde, da die Familie sehr reich ist und zu den Aristokraten gehört. Dennoch erreichte er, daß die Verwandten, um Skandal zu vermeiden, sich verpflichteten, der Witwe wenigstens eine kleine Pension auf Lebenszeit zu zahlen.«

»Vortrefflich!«

»O, er ist außerordentlich energisch. Man muß sich vorstellen, daß er damals noch im ersten Kursus war, in einer fremden Stadt, ohne Mittel und Bekannte. Aber so ist's nun einmal in der Welt, daß der Reiche sich selbst helfen kann, der Arme aber sich selbst helfen muß.«

»Aber in welchem Verhältnis stand er zu ihr?«

»Er war ein Freund von Potkansky, und augenscheinlich hat er sie schon vor ihrer Heirat geliebt, aber er hielt sich bescheiden fern. Jetzt aber verbirgt er nicht mehr seine Gefühle für sie.«

»Und sie?«

»Sie? Seit der Zeit ihres Unglücks verfiel sie in eine vollständige Betäubung, oder richtiger gesagt in Irrsinn. Sie weiß nicht, was um sie her vorgeht. Übrigens werden Sie sie selbst sehen. Sie kommt jeden Tag hierher und wahrscheinlich auch heute.«

»Zu welchem Zweck?«

»Man sagt, sie sei mit Potkansky zum ersten Mal in dieser Kneipe bekannt geworden, und jetzt glaubt sie nicht daran, daß er gestorben sei. Sie geht durch die ganze Stadt in nervöser Hast. Sie meint wahrscheinlich, wenn er wieder auferstehen würde, so würde sie ihn an keinem anderen Orte als hier finden. Vielleicht erinnert sie auch Gustav an Potkansky.«

»Und Gustav erlaubt ihr, hierherzukommen?«

»Wenn ihr Mann noch lebte, würde er ihr dies natürlich nicht erlauben, aber Gustav kann es ihr nicht verbieten.«

»Für was hält sie ihn?«

»Für nichts Besonderes, alles ist ihr gleichgültig, – wie dieser Stuhl oder dieser Tisch. Oft scheint sie ihn nicht zu sehen oder vermeidet ihn. Sie ist immer gleichgültig, apathisch. Augenscheinlich beunruhigt das Gustav. Aber das ist seine Sache. – Doch, da ist sie, diese dort, welche zur Rechten eintritt.«

Beim Eintritt der Witwe in den Studentenklub entstand plötzlich Stille. Das Erscheinen dieser geheimnisvollen Frau machte bei den Gästen immer großen Eindruck. Sie war mehr als mittelgroß, hager, hatte ein langes Gesicht, helles Haar und dunkle Augen. Ungeachtet ihrer Hagerkeit hatte ihr Busen eine mädchenhaft gerundete Form. Ihre Stirn war niedrig, ihr Nacken weiß wie Marmor. Ihre tiefen, eingefallenen Augen wurden von den zarten Bogen der Augenbrauen wenig gehoben; aber bemerkenswert erschienen sie dennoch. Sie waren von stahlgrauer Farbe und es war wirklich ein stählerner Glanz in ihnen, doch lag keine Wärme und keine Gedankentiefe darin. Von solchen Augen kann man sagen, daß sie sehen, ohne etwas zu erblicken. Die Gegenstände spiegelten sich darin nur ab, brachten aber keine Vorstellungen hervor. Sie waren eisig kalt und irrten beständig ruhelos und ängstlich umher, als ob sie jemand verfolgten oder suchten.

Der übrige Teil des Gesichts der Witwe entsprach ihren Augen. Ihre Lippen waren nach unten gebogen, und die unbeschreiblich matte, bleiche Gesichtsfarbe verlieh ihrem Gesicht einen eigentümlichen Reiz. Sie war keine Schönheit, aber ziemlich hübsch. Das war ihre Zauberkraft. Sie erschien zugleich als Marmorstatue und als Frau. Ihr Äußeres wirkte anziehend und zugleich abstoßend. Das fühlte Gustav mehr als andere. Es war schwer, sich mit diesem leichenhaften Aussehen zu versöhnen, aber die Eindrücke, die sie durch ihr Äußeres hervorbrachte, schienen gegen ihren Willen von ihr auszugehen.

Die Spuren schweren Kummers waren unverkennbar. Wirklich waren die Schicksalsschläge, die sie erlitten hatte, wohl geeignet, ein schwaches Weib niederzuwerfen. Beim ersten Morgenrot ihres kurzen Glücks hatte sie zwei Todesfälle erlitten, die ihr Glück zerstörten. Der, den sie mit ihrem ganzen jungen Herzen liebte, starb; es blieb ihr zwar zum Trost ein Kind, aber auch dieses sollte nach dem Willen des Schicksals sich nicht der Mutterliebe erfreuen und hinterließ sie in trostlosem Kummer. Alles das, was ihr das Recht zum Leben und zum Glück gegeben hatte, war plötzlich verschwunden – gestorben. Von diesem Augenblick an hörte auch sie auf zu leben. Sie war wie eine Pflanze, welche oben und unten abgemäht war. Das Schicksal hatte ihr die Vergangenheit und die Zukunft geraubt; sie hatte nur noch eine dunkle Empfindung davon, daß sie grausam verwundet worden war. Natürlich fragte sie im ersten Augenblick, ohne zu wissen wen, warum das alles geschehen, und ebenso natürlich erhielt sie darauf keine Antwort, weder vom Himmel, noch von der Erde, noch von den Menschen. Aber die Sonne glänzte noch ebenso hell wie früher, und die Vögel sangen wie zuvor. Sie erhielt keine Antwort, aber dafür kam der Wahnsinn, und sie glaubte nicht an den Tod ihres Mannes. Sie glaubte, er habe das Kind an der Hand genommen und sei mit ihm spazieren gegangen und werde bald zurückkehren. Sie hatte die Fähigkeit zu denken verloren, nur ein Gedanke blieb ihr, und damit ist diese mechanische Bewegung der Augen zu erklären, mit denen sie ihren Mann suchte, überzeugt, daß sie ihn dort wiederfinden werde, wo sie zuerst mit ihm bekannt geworden war. Zum Unglück konnte sie nicht sterben. Aber in diesem halben Leben fand sich eine thätige, ehrliche Hand, welche sie diesem Irrsinn entreißen, sie dem Leben zurückgeben wollte. Obgleich das vergebliche Anstrengungen waren, retteten sie ihr doch das Leben. Die Liebe Gustavs, die sie wie in einem Netz gefangen hielt, ließ nicht zu, daß sie sich vom Leben losriß. Seine Stimme rief: »Bleib!« und obgleich dieser Ruf kein Echo in ihr fand, gehorchte sie ihm, aber unbewußt wie eine Sache und nicht wie ein menschliches Wesen.

Das war diese unglückliche Witwe. Als sie in den Saal trat, blieb sie wie eine steinerne Bildsäule aus der Schwelle stehen, in der vollen Größe ihres Kummers. Im Zimmer war es rauchig und drückend. Die letzten Klänge eines ziemlich pikanten, rohen Liedchens durchdrangen noch die Luft; – auf dem schmutzigen Hintergrund der Kneipe erschien die Witwe wie eine Wasserblume auf trübem Wasser … Alles wurde plötzlich still. Man achtete sie. Selbst Augustinowitsch wurde erträglich in ihrer Gegenwart. Viele erinnerten sich an Potkansky. Einige beugten sich vor ihrem Unglück, andere verehrten ihre Schönheit, und die ganze Versammlung nahm einen schicklicheren Charakter an.

Gustav brachte ihr einen Stuhl, nahm ihr den warmen Shawl ab und ging in die Ecke zu Schwarz, welcher mit Neugierde und Verwunderung seine Blicke auf sie richtete.

»Das ist sie,« sagte Gustav halblaut.

»Ich sehe,« erwiderte Schwarz.

»Zeige Dich nicht zu viel ihren Blicken. Die Arme! Jedes neue Gesicht ruft in ihr Entzücken hervor. Sie sucht immer noch ihren Mann.«

»Bist Du schon lange mit ihr bekannt?«

»Im zweiten Jahr. Ich war Marschall bei ihrer Hochzeit,« erwiderte Gustav mit bitterem Lächeln. »Seit seinem Tode sehe ich sie jeden Tag,« fügte er hinzu.

»Wassilkjewitsch hat es mir gesagt, Du hast ihr geholfen und sie unter Deinen Schutz genommen.«

»Geholfen? – Es mußte sich doch jemand ihres Schicksals annehmen. Nun, das habe ich gethan, aber was hat mein Schutz zu bedeuten – man wag machen, was man will, sich bemühen, arbeiten, laufen, es bleibt immer derselbe Kummer. Manchmal möchte man verzweifeln.«

»Nun und die Verwandten?«

»Welche?«

»Nun, die ihrigen.«

»Sie beleidigen sie,« rief Gustav hitzig.

»Es sollen ja reiche Leute sein.«

»Nicht nur reich, Magnaten sind sie, aber ich bin noch nicht mit ihnen fertig. Sie werden noch lange an den Tod dieser armen Taube denken. Wenn das kleinste Kind dieser Sippschaft mich um ein Stückchen Brot bitten würde, um nicht zu verhungern, so würde ich es eher einem Hunde hinwerfen als einem von diesen.«

»Du bist verrückt!«

»Beleidige mich nicht, Schwarz, ich bin ein armer Mensch, aber ich werfe keine Worte in den Wind. Als Potkansky im Krankenhaus lag und dem Tode nahe war, rief er mich zu sich und sagte: ›Gustav, ich lasse meine Frau in Deinem Schutz zurück.‹ – ›Ja.‹ sagte ich. ›Du wirst sie nicht verhungern lassen.‹ – ›Nein,‹ sagte ich. ›Wenn jemand sie beleidigt, so nimm Du Rache für mich.‹ – ›Ich gebe Dir mein Wort, ich werde sie rächen.‹ Darauf erlosch er wie eine Kerze. Das ist alles.«

»Nein, Freundchen, das ist nicht alles.«

»Wassilkjewitsch hat Dir wohl alles übrige gesagt? – Um so besser, ich werde es auch wiederholen. Ich habe niemand auf der Welt, nicht Vater, nicht Mutter; ich schlage mich selbst durch mit meiner Arbeit, und nichts bindet mich ans Leben als sie allein.«

Damit deutete er mit den Augen nach der Witwe.

Schwarz, der in Liebessachen noch unerfahren war, erhielt jetzt die Möglichkeit, Leidenschaften zu beobachten. Wenn die Leidenschaften in einer jungen Brust erwachen und durch andere Einflüsse angefacht werden, so erglühen sie wie Feuer. Dieser selbe trockene und gebückte Gustav wurde plötzlich lebhaft und schien neue Kräfte zu erhalten, fester, stärker und mutiger zu werden. Er schüttelte seine Haare wie ein Löwe, und seine Wangen röteten sich.

»Nun, meine Herren,« rief Wassilkjewitsch, »es ist schon spät, aber es ist nicht jedem gegeben, ruhig einzuschlafen, wenn er von hier nach Hause geht. Wir wollen noch ein Liedchen singen, und dann ›Gute Nacht!‹«

Der junge Mensch, der am Klavier saß, schlug einige Accorde an, und bald stimmten einzelne und dann der ganze Chor das bekannte Studentenlied »Gaudeamus igitur« an. Schwarz trat mit den anderen an das Klavier. Er stand zur Seite, abgewandt von der Witwe, aber das Licht einer auf dem Tische stehenden brennenden Kerze fiel auf sein Profil und umgab es mit einer feurigen Linie. Nach wenigen Augenblicken fiel der Blick der Witwe auf ihn; ihre Augen funkelten in wildem Feuer.

Plötzlich sprang sie vom Stuhl auf, streckte die Arme aus und rief laut: »Kasimir, endlich habe ich Dich gefunden!«

In diesem Ausruf erklangen Hoffnung, Angst, Freude und Wahnsinn. Alles verstummte.

Alle Augen richteten sich auf Schwarz, und diejenigen, welche Potkansky gekannt hatten, wurden wie vom Fieber ergriffen. In dem hellen Licht der Kerze erschien diese hohe Gestalt wie ein Ebenbild Potkanskys. –

»Welche Unvorsichtigkeit!« rief Gustav, als er beim Morgenlicht nach Hause zurückkehrte. »Gott sei Dank, daß alles gut ablief und das Fieber vorüberging. Er hat wirklich große Ähnlichkeit. Der Teufel sollte ihn holen! Ich könnte ihn auszanken dafür.«


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