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V.

Die Beziehungen zwischen Schwarz und Gustav wurden immer gespannter.

Als Gustav eines Tages von Potkanska nach Hause zurückkehrte, fand er Schwarz mit dem Einpacken seiner Sachen beschäftigt. Beide schwiegen, bis alle Bücher und Kleider eingepackt waren, dann wandte sich Schwarz zu Gustav und sagte:

»Nun bleibe gesund, Gustav, ich ziehe aus.«

Gustav reichte ihm die Hand ohne ein Wort zu sagen, und sie trennten sich kühl.

Schwarz begegnete unterwegs Wassilkjewitsch.

»Was ist das?« fragte der letztere, »Du ziehst um?«

»Du kennst ja mein Verhältnis zu Gustav,« erwiderte Schwarz, »sage selbst, ob ich noch länger bei ihm bleiben konnte.«

»Nun siehst Du, Du hättest ihn gerade jetzt in dieser Lage nicht verlassen sollen.«

»Das verstehe ich sehr wohl, aber ich sage Dir, meine Gegenwart reizte ihn nur noch mehr. Du weißt ja, was ich für ihn gethan habe, und darum sollte er gegen mich keinen Groll hegen, aber dennoch … «

Wassilkjewitsch reichte ihm die Hand.

Schwarz hatte eine Wohnung in einem großen fünfstöckigen Hause gemietet, aus zwei guten Zimmern bestehend. Außer seinen Habseligkeiten und dem Gelde, das er von Hause mitgebracht hatte, fand er noch andere Mittel durch Stundengeben, welche ihm erlaubten, sein Kapital unberührt zu lassen und sogar noch Ersparnisse zu machen. Er hatte beschlossen, sich in Zukunft besser einzurichten. Auf den ersten Blick sah man in seiner Wohnung in allem Wohlhabenheit. Über sein schönes Bett war eine Decke gebreitet, der Fußboden war sauber gewaschen und zum Teil mit einem Teppich belegt, und im Ofen brannte ein gemütliches Feuer. Das kleine Zimmer war warm und heiter.

Die übrigen Mieter des Hauses gehörten zum Teil vornehmen Ständen an, und es war im Äußeren sehr elegant. Im ersten Stock wohnte ein General mit seinen zwei Töchtern, häßlich wie die Nacht. Im zweiten Stock wohnte Schwarz und ein französischer Ingenieur, von dem er die Zimmer gemietet hatte. Im dritten Stock wohnte ein Graf, der einst reich gewesen war, jetzt aber sein ganzes Vermögen verloren hatte. Er bewohnte drei oder vier Zimmer mit einer erwachsenen Tochter und zwei ukrainischen Dienstmädchen.

Das war die Nachbarschaft von Schwarz, welche sich bald bemerkbar machte. Bei dem Ingenieur stöhnte den ganzen Tag das Klavier, auf welchem seine Kinder alle möglichen Tonleitern und Tänze spielten. – Der General hatte jeden Abend Gäste, es wurde die Nächte hindurch getanzt und Klavier gespielt, mit den Füßen gestampft – es war ein Lärm wie in einer Mühle; Diener liefen hin und her, die Treppen auf und ab.

Die gräfliche Familie lebte still und ruhig. Und das war kein Wunder: sie saßen da wie die Juden auf den Ruinen Jerusalems, beweinten ihre einstige Größe. Schwarz sah sie nie, nur zuweilen verriet ihm das Krachen der hölzernen Treppe, daß der Graf mit seiner Tochter spazieren ging. Aber Leute mit einem Titel waren ihm nicht angenehm, und er vermied es, ihnen zu begegnen.

Aber einmal sah er etwas, was ihn sehr interessierte. Als er an einem schönen Tage nach Hause zurückkehrte, bemerkte er zwischen dem ersten und zweiten Stock eine über das Geländer gebeugte Büste mit einem schönen Köpfchen, dunkelblauen Augen und dunklen Haaren. Diese Augen blickten im Halbdunkel, das auf der Treppe herrschte, aufmerksam zur Seite. Als die Eigentümerin derselben Schwarz bemerkte, verbarg sie ihr Köpfchen im Dunkel, und als Schwarz seine Schritte beschleunigte, um sie zu sehen, erblickte er nur noch zwei kleine Füßchen in weißen Strümpfen und schwarzen Schuhen, welche die Treppe hinaufeilten.

»Ah, das ist wohl die junge Gräfin,« dachte er.

Aber die Gräfin interessierte ihn, und als er in der Dämmerung beim warmen Ofen saß, dachte er an ihre Augen, ihre weiße Stirn mit den schwarzen Locken und ihre Füßchen mit den schwarzen Schuhen.

Zwei Tage später, als Schwarz sich schon zu Bett gelegt hatte und das Licht auslöschte, hörte er eine Stimme, welche ein melancholisches italienisches Lied sang. In dem Hause waren junge klangvolle, sympathische Stimmen nicht selten, aber diese Stimme hatte er noch niemals gehört. Schreckliche Schwüre und Vorwürfe erklangen in der stillen Nacht, und deutlich vernahm er die Worte:

»E tu spietato da un altro amato
Dici è delirio e non è amore
Piange mi vadi, ne a me tu credi,
Or tu sei, tu sei barbaro, ehe non hai cuor.«

»Es ist die Gräfin, welche singt,« murmelte Schwarz.

Am folgenden Morgen, während er sich ankleidete, sang er plötzlich mit Gefühl:

»Or tu sei, tu sei barbaro.«

Doch bald dachte er nicht mehr an sie, da er sich der Witwe erinnerte.

»Diese Frau liebt mich entweder oder wird mich bald lieben,« dachte er. Dann erinnerte er sich mit Bedauern jener Augenblicke, wo er in ihre Augen geschaut hatte. »Was für ein seltsames Wesen, wie muß Potkansky sie geliebt haben … und auch Gustav …«

Seine Stirn verfinsterte sich.

»Wenn ich zu ihr gehe, wird Gustav in Verzweiflung geraten. Diese Liebe bringt ihm Unglück, doch jeder muß für sich selbst sorgen, aber ich möchte doch wissen, was sie darüber sagt, daß ich nicht mehr komme.«

Von diesem Tage an erinnerte er sich oft an jenen Augenblick, wo sie ganz bleich mit ausgestrecktem Arm auf ihn zukam und rief: »Kasimir, endlich habe ich Dich gefunden!«

»Wenn ich hätte zu ihr gehen wollen,« dachte er, »so wären wir jetzt wahrscheinlich beide verliebt.«

Auch nachts ließ ihm diese Möglichkeit keine Ruhe. Wie jeder junge Mensch fühlte er das Verlangen zu lieben, aber außer der Witwe hatte er noch kein weibliches Wesen kennen gelernt. Zwar sah er die weißen Strümpfe und die schwarzen Schuhe der Gräfin zuweilen vor sich, doch machten diese Träumereien keinen besonderen Eindruck auf ihn. Er erinnerte sich auch, wie er einmal die Hand der jungen Frau erfaßt hatte und wie er den Wunsch empfand, sie zu küssen. Aber er erinnerte sich auch, wie zornig in diesem Augenblick Gustavs Augen glänzten, und es regte sich etwas wie Haß in ihm. Zuweilen bedauerte er auch sein unzeitiges Mitleid, das ihn veranlaßt hatte, sein Wort zu geben. In solchen Augenblicken rief er sich aber immer selbst zu: »Ich habe mein Wort gegeben und werde nicht hingehen.«

Es gab noch etwas anderes, was seine Laune störte, das war das ruhige Leben. Das Studium fiel ihm leicht und machte ihm keine Schwierigkeiten. Er hatte nicht nötig, alle Kräfte aufzuwenden, und das mißfiel ihm. Diese junge energische Natur verlangte danach, sich in den Kampf zu stürzen, der ganzen Welt den Handschuh hinzuwerfen, sei es im Namen der Wissenschaft oder des Gefühls. Selbst der gewöhnlichste Mensch hält sich für einen Adler, ehe er bemerkt, daß er eine Schildkröte ist. In dieser Phase befand sich auch Schwarz, aber er fand niemand und keinen Vorwand, um zu kämpfen.

Doch plötzlich und ganz zufällig trat ein Ereignis ein, das ihn dieser Stimmung entriß. Augustinowitsch hatte etwas gesagt oder gethan, was die Studenten beleidigte, und sie wollten ihn nötigen, die Universität zu verlassen. Solche Vergehen von seiner Seite waren schon mehrmals vorgekommen, doch immer wieder hatte man ihm verziehen. Jetzt aber war das Maß voll. Es ist überflüssig zu erwähnen, worin sein Vergehen bestand, wozu Schmutz aufrühren? Die Studenten wählten ein Gericht, welches beschloß, den Schuldigen auszustoßen. Gegen dieses Urteil gab es keine Appellation, weil die Universitätsobrigkeit das Urteil bestätigte. Unter den Studenten herrschte starke Aufregung, und niemand nahm sich des Schuldigen an. Da trat Schwarz auf, welcher es sich in den Kopf gesetzt hatte, Augustinowitsch zu retten.

»Ihr wollt ihn ausstoßen,« sagte er in der großen Versammlung, »weil Ihr glaubt, daß er der Universität Schande mache, aber glaubt Ihr etwa, daß er der Universität keine Schande machen wird, wenn er sie verlassen muß? Was wird er dann machen? Wohin wird er sich wenden? Wo wird er Mittel zum Leben finden? Wißt Ihr wohl, was ihn zu einem solchen Zustand heruntergebracht hat? Nein, Ihr wißt es nicht. Also fragt ihn, wann er gespeist habe. Wir sind hier unter uns. Hebt ihm einen Fuß auf, den rechten oder den linken, und wenn Ihr nur eine gesunde Sohle an seinen Stiefeln findet, dann mögt Ihr ihn davonjagen. Nach meiner Ansicht sind wir verpflichtet – und mag den der Donner treffen, der nicht mit mir einstimmt – ihn nicht zu Grunde gehen zu lassen, sondern ihn zu retten. Gebt ihm Mittel zum Leben, nehmt ihn in Eure Obhut, und dann könnt Ihr von ihm Rechenschaft fordern.«

»Wer wird ihn in Obhut nehmen?« fragte einer der Gegner von Schwarz.

»Ich!« rief Schwarz mit Donnerstimme und warf seine Mütze zur Erde.

Die Versammlung wurde sehr geräuschvoll. Wassilkjewitsch unterstützte Schwarz mit seinem Einfluß, andere verlangten Ausstoßung des Schuldigen. Der Lärm war nicht zu entwirren.

Endlich sprang Schwarz auf einen Stuhl und rief Augustinowitsch zu: »Sie verzeihen Dir, jetzt komm' mit mir.«

Sehr befriedigt verließ Schwarz die Versammlung. »Es hat mir um Deinen Kopf leid gethan,« rief er, »aber jetzt mögen sie es nur versuchen, etwas gegen Dich zu unternehmen.«

»Warum hast Du mich gerettet?« fragte Augustinowitsch.

»Heute ziehst Du zu mir,« sagte ihm Schwarz, ohne auf seine Frage zu antworten.

Während dieser Zeit spielte sich in der Wohnung von Potkanska ein anderes Drama ab. Sie war eine besondere Frau, welche nicht leben konnte, ohne sich an irgend ein Gefühl anzuklammern. Das erste Mal war ihr das Schicksal günstig, sie wurde Frau und Mutter; jetzt aber glaubte sie ihr Heil in Schwarz gefunden zu haben. Und doch waren Monate vergangen, seit sie ihn nicht mehr gesehen hatte. Sie wollte ihn sehen, um jeden Preis, aber Gustav ließ es nicht zu. Deshalb mußte es früher oder später zu einer Krisis kommen.

»Wenn Sie ihn nicht zu mir führen wollen,« sagte die Witwe, in Thränen zerfließend, »werde ich ihn selbst suchen gehen. Auf den Knien will ich Sie anflehen, ihn zu mir zu bringen. Sie haben ja selbst gesagt, Kasimir habe vor seinem Tode Sie gebeten, mein Vormund zu sein. Also bitte ich in seinem Namen: Erbarmen Sie sich meiner. Ach mein Gott, mein Gott, Sie begreifen nicht, wie schwer es ist, zu leiden, weil Sie selbst nie geliebt haben.«

»Ich nie geliebt!?« wiederholte Gustav kaum hörbar, und in seinen Augen erglühte starke Leidenschaft – »haben Sie nichts bemerkt, nichts gesehen? Ich weiß selbst nicht, ob ich jemals jemand liebte außer … o, mein Gott! was sage ich! außer Dir allein!«

Er warf sich vor Helene auf die Knie.

Tiefe Stille trat ein. Sie war wie versteinert. Sie stand mit zurückgeworfenem Kopf da und bedeckte das Gesicht mit den Händen, während er zu ihren Füßen lag.

Auch der heftigste Schmerz schwindet mit der Zeit. Gustav stand auf, er war vollkommen ruhig, und sagte ihr mit gebrochener Stimme:

»Verzeihe mir, Helene, ich hätte das nicht, sagen sollen, aber siehst Du, ich habe auch schon seit langem gelitten. Vor drei Jahren habe ich Dich zum ersten Mal in der Kirche erblickt. Damals ging ich noch in die Kirche. Danach habe ich Dich noch oft gesehen. Darauf hast Du Dich verheiratet. Ich schwieg, und ich hätte auch jetzt Dich nicht beleidigen oder kränken wollen … Wenn Du nicht gesagt hättest, ich habe nie geliebt … Du siehst selbst, daß das nicht wahr ist. Schwer fällt es mir, die letzte Hoffnung aufzugeben, aber Schwarz wird noch heute zu Dir kommen … Er ist ein edler Mensch … liebe ihn und sei glücklich.«

Er erhob seine glänzenden Augen zum Himmel und küßte sie mit Verehrung wie eine Heilige.

Im nächsten Augenblick trat Gustav auf die Straße und ließ Potkanska allein.

»Was hat er gesagt?« flüsterte sie, »was hat er gesagt? Ich glaube, er sagte, Schwarz werde zu mir kommen. War das nicht ein Traum? Nein, er wird kommen, er muß kommen!«


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