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Fünfzehntes Kapitel.

Im Verlaufe des folgenden Monats erschienen Cashel Byron, William Paradise und Robert Mellish auf der Anklagebank: Die ersten beiden als Hauptbeteiligte bei einer Preisboxerei; Mellish als Paradises Sekundant und Flaschenhalter. Der Tatbestand dieser Vergehen war mit ausgiebigem Wortreichtum in einer langen Anklageschrift verzeichnet, die sich auch mit dem vierten Verhafteten hätte befassen sollen. Bei diesem letzteren aber befand die Anklagejury die Anklage zur Überweisung ans Geschworenengericht für unbegründet. Die Angeklagten erklärten sich für unschuldig und leugneten.

Die Verteidiger suchten nachzuweisen, daß die Boxerei, die als solche nicht in Abrede gestellt wurde, nicht eine offizielle Preisboxerei gewesen wäre, sondern vielmehr der Abschluß einer Feindseligkeit, die zwischen den Beteiligten seit jenem Tage bestehe, wo der eine von ihnen den andern bei einer öffentlichen Schaustellung in Islington angegriffen und gebissen habe. Hierzu wurde darauf hingewiesen, daß Byron ein Haus in Wiltstocken gemietet und daselbst mit Mellish gewohnt hatte; Paradise war von diesem zu einem Landaufenthalt eingeladen worden. Diese Tatsachen begründeten die Anwesenheit der drei am fraglichen Tage. Wegen der Islingtoner Angelegenheit war es zwischen Byron und Paradise zu einem Wortstreit gekommen, und sie hatten sich schließlich geeinigt, die Sache nach guter alter englischer Sitte zu erledigen. So gingen sie denn aufs freie Feld hinaus und schlugen sich ehrlich und entschlossen, bis sie von der Polizei gestört wurden, die, vom Schein getäuscht, die Angelegenheit als Preisboxerei auffaßte.

Cashel Byrons Verteidiger sagte in seiner Rede des weiteren: Das Preisboxen sei eine brutale Belustigung, die vom Gesetz mit vollem Recht verfolgt würde. Ein ehrlicher Kampf Mann gegen Mann zwischen unbewaffneten Leuten wäre aber, wenngleich er technisch einen Friedensbruch darstelle, von einer britischen Jury oder einem britischen Richter niemals sonderlich scharf angefaßt worden. Sie selbst wüßten, daß wir es unserer nationalen und mannhaften Nachsicht gegen die Faust als die natürliche Waffe verdankten, wenn wir von dem mörderischen Dolch des Italieners befreit wären, vom Revolver des Cowboys, dem hinterlistigen Stoß der französischen Savatehelden. (Mellish, der für Ringen nach Devonshire- und Lancashire-Art schwärmte, nickte beifällig in patriotischer Zustimmung.) Man könne den ganzen Vorfall zu einem sühnenden Austrag bringen, indem man die beiden Angeklagten, die jetzt miteinander auf dem denkbar besten Fuße stünden, verpflichte, für eine angemessene Zeitspanne Frieden zu halten. Das einzige Beweismaterial gegen diese Auffassung läge im Polizeibericht; und die Polizei wolle natürlich nicht zugeben, daß sie etwas Bedeutsames zu finden geglaubt und tatsächlich nichts gefunden habe. Als Beweis dafür, daß die Boxerei vorbereitet und verabredet, also eine Preisboxerei gewesen sei, berufe die Polizei sich auf den Umstand des abgegrenzten Raumes, der Seile und Pflöcke. Wo aber wären diese Seile und Pflöcke? Sie wären offenbar nicht ersichtlich. Er – der Verteidiger – vermute den Grund hierfür nicht, wie solches behauptet würde, darin, daß die Seile und Pflöcke weggezaubert worden seien, insofern dies nicht mit der Möglichkeit vereinbar scheine – sondern vielmehr darin, daß sie nur in der Einbildung der Horde von Polizisten existiert hätten, von denen die Angeklagten verhaftet worden wären.

Ferner habe man vorgebracht, daß die Angeklagten im Boxerkostüm überrascht worden seien. Aus dem Kreuzverhör hätte sich erwiesen, daß ein Boxerkostüm soviel wie gar kein Kostüm bezeichne. Die beiden Männer hätten sich lediglich ihrer Kleidung entledigt, um in ihren Bewegungen unbehindert zu sein. Nachgewiesen sei außerdem, daß man Paradise – eben in dem traditionellen Kostüm seines Namens vorgefunden habe – (schallendes Gelächter; Verwirrung bei Paradise) – bis die Polizei seine Blöße mit einem erborgten Tuche verhüllte.

»Daß die Polizei sich einer weitgehenden Übertreibung schuldig gemacht hat« – fuhr der Verteidiger fort – »ergibt sich aus deren Bericht über die Verwundungen, die die Kombattanten sich beigebracht haben sollen. Von Paradise im besonderen ist behauptet worden, seine Gesichtszüge wären bis zur Unkenntlichkeit entstellt gewesen. Jetzt haben also die Richter den Mann, dessen Züge vor wenigen Wochen unkenntlich waren, vor sich auf der Anklagebank sitzen! Wenn es sich tatsächlich so verhält, wo hat der Angeklagte dann die untadelhaften Konturen hergeholt, die er uns jetzt, ein Bild der Gesundheit und guter Laune, vor Augen hält?« (Erneutes Gelächter; Verwirrung bei Paradise.) »Es ist behauptet worden, diese fürchterlichen Verwundungen, deren Spuren auf so wunderbare Weise verschwunden sind, wären Paradise durch den Angeklagten Byron zugefügt worden – einen jungen, offenbar wenig substantiell ernährten Gentleman, der seinem herkulischen Gegner an Körperkraft und Gewalt sichtlich nachsteht. Zweifelsohne hat Byron in tollkühnem Vertrauen auf seine im Scheinkampf mit weich gepolsterten Handschuhen erworbene Geschicklichkeit sich zu Trugschlüssen hinreißen lassen und sie auf die sehr veränderte Sachlage eines wirklichen Zweikampfes übertragen – eines Zweikampfes mit einem Gegner, dessen massive Schultern und entschlossene Gesichtszüge ihn davon hätten überzeugen müssen, daß sein Unterfangen an eine aussichtslose Verzweiflungstat heranreichte. Glücklicherweise ist die Polizei dazwischengetreten, ehe er allzu ernstlich für seine Waghalsigkeit zu büßen gehabt hat. Und dabei will man noch die Behauptung aufstellen, er hätte Paradise bei diesem Rencontre übel zugerichtet – seine Züge unkenntlich gemacht? Das ist mal wieder eine vielversprechende Probe der Beweiskraft von Polizeiberichten. Die Behauptungen der Polizei sind von Anfang bis zu Ende gleichmäßig unglaubhaft und weichen von allen Satzungen gesunden Menschenverstandes ab. Es hieße die kostbare Zeit des hohen Gerichtshofes vergeuden,« – meinte der Verteidiger, – »wollte man sich noch in Kommentaren über die ehrenhafte Art und Weise ergehen, in der Byron sich augenblicklich freiwillig der Polizei gestellt habe, sobald es ihm zu Ohren gekommen sei, daß man ihn suche. Paradise würde ohne Zweifel den gleichen Weg offenster Aufrichtigkeit eingeschlagen haben, falls er nicht ohne weiteres verhaftet worden wäre – und zwar ohne jeglichen Versuch des Widerstandes gegen die Staatsgewalt. Sicherlich, das war keineswegs die Handlungsweise, wie sie von zwei gesetzlosen Preisboxern zu erwarten stand!«

Man habe auch den Versuch gemacht, gegen den Angeklagten Byron eine gewisse Voreingenommenheit wachzurufen, indem man ihn als notorischen berufsmäßigen Raufbold hinstellte. Dafür wären keinerlei Beweise ersichtlich. Wenn aber eine Tatsache notorisch sei, so könne es an Beweisen für sie nie ermangeln! Falls Herr Byron sich wirklich einer gewissen notorischen Berühmtheit erfreue, so sei diese, wie sein Freund Lord Worthington bei der Voruntersuchung habe fallen lassen, auf den Umstand seiner bevorstehenden Heirat mit einer Dame von hohem Rang zurückzuführen. Ob es denn halbwegs glaubhaft sei, daß ein Gentleman mit den höchsten Beziehungen und in einer derartig beneidenswerten Lage sich auf eine Preisboxerei einlassen sollte, um für eine ihm völlig belanglose Summe Geldes die Gefahr der Schande und körperlicher Entstellung zu laufen oder sich vielleicht einen Ruhm zu erwerben, der seinen Freunden kaum besser als die letzte Infamierung erscheinen würde?

Der ganze Inhalt der Beweisführung könnte also, so weit es sich um den Leumund der Angeklagten handle, nur dazu dienen, sie als Männer von unfraglicher Respektabilität und Unbescholtenheit hinzustellen. Ein für Paradise unvorteilhafter Eindruck hätte sich vielleicht aus dem Umstande herleiten können, daß er ein berufsmäßiger Pugilist und ein Mensch von jähzornigem Temperament wäre. Dem dürfte entgegengehalten werden, daß er, wie sich solches herausgestellt habe, bei anderer Gelegenheit der Polizei sehr hilfreich zur Hand gegangen sei, indem er seine athletischen Kenntnisse in den Dienst der Ordnung und des Gesetzes stellte. Was vollends sein Temperament anginge, so erkläre es eben die Streitigkeit, die von der Polizei – in Kenntnis seines Berufs – fälschlich für eine Preisboxerei gehalten worden wäre.

»Mellish ist ein Trainer für Athleten« – sagte er – »demzufolge sind die Zeugen für seinen Leumund in erster Linie solche Personen, die dem Sport nahestehen; sie dürfen allein deswegen aber keineswegs für weniger glaubhaft gehalten werden.«

Kurzum – die Beschuldigung sei sehr schwer aufrecht zu erhalten, selbst wenn sie von stichhaltigeren Beweisen unterstützt gewesen wäre. Wenn man aber über keine Beweise verfüge – wenn es der Polizei nicht gelungen sei, irgendwelche Akzessorien des Preisboxertums zutage zu fördern – wenn keine Seile noch Pfosten vorhanden wären, keine niedergeschriebenen Propositionen, keine Wetten und keine Wetter, keine Sekundanten außer dem unglückseligen Mellish, dessen Mund im Gehorsam gegen ein Gesetz geschlossen bleibe, das, allen offenkundigen Interessen der Justiz zum Hohn, den Angeklagten daran hindere, zu sprechen und sich vom Verdacht zu reinigen – da also tatsächlich nichts vorläge, wenn nicht etwa die Phantasien einiger Konstabler, die sich im Kreuzverhör nicht nur widersprochen, sondern in Sachen der Natur und der Merkmale des Preisboxens die weitestgehende Unwissenheit – allerdings eine sehr anerkennenswerte Unwissenheit – gezeigt hätten – so möchte er, der Verteidiger, sich ganz im Vertrauen zu der Behauptung aufschwingen, daß die Theorie der Anklage völlig und ausnahmslos unhaltbar sei – so fein durchdacht und geschickt abgefaßt sie auch sonst sein möge.

Dies und viel Gleichwertiges wurde mit großem Behagen von einem eminenten Rechtsanwalt zum besten gegeben, dessen Schwung immer mehr an bezwingender Gewalt zunahm, in je weitere Fernen er die Wahrheit entschwinden und sich verfärben sah, während er ihre begleitenden Nebenumstände ummodelte und verdrehte. Anfänglich hörte Cashel mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Er wechselte die Farbe und wurde zornig, als man auf seine Heirat anspielte; während sich aber das inhaltsreiche Bild der Verteidigung vor seinen Augen entrollte, erfaßte ihn fassungsloses Staunen; er starrte zu seinem Anwalt hinüber, als fürchtete er fast, die Erde könne sich auftun und den schamlosen Verdreher bestehender Tatsachen verschlingen.

Paradise fühlte es bereits durch, daß der Freispruch seiner harrte: seine Bewunderung für den Advokaten erhob sich zu einer an Heroenkultur grenzenden Höhe. Selbst der Richter lächelte ein- oder zweimal, und als er es tat, lächelten die Geschworenen auch. Aber sie fanden schnell ihre Feierlichkeit wieder, als der Richter sich sammelte, und wurden wieder ernst. Jedermann im Gerichtssaale wußte, daß die Polizei in ihrem Recht war; daß ein Preisboxerkampf stattgefunden hatte und die zugehörigen Wettkurse schon Wochen vorher in den Sportblättern notiert gewesen waren; daß man Cashel als den gefürchtetsten Boxer seiner Zeit kannte; daß Paradise es nicht gewagt hatte, eine Fortsetzung des unterbrochenen Wettstreits vorzuschlagen. Und sie alle lauschten mit feierlicher Zustimmung dem Manne, der diese Einzelheiten genau so gut kannte wie sie, der aber klug und geschickt genug war, sie unglaubwürdig und sinnlos erscheinen zu lassen.

Dem Richter blieb es nunmehr überlassen, die Verteidigung umzustoßen oder sich, indem er sie gelten ließ, den Angeklagten geneigt zu erweisen. Zum Glück für die Übertreter hatte er in Jugendtagen selbst gern einen Gang mit Handschuhen ausgefochten und war jetzt alt genug, sich nicht ohne Wehmut der schönen Zeiten zu erinnern, wo das Andenken eines Cribb oder Molyneux noch grünte. Er begann sein Resümee mit einer Erklärung des Sinnes, daß der Polizei der Nachweis einer Preisboxerei mißlungen sei. Nach dieser Äußerung erging sich das Publikum in Ausbrüchen schallenden Gelächters, so oft sie hierzu Gelegenheit finden konnten, ohne sich der Gefahr einer gewaltsamen Entfernung aus dem Sitzungssaale auszusetzen; hiermit zeigten sie allen, die es wissen wollten, daß sie bereits aufgehört hatten, den ganzen Prozeß ernst zu nehmen.

Mellish wurde freigesprochen; Cashel und Paradise als der tätlichen Beleidigung für schuldig befunden. Sie wurden zu zwei Tagen Haft verurteilt und gegen eine Bürgschaft von einhundertundfünfzig Pfund dazu verpflichtet, ein Jahr lang Frieden zu halten. Die Bürgschaft wurde sofort geleistet; und da angenommen ward, daß die Haft vom Beginn des Prozesses an zu rechnen sei, so wurden die Angeklagten auf freien Fuß gesetzt.

»Heiliger Bimbam!« meinte Cashel erregt beim Verlassen des Gerichtssaales. »Wenn wir im Ring nicht fairer vorgingen, würden wir in der ersten Runde disqualifiziert. Das war die erste Schiebung, bei der ich beteiligt gewesen bin, und ich hoffe, es ist die letzte!«


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