Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Jetzt lebt er einsam und mißtrauisch, mehr als je ein Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade; der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im Schauspiel in seiner Loge sogar Reverbers nach allen Seiten haben, die ihm alles zeigen, ohne daß ihn jemand sieht. Bei andern liberalem Maßregeln könnte er als Fremdling wie eine wohltätige Gottheit unter der Nation herumwandeln, und sein Name würde in der Weltgeschichte die Größe aller andern niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür hat er auf den kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht getan. Ich könnte weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft großen Mann rein verehren; das kann ich nun hier nicht.

Man sagt sich hier und da still und leise mehrere Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage an des ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über seinen Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die Osterfeier sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabei bedeutend sagte: Citoyen, vous entrez ici dans la chambre d'un tyran: antwortete er mit schnellem Scharfsinn: S'il avoit été tyran, il le seroit encore: Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde. Als ihm vorgestellt wurde, das Volk murre bei einigen seiner Schritte, er möchte bedenken; erwiderte er: Le peuple n'est rien pour qui le sait mener. Dem Sieyes, den die Partei des Konsuls bei jeder Gelegenheit als einen flachen, sehr subalternen Kopf darstellt, soll er auf eine Erinnerung sehr skeptisch gesagt haben: Si j'avois été roi en 1790, je le serois encore; et si j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de même. Ich sage Dir, was man hier und da bedächtlich an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es niemand, weil seine lettres de cachet eben so sicher nach Bicetre führen, als unter den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann war, willkürlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sei alles sehr gut, aber jetzt nur noch etwas zu früh. Jedermann der etwas weiter blickte, behauptete, es sei leider etwas zu spät. Das Gesetzgebende Korps nennt man hier nur die Versammlung, durch welche er Gesetze gibt. Als sein Kommissär mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand, sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er bei dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen Fingern geknackt und gesagt haben: Ah je saurai les attraper. Das hat er gehalten. Er schmiedete schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen und Überlegungen möchte die Sache anders gegangen sein. Über die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber sie ist nun geschehen.

Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen, le premier consul, le grand consul, le consul vorzugsweise. Die beiden andern, die auch nur das Dritteil der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn auch Sa Majesté, und ich stehe nicht dafür, daß es nicht Ernst wird. Auch heißt er ziemlich öffentlich empereur des Gaules, vielleicht die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf Cäsar folgte August, und so weiter.

Die Feier des Tages des Bastillensturms beschloß ein Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen gedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus, und tat es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohe Magistraturen der Republik, wie sie noch heißt, in ihrem Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen, denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul ließ sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber nur ein kleiner Teil der Menge. Der Platz hielt vielleicht über Hunderttausend, und kaum der hundertste Teil gab die Ehrenbezeugung. Der Enthusiasmus war also nicht allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen sein soll: und man sprach hier und da davon, daß die republikanischen Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich. Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die Republik selbst; wie die meisten Zeichen länger währen, als die Sache selbst.

Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe ich weder Lust, noch Zeit, noch Kenntnis. Die bunte Szene wandelt sich alle Tage und ist alle Tage interessant. Bloß der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern, welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit. Die Preßfreiheit ist hier verhältnismäßig eingeschränkter als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartuffe jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen, als damals; und Moliere könnte wieder sagen: Monsieur le président ne veut pas, qu'on le joue. Die Dekaden sind durch das Konkordat und der Einführung der römischen Religion notwendig geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als selbst in Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach Belieben; in Dijon mußte ich einigemal, sogar an der Wirtstafel, zur Fasten mit der Gesellschaft Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war es einerlei, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mirs noch mehrere Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freilich noch keine Notiz davon; aber man tat es auch ehemals nicht. Die alten Namen der Örter und Gassen treten nach und nach alle wieder ein, und eine republikanische Karte von der Stadt ist fast gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie die neuen Namen gar nicht wüßten; so sah mich ein sehr wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in die rue de loi wollte, wies mich aber sehr höflich weiter, als ich sie rue de Richelieu nannte. Das Pantheon heißt wieder die heilige Genoveve, und wird höchst wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob sich dieses alles so sanft wieder machen wird, weiß der Himmel. Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen Modifikationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten schon überall von neuem mit ihren Anmaßlichkeiten hervor, und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn man die Güter der Emigranten nicht wieder herausgeben will. Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische Gerechtigkeit sein: aber der Mißbrauch kann weit führen. Man erzählt viele Beispiele, daß die französischen Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Laßt nur erst die Geistlichen in die Justiz greifen, so seid ihr verloren. Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich sonderbare Abhandlung in einem öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiß, ob das Ganze Ernst oder Ironie war. Er ließ den Briten wirklich den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sei eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der Herren von der Seine.

Die Polizei ist im Allgemeinen außerordentlich liberal, wenn man sich nur nicht beigehen läßt, sich mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen, panem et circenses. Wenn ich in irgend einer großen Stadt zu leben mich entschließen könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr als eine andere Nation dafür gesorgt, daß man in der Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, die elysäischen Felder, die Boulevards, Luxenburg, der botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die man durchaus in keiner andern großen Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgenpromenaden war die Wachparade der Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender gewesen, als diese ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beide Füße so fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben vielleicht immer noch für Freiheit und Gerechtigkeit gefochten zu haben und verstümmelt zu sein.

Morgen will ich zu Fuße fort, und bin eben bloß aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizei gewesen: denn man weiß doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatten mir gleich beim Eintritt in die Stadt gesagt, ich müßte mich mit meinem Passe auf der Polizei melden, und redeten viel von Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die Sache der Polizei, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; ich weiß nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach meinem Passe gefragt; auch nicht hier an der Barriere. Der Wirt schrieb meinen Namen auf und sagte übrigens kein Wort, daß ich etwas zu tun hätte. Wenn mich die Polizei braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen lassen; man hätte mir das Nötige an der Barriere im Wagen oder im Wirtshause sagen sollen. Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier, der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besah mich und den Paß und sagte sehr freundlich, ohne ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nötig; Sie reisen so ab, wenn Sie wollen. – Der Paß war noch der Preußische von Rom aus. – Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Luchesini wollen vidieren lassen, das können Sie tun; aber nötig ist es nicht. Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen tue ich nicht gern mehr als ich muß; ich ging also nicht zu dem Gesandten.


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