Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die Franzosen haben allerdings vieles fortgeschafft; aber der Abgang wird bei dem großen Reichtum doch nicht sehr vermißt. Überdies haben sie mit wahrem Ehrgefühl kein Privateigentum angetastet. Einigen ihrer vehementesten Gegner haben sie zwar gedroht; doch ist es bei den Drohungen geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich zahlreich und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die Zeitumstände von ihren Besitzern zersplittert worden; vorzüglich die Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloß der Fechter und der Silen daselbst haben einen so klassischen Wert, wie ihn mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die größte Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist, daß sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung auskramte, muß vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben. Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Knabenstatue mit der Bulle, die man für einen jungen Britannicus hält. Sei es wer es wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der männlichen Toga nähert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit und Anmut dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser Art mehr gefunden.

In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornehmlich ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Darüber erschrak ich. Das kann Johanna nicht sein, sagte ich, unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen: das kann die Neapolitanerin nicht sein. Wenn sie es ist, hat die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild; und ich genoß in der Träumerei über den Kopf die schönen Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam, fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es sei nun ausgemacht, daß es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sei. Ich freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los wäre.

Auf dem Kapitol vermißte ich den schönen Brutus. Dieser ist nach Paris gewandelt, hieß es. Was soll Brutus in Paris? Vor fünfzig Jahren wäre es eine Posse gewesen, und jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die Cäsarn wie die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische Wölfin, die bei Cäsars Tode vom Blitz beschädigt worden sein soll. Die Seltenheit ist wenigstens sehenswert. Von dem Turme des Kapitols übersah ich mit einem Blick das ganze, große Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freunde machte mir ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die Peterskirche; ich gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich schicke sie Dir hier, weil ich glauben darf, daß Dir vielleicht die Aussicht einiges Vergnügen machen kann.

Du zürnst, daß dort mit breitem Angesichte
Das Dunstphantom des Aberglaubens glotzt
Und jedem Feuereifer trotzt,
Der aus der Finsternis zum Lichte
Uns führen will; Du zürnst den Bübereien,
Dem Frevel und dem frechen Spott,
Mit dem der Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott
Zum Unsinn macht; den feilen Schurkereien,
Und der Harpye der Mönchereien,
Dem häßlichsten Gespenst, das dem Kozyt entkroch,
Das aus dem Schlamm der Dummheit noch
Am Leitseil der Betrügereien
Zehntausend hier zehntausend dort ins Joch,
Dem willig sich die Opfertiere weihen,
Zum Grabe der Vernunft berückt,
Und dann mit Hohn und Litaneien
Aus seiner Mastung niederblickt:
Du zürnst, daß man noch jetzt die Götzen meißelt,
Und mit dem Geist der Mitternacht
Zu ihrem Dienst die Menschheit nieder geißelt,
Und die Moral zur feilen Dirne macht,
Bei der man sich zum Sybariten kräuselt
Und Recht und Menschenwert verlacht.

Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!
Oft gibt der Zorn der Seele hohen Schwung
Und Kraft und Mut zur Besserung;
Indessen lau mit seichtem Hirne
Der Schachmaschinenmensch nach den Figuren schielt.
Und von dem Busen seiner Dirne
Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.

Geh hin und lies, fast ist es unsre Schande,
Es scheint es war das Schicksal Roms
In Geierflug zu ziehn von Land zu Lande;
Es schlug die Erde rund in Bande,
Und wechselt nur den Sitz des Doms.
Was einst der Halbbarbar ins Joch mit Eisen sandte,
Beherrschet nun der Hierofante
Mit dem Betruge des Diploms.
Jetzt türmet sich am alten Vatikane
Des Aberglaubens Burg empor,
In deren dumpfigem Arkane
Sich längst schon die Vernunft verlor,
Und wo man mit geweihtem Ohr
Und Nebelhirn zur neuen Fahne
Des alten Unsinns gläubig schwor.
Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spottes,
Mit dem er Menschensinn verhöhnt;
Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,
Einst hier die Burg des Donnergottes,
Wo noch des Tempels Trümmer gähnt:
Und wer bestimmt, aus welchem Schlunde
Des Wahnsinns stygischer Betrug
Der armen Welt die größte Wunde
Zur ewigen Erinnerung schlug?

Hier herrschten eisern die Katonen
Mit einem Ungeheur von Recht,
Und stempelten das menschliche Geschlecht
Despotisch nur zu ihren Fronen;
Als wäre von Natur vor ihnen jeder Knecht,
Den Zeus von seinem Kapitole
Mit dem Gefolge der Idole
Sich nicht zum Lieblingssohn erkor;
Und desto mehr, je mehr er kühn empor
Mit seines Wesens Urkraft strebte
Und sklavisch nicht, wie vor dem Sturm das Rohr,
Beim Zorn der Herr'n der Erde bebte.
Nur wer von einem Räuber stammte,
Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,
Bepanzert mit dem dicksten Erz,
Den Hohn der Menschheit lodernd flammte,
Und alle Andern wie Verdammte
Zur tiefsten Knechtschaft von sich stieß
Und den Beweis in seinem Schwerte wies; –
Nur der gelangte zu der Ehre
Ein Mann zu sein im großen Würgerheere.

Oft treibt Verzweiflung zu dem Berge,
Dem Heiligen, dem Retter in der Not,
Wenn blutig des Bedrückers Scherge
Mit Fesseln, Beil und Ruten droht:
Und, was erstaunt jetzt kaum die Nachwelt glaubet,
Dem größten Teil der Nation,
Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet
Der Blutgeist selbst die Rechte der Person,
Und setzt ihn mit dem Vieh der Erde
Zum Spott der Macht in eine Herde.
Der Wüstling warf dann in der Wut,
Für ein zerbrochnes Glas, mit wahrer Römerseele,
Den Knecht in die Muränenhöhle,
Und fütterte mit dessen Blut
Auf seine schwelgerischen Tische
Die seltnen, weitgereis'ten Fische:
Und für die Kleinigkeit der Sklavenstrafe ließ
Mit Zorn der schlauste der Tyrannen,
Den seine Welt Augustus hieß,
Zehn Tage lang den Herrn von sich verbannen.
Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies
Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;
Was ihre Zehner kühn gewannen,
Durch die man frech die Menschheit von sich stieß.

Wer zählet die Proskriptionen,
Die der Triumvir niederschrieb,
In denen er durch Henker ohne Schonen
Die Bande von einander hieb,
Die, das Palladium der Menschlichkeit zu retten,
Uns brüderlich zusammen ketten.
Durch sie ward Latium in allen Hainen rot
Bis in die Grotten der Najaden,
Und mit dem Grimm des Schrecklichen beladen,
Des Fluchs der Erde, gingen in den Tod
An Einem Tage Myriaden:
Und gegen Sullas Henkergeist
Ist zu der neuen Zeiten Ehre,
Der Aftergallier, der Blutmensch Robespierre,
Ein Genius, der mild und menschlich heißt.

Man würgte stolz, und hatte man
Mit Spott und Hohn die Untat frech getan,
So stieg man hier auf diesen Hügel
Und heiligte den Schreckenstag,
Der unter seiner Schande Siegel
Nun in der Weltgeschichte lag.
Man schickte ohne zu erröten,
Den Liktor mit dem Beil und ließ
Im Kerker den Gefangnen töten,
Der in der Schlacht als Held sich wies,
Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte
Und nicht sie zu bekämpfen wagte.

Dort gegenüber setzten sich
Die Cäsarn auf dem Palatine,
Wo noch die Trümmer fürchterlich
Herüber gähnt, und jetzt mit Herrschermiene
Auch aus dem Schutte der Ruine,
Wie in der Vorwelt Eisenzeit,
Mit Ohnmacht nur Gehorsam noch gebeut.
Dort herrschten, hebt man kühn den Schleier,
Im Wechsel nur Tyrann und Ungeheuer;
Dort grub der Schmeichler freche Zunft
Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft;
Dort starben Recht und Zucht und Ehre,
Dort betete man einst Sejan,
Narciß und sein Gelichter an,
Wenn die Neronen und Tibere
Nur scheel auf ihre Sklaven sahn,
Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,
Die Qual und Tod mit einem Wink geboten,

Dort ragt der Schandfleck hoch empor,
Wo, wenn des Scheusals Wille heischte,
Des Tigers Zahn ein Menschenherz zerfleischte,
Und wo der Sklaven grelles Chor
Dem Blutspektakel Beifall kreischte,
Und keinen Zug des Sterbenden verlor;
Wo zu des Römerpöbels Freude
Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,
Der mit dem Dolch im Eingeweide
Und Grimm im Antlitz starb.

Von außen Raub und Sklaverei von innen,
Bei Kato wie bei Seneka,
Stehst Du noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,
Und stellst sie auf des Ruhmes Zinnen?
Vergleiche was durch sie geschah,
Von dem Sabiner bis zum Goten,
Die Kapitolier bedrohten
Die Menschheit mehr als Attila,
Trotz allen preisenden Zeloten.
Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh,
Für Einen Titus schreibest Du
Stets zehn Domitiane nieder.
Behüte Gott nur uns und unsre Brüder
Vor diesem blutigen Geschlecht,
Vor Römerfreiheit und vor Römerrecht!
Wenn Peter stirbt, erwache Zeus nicht wieder.

In dem Palast Spada besuchte ich einige Augenblicke die Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die nämliche ausgibt, unter welcher Cäsar erstochen wurde. Dieses kann auch vielleicht so wahrscheinlich gemacht werden, als solche Sachen es leiden. Die Statue hat sonst nichts Merkwürdiges und ist artistisch von keinem großen Wert. Unter dieser Statue sollten alle Revolutionäre mit wahren, hellen, gemäßigten Philantropen zwölf Mitternächte Rat halten, ehe sie einen Schritt wagten. Was rein, gut oder schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der Gesamtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die Menschheit jetzt stehet.

Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern das enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das unselige Schisma wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der christlichen Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mäßigung hätte damals die Päpste mit Hilfe des abergläubischen Enthusiasmus zu Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit kommt nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen oder verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist, als ob man der stillen Größe der alten Kunst mit diesem herkulischen Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon als den schönsten Tempel des Altertums. Stelle Dir vor, einen verhältnismäßigen ungeheuern Raum, als die Area des Heiligentempels, zu einer großen Höhe aufgeführt, und oben das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast Du die Peterskirche. Das Riesenmäßige hat man erreicht. Wir saßen in dem Knopfe der Kuppel: unser drei, und übersahen die gefallene Roma. Diese Kirche wird einst mit ihrer Kolonnade die größte Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die größte Ruine der Welt ist.

In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich nur Raphaels Logen und Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beide sind so bekannt, daß ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und hat den Beifall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Sibyllen haben ebenso herrliche Gruppierungen und sind ebenso voll Kraft und Seele.

Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang gestanden und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will mir kein anderer mehr genug tun. So muß Sokrates gewesen sein, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da liegt. Pythagoras hielt mich nicht so lange fest, als Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht der Künstler das vollendetste Ideal von Anmut und Würde dargestellt. Ich sah den Brand und im Vorzimmer die Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurückbeben, wenn ich nicht an der andern Wand seinen Parnaß sähe, auf welchen er als den Apoll den Kammerdiener des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der Kremoneser Geige. Die Logen fangen an, an der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligtums und vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die Gallier nichts antasten, sie hätten denn als Vandalen zerstören müssen: und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen was sie wollen. Ich müßte Dir von Rom allein ein Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger schriebe: und ich würde doch nur wenig erschöpfen.

Zum Schluß schicke ich Dir eine ganz funkelnagelneue Art von Centauren, von der Schöpfung eines unserer Landsleute. Aber ich muß Dir die Schöpfungsgeschichte erzählen, damit Du das Werk verstehst.

Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Brite auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gesprochen, durch ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der weder als Lord eine Ehre der Nation noch als Bischof eine Zierde der Kirche von England genannt werden kann. Dieser Herr hat bei der Impertinenz des Reichtums die Marotte den Kenner und Gönner in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar so unglücklich, daß seine Urteile in Italien hier und da bei Verständigen fast schon allein für Verdammung gelten. Vorzüglich haßt er Raphael und zieht bei jeder Gelegenheit seine deos minorum gentium auf dessen Unkosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es geben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittelmäßigkeit stempelt. Viele lassen sich vieles von dem reichen Briten gefallen, der selten in den Grenzen der feinem Humanität bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein Klient zu werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud ihn oft in sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen Ungezogenheiten gegen ihn an, fand aber nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal bat er ihn zu Tische. Der Künstler fand eine angesehene Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von dem Lord mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein Erzkosmopolit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde. Jakobiner pflegt man dort, wie fast überall, jeden zu nennen, der nicht ganz untertänig geduldig der Meinung der gnädigen Herren ist, und sichs wohl gar beigehen läßt, Urbefugnisse in dem Menschen zu finden, die er behaupten muß, wenn er Menschenwert haben will. Dem Künstler mußte dieser Ton mißfallen, und ein Fremder, der es merkte, suchte ihn durch Höflichkeit aus der peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn nach seinem Vaterlande fragte. Ei was, fiel der Lord polternd ein, es ist ein Mensch, der kein Vaterland hat, ein Universalmann, der überall zu Hause ist. Doch doch, Mylord, versetzte der Künstler, ich habe ein Vaterland, dessen ich mich gar nicht schäme; und ich hoffe, mein Vaterland soll sich auch meiner nicht schämen: Sono Prussiano. Man sprach italienisch. Prussiano? Prussiano? sagte der Wirt: Ma mi pare che siete ruffiano. Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, den man zu Tische gebeten hatte. Der ehrliche brave Künstler machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte den Lord keines Blicks und verließ das Zimmer und das Haus. Nach seiner Zurückkunft in sein eigenes Zimmer schrieb er in gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief.

 

»Mylord,

Ganz Europa weiß, daß Sie ein alter Geck sind, an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreißig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine Genugtuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern berechtigt sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Vermögen, nach dem was er selbst wert ist; und Sie sind nichts wert. Sie haben alles was Sie verdienen, meine Verachtung.«

 

Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die Schnurre; er mag an solche Auftritte gewöhnt sein. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir gebe. Das langgestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der Krummstab, der große antike Weinkrug, der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist Wahrheit. Der alte fünfundsiebenzigjährige Pfaffe läßt noch kein Mädchen ruhig.

Auch seines Lebens letzten Rest
Beschäftigt noch Lucinde;
Wenn ihn die Sünde schon verläßt,
Verläßt er nicht die Sünde.

Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herumlief, und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwegen hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der gewöhnlichen Regel, wo man zu bösem Spiele gute Miene macht: Il s'est vengé en homme de genie. Die Zeichnung bekam ich, und ich trage kein Bedenken sie Dir mitzuteilen.Nach reiflicher Überlegung trage ich auch kein Bedenken, das Ganze hier mit drucken zu lassen. Mich über sogenannte Personalitäten zu erklären, wäre hier zu weitläufig. Die Sache hat ihre Grenzen diesseits und jenseits. Für solche Delinquenten ist keine Strafe als die öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung nicht – öffentlich sein und öffentlich dokumentiert werden? Die Parteien sind der Maler Reinhart und Lord Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu erwarten; aber andere sollen nicht so werden wie er ist: deswegen wird es erzählt.


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