Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf nach Sessa, das, wie ich höre, viel alte Merkwürdigkeiten hat, und ehemals eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug; und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niedrigung weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkirche stand und einen heiligen Johannes, der enthauptet wird, betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf dem Bilde mit ihren Blicken festhielten; trat mein alter Eseltreiber, der auf der andern Seite heraufgekommen war, zu mir, mich zu begrüßen. Er hatte mich vielleicht wegen einiger Äußerungen etwas lieb gewonnen und vermutlich die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte mich wohl fünfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit der freundschaftlichsten Teilnahme vor. Mir deucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im Parlament gemacht; so sehr bezeugten sie mir alle ihr Wohlwollen: und ich kann Dir nicht leugnen, es deuchte mir mit völligem Rechte wenigstens ebensowohl, als da mich in Warschau die alte kommandierende Exzellenz unter den Arm faßte, in dem Zimmer herumführte und mir in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die mich weiter herum begleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten, die hier für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, daß die Leute doch noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, daß sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das Gelübde der Armut eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon gewohnt; man braucht eben nicht erst über den Liris zu gehen, um so ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An der Überfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserleitung. Der Fluß selbst, der nicht sehr breit ist, muß, trotz dem Prädikat der Stille das ihm Horaz gibt, doch zuweilen gefährlich zu passieren sein: denn er ist ziemlich tief und jetzt im Frühling sehr schnell; und man erzählte mir, daß, als die Franzosen ungefähr zwei Stunden aufwärts mit der Reiterei durch denselben setzen wollten, ihrer viele dabei umgekommen wären. An den Ufern desselben weiden große Herden Büffel.

Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner Wein vor; für die Echtheit will ich indessen nicht stehen. Es ist bloß die klassische Neugierde ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit verloren. Höchstwahrscheinlich ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie bei den meisten italienischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswanderten, ward meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das folgende große Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, welche die Passage von Montagne Spaccate zu ihrem Tummelplatz machten. Jeder Windstoß durch das Gesträuch erschreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichen an dem Felsen befestigst sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er faselte von lauter Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute sein sollten und von denen er erschreckliche Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er, man wüßte nicht, woher sie kämen und wohin sie gingen, sondern nur was sie täten; sie plünderten und raubten und schlügen tot wo sie könnten; gingen zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden, ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen sie meistens aus den Bergen von Abruzzo. Ich habe nun freilich zur Schande der Regierung gefunden, daß der Mensch ziemlich recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll, daß ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit seinen erbärmlichen Litaneien; wenn ich totgeschlagen werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher nicht weiter beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Entschluß; als ich mich auf der Straße von einem Vetturino bereden ließ, mich einzusetzen und mich mit ihm bis nach Kapua bringen zu lassen. Als wir in Kapua ankamen, war der Gouverneur nach Kaserta gefahren, und man wollte durchaus, ich sollte seine Rückkehr erwarten, damit er meinen Paß ratifizieren möchte. Endlich bestürmte ich den Capitaine du jour so viel, daß er mir den Paß ohne Vidierung zurück gab, und dem Offizier an dem Tore Befehl schickte, er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme verantworten.

Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta gehen; dazu war aber mein Kalabrese durchaus nicht zu bringen: er meinte, das wäre der sichere Tod; da wimmelte es von Mariohlen. Ich gab dem Schuft einige Karlin, verstehe neapolitanische; ließ ihn rechts nach Aversa forttrollen, um dort am rechten Orte seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich links nach Altkapua. Einige ehrsame Bürger aus der Festung Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sei zwar etwas Gefahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen sich patriotisch ihrer vaterländischen Gegend anzunehmen. Wo ehmals Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken Sankt Martin, ungefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lustpartie für die Bürger der neuen Stadt, so sehr behauptet der alte Platz seinen Kredit. Es steht bekanntlich noch der Rest eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und also verhältnismäßig neu ist, welches die Antiquare hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging durch die Trümmern eines Tors, welches vermutlich das nämliche ist, durch das Hannibal seinen Ruhm hinein und nicht wieder heraus trug, ließ nach kurzer Beschauung das Theater links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort. Es stehen dort an der Straße links und rechts nicht weit voneinander ein Paar Monumente, die vermutlich römische Begräbnisse sind, und von denen eines wenigstens in sehr gutem Stil gearbeitet zu sein scheint.

Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiß weit genauer und besser finden kannst. Der erste Anblick ist groß und wirklich imponierend. Der Garten links, die schönen Pflanzungen rechts, der prächtige Schloßplatz und die Gebäude rundumher, alles beschäftigt. Vorzüglich wird das Auge gefesselt von der Ansicht durch das große Tor, welche durch das ganze Schloß und die Gärten bis weit hinaus auf die Berge geht, über welche man die berühmte Wasserleitung herüber gebracht hat. Diese schöne reiche Kunstkaskade schließt den Grund der Partie. Man wird selten irgendwo so etwas magisches finden. Du weißt, daß auch hier die Franken etwas willkürlich gehaus't haben: jetzt ist der Kronprinz und seine Sardinische Majestät hier.

Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich ein Fußgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis Pontius Pilatus ausfragten; und alle wunderten sich, daß ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre. Humane Teilnahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit die Stadt zu besehen; dies war aber zur Auffassung eines richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich abgehen wollte, arretierte mich wieder ein Vetturino an der Ecke des Marktes: Volete andare in carozza, Signore? – Ma si, si, sagte ich, se partite presto presto. – Questo momento; favorisca montare. Ich stieg ein und setzte mich neben einen stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwei andere und wir rollten zum Tore hinaus.

Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampanien, das man, seitdem es so bekannt ist, zum Paradiese erhoben hat, für das die römischen Soldaten ihr Kapitol vergessen wollten. Es ist wahr, der Strich zwischen Aversa, Kapua, Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanertal, ist von allem was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch gesehen habe der schönste Platz, wo die Natur alle ihre Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder Fußtritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er wächst in kurzer Zeit schwelgerisch breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Ölbaum steht mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der schützenden Berge; die Feige schwillt üppig unter dem großen Blatte am gesegneten Aste; gegenüber glüht im sonnigen Tale die Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Weizen, nickt die Bohne, in reicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet dreifach auf dem nämlichen Boden in Fülle, Obst und Wein und Weizen; und alles ist üppige, ewig jugendliche Kraft. Unter diesen magischen Abwechselungen kamen wir in einigen Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion genommen zu haben, war ehemals einige Monate in Wien und Prag gewesen, wußte einige Dutzend Wörter von unserer Sprache, und war die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause, und mich wunderte deswegen seine Artigkeit etwas mehr, da Höflichkeit in der Regel bei uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden der Hausoffizianten der Großen gehört. In Neapel brachte er mich in einem eignen Wagen in das Haus eines seiner Bekannten an dem Ende des Toledo, bis ich den Herrn Heigelin aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete. Es ist wirklich sehr wohltätig, wenn man, bei dem ersten Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfremder eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich selbst etwas orientieren kann.


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