Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Syrakus

Dies ist also das Ziel meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen wieder nach Hause.

Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als möglich das Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel ward mir doch ziemlich kostbar. Von Agrigent aus verlangte man für einen Maulesel nicht weniger als eine Unze täglich, etwas mehr als einen Kaiserdukaten; oder ein Pezzo, wenn ich ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Dies war nun sehr teuer; und mein eigener Unterhalt kostete, zumal auf dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit meinem Mauleseltreiber, er sollte mich zu Fuße auf einer Ronde um die Insel begleiten; dafür sollte er mit mir ordentlich leben, so gut man in Sizilien leben kann, und ich wollte ihm täglich noch fünf Karlin, ungefähr einen deutschen Gulden, geben: dabei könnte er doch zusammen während der kurzen Zeit drei goldene Unzen Gewinn haben. Der Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwei Unzen voraus, um sich für die eine einige Bedürfnisse auf die Reise anzuschaffen, und die zweite unterdessen seiner alten Mutter zu lassen. Er kaufte mir einen Habersack, ungefähr wie man ihn den Mauleseln mit dem Futter umhängt, tat meine zwei Bücher, mein Hemde mit den übrigen Quinquaillerien und etwas Proviant hinein, und trug ihn mir nach oder vor. Meinen stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht zu sein, und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo gelassen: denn er fand überall so viel Beifall und Liebhaber, daß man mir einige Mal sagte, man würde mich bloß meines Tornisters wegen totschlagen.

Noch muß ich hier eine Bekanntschaft nachholen, die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zimmer aß, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir herein, und erkundigte sich teilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden, und wie es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in einem Zimmer mir gegenüber in dem nämlichen Wirtshause, bat um die Erlaubnis, sein Essen zu mir bringen zu dürfen, und wir aßen zusammen. Es fand sich, daß er eine Art Steuerrevisor von Palermo war, der in königlichen Geschäften reis'te. Die Sizilianer sind ein sehr gutmütiges, neugieriges Völkchen, die in der ersten Viertelstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufragen verstehen. Ich fand nicht Ursache, den Versteckten zu spielen; und so erfuhr denn der Herr Steuerrevisor über Tische auf seine Frage, daß ich ein Ketzer war. Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Gabel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Religionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich, so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in der Residenz verheiratet, hatte zu Hause drei Kinder, und mußte, nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur Bequemlichkeit, wo möglich, sein Mädchen haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch, und italienisch trotz einem Bootsknecht: aber er konnte durchaus nicht begreifen, wie man nicht an den Papst glauben und ohne Mönche leben könne. Dabei hatte er ziemliche Studien aus der römischen Legende. Doch entschloß er sich, mit mir fortzuessen, fragte aber immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmütigkeit und einem Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb spaßhaft das Verdammungsurteil über uns Alle her: Siete tutti minchioni, siete come le bestie. Das nenne ich mir Logik! indessen, lieber Freund, es gibt dergleichen Logik noch viel in der Welt, in jure canonico, civili et publico, die uns für Sterling verkauft wird. Übrigens trug der Mann viel Sorge für mich, schloß sich brüderlich an mich an, und meinte, ich ginge großen Gefahren entgegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich abging, band er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich seine Adresse in Palermo und ließ mich Ketzer doch unter dem Schutze aller Heiligen ziehen.

So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg hinunter, über den kleinen Fluß hinweg nach dem Monte Chiaro hin, auf Palma zu, welches die hiesigen Einwohner Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen Handel machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war das nicht sehr lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich einige meiner Bekannten, die Antiquare von Sankt Joseph, die sich über das Margarethentempelchen von Segeste zankten. Diese Herren staunten über meine Verwegenheit, daß ich zu Fuße weiterreisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Begleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten; er aß so viel Paste, daß ich über seine Kapazität erstaunte. Indes ein Sizilianer dieser Art hat seine Talente, die unser einer nicht immer beurteilen kann. Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen, und verursachte dem frommen Menschen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von dem Kleister und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er bekannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt, daß er mit mir in der Fasten zu Fontana Fredda eine halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz und konnte durchaus nicht weiter fort. Was sollte ich tun? Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und sanft als möglich den Text über seinen unvernünftigen Fraß gelesen hatte, nahm ich ihm meinen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Landsmanne, überließ ihn seinen Heiligen und ging allein weiter. Es war mir lieb, daß ich ihn so gut versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch tat es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher erfahren, daß er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiß zum Wunder bloß darum gewesen, weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen hatte, und nicht wegen seines bestialischen Makkaronenfraßes. Ich habe vernünftige Ärzte in Italien darüber sprechen hören, daß jährlich in der Fasten eine Menge Menschen an der verdammten Paste sich zu Tode kleistern; denn der gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast nichts anders als Makkaronen mit Öl.

Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste hin, bald das Meer im Auge, bald etwas weiter links in das Land hinein, nachdem mich der Weg trug. Bei Palma ist wieder schöne, herrliche Gegend, mit abwechselnden Hügeln und Tälern, die alle mit Ölbäumen und Orangengärten besetzt sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner als die übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von Malta nicht ausgenommen, deren man eine Menge in Neapel findet. Gegen Abend kam ich in Alikata an, wo ich vor der Stadt zwei sehr wohlgekleidete Spaziergänger antraf, die mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und in zehn Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir gingen zusammen in die Stadt; ich halte sie für die beste, die ich nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen habe. Das Wirtshaus, das ich fand, war ziemlich gut; ich hatte also nicht Ursache, dem Marchese Frangipani, an den ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich doch meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit in seinem ziemlich großen Hause auf, wo ich eine ansehnliche Gesellschaft fand. Man nötigte mich, mit den Damen etwas französisch und mit den geistlichen Herren, deren einige zugegen waren, lateinisch zu sprechen. Als man sich zum Spiel setzte – c'est partout comme chez nous – und ich daran nicht Teil nehmen wollte noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt anrühre, empfahl ich mich und befand mich in meinem Wirtshause einsam recht wohl. In der schönen Abenddämmerung machte ich noch einen Spaziergang an dem Strande und sah der Fischerei zu. Die hiesige Reede muß für die Schiffe nicht viel wert sein, soviel ich von der Lage mit einem Überblick urteilen kann. Gleich vor Alikata, von Palma her, liegt ein sich am Meere herziehender Berg, der von den Gelehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehalten wird. Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen Himera, denn der nördliche fließt bei Termini, ist ein anderer Berg, dessen Name, glaube ich, Phalarius heißt: und diese beiden Berge paradieren in den karthagischen Kriegen. Der Eknomos soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben; weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir erlaubst eine Konjektur zu machen, so will ich annehmen, daß der Eknomos deswegen so genannt worden sei, weil er ganz allein, isoliert, von der ganzen übrigen Bergkette rundherum abgesondert liegt: die andern Berge hängen in einem großen Amphitheater alle zusammen. Der griechische Name, deucht mir, könne dies bedeuten: εκ του νομου των αλλων ορων κειται γεωλοφος. Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen Ölgärten und mehreren Landhäusern besetzt, und gibt der Gegend ein sehr freundliches Ansehen. Links ist an dem Himera hinauf eine schöne große Ebene mit Weizenfeldern; eine der besten, die ich je gesehen habe. Alikata ist der erste Ort, wo ich in Sizilien billig behandelt wurde.

Überall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich hier in Alikata, wo man sagte, daß die achtzehn Millien von hier nach Terra Nuova die schlimmsten in der ganzen Insel wären. Sono cattive gente, hieß es; und cattive war der ewige Euphemismus, wenn sie zur Ehre ihres Landes nicht Räuber und Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahrscheinlich nur meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Mutes am Strande hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von Anakreon, machte mit meinen Gedanken tausend Circumherumschweife und blieb bei der schönen Idee stehen, daß ich hier nun vermutlich in die geloischen Felder käme: da sah ich von weitem drei Reiter und zwar zu Pferde auf mich zu trottieren. Die Erscheinung eines Maulesels oder Esels ist mir in Sizilien immer lieber als eines Pferdes. Mir ward etwas unreimisch, und ich nahm mir vor, so ernsthaft als möglich vor ihnen vorbeizugehen. Das litten sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst taten. Sie waren alle drei mit Flinten bewaffnet; der Dolch versteht sich von selbst. Ich grüßte nicht ganz ohne Argwohn. Man rief mir Halt! und da ich tat, als ob ich es nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Vehemenz auf mich zu, faßte mich beim Kragen und riß mich so heftig herum, daß das Schisma noch an meinem Rocke zu sehen ist. Wer seid Ihr? – Ein Reisender, – Wo wollt Ihr hin? – Nach Syrakus. Warum reitet Ihr nicht? – Es ist mir zu teuer; ich habe nicht Geld genug dazu. – Einer meiner Freunde in Rom hat mich in dem barocken Aufzuge gezeichnet, den ich damals machte, damit ich, wie er mir sagte, doch sagen könnte, ich habe mich in Rom malen lassen. Ich schicke Dir die Zeichnung zur Erbauung, und Du wirst hier wenigstens meine Eitelkeit nicht beschuldigen, daß sie sich ins beste Licht gesetzt hat. Man riß meinen Sack auf und fand darin freilich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwei Bücher, ein Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und einige Orangen. Man besah mich aufmerksam von der Ferse bis zum Scheitel. – Ihr habt also kein Geld zum Reiten? – Ich kann so viel nicht bezahlen. – Meine Figur und der Inhalt meines Sackes schienen ihnen hierüber ein gleichlautendes Dokument zu sein. Man nahm das weiße Buch, in welches ich einige Bemerkungen geschrieben hatte, um die Reminiszenzen zu erhalten; man fragte, was es wäre, und durchblätterte es neugierig, und Einer, der etwas Ansehen über die beiden Andern zu haben schien, machte Miene es einzustecken. Ich sagte etwas betroffen: Aber das ist mein Tagebuch mit einigen Reisebemerkungen für meine Freunde. Der Mensch betrachtete mich in meiner Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke, gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern: Gib ihm Wein! Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch keine Umstände der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu tun, so gut ich konnte, und trank aus der dargereichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr engen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weißt, hier für das warme Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus genötigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr schlucken kann, als herausläuft. Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete. – An wen seid Ihr in Syrakus empfohlen? – An den Ritter Landolina. – Den kenne ich; sagte Einer. – Ihr seid also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuße? Ich bejahte das. Nun fragte man mich: Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal recht verstanden: da ich aber, außer ein wenig Schach, durchaus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Gewissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und nachher in Sizilien oft getan worden, und die Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier, Dank sei es der schlechten Regierung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein gescheiter Kerl müsse sogleich ausrechnen oder auszaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnlicher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem ungefähr noch siebenundzwanzig Unzen in Gold liegen mochten, war inwendig in einer Tasche hoch unter dem linken Arm und wurde also nicht bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und durchaus keine Zeichen als Polizeireiter: übrigens waren sie für Sizilien sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in Unteritalien zur Schande der Justiz und Polizei jedermann. Wenn sie ehrlich waren, so taten sie wenigstens alles mögliche es nicht zu scheinen: und das ist an der südlichen Küste von Sizilien fast ebenso schlecht, als wenn bei uns in feiner Gesellschaft ein abgefeimter Schurke gerade das Gegenteil tut. Ich denke immer, meine anscheinende Armseligkeit hat mich gerettet, und die Uhr und die Unzen hätten mir den Hals brechen können.

Vor Terra Nuova wurde ich wieder freundschaftlich angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es einzuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich ein, mich dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen; ich war wirklich müde und tat es. Neugierigere Leute als in Sizilien habe ich nirgends gefunden; aber im Ganzen fehlt es ihnen nicht an Gutherzigkeit. Was schlecht ist, kommt alles auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man fragte mich sogar, ob ich eine Uhr trüge, und begriff wieder nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch bin ich überzeugt, das war immer noch die sicherste Art, da ich allein war.


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