Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Paris

Von Zürich hierher ist ein hübsches Stück Weges, und ich schreibe Dir davon so wenig als möglich, weil alles ziemlich bekannt ist. Einige Freunde begleiteten mich den 24sten Juni ein Stündchen von Zürich aus, und schickten mich unter des Himmels Geleite weiter. Bei Eglisau begrüßte ich das erste Mal den herrlichen Rhein und ging von da nach Schafhausen, bloß um den Fall zu sehen. Er hat an Masse freilich weit mehr als der Velino; aber ich wäre sehr verlegen, welchem ich die größte malerische Schönheit zugestehen sollte. Dort ist die Natur noch größer als hier, und der Sturz noch weit furchtbarer. Mir deucht, ich habe gehört, ein Engländer habe versucht den Fall herunterzufahren: und ich glaube, die Donquischotterie ist allerdings nicht unmöglich, wenn der Fluß voll ist. Bei kleinem Wasser würde man unfehlbar zerschmettert. Nur müßte die Seite von Laufen gewählt werden; denn die von Schafhausen würde ziemlich gewisser Tod sein. Ich sage nicht, daß man nicht auf der Unternehmung umkommen könne: aber gesetzt, ich würde auf der Seite von Laufen oben verfolgt und sähe keine Ausflucht, so würde ich kein Bedenken tragen mich in einem guten Boot den Fall hinabzuwagen und würde meine Rettung nicht ganz unwahrscheinlich finden. In der Krone in Schafhausen war sehr gute Gesellschaft von Kaufleuten, Kommissären und Engländern.

Den 25sten stach ich in den Breisgau herüber. Laufenburg, wo ich die Nacht blieb, ist ein ärmlicher Ort, wo der Rhein einen zweiten kleinern nicht so gefährlichen Fall bildet: doch ist auch dieser Schuß zwischen den Felsen sehr malerisch. Weiter hin stehen in den Dörfern noch Franzosen bis zum Austrag der Sache, und die Einwohner sind in Verzweiflung über den Druck von allen Seiten. Bloß unsere geringe Anzahl verhindert uns, sagte man mir laut, gewaltsame Mittel zu unserer Befreiung zu versuchen. Die Franzosen müssen hier sehr schlechte, abscheuliche Mannszucht halten: denn ich habe wiederholt erzählen hören, daß sie durchreisende Weiber mit Gewalt hinauf in den Wald zur Mißhandlung schleppen. An den Eingebornen wagen sie sich nicht zu vergreifen, weil sie unfehlbar totgeschlagen würden, es entstände daraus was wolle: diese Unordnungen fürchten sie doch. Jeder Einquartierte muß täglich zwei Pfund Brot, ein Pfund Fleisch und eine Flasche Wein erhalten. Seit einiger Zeit müssen die Wirte für den Wein zehn Kreuzer täglich bezahlen: dafür werden den Soldaten Kittel angeschafft. Das ist denn doch für die große Nation verächtlich klein. Dieses ist heute den 26sten Juni unseres Jahres 1802; und der Kommandant der Truppen mag seine Ehre retten, wenn er kann: ich sage was ich vielfältig gehört habe.

Die Gegend am Rhein herunter ist fast durchaus schön, und besonders bei Rheinfelden. In Basel am Tore lud man mich zum Kriegsdienst der Spanier ein, die hier für junges Volk von allen Nationen freie Werbung hatten, ausgenommen die Franzosen und Schweizer. Mir war das nicht unlieb, ob ich gleich die Ehreneinladung bestimmt ausschlug: denn es zeigt wenigstens, ich sehe noch aus, als ob ich eine Patrone beißen und mit schlagen könne. Im Wilden Manne war die Gesellschaft an der Wirtstafel ziemlich zahlreich und sehr artig. Der französische Kommandant, zu dem ich wegen meines Passes ging, war freundlich und höflich. Der preußische Pass war in Mailand revidiert worden, und der General Charpentier hatte daselbst bloß darauf geschrieben, daß er durch die Schweiz nach Paris gültig sei. In Basel wies man mich damit an den ersten Grenzposten, ungefähr noch eine Stunde vor der Stadt. Als ich dort ankam, sah der Offizier nur flüchtig hinein, gab ihn zurück und sagte: Vous êtes bien en règle. Bon voyage! und seitdem bin ich nirgend mehr darnach gefragt worden. So wie ich in das französische Gebiet trat, war alles merklich wohlfeiler und man war durchaus höflicher und billiger. In einem Dorfe nicht weit von Belfort hielt ich eine herrliche Mittagsmahlzeit mit Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht, Braten, zweierlei Dessert und gutem Wein und zahlte dafür dreißig Sols. Dafür hätte ich jenseit der Alpen wenigstens dreimal so viel bezahlen müssen. Den nämlichen Abend, vier Meilen von Basel, zahlte ich für ein recht gutes Quartier mit Zehrung nur sechsundvierzig Sols. So ging es verhältnismäßig immer fort; und auch nicht viel teurer ist es in Paris. Mir tut die Humanität und das allgemeine Wohlbefinden besser, als der wohlfeile Preis. Man spricht dort noch etwas deutsch und Leute von Erziehung bemühen sich beide Sprachen richtig und angenehm zu reden. Das Dorf war ziemlich groß und als ich gegen Abend noch einen Gang an den Gärten und Wiesen hin machte, hörte ich in der Ferne an einem kleinen buschigen Abhange einen Gesang, der mich lockte. Das war mir in ganz Italien nicht begegnet; und als ich näher kam, hörte ich eine schöne einfache ländliche Melodie zu einem deutschen Texte, den ich für ein Gedicht von Matthison hielt. Die Sängerinnen waren drei Mädchen, die man wohl in der schönen Abendröte für Grazien hätte nehmen können. Die Zuhörer mehrten sich und ich war so heimisch, als ob ich an den Ufern der Saale gesessen hätte.

Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach Dijon herunter. Es war ein Vergnügen zu wandeln; überall sah man Fleiß und zuweilen auch Wohlstand. Wenigstens war nirgends der drückende Mangel und die exorbitante Teurung, die man jenseits der Alpen fand: und doch hatte hier die Revolution gewütet und der Krieg gezehrt. Besançon ist wohl mehr ein Waffenplatz als eine Festung. Der Ort ist seit Cäsars Zeiten immer ein wichtiger Posten gewesen. Aber bei einer Belagerung würde jetzt die Stadt bald zu Grunde gehen und der Ort sich kaum halten. In Auxonne wurden alle Festungswerke niedergerissen, und jedermann ging und ritt und fuhr ungehindert und ungefragt aus und ein. Das fand ich selbst gegen die Schweiz sehr liberal. Einen Abend blieb ich in Genlis, dem Gute der bekannten Schriftstellerin. Die Besitzung ist sehr nett, aber sehr bescheiden; und die Dame wird, trotz allem was ihre Feinde von ihr sagen, hier sehr geliebt.

Dijon hat ungefähr eine Stunde im Umfange und rund um die Stadt einen ziemlich angenehmen Spaziergang. Der Ort empfindet die Folgen der Revolution vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer Stimmung hin sollen: die Meisten scheinen königlich zu sein. Mein Wirt, der sehr höflich mit mir herumlief, erzählte mir in langen Klagen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so viele brave Leute teils guillotiniert wurden, teils in den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat freilich mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel der ehemaligen Reichen vom Adel und der Geistlichkeit zu machen: diese können allerdings bei keiner vernünftigen Einrichtung gewinnen. Alle große Städte, die nicht auf Handel, Fabriken und Industrie beruhen, die Kapitale ausgenommen, müssen durch die Veränderung notwendig verlieren, da die Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst verzehren. Aber deswegen ist dieses noch kein wesentlicher Verlust für die Nation. Der Park des Prinzen Condé vor dem Peterstore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belustigungsort. Im Ganzen ist die Stadt sehr tot.

Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiß ward, mit dem Kourier nach Auxerres und von dort mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mittelstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhafter als Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem Boulevardkoffee der Hebe einen Tempel aufgeführt, der der französischen Kunst eben keine Ehre macht. Die Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirtung gut und billig. Die Wirtin, ein Prototyp der alten echt französischen Höflichkeit und Gutherzigkeit, setzte sich zu mir in die Gartenlaube und hielt mir bei Gelegenheit der Bezahlung einen langen Unterricht über den Geldkurs, und gab mir Warnungen, damit ich als Fremder mit der Münze nicht betrogen würde; welches indessen zur Ehre der Nation nur sehr selten geschehen ist. In Italien war der Fall häufiger, und auch in der Schweiz.

Die Gesellschaft in der Diligence war besser, als der einsilbige Kourier von Dijon. Ein alter General von der alten Regierung, ein fremder Edelmann aus der Schweiz, ein Landpfarrer der zugleich Mediziner war, ein Kaufmann, ehmals Adjutant des Generals Lecourbe; ein Gelehrter von Auxerres, der vorzüglich in der Ökonomie stark zu sein schien und einige andere Unbekannte machten eine sehr bunte Unterhaltung. Ich saß zwischen dem Geistlichen und dem Gelehrten im Fond, und vor mir der General auf dem Mittelsitze. Der General hatte ehemals in Domingo kommandiert, wäre fast bei seiner Rückkehr in Brest guillotiniert worden, und nur die Intervention vieler angesehener Kaufleute hatte ihn gerettet, die seiner politischen Orthodoxie in der damaligen Zeit das beste Zeugnis gaben. Der Geistliche war ausgewandert gewesen und hatte als Arzt einige Zeit auf der Grenze gelebt, war aber mit vieler Klugheit zu rechter Zeit zurückgekommen und hatte seitdem nach dem Winde laviert. Jetzt zeigte er nun wieder mehr seinen eigentlichen Geist. Er war ein Mann von vielen Kenntnissen und vielem Scharfsinn und vieler Verbindung mit den ehemaligen Großen; also allerdings kein Plattkopf, sondern ein Spitzkopf.

Er erzählte, als ob das so sein müßte, eine Menge heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in seinem eigenen Munde zwar unterhaltend aber eben nicht salbungsreich waren. So war er bei Sens einmal als falscher Bischof gereis't und hatte falsche Offizialien gehalten, und man hatte sich fast tot gelacht als er den Spaß entdeckte. Ein andermal hatte er einst als Chorschüler gesehen, daß ein Bauer seinem Beichtvater einen großen, schönen Karpfen brachte und ihn unterdessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte seine große Freude, als der absolvierte Bauer kam und in und unter dem Weihkessel umsonst den eingesetzten Karpfen suchte, um ihn nun in die Küche des geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser als ich. Noch eine Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten französischen Geschichte. Es lebte unweit Sens ein Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern, und war als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun, seid Ihr denn sein Peruckenmacher? fragte der Beichtvater. – Nein; Ich habe sie ihm nur so gekämmt. – Das sind Possen; die könnt Ihr künftig bleiben lassen, was gehn Euch des Kanzlers Perücken an. – Dieser geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Die nämliche Sünde, der nämliche Verweis, die nämliche Vergebung: da kommt ein dritter mit der nämlichen Beichte. Da fällt dem geistlichen Herrn plötzlich auf, das müsse eine ganz eigene Kämmerei sein. Die Vorhergehenden hielten in der Kirche noch etwas Andacht; écoutez donc, Messieurs les perruquiers, ruft er ihnen zu, venez encore un peu ici; il y a encore à peigner. Was hat das für eine Bewandtnis mit der Perücke? Nun erklärte denn das beichtende Kleeblatt, der Kanzler habe sehr schöne Heuschober draußen auf der Wiese stehen, und sie gingen zuweilen mit dem Rechen hinaus und zögen rundherum bedächtig herunter, daß es niemand merkte: das nennten sie des Kanzlers Perücke kämmen. Die neue Manier die Perücke zu behandeln wurde also nun scharf gerügt, untersagt und schwer verpönt.

Nun fing der Herr an im Ernst sehr fromm zu erzählen, was die heiligen Reliquien hier und da in der Nachbarschaft von Paris wieder für Wunder täten, und dem Himmel zu danken, daß man endlich wieder anfange an die allerheiligste Religion zu denken und sie nun wieder wagen dürfe, ihr Haupt empor zu heben. Er erzählte wenigstens ein halbes Dutzend ganz nagelneue Wunder, von denen ich natürlich keins behalten habe. Er selbst hatte mit heißem, heiligem Eifer un abrégé précis sur la vérité de la religion chrétienne geschrieben, so hieß, glaube ich, der Titel, und das Buch dem Kardinal Kaprara zugeschickt. Nach dem Tone zu urteilen, kann ich mir die Gründe denken. Der Kardinal habe ihm, wie er sagte, ein schönes Belobungsschreiben gegeben und ihn aufgemuntert, in seinem Eifer mutig fortzufahren. Einen komplettern Beweis für die Wahrheit in dem Buche kann man nun füglich nicht verlangen, als das Urteil und den Stempel des Kardinals Kaprara.

Nun wurde von den alten Zeiten gesprochen, die Zeremonien und Feierlichkeiten des Hofs beschrieben und nicht ganz leise hingedeutet, daß man die glückliche Rückkehr derselben bald hoffe. Der geistliche Herr, der den Sprecher machte und wirklich gut sprach, erhob nun vorzüglich die Mätressen der Könige von Frankreich, von der schönen Gabriele bis zur Pompadour und weiter herunter. Es wurde dabei das Ehrengesetz der Galanterie nicht vergessen: Les rois ne font que des princes, les princes font des nobles et les nobles des roturiers. Er behauptete aus gar nicht unscheinbaren Gründen, daß alle diese Damen sehr gutmütige Geschöpfe gewesen, und ich bin selbst der Meinung, daß sie dem Reiche weit weniger Schaden zugefügt haben als die Minister und die Könige selbst, deren Schwachheiten gegen beide oft unerhört waren. Nur klang die Apologie aus dem Munde eines sehr orthodoxen Geistlichen etwas drollig. Gegen Bonaparte hatte er weiter nichts, als daß er zu schnell gehe, daß man aber von dem großen Manne noch nicht urteilen dürfe. Da hatte ich denn freilich gesündigt; denn ich hatte nun leider einmal geurteilt. Das Urteil über öffentliche Männer, es mag nun wahr oder falsch sein, kommt nie zu früh, aber oft zu spät. Mit frommer Andacht meinte er noch, que Bonaparte seroit le plus grand homme de l'univers et de toute l'histoire, s'il mettoit en se retirant le vrai rejetton sur le trône. Schwerlich wird der Konsul den Pfarrer zu seinem geheimen Rat machen. Das alles wurde ohne viele Vorsicht öffentlich in der Diligence geäußert: Du siehst, daß sich die Fahne sehr gedreht hat. Man sagte laut, daß die Mehrheit den König wünsche, und ihre Zuchtmeister mögen ihnen wohl den Wunsch ausgepreßt haben. Die Generale nannte man nur les mangeurs de la république, und das ohne Zweifel mit Recht.

Unter diesen und andern Ventilationen kamen wir den 6ten Juli in Paris an, wo man mich in das Hôtel du Nord in der Straße Quincampoi brachte, wo, wie ich höre, der berüchtigte Law ehemals sein Wesen oder Unwesen trieb. Das war mir zu entfernt von den Plätzen, die ich besuchen werde. Mein erster Gang war Freund Schnorr aufzusuchen. Ich fand mit der Adresse sogleich sein Haus und hörte zu meinem großen Leidwesen, daß er vor sieben Tagen schon abgereis't war. Seine Stube war aber noch leer, der Kolonnade des Louvers gegenüber; ich zog also wenigstens in seine Stube; und aus dieser schreibe ich Dir, in der Hoffnung Dich bald selbst wieder zu sehen; denn meine Börse wird mich bald genug erinnern die väterlichen Laren zu suchen.


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