Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Wenn man an einem hellen, kalten Abend zu Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes, warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr angenehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Straßen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nämlich Menschen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Gebäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schönheit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte lateinische Inschriften eingemauert, die meistens Leichensteine sind und für mich wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich; und man wiederholte mir mit Nachdruck einige Mal, daß durchaus kein Fürst etwas dazugegeben habe, sondern daß alles durch die Beiträge des Publikums und von Privatleuten nur seit ungefähr fünfzig Jahren angeschafft worden sei. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das Grab und das Monument Ariosts, das sonst bei den Benediktinern stand: das sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von Ariost und sein metallenes, sehr schön gearbeitetes Dintenfaß, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die Authentizität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu Oden und Dithyramben begeistert worden zu sein, wenn ich etwas inspirationsfähiger wäre. So viel muß ich sagen, die Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten die ich gesehen habe.

Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, daß ich gewöhnlich nicht faste, wie an meinem Geburtstage zu Udine, und daß die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier ein kleines Exempel von den oberitalienischen nehmen könnten. Das Wetter war fürchterlich. Ich hatte gelesen von den großen gefährlichen Morästen zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen bestätigten es, und sagten weislich noch mehr; so daß ich nicht ungern mit einem Vetturino handelte, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon in Padua konnte ich eine kleine Ahnung davon haben; denn eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Verona und Mantua bringen; da ich aber sagte, daß ich nach Bologna wollte, verlor kein Einziger ein Wort weiter, als daß sie alle etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine Kutschengefährten waren ein cisalpinischer Kriegskommissär, und eine Dame von Cento, die ihren Mann in der Revolution verloren hatte. Wir zahlten gut und fuhren schlecht, und wären noch schlechter gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlimmsten Strecken zu Fuße gegangen wären. Einige Stunden von Ferrara aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen; die billigen Bauern forderten aber für zwei Stunden nicht mehr als achtundzwanzig Liren für zwei Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann jammerte mich, und ich riet ihm selbst, gar kein Gebot auf die unverschämte Forderung zu tun. Die Gaule arbeiteten mit der furchtbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und arbeiteten uns zu Fuße durch, und es ward mit dem leeren Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert Schritte weiter fielen alle beide und wälzten sich ermattet in dem schlammigen, tonigen Boden. Da hatten wir denn in Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche Elend in concreto. Die Pferde halfen sich endlich wieder auf, aber der Wagen saß fest. Nun stelle Dir die ganz bekotete Personalität Deines Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens setzte und heben und schieben half, daß die Dame und der Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und nach drei Versuchen machte ich den Fuhrmann wieder flott. Aber ans Einsetzen war nicht zu denken. Nun hatte ich das Amt, die Dame und den Kommissar durch die engen, schweren Passagen zu bugsieren, und tat es mit solchem Nachdruck und so geschicktem Gleichgewicht auf den schmalen Stegen und Verschlägen und an den Gräben, daß ich ihnen von meiner Kraft und Gewandtheit eine gar große Meinung gab. Schon hatten wir uns, als wir zu Fuße voraus über den italienischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluß, gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirtshause zu Malalbergho einquartiert und uns in die Pantoffeln des Wirts geworfen, als unser Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht italienische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus sollte nun der Weg besser sein. Wir schroteten uns also wieder in den Wagen und ließen uns weiterziehen. Jetzt trat eine andere Furcht ein; der Dame und dem Kriegskommissär, drollig genug an Italienern, ward bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissär schien überhaupt mit seinem Mut nicht viel zur Befreiung seines Vaterlandes beigetragen zu haben. Mir ward zwar auch etwas unheimisch, nicht aber vor Geistern, sondern vor Straßenräubern, für welche diese Straße zwischen tiefen, breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer meinen Mut und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht kamen wir endlich glücklich auf unserer Station, einem isolierten, ziemlich großen und guten Gasthof an, der, wenn ich nicht irre, Althee hieß und von dem ich Dir weiter nichts zu sagen weiß, als daß man mir einen Wein gab, der dem Champagner ähnlich war und also meinen Beifall hatte. Bei diesem Weine und der guten Mahlzeit vergaß der Kriegskommissär alle Mühseligkeiten des Tages und des Abends, und schien ganz eigentlich in seinem rechten Elemente zu sein: das ist ihm nun freilich nicht übelzunehmen; denn ich befand mich nach einer solchen Fahrt dabei auch ganz behaglich.

Den andern Mittag langten wir hier in der alten päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so strenge, als mit meinem Kameraden dem Kommissär, der aus der Gegend von Parma war, und der ein förmliches Kandidatenexamen aushalten mußte. Auf der Polizei, wo ich den Paß signieren lassen mußte, war man ebenso artig und höflich als an dem Grenzflusse. Hier in Bologna fand ich überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an Schweinerei grenzt: und wenn man der häuslichen Nettigkeit der Italiener überhaupt kein großes Lob geben kann, so haben die Leute in Bologna den größten Schmutz aufzuweisen. Außer dem Stolz auf ihr altes Felsine, behaupten die Bologneser noch, daß ihre Stadt so groß sei, wie Rom. Daran tun sie nun freilich etwas zu viel; wenn man aber auf den Turm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den Raum doch groß genug finden, um in eine solche Versuchung zu geraten, zumal wenn man etwas patriotisch ist. Der Hauptplatz mit der daran stoßenden Kathedrale, und dem Gemeinehause rechts und den großen schönen, Kaufmannshallen links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf demselben, von Jean de Bologna, hat als Statue wohl seine Verdienste; nur Schade, daß der arme Gott hier so wenig von seinem Elemente hat, daß er wohl kaum den Nachbarn auf hundert Schritte in die Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht gar demütig in einem sehr spießbürgerlichen Aufzuge daneben. Ober dem Portal hängt ein nicht unfeines Bild der Freiheit mit der Umschrift in großen Buchstaben: Republica Italiana; welches erst vor einigen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte.

Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hanswurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Katzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt, so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereien mit angesehen. Dafür ging ich aber auf das kleine Theater Da Ruffi, und fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute bei einem so geringen Eintrittsgelde und dem kleinen Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten französischen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo natürlich viel über Freiheit und Patriotismus deklamiert wurde; aber schon wieder mit vieler Beziehung auf Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man vielleicht voriges Jahr noch nicht hätte tun dürfen. Die Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und angenehm; die meisten Schauspieler waren, wie man mir sagte, Römer, und nur ein Einziger zischte venezianisch. Nach denn Stück gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen sehr deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke mit allgemeiner Teilnahme enthusiastisch gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feierlich; es waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Theater, die Lose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Teilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle dergleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonierte von Schulen und Meistern und Gemälden so strömend, als ob er die Dialektik studiert hätte und Professor der Ästhetik wäre; und er konnte es gar nicht zusammenreimen, daß ich nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die Reichtümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teufel; und ich überlasse Dirs, inwieweit er in beiden Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern Morgen zum Tore hinaus.


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