Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, der der großen Nation mit zehnfachem Wucher zurückgibt, was die große Nation seine kleine seit langer Zeit hatte empfinden lassen. Es war der vierzehnte Juli und ein großes Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm herzog. Früh hielt er große Parade auf dem Hofe der Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter in der Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher Gelegenheit, zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den schönsten Männern, die man an Einem Ort beisammen denken kann: nur kann ich mir in den französischen Soldaten, ich mag sie besehen wie ich will, immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen Enthusiasmus, als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden. Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber vielleicht nur der Überlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch getan. Von Bonaparte sollte ich wohl lieber schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen Mann sieht man auf zweihundert Meilen vielleicht besser als auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn mit Offenheit tun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern nur der Freund der Wahrheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd; ich nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe seinen Mut, seinen Scharfblick, seine militärische und politische Größe nie verkannt. Problematisch ist er mir in seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr als jemals, wenn man ihn nicht geradezu verdammen soll. Bis auf den Tag von Marengo, wo ihn Desaix Tod aus den republikanischen Grenzen heraushob, hat er als Republikaner im Allgemeinen handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines Republikaners getan.

Als er aus Ägypten kam, trat er die Krise seines Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris tut, dachte ich, und dann urteilen. Ich tadle ihn nicht, daß er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter irgendeinem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, daß er so viel als möglich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel, diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er durchaus nichts, mehr für die Republik getan, sondern alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend etwas mehr für sich selbst zu tun, sondern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er tat, war mit herrlich berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik rückwärts. Land gewinnen heißt nicht die Republik befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er atmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle Konstitutionen. Es tat mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt, der größte Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen Großen auf gleichen Fuß. Er ist größer als die Dionyse und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art, und erwirbt sich ihren Ruhm. Daß er nicht sah, daß seine Konstitution die neue Republik zertrümmern und dem vollen Despotismus die Wege wieder bahnen würde, das läßt sich von seinem tiefen Blick nicht denken; und über seine Absichten mag ich nicht Richter sein. Ich habe wider das Konsulat nichts, nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr republikanisch. Ich gebe zu, daß die Dauer der römischen Magistraturen von Einem Jahre zu kurz war, zumal bei der Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer Gesetze de ambitu; aber die Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang. Der letzte Stoß war, daß der alte Konsul wieder gewählt werden konnte. Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast grenzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müßte ein Blödsinniger oder schon ein öffentlicher verächtlicher Bösewicht sein, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel, die Wahl zum Vorteil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik lebenslänglich sein; wenn es aber die großen sind, geht der Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht geglaubt, daß es so schnell gehen würde; aber auch dieses zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die Franzosen seien zur bestimmten Despotie gemacht, so kommen sie ihr überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wut gezeigt, aber selten republikanischen Sinn und Geist, und noch nie republikanische Vernunft. Nicht, als ob nicht hier und da einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung freilich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wut gepredigt worden, die man sich vorher nur sehr leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen sein werden: aber die halbe oder falsche Aufklärung dieser Ideen und der Mißbrauch derselben geben den etwas gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände. Die Republik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist. Mir tut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel zugesehen und immer geglaubt und gehofft, daß aus dem wildgärenden Chaos endlich noch etwas vernünftiges hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freiheit entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mirs, als ob ich erst Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, daß eine große Republik nicht dauern könne. Wir haben an der römischen das Gegenteil gesehen, die doch, trotz ihrer gerühmten Weisheit, schlecht genug organisiert war. Ich halte dafür, daß in einer wohlgeordneten Republik am meisten Menschenwürde, Menschenwert, allgemeine Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist. Beweis und Vergleichung weiter zu führen, würde wenig frommen und hier nicht der Ort sein. Wo nicht der Knabe, der diesen Abend in der letzten Strohhütte geboren wurde, einst rechtlich die erste Magistratur seines Vaterlandes verwalten kann, ist es Unsinn von einer vernünftigen Republik zu sprechen. Privilegien aller Art sind das Grab der Freiheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit, oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas Teil an manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht so leicht unbefangen auseinandergesetzt werde, und die Beleuchtung Publizität gewinne. In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem einzigen Machtstreich zertrümmert und glaubt nun genug getan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder einschleichen und festsetzen; und man arbeitete schon selbst dadurch für sie, daß man auf der Gegenseite ohne Schonung stürmte, und zu weit ging. Die Republik der Fische ist durch die freie Fischerei zerstört, sagte der geistliche Herr ganz skeptisch in dem Postwagen; und die freie Jagd gibt der Polizei genug zu tun: denn es macht allerhand Gesindel im Lande allerhand Jagd. Muß man denn bei Abstellung der Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd frei geben? Oder ist dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frei sein. In jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der Eigentümer; und nur der Eigentümer kann die Befugnis haben, das Wild auf seinem Grundstücke zu töten, und hat den Prozeß gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner Nachbarn nicht tut. Das Lehnssystem ist in Frankreich abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen; denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach meiner Überzeugung ist die Grundlage der Freiheit und Gerechtigkeit in einem Staate, daß der Staat durchaus nur reine Besitzungen gibt und sichert, und dafür reine Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die Rechtsverhältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller Art aufgehoben. Es entsteht daraus zwar notwendig ein Gesetz, das eine Einschränkung des Eigentumsrechts zu sein scheint: dieses ist aber nicht weiter, als insofern gar niemand ein Eigentumsrecht zum Nachteil des Staats haben kann und darf. Niemand darf nämlich die Erlaubnis haben seine Grundstücke, mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu vergeben, sondern muß sie durchaus rein veräußern. Nur durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der Weg versperrt, werden alle Fronverhältnisse, alle Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnssystem, und dieses der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur Sklaverei. Wo es noch erlaubt ist, mit Lastklauseln Grundstücke umzutauschen, kann in die Länge keine wahre Freiheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu viele Grundstücke hat, daß er sie nicht durch sich und seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und bestellen lassen kann; so hat er eben deswegen für den Staat in jeder Rücksicht schon zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so teuer als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben: der Bürger kann niemand Pflichten schuldig sein als dem Staate: und Bürger ist jeder, der nur einen Fuß Landes besitzt. In detrimentum reipublicae finden keine Besitzungen Statt. Es versteht sich von selbst, daß dann alle Steuerkataster nach der Regel Detri gemacht werden; und die erste Realimmunität ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich ist kein Gesetz, das den belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist vorauszusehen.

Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur Wiedereinführung des Lehnssystems; das ward allgemein gefühlt: aber niemand hat die Macht, dem Allmächtigen zu widerstehen, der den Bajonetten befiehlt. Die Bajonette sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit getan. Rom fiel, sobald sie es ward. Die Geistlichkeit spricht wieder hoch und laut. Freilich wird sie nicht so schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, daß vor einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht Schuld daran war, daß die Esel keine Hörner haben, sich höchlich freute, daß nun wenigstens ein Edelmann allein an der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der Mann muß in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu machen. Man sagt, Kaprara habe schon auf Wiederherstellung der Klöster angetragen, sei aber von Bonaparte zurückgewiesen worden. Bonaparte müßte nicht der kluge Mann sein, der er ist, wenn er ohne Not solche Sprünge machen wollte, oder mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muß. Es ist das Glück des Adels und der Geistlichkeit, daß sie, mit Modifikationen, in seine Zwecke gehören. Wenns Not tut, wird sich schon alles geben. Daß die Katholizität in Frankreich noch vielen Anhang, teils aus Überzeugung, teils aus Gemächlichkeit, teils aus Politik hat, beweis't das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich den Katholizismus zur Staatsreligion, das heißt zur herrschenden gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so fort geht, daß man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich selbst wurde durch die Rolle, die Bonaparte dabei spielte, gar nicht überrascht; es war seine Konsequenz: er war bei der Osterzeremonie der nämliche, welcher er in Ägypten war, wo er sein Manifest anfing: Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat! Er dachte, mundus vult – ergo –; aber das Sprichwort ist nicht wahr; und es wäre zu wünschen gewesen, daß er nicht so gedacht hätte. Il est un peu singe, mais il est comme il faut; sagte der geistliche Herr im Postwagen. Wenn er Bonaparte dadurch richtig gezeichnet hat, so ist es zugleich ein gräßliches Verdammungsurteil für seine Nation. Nur die Zeit kann erleuchten. Der Mann ist von seiner Größe herabgestiegen. Es wird erzählt, er habe sogar die Fahnen weihen wollen, sei aber durch das Gemurmel der alten Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und Petersburg entschieden republikanische Maßregeln nimmt, gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regierung verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegenteil muß aus dem nämlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich gelten: man müßte denn in der Berechnung etwas höher gehen; welches aber sodann jedem Revolutionär in utramque partem zu Statten kommen würde.


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