Johann Gottfried Seume
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Johann Gottfried Seume

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Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest gewiß nicht, daß ich als Spaziergänger Dir alle die andern Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und Geschicklichkeit. Zum Abschied sah ich den Morgen noch die Amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas bei mir in Kredit gesetzt, daß sie diesen Kodex nicht genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten Schlosse noch einer Akademie der Georgophilen bei. Hier hielt man eine Vorlesung über die vorteilhafteste Mischung der Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System. Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut, daß mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode behandelt zu werden.

Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen Vetturino verdungen, und fand im Wagen einen französischen Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine italienische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schoße; und endlich kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit einem furchtbar großen Säbel, der in Handelsgeschäften seines Hauses gereis't war. Die Dame, eine Frau von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging allein mit ihrem Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor wie der Silen im Kabinet Borghese mit dem jungen Bacchus. Du siehst, daß ich mir gehörige Ehre widerfahren zu lassen weiß. Die Leutchen mußten das nämliche meinen; denn die Gruppierung fand Beifall, und der Junge war gern bei mir.

Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast auf die größte Höhe. Du kannst denken, daß ich viel zu Fuße ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem großen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, daß man hier jemand totgeschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas weniger fromm und politischer, und setzen nichts darauf; denn sonst würde der ganze Weg bei ihnen eine Allee von Kreuzen sein. Ich muß Dir bekennen, daß ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu sein, um alles kühne Emporstreben der Menschennatur zur knechtischen Geduld niederzudrücken, und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Großmut und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demut. Demut ist nach der Etymologie Mut zu dienen, und die zweideutigste aller Tugenden. In der alten griechischen und römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die Einführung ist eben kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freilich auch philosophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht tun; aber es gibt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als beides: mit Mut und Kraft verhindern, daß durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch noch etwas besser vor. Das Kreuz verhält sich zum Galgen, wie die Mönche zu den Soldaten: die ersten sind Instrumente und die zweiten Handlanger der geistlichen und weltlichen Despotie; die permanente Guillotine der Vernunft. Christus hat gewiß seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. Freilich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, daß keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und durch das Privilegienwesen ohne Aufhören kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.

Bei Pietramala sah ich oben den zweideutigen Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den Felsen lag, und der Wagen nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Ölbäumen Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Ölbäume, auf der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseit des Berges schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine große Freude, mich glücklich wiederzusehen; und ich lief mit ihm so viel herum, als man in zwei Tagen laufen konnte. Aber der Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die Kaffeehäuser als in die Museen. Ein polnischer Hauptmann von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, eigentlich nur Fähnrich war, und sich selbst einige Grade avanciert und hier geheiratet hatte, schloß sich geflissentlich an uns an, und freute sich, mit Deutschen deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sei in seinem Leben kein Republikaner gewesen, das ließ sich von einem polnischen Edelmann sehr leicht denken, und er sei nun froh, daß die H--e von Freiheit nach und nach wieder abgeschafft werde. Man hatte eben das Wappen über dem Generalzollhause geändert, und anstatt der Freiheit die Gerechtigkeit hingesetzt, welches eigentlich eins ist. Die wahre Freiheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur behüte uns der Himmel vor Freiheiten und Gerechtigkeiten. Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der Polen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich also nicht zweifelte.

Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna noch zu sehen genötigt war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht groß, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drei Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der Sammlung, und nach Einigen die beste Arbeit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses Urteil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefaßt, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar ist ein schönes, herrliches, Ehrfurcht gebietendes Weib, das in dem Gefühl seines Werts dasteht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Szepter seiner Ehehälfte, und diese kann halb versteckt ihre kleine, boshafte, neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vorteilhaft auszeichnete. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm der Moral aufdringt, und jedes Jota desselben mit Theopneustie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Beispielen und Vorschriften, daß ich oft mit vieler Überlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit behüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht, wie bei der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein Gewebe menschlicher Torheiten und Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gemälde unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brauchen kann? Das Papsttum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freilich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligen Geboten der Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln.

Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die Schulter und pilgerte durch die große schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena gefiel mirs sehr wohl, ohne daß ich den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und lachend; die Wirtshäuser und Kaffeehäuser sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daß ein einziges Bajonett dabei gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher: die Polizei ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandierte, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General ließ sie arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren Bezirke die Schurkerei geschehen war, gezwungen das Geld zu ersetzen, und man ließ die Fremden ziehen. Ich finde darin, wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht, keine Ungerechtigkeit. Wenn man die Räuber hübsch ordentlich henkte, und eine Kasse zur Wiedererstattung, wie die Brandkasse, anlegte; das würde die öffentliche Sicherheit recht sehr befördern.

In Reggio lag ein Polnisches Bataillon, und ein Unteroffizier desselben, der am Tore die Wache hatte und ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen preußischen Paß zu sehen, den ich mir von dem preußischen Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht zu meiner Absicht für den besten hielt.

Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder zwei Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen gebracht wurde. Am Tore wurde ich den achten Juni mit vieler Ängstlichkeit examiniert und sodann mit einem Gefreiten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die Bocksbeutelei, ob sie mir gleich auf meiner Wanderung hier zum ersten Mal begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die gutaussehenden Kaffeehäuser und saß schon im Geist bei einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt. Die Parmesaner saßen gemütlich dort und schienen viel Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein breites aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der Hauptwache las der Offizier meinen Paß, rief einen andern Gefreiten und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon auf eine ähnliche Bewirtung, wie in Augusta in Sizilien. Aber der Zug dauerte mir sehr lange; ich fragte und erfuhr nun, ich müßte zum Tore hinaus, ich dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so entsetzlich schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten Haarwülste, so groß wie das Kattegat. Ich forderte, man sollte mich zum Kommandanten bringen. Ma, mio caro, non posso mica; sagte mein Begleiter. Ich drang darauf!. Ma, mio caro, non sapete il servizio; questo non posso mica. Ich alter Kriegsknecht mußte mir die Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Tor, und ich fragte den Offizier, indem ich ihm meinen Paß wies, ob das eine humane Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an, sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich verlangte noch einmal zum Kommandanten gebracht zu werden; ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der Offizier war unschlüssig: Ma, mio caro, non possiamo mica, sagte der Gefreite von der Hauptwache, der noch dabei stand. Der Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen; ich könne morgen wieder hereinkommen und dann tun was ich wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Tore hinaus. Der Gefreite hätte keine bessere Charakteristik von Parma und den Parmesanern geben können: Ma, mio caro, non possono mica. Ärgerlich und halb lachend ging ich in ein Wirtshaus eine gute Strecke vor dem Tore. Das nenne ich mir eine aufmerksame besorgliche Polizei. Ich hatte mir in Reggio den Bart machen lassen, ein reines, feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet. Ihre problematischen Landsleute zwischen Alikata und Terra Nuova, und ihre nicht problematischen Landsleute zwischen Gensano und Aricia hatten mir zwar bei ihrer braven Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter Gesellschaft meinen Aufzug für sehr polito erklärt. Ich zog bei dem Offizier einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich zehn Louisd'or Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor betitelt: nichts, man gestattete mir kein Quartier in der Stadt. Und nun denkst Du, daß ich den andern Morgen hineinging und mich des fernern erkundigte? Das ließ ich hübsch bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich nicht wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich aß gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den Weg nach Piacenza ein. Man merkte sogleich, daß die Leute hier in Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerei ihrer Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele Dolche und Schießgewehre wie bei den echten Italienern jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen den folgenden Morgen so herrlich und so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe eines so konfiszierten Orts noch einen Ton anschlagen könnten. Aber sie schlugen fort, und endlich vergaß ich das Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu. Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Übergange über den Fluß aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluß macht schöne Partien.


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