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Ueber Schauspieler und ihre Kunst

Aus dem Morgenblatt für gebildete Stände, 1807. Nr. 186, 5. August. – A. d. H.

Mich däucht, ich habe versprochen, Ihnen einige Bemerkungen und Erinnerungen über Schauspieler und ihre Kunst zu schicken. Sie dürfen also nichts sehr Geordnetes und Umfassendes erwarten, sondern müssen mit rhapsodischen Stücken und eklektischen Aeußerungen zufrieden sein, die meistens Forderungen von mir an die Künstler enthalten. Ob die Kritiker sie unterschreiben und die Schauspieler sie selbst zugestehen, weiß ich freilich nicht, ich komme aber nach wiederholter Ueberlegung immer wieder mit den nämlichen Forderungen in das Haus und habe das Recht, ihre Befriedigung zu erwarten und diese Erwartung öffentlich auszudrücken.

Ich verlange von dem Schauspieler und der Schauspielerin eine richtige grammatisch reine Sprache, ohne beleidigende Solöcismen und fehlerhafte Gänge und Formen. Dieser Forderung thun die wenigsten Genüge. Ich weiß wohl, daß die meisten Dikasterienleute und Professoren auf Universitäten und zuweilen auch Schriftsteller und sogar gute Dichter sich um die Richtigkeit der Sprache wenig bekümmern. Desto schlimmer für sie und den guten Geschmack. Aber Theater sind Institute öffentlicher Bildung zu jeder nicht unmoralischen Tendenz; und hier sollte das Vehikel der Sprache eine feste, bestimmte, leichte Nationalform haben, wider welche kein Provinciale von der Ostsee bis in die Alpen etwas einzuwenden hat. Der Mangel an Nationalität in politischer Rücksicht ist hier in eben dem Grade der Aesthetik der Sprache ungünstig, da jeder Winkel der deutschen Lande, denn Deutschland kann man nicht füglich sagen, seine eigenen oft unlogischen Gänge und widrige Formen hat. Doch sind die meisten Fehler so liquid, daß man sie nur nennen darf, um die Zustimmung aller Gebildeten zu haben, daß es Sprachfehler sind. Es würde zu weitläufig sein, wenn ich mich in Beispiele einlassen wollte. Am Meisten fällt dieses auf in Conversationsstücken, wo die Natur des Vortrags dem Schauspieler mehr Freiheit läßt und seinem Gedächtniß weniger Gewalt anthut. Wer seinen Adelung nicht mit Fleiß studirt hat, sollte nicht an die Bühne denken, oder wenn er daran denkt, sollten sogleich Adelung's Bücher über die Sprache seine Handbücher werden. Bis uns eine bessere Chiliade eine Nationalakademie als Norm der Sprache schenkt, müssen wir uns an das halten, was einzelne Männer mit Zustimmung der übrigen Culturfreunde dafür gethan haben. Die Reinheit wird durch Fleiß und Aufmerksamkeit gewonnen; aber der Dialekt verwischt sich nur nach und nach durch Umgang mit verschiedenen Provincialen, so daß endlich eine reine Sprache auch in einer reinen Aussprache mit einem angenehmen Tone hervorgeht.

Vor der Sprache hätte ich vielleicht sogleich die persönliche Erscheinung des Schauspielers in Anspruch nehmen sollen. Was die Natur nicht gegeben hat, kann man gewöhnlich nicht verlangen. Aber hier soll Niemand erscheinen mit einer Person, die der Erscheinung, welche er geben soll, widerspricht. Wer schiefe Beine, einen prominenten Bauch oder eine Mohrenphysiognomie hat, kann eben deswegen einen griechischen Helden und einen idealisch schönen Geliebten vorzustellen nicht übernehmen, und wenn die Natur seine Seele aus lauter Harmonie gemacht hätte. Physische Hindernisse können zwar zuweilen überwunden werden, aber dadurch wird kein Ideal geschaffen. Die Figur jedes Schauspielers ist für irgend eine Rolle die beste, aber man muß unserer Sinnlichkeit keine übersinnliche Anstrengung zumuthen; man muß uns keine Recha von vierzig Jahren und keinen Funfziger als Hamlet geben, zumal wenn das übrige Personal in grellem Verhältnisse steht. Eine solche Vertheilung sieht aus, als ob man durchaus die Absicht hätte, Meisterstücke zu zerstümpern. Dieser Widerspruch der Erscheinungen wird noch beleidigender durch die Nachlässigkeit im Schminken. Meistens sind unsere Theatergesichter gemalt, als ob sie unter den Händen eines Kutschenanstreichers oder Stubenfärbers gewesen wären. Man wirft auf die Backenknochen einen Klecks Mennig, unbekümmert, es symmetrisch zu chromatisiren, zu verwaschen und zu vertuschen, so daß die Wangenhöhen glühen wie eine Schmiede und das übrige Antlitz wie im Grabe an der Verwesung zu liegen scheint. Wer auf dem Brett erscheinen will, soll und muß sich ordentlich nach der Perspective färben. Leicht mag das freilich nicht sein und Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Erfahrung fordern. Aber die Ehre, die er dafür als Künstler billig genießt, ist auch nicht gering. Ich erinnere mich, ehemals ein englisches Buch gelesen zu haben, The art of painting for players, worin eine Menge guter praktischer Bemerkungen stand, und das billig, so oder verbessert, zum Gebrauch der Mitglieder in jeder Theaterbibliothek sein sollte. Der Schauspieler darf der Mode des Tags nicht folgen, insofern diese Mode die Costümirung unmöglich macht. Etwas sehr Anstößiges sind in dieser Rücksicht jetzt die modischen Backenbärte. Jeder Andere mag seinen Bart ganz oder halb oder gar nicht scheren und ihn stutzen, schneiden und wichsen und frisiren lassen, wie es ihm beliebt; dagegen hat ihm rechtlich Niemand etwas zu sagen, er bedient sich des Befugnisses seiner Freiheit. Aber das Gesicht des Schauspielers gehört auf der Bühne nicht ihm selbst; er hat es dem Publicum zur Richtigkeit seiner Rolle vermiethet, und seine Erscheinung ist durch das Costüme gegeben. Ein sichelförmiger Backenbart steht dem Dragonerofficier irgend einer Armee gut genug und kann, wo er auch nicht getragen wird, als charaktermäßige Nüance wol genommen werden. Wenn dieser sichelförmige Backenbart aber im Gesichte eines griechischen Helden, eines römischen Senators, eines glattgeschornen Morgenländers erscheint, oder wenn ein Galaminister, wie man sie ehemals hatte und nun wieder fordert, damit eintritt, so ist das für jeden Zuschauer von Sinn und Tact so beleidigend, als ob man die Senatoren des Camillus mit dem Zubehör des Galanteriedegens chapeaubas aufführen wollte. Den jungen Künstlern, die zugleich gern in ihrer eigenen Individualität die Herzensbändiger machen, fällt es allerdings schwer, sich von diesem Naturgeschenk loszusagen, da die Weiberchen und Mädchen trotz aller Kritik den Schnitt und die Fülle des Bartes, von andern Soliditäten begleitet, allerliebst und göttlich finden. Denn bei diesen Richterinnen ist viel Göttlichkeit ohne vernünftigen Grund. Es ist dieses nichts Neues, da die Franzosen diesen herabwogenden Haarbusch schon lange vor der Revolution Favoriten nannten; und es ist nichts gegen ihn zu sagen, als daß er nicht sein soll, wo er nicht sein soll. Es wäre nicht übel, wenn unsere Kunstrichter auch Verstöße dieser Art, deren sich theils die Schauspieler, theils die Directionen schuldig machen, öfter und bestimmter rügen wollten. Sie machen zwar keinesweges das Wesen der Kunst, aber es sind doch auch keine gleichgiltigen Dinge für Gebildete, und die Directionen müssen alle Zuschauer im Hause als gebildet annehmen, wenn sie sich als wahre Künstler vor der Aesthetik rechtfertigen wollen.

Vom Auffassen und Wiedergeben des Charakters, von Darstellung und Vortrage, von Mimik und Haltung, vom Pathos und dessen Mäßigung, überhaupt von dem höheren Studium sage ich nichts und überlasse es der höheren Kritik. Nur möchte ich beide, Künstler und Kritiker, bitten, nicht zu sehr in die Natur zu versinken und nicht zu sehr aus derselben herauszuschreiten. Durch das Erste erscheint das gemein Schlechte und durch das Zweite das ungemein Schwülstige; das Erste kriecht, das Zweite flattert, ohne zu fliegen. Schlimm ist es freilich und tödtend für den Schauspieler, wenn schon der Dichter in einem dieser Extreme ist und er ihm nachkriechen und nachflattern muß. Dann ist er zu entschuldigen, wenn er aus böotischen Grazien keine Sokratischen und aus einem Thersit keinen Achilles machen kann. Wenn der Schauspieler den Enthusiasmus der Wahrheit, das lebendige Gefühl der Größe, den Tact der Schicklichkeit mit einem gehörigen Grade allgemeiner liberaler Bildung und Erfahrung in seiner Seele hat, wird er selten eine Rolle so verfehlen, daß der strengere Richter sein Gesicht mit Mißfallen und Widerwillen wegzuwenden genöthigt wird. Der Geist ist vom Dichter gegeben, und die Seele muß sehr geistlos sein, in welcher der Funken nicht fängt. Die Frage kommt mir immer sehr sonderbar vor: »Wie hat der Schauspieler diese Rolle genommen?« mit der Behauptung, dieselbe Rolle könne auf verschiedene Weise gleich gut oder fast gleich gut genommen werden. Die Rolle ist gegeben durch das ganze Stück und alle psychologischen und ästhetischen Nüancen, oder der Verfasser hat unbestimmt und mangelhaft gezeichnet. Es giebt also nur eine einzige Art, eine Rolle zu nehmen, welche die wahre ist. Aber ich gerathe in Erörterungen, die ich jetzt wol schwerlich würde endigen können. Seien Sie mit diesem kleinen freundschaftlichen Symbolon zufrieden.


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