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Veit Hans Schnorr

Aus Wieland's Zeitschrift: Der Neue Teutsche Merkur, 1800. II. S. 154–163. – A. d. H.

Unter unsern vaterländischen Künstlern, die durch die hartnäckigsten Schwierigkeiten widerstrebender Verhältnisse sich durchzuarbeiten wußten, verdient unstreitig Schnorr in Leipzig genannt zu werden. Da die Geschichte seiner Jugend Manchem vielleicht Vortheil und Vielen einiges Vergnügen bringen dürfte, will ich Ihnen, so viel ich gewiß von ihm weiß, hier, wenn Sie wollen, auch für Andere, mittheilen.

Veit Hans Schnorr wurde im Jahr 1764 zu Schneeberg im sächsischen Erzgebirge geboren, wo sein Vater Rechtsgelehrter war. Die Familie war zahlreich, unser Maler der achte Sohn. Noch jetzt spricht er mit eigenem Enthusiasmus von den Freuden jener schönen Jahre. Der Kleine zeigte in der Kindheit schon eine große Neigung zu allerlei Künsteleien und schnitzte und malte und baute unaufhörlich. Er fertigte schon in seinem zwölften Jahre zu Jedermanns Beifall die Husaren und Türken auf der Scheibe der dasigen Schützen. Die Familie, die zu Anfange des Jahrhunderts reich gewesen war und beträchtliche Geschäfte getrieben hatte, bedurfte nach vielem Verlust an Vermögen und Individuen am Ende desselben der größten Wirthlichkeit. Der junge Schnorr verkaufte also schon damals seine Werke, als Kutschen, Kirschkerne mit feiner Drechslerarbeit, Bildchen auf Kämmen und Spielmarken und andere schöne Raritäten und schaffte sich für das gesammelte Geld eine Uhr, die er jetzt noch besitzt und billig sehr werth hält.

Die meiste Zeit brachte der Knabe einsam in einer Dachstube zu, wo er sein eigenes Kunstwesen trieb; oder er kletterte über die Gartenmauer, um seinen Weg zu dem benachbarten Uhrmacher, Tischler oder Drechsler zu nehmen, die ihn Alle gern sahen, da der Junge drollig genug war und wenigstens so gut mit arbeitete als ein abgerichteter Lehrbursche. So putzte er manche Uhr, die einem ehrlichen Spießbürger die letzte Lebensstunde pickte, dem er dann auch bei dem Tischler die Nägel in den Sarg schlagen half. Seine Lage spornte seine Industrie an, sich Alles selbst zu verfertigen, wenn er etwas nach seiner Phantasie haben wollte, und so holte er aus dem Walde die Stangen, schlug die Pfähle, flocht von Laubwerk die Hütte, legte den Herd an und strickte die Netze selbst, wenn er im Herbste Lerchen fangen wollte. Dieser rastlosen Uebung hat er die vortreffliche Gesundheit zu danken, die ihm jetzt in seinen Verhältnissen so wichtig und wohlthätig ist.

Seine Eltern fingen nach und nach an, um ihn besorgt zu werden, da sich der junge Mensch, wie es schien, zu nichts bestimmen wollte. Denn die Schule war nicht seine Liebschaft, und ein alter Veteran von Feldwebel mit einer halben Nase, der ihm militärisch das Latein einbläute, war nicht der Mann, den Musen einen freiwilligen Rekruten anzuwerben. Der Vater nahm ihn also einmal auf einer Geschäftsreise mit sich nach Leipzig, um seinen Gesichtskreis zu erweitern und ihn anzuspornen, sich nöthige Vorkenntnisse zu einem wissenschaftlichen Leben zu sammeln; denn die Malerei hielt er für ein sehr gleichgiltiges, brodloses Ding. Es glückte, und der Junge fing nun an, in einer andern Richtung gewaltig fleißig zu sein. Er studirte sein Latein in seiner Dachstube mit ebenso viel Begierde, als er vorher Kutschen gebaut und Quincaillerien gekünstelt hatte, so daß er nach drei Jahren, ungefähr in seinem neunzehnten, auf die Universität nach Leipzig ziehen konnte.

Unter den vielen Kupferstichen, die er in Schneeberg mit der Rabenfeder nachgezeichnet, war besonders einer von Geyser nach Oeser, der ihm zum Erstaunen seines kleinen Publicums geglückt war. Dieses Werk, das ihm in seiner Vaterstadt nicht wenig Credit gebracht hatte, zeigte er kurz nach seiner Ankunft in Leipzig wirklich Oesern. Oeser bewunderte zu des jungen Virtuosen unsäglicher Demüthigung weiter nichts als den erstaunlichen Fleiß. Trotz der wenigen Aufmunterung besuchte er indessen doch die Akademie, wo Oeser lehrte, und zeigte von seiner Arbeit dann und wann etwas dem guten Vater Weiße, der sein Anverwandter ist; und Weißens bekannte Humanität und persönliche Theilnahme versagte dem jungen Vetter nicht wohlgeleiteten Beifall und zweckmäßige Bemerkungen.

Er ward nun Oesern näher bekannt, und auch Dieser zeigte nach und nach mehr Zufriedenheit mit seiner Arbeit. So verlebte er einige Jahre, gab Unterricht in der Kalligraphie und erleichterte mit den 50 oder 60 Thlrn., die er dadurch gewann, seinen Eltern seine Unterhaltung. Weiße, der geübte Menschenkenner, bemerkte bald, daß Schnorr wol kein sonderlicher Actenmann werden würde, und rieth ihm im Ernst, seiner Neigung zu folgen und die Kunst zu studiren. Kopf und Herz voll Rafaele und Titiane eilte der glühende Jüngling sogleich zu Oesern und trug ihm die Sache vor. »Ei, was Tausend!« sagte der Alte, den er eben allein traf, »was ist das? Das geht nicht sogleich; das ist nichts. Ja, Weiße ist ein herzensguter Mann,« fuhr er etwas mißlaunig fort; »er meint es gut; aber, aber die Schwierigkeiten! es wird nicht gehen! und –« brach verdrießlich ab. Von diesem Empfange an der Schwelle des Tempels abgeschreckt, nahm Schnorr lange Zeit keinen Pinsel wieder in die Hand. Sein Ideal von Kunst und Künstler war in seiner Seele schon so groß und blendend, daß er an solche Höhen kaum einen Gedanken mehr wagte. Mit verdoppeltem Eifer trieb er nun, freilich unter Seufzen und Stöhnen, sein Jus, disputirte, ließ sich examiniren, ward Notar und schien sich nun an den Teich zu legen, den auch in Sachsen der Engel immer seltener bewegt. Sein Vater wies ihn in Ansehung seiner künftigen Bestimmung auf seine eigene Ueberlegung, da er nun kein Knabe mehr sei. Er las also ganze Stöße Acten mit vielem Widerwillen, und die Juristerei ward ihm täglich mehr verleidet. Defensionen aus dem Criminalrechte hatten allein für ihn noch einiges Interesse.

Die Liebe zur Kunst erwachte mit neuer Kraft, und es begann ein quälender Kampf in seiner Seele. Von Zeit zu Zeit zeigte er Oesern seine Dilettantenarbeiten und gewann immer mehr dessen Zufriedenheit. Bei der Copie eines englischen Kupferstiches sagte ihm der Alte sogar: »Nun, Sie haben hier etwas gescheiter gemacht als der Engländer.« Jeden Tag ward Oeser freundlicher und freundschaftlicher. Er gab ihm dann und wann Zeichnungen und sagte ihm seine Meinung über die Arbeit.

Jetzt starb der Vater, und dieses gab dem Schicksal des jungen Mannes die endliche Richtung. Er widmete sich nun entschlossen der Kunst, und Alles schien ziemlich gut vorwärts zu gehen, als ihn eine Liebschaft aus dem angetretenen artistischen Gleise trieb. Er hatte, welches bei einem jungen enthusiastischen Künstler wol sehr begreiflich und verzeihlich ist, schon längst einige Vertraulichkeit mit einem jungen artigen Mädchen gehabt. Die Liebschaft war, more consueto, nach einigen Tracasserien und Trennungen und Versöhnungen weit genug vorwärts gediehen und – nöthigte unsern Mann, mit der neuen Eheconsortin etwas weit vom Vaterlande zu ziehen. So leicht auch sein Muth war, ging er doch mit schwerem Herzen durch Polen nach Königsberg, wo ihn der Rath eines Universitätsfreundes, den das Glück dorthin verpflanzt hatte, zuerst unterstützte. Sein Bißchen Kunst und seine Ehrlichkeit schafften ihm daselbst bald die Theilnahme vieler guten Menschen, unter denen die verehrungswürdige Familie von Holstein-Beck und der nun heimgegangene Geheime Kriegsrath Hippel sich besonders auszeichneten. Es ging ihm wohl; aber als Künstler war er verlassen, und es schmerzte ihn, die schöne theure Zeit so ganz mit gewöhnlichem Broderwerb zubringen zu müssen. Schon war er entschlossen, mit einem Herrn von Boscamp nach Petersburg zu gehen, als er den Vorschlag zu einer Lehrerstelle bei der Magdeburger Handlungsschule erhielt und, um seinem Vaterlande wieder näher zu sein, annahm. Die Stelle konnte ihm nach seiner Neigung nicht sehr gefallen; er gab sie also nach Verlauf des contrahirten Jahres wieder auf und ging mit Weib und Kindern nach Leipzig zurück, um nun endlich mit allen Kräften unter Oeser's Anleitung die Kunst zu studiren. Bekennen Sie, daß allerdings ein Enthusiasmus wie der seinige dazu gehört, als ein Lehrling sich zurückzuwagen und neben dem Studiren noch eine schnell anwachsende Familie ernähren zu wollen. Daß seine Kräfte seinem Muthe gleich kamen, hat die Folge gezeigt. Selbst Weiße war betroffen über seine Zurückkunft und meinte, daß er doch wol seinem Enthusiasmus etwas zu viel zumuthe. Aber es ging; man nahm Theil an ihm, und Oesern ward er täglich lieber. Einige brave Leute, die Glauben an Menschenwerth hatten, unterstützten ihn thätig. Er fing mit Miniaturen an und ward desto unzufriedener mit seinen Arbeiten, je zufriedener Andere mit denselben wurden. Weiße, in nähern und fernern Kreisen der väterliche Rathgeber und Unterstützer jedes aufkeimenden Talents, das sich ihm nähert, verschaffte ihm manche Bekanntschaft, die ihm für Studium und Haushaltung zugleich nützlich ward. Von der Zeit seiner Zurückkunft aus Magdeburg darf man seine Künstlerbahn und seine Erscheinung im Publicum rechnen. Seine Arbeiten fingen schon früh an, sich vor vielen durch Anmuth und Grazie auszuzeichnen. Nur in dem ausdrucksvollen männlichen Charakter blieb Manches zu wünschen übrig, das ich als Laie in der Kunst nicht zu bestimmen wage. Aber seit einigen Jahren hat er doch offenbar auch hierin einen festern Tact gewonnen, wie seine neuern Arbeiten zeigen. Nichts geht über seinen Enthusiasmus für seine Kunst und die Freude, wenn ihm irgend etwas gelungen ist. Er nimmt Bemerkungen jeder Art und von Jedem an, läßt sich keine Mühe zur Abänderung und Berichtigung verdrießen, und man läßt ihm schon die Gerechtigkeit widerfahren, daß seine Gruppirungen meistens richtig gedacht und mit Geschmack ausgeführt sind. Sehr spät wagte er es, und nur erst vor einigen Jahren, etwas nach Dresden. zur Ausstellung zu schicken, wo seine Blätter immer sehr vortheilhaft bemerkt worden sind. So zufrieden er oft mit seinen Arbeiten in dem Moment der Vollendung ist, so nimmt doch meistens die Zufriedenheit ab, wenn er sie nach einiger Zeit wieder vornimmt; kein zweideutiges Merkmal, daß er selbst immer weiter vorwärts geht. Selbstgefällig blickt er freilich wol zuweilen fremde Arbeiten an und sagt: »So gut würde ich es wol auch noch gemacht haben!« aber das Anch' io sono ist ihm noch vor keinem großen Meisterwerke eingefallen; denn er äußert gewöhnlich seine Einfälle sehr offenherzig. Er gesteht vielmehr, daß er sehr oft mit Angst vor den Mustern seiner Kunst stehe.

Daß es eine große Unternehmung war, nach Oesern einen Vorhang für das Theater in Leipzig zu malen, fühlte Niemand mehr als er; aber trotz dem Tadel, den vielleicht die Kritik daran findet, haben doch sachkundige Männer mit Zufriedenheit geäußert, er habe viel geleistet und mehr, als man erwarten durfte, da der Künstler mit manchen Hindernissen zu kämpfen gehabt habe. Im Colorit ging er schon lange Zeit auf Oeser's eigenen Rath von Oesern ab, den die Kritiker mit unter die Nebulisten zählen. Schnorr sagt: »Wenn ich auch noch nicht das gute Colorit habe, so bin ich doch auf dem Wege, es zu bekommen.« Gewiß, es ist nicht der Erwerb von einigen Jahren, zumal wenn der Künstler unter solchen Schwierigkeiten arbeitet wie er.

In Oel hat er noch wenig gemalt; es ist aber sein Entschluß und der Rath seiner Freunde, dieses zu seiner Hauptsache zu machen. Er hat mit Recht bisher Zeichnung und Akademie als unnachläßliche Vorbereitungen angesehen. Das Schlimmste ist, daß er selten arbeiten kann, was er will, sondern arbeiten muß, was Andere wollen. Die Kupfer nach ihm haben allemal viel Grazie, und es fehlt ihnen nicht an Ausdruck; auch Klopstock und Wieland waren mit seinen Zeichnungen zufrieden, da er den Dichter mit reinem Gemüth auffaßt und wiedergiebt. Vielleicht wird er einst unser Füger, wenn ihn die Umstände nicht niederdrücken! Auch in der Plastik sind seine Versuche glücklich ausgefallen, und die Büste des Geheimen Kriegsrath Müller bei Rost zeigt mit großer Aehnlichkeit viel eigenen Charakter.

Er arbeitet mit vieler Emsigkeit in seinen Mußestunden schon lange an einer Anatomie, die ihn fast bei jedem Muskel auf die Antike zurückbringt. Er hat eine Hausfrau (eine Tochter des bekannten Philologen, des Rector Irmisch in Plauen) mit sechs Kleinen, und zwar in Leipzig zu ernähren, und doch ist ihm kein Opfer für seine Kunst zu klein. »Wir können Kartoffeln essen,« spricht er, »aber ich muß etwas Schönes sehen und haben, das giebt mir Nahrung, die ich brauche, und ist auch ein Capital für meine Familie.«] Seine Kunstliebe zieht ihn oft in die schönen Gefilde Latiens, aber seine Vaterpflicht hält ihn zu Hause. »Wenn mir nur der Kurfürst auf zehn Jahre eine kleine Pension geben wollte,« sagte er mir neulich, »damit ich meine Jungen etwas gemächlicher und besser erziehen könnte; ich wollte sie dann gern wieder abgeben, denn für mich brauche ich nichts.« Seine Freunde wissen, daß dies Wahrheit ist, und viele Fremde werden einstimmen, baß er die thätige Theilnahme seines Vaterlandes verdient, dem er so viel verspricht, und das er wirklich patriotisch liebt. Unbekümmert und uneingeweiht in den kleinen Künsten des Lebens, ist er von ungewöhnlicher Gutmüthigkeit, und ich selbst habe ihn in Collisionen gesehen, wo er als ein sehr rechtschaffener uneigennütziger Mann selbst gegen das Einflüstern der Klugheit in seiner Lage mit Aufopferung schön gehandelt hat, ohne nur zu ahnen, daß man auch anders handeln könne.


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