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Ueber Oeser

Aus Wieland's Neuem Teutschen Merkur, 1799. II. Seite 152–159. – A. d. H.

Grimma, den 26. Mai.

Was ich Ihnen jetzt an Nachrichten von unserm guten Oeser schicken kann, ist sehr wenig, aber doch vielleicht hinlänglich, um das Publicum recht aufmerksam auf einen der ersten Männer seiner Art zu machen, da seine Kinder und seine Freunde mit Sammlung der Materialien zu einer ausführlichern Beschreibung seines Lebens beschäftiget sind. Ein Mann, der mehr als achtzig Jahre in den verwickeltsten Verhältnissen des Lebens seinen Weg zur allgemeinen Hochachtung bei der Nation blos durch sein Talent und seinen persönlichen braven Charakter gemacht hat, verdient, zumal da er einen der originellsten Stempel trug, gewiß die Theilnahme eines Jeden, der Gefühl für schöne Humanität hat.

Oeser wurde 1717, den 17. Febr. Abends um 7 Uhr, zu Presburg geboren, daher er oft im Scherz zu sagen pflegte, er sei in vier bösen Ziffern auf die Welt gekommen. Man wollte ihn zum Conditor machen, konnte ihm aber durchaus an diesem süßen Geschäfte keinen Geschmack beibringen. Sein erster Lehrer in der Kunst hieß Kammauf, der ihn recht herzlich mit Copiren nach Kupferstichen plagte, den Jungen mit Ohrfeigen zur Ordnung wies, wenn er seinen eigenen Kopf versuchen wollte, und ihn dadurch sofort von sich jagte; daher Oeser sich immer noch mit Laune an des Alten Pedanterei und an seine Jugendstreiche bei ihm erinnerte. In Wien, wo er eigentlich seine Bildung in der Kunst erhielt, lebte er bei einem alten gutmüthigen Onkel, mit dem der junge, feurige, talentvolle Vetter Alles machen konnte, was er wollte. Dort erwarb er sich durch seine Arbeit nicht allein die Achtung und Freundschaft der damaligen Künstler von Rang, vorzüglich des Directors van Scupen und des Herrn Meytanz, sondern auch die Gunst und Gewogenheit vieler Großen. Der Jüngling, der bei dem größten Feuer in allen seinen Unternehmungen viel liebenswürdige Bescheidenheit besaß, war ganz überrascht, als sein Brandopfer Abraham's in der Akademie den ersten Preis erhielt. Er hatte nach dem Geist der Zeit damals manche Anfechtung von der Proselytenmacherei der frommen Damen und ihrer Beichtväter; er blieb aber fest bei seinem Protestantism und wies oft die Bekehrungslustigen mit Witz und Lakonismen zurück, wenn er zum ewigen unnützen Streit aus Gründen nicht mehr aufgelegt war. Die Krönung seines Brandopfers, eines Stücks, das für alle christliche Religionsparteien gleiches Interesse haben mußte, war höchst wahrscheinlich die Veranlassung, daß ihn dieser Gegenstand seiner Jugend durch sein ganzes Leben mit Interesse beschäftigte. Aus einem ganz verschiedenen Grunde war Lot's Familie immer das Spiel seiner Ideen und seiner Versuche, wie weit etwas Edles aus einer solchen Aufgabe gemacht werden könnte. Sein feuriges schnell aufloderndes Temperament brachte ihn in manche Unannehmlichkeiten, aus denen ihn seine Geschicklichkeit in allen körperlichen Uebungen und seine Geistesgegenwart wieder zog. Ueberall, wo er anfing, war er über dem Mittelmäßigen. Er spielte vortrefflich Billard, focht meisterhaft, und zwar links, ritt fertig und mit Anstand, war der beste Schütze mit jedem Gewehr und pflegte oft mit der Pistolenkugel die Schwalbe oder Lerche im Fluge zu schießen. Einer seiner vertrautesten Freunde in Wien war Rafael Donner, von dem er bis an sein Ende mit wahrhaft zärtlicher Rührung sprach, vorzüglich wenn er das Bildniß seines ehemaligen Freundes betrachtete oder es Andern wie einen Heiligen in der Hauskapelle vorzeigte.

Der glänzende Hof der Auguste, die Kunstsammlungen und mehrere seiner Landsleute, die sich dort aufhielten, lockten ihn zu Ende des Jahres 1739 nach Dresden; und seitdem ist Sachsen sein zweites Vaterland geworden, wo er in seinen ihn stets bindenden Verhältnissen nur mit Sehnsucht an Italien dachte, wohin sonst immer seine Seele eine unaussprechliche Sehnsucht empfunden hatte. In Dresden wurden Winckelmann und Hagedorn seine Freunde, und der Erste hat vielleicht das Meiste, was er nachher in Beziehung auf die Kunst als Kunst leistete, Oesern zu danken. Oeser machte sein Auge für das Schöne und Fehlerhafte empfindlich; er lehrte ihn sehen, wie sein Ausdruck war. Die ganze Beschreibung von Rafael's Madonna ist Oesern von dem Munde nachgeschrieben. Im Jahre 1744 erhielt er einen Ruf nach Petersburg, den er annahm. Alles war schon zur Abreise fertig, das Geld ausgezahlt und der Wagen gekauft; aber der Tod der Kaiserin Anna vereitelte das ganze Unternehmen. In Dresden lernte er in dieser Periode seine nachmalige Gattin, die Demoiselle Hoburg, kennen, die den wohlthätigsten Einfluß auf sein ganzes künftiges Leben gehabt hat, und deren vortreffliche Eigenschaften der Greis oft mit dankbarer Rührung nannte. Wirthschaftlichkeit, eine Tugend, die nicht immer das Genie begleitet, war auch Oeser's Begleiterin nicht: er arbeitete selten eher wieder um Geld, als bis er den letzten Ducaten angegriffen hatte. So oft er konnte, hing er seinen eigenen genialischen Ideen nach. Im siebenjährigen Kriege hielt er sich meistens zu Dahlen auf, bei dem gelehrten Grafen von Bünau, dessen Zimmer er nun malte, wie er schon lange versprochen hatte. Zu Ende des Krieges zog er nach Leipzig, wo er schon vorher auf seinen Excursionen viele schätzbare Bekanntschaften gemacht hatte. Als der Kurfürst Christian nach dem Kriege zur Beförderung der Kunst die Akademie errichtete und Oesern freigestellt wurde, ob er in Leipzig oder in Dresden sein wollte, entschied er sich für Leipzig und wurde da zum Director der Zeichnerschule ernannt. Seine Zeit in Dresden und die ersten Jahre in Leipzig hielt er für die schönste Periode, sowol in seinem Leben als in seiner Kunst. »Sachsen hat mich verdorben«, pflegte er oft zu sagen, wenn er sagen wollte, daß er oft den Forderungen des neuern Geschmacks hier und da gefällig nachgeben mußte und darüber die schöne Antike etwas vernachlässigte. Seine alten Freunde waren der nämlichen Meinung, und Hr.  Schnorr, einer seiner würdigsten und dankbarsten Schüler, sagte mir, er habe nur vor Kurzem ein paar Kutschenschilder in Dresden aus dieser Zeit von ihm gesehen, wo er voll Enthusiasmus vor den Figuren hätte niederknien mögen, so herrlich sei Zeichnung und Gruppirung, so schmelzend und glühend Colorit, so schön genialisch das Ganze. Seine Hauptwerke sind zu bekannt, und der Raum ist hier zu klein, um auch nur kurz davon zu sprechen. Seinen Christuskopf in Oel, den er nur einige Tage vor seinem Tode vollendete, haben Sie gesehen. Er hat noch die ganze Gluth seines Meisters. Die schlafenden Nymphen der Diane waren sein letztes Spiel, welches er zeichnete, als ihm Schnorr einige Stellen aus Don Karlos vorlas; auch diese haben Sie unter seinen Familienreliquien gesehen. Sie verrathen noch nicht die zitternde Hand eines Zweiundachtzigers. Er starb den achtzehnten März dieses Jahres und behielt seine jovialische, ächt philosophische Stimmung bis an den letzten Augenblick. Das ehemalige Feuer seiner oft stürmischen Jugend hatte sich in eine liebenswürdige herzliche Heiterkeit gemildert, die ihn bei seinem wahrhaft rechtschaffenen offenen Charakter zu einem der interessantesten Männer machte. Der Mensch ist hier vielleicht noch merkwürdiger als der Künstler. Sein langes Leben ist voll origineller Züge aller Art, und seine Freunde hatten immer etwas Genialisches, Lakonisches, Kaustisches oder Barockes von dem alten Oeser zu erzählen. Weiße, Kreuchauff und Schnorr sind, nebst seiner Familie, wol Diejenigen, die das Merkwürdigste von ihm während seines Aufenthalts in Leipzig wissen. Schade, daß kein Jugendfreund uns die Geschichte seiner ersten 25 Jahre, die gewiß in jeder Rücksicht wichtig sein muß, geben kann; aber in den Achtzigen sind gewöhnlich nicht Viele mehr übrig, die unsere Geschichte in den Zwanzigen wüßten, zumal in einem so verwickelten Lebensfaden, wie Oeser's war.

Ich kann mich nicht enthalten, Ihnen eine kleine Anekdote von ihm, da er noch in Wien war, zu erzählen. Es wurde damals sehr viel von dem Wurme gesprochen, der den Schiffen unter dem Wasser so außerordentlichen Schaden that, und man war begierig, ihn bald näher kennen zu lernen. Der junge Oeser setzt sich hin und erfindet mit der ihm eigenen Laune einen ganz eigenen Wurm, giebt ihm an einer Extremität eine Art von Säge wie dem Sägefisch und an der andern eine Art von Bohrer und weiß dieses einheimische Product seines Gehirns als einen fremden Ankömmling geheimnißvoll einem Neugierigen in die Hände zu spielen. Wenige Tage nachher kommt ein Curiositätenkrämer, bringt ihm mit einer wichtigen Miene den neuen Schiffswurm zum Copiren, bittet um Verschwiegenheit, und so kann Oeser seinen eigenen Wurm nicht oft genug abzeichnen, bis endlich der wahre Wurm mit einer weitläuftigern Beschreibung selbst aus der Fremde nach Wien kommt und den untergeschobenen zum großen Gelächter des Publicums seines Credits entsetzt. Er sagte über alle Gegenstände und besonders über Politik seine Meinung überaus offenherzig und nicht selten mit gewaltsamer Heftigkeit. Eine Philippike dieser Art mochte er dem General Seidlitz gehalten haben, als er zu Ende des Krieges einst voll Zorn, Aerger und Angst Abends spät nach Hause kam, Hut und Stock wegwarf und sagte: »Wenn nun Seidlitz nicht ein ehrlicher Mann und mein Freund ist, so kostet's mich den Kopf!« Seine Familie brachte natürlich die Nacht in banger Erwartung hin, da der Vater weiter kein Wort sagte, und beruhigte sich erst, als den andern Morgen der General mit seiner gewöhnlichen Freundlichkeit kam, von Kunst und Kunstwerken sprach und heiter und froh mit ihm auf die Promenade ging.


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