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Dem Herrn Grafen
G. A. O. von Igelström
zu seinem sechzehnten Geburtstage

 

Παντων των ϰτηματων βελτιστον φιλος ἀγαϑος.

 

Liebster Freund!

Es ist schon jetzt mein Stolz und wird es, hoffe ich, künftig immer noch mehr sein, daß ich Sie mit diesem Namen nennen darf; und so wie Sie mich kennen, werden Sie glauben, daß Jemand einigen Werth darauf zu legen Ursache hat, wenn ich ihm denselben in dem ganzen Sinne des Wortes von meiner Seite zugestehe. Man pflegt gewöhnlich an feierlichen Tagen, wie Ihnen der heutige ist, einander mit Versen zu bewirthen; da ich aber der leidigen Producte dieser Art schon sattsam gedrechselt habe, will ich versuchen, zu Ihnen ein herzliches Wörtchen in schlichter Prose zu sprechen. Von den Verhältnissen, in denen ich ehemals mit Ihnen stand, bleibt mir noch die nämliche Stimmung meines Herzens, das mich damals doppelt fest und heilig an meine Pflichten band; ein Herz, das gewiß gut, brav und redlich ist, und dessen mehr als gewöhnlich freundschaftliche Theilnehmung mich vielleicht mehrmals aus der Mittelstraße der kalten Ueberlegung zog. Meine engeren rechtlichen Pflichten sind längst gelöset; aber wehe dem Menschen, der weiter keine Verbindlichkeiten kennt als diejenigen, die ihm von den Gesetzen und Contracten aufgelegt werden! Ich setze jetzt alle Verbindlichkeiten beiseite, die ich Ihrem würdigen Vater, Ihrem vortrefflichen Onkel und noch manchem rechtschaffenen Manne aus Ihrer Familie schuldig bin; sie erzeugen meinen individuellen Dank, aber sie können meinen Gefühlen gegen Sie nichts zusetzen und nichts abnehmen. Meine Seele wird und muß immer ohne gröbern Eigennutz sein, so sehr ich auch übrigens überzeugt bin, daß Egoismus, man nehme, modificire und verfeinere ihn nach Belieben, wie man wolle, der Grund unserer Moralität ist. Wir wollen aber lieber in der gewöhnlichen Welt bleiben, als in dem Nebel der Metaphysik herumgreifen. Wir wissen mit dem schlichten Menschensinn gewiß genug, um in den meisten Fällen des menschlichen Lebens bestimmt gut zu handeln; und zum Edlen und Großen wird uns das Gefühl der Philanthropie erheben, das durch kalte tiefe Speculationen oft mehr abgestumpft als geschärft wird. Sie treten jetzt wahrscheinlich bald auf den großen Schauplatz der Welt, und Ihre Geburt, Ihr Alter, die Wahl Ihres Standes, Ihre ganzen Verhältnisse werden Sie mehr als Andere in den Wirbel ihrer Geschäfte ziehen. Seien Sie nicht zu kühn, aber zittern Sie nicht! In beiden Extremen laufen Sie desto eher der Gefahr in die Arme. Beide sind schlechte Kriegsmänner, Derjenige, der seinen Feind zu viel, und Derjenige, der ihn zu wenig fürchtet; und die Feinde, die im Felde mit Stahlwaffen Ihnen entgegenrücken, sind Zwerge gegen diejenigen, die unter tausend lachenden Gestalten überall Sie umringen. Verzeihen Sie, Lieber, der Ergießung eines freundschaftlichen Herzens! Sie wissen, ich bin kein galliger Misanthrope, und Niemand hat einen höhern Genuß an glücklichen, fröhlichen Gesichtern als ich, aber meiner Liebe für Sie ist bange, wenn ich mir alle Klippen denke, an denen Ihre Jugend scheitern könnte. Ich kenne Sie, und eben weil ich Sie kenne, fürchte ich. Es werden Gefahren um Sie her schwärmen, welche wie Bienen Honig zu tragen scheinen, aber ihr Stachel ist giftiger als Bienenstachel. Hier lockt die Wollust, je feiner, desto gefährlicher, dort ködert der Ehrgeiz; hier vergiftet die Schmähsucht, dort das schmeichelnde Lob; hier reizen Beleidigungen, dort mischt der Zorn über dem Becher der Freude die Zwietracht. Freund, hören Sie mich! ich sage Ihnen nichts Neues. Sie haben Alles gewiß schon oft besser gehört und gelesen; aber wenn das ernste Wort eines Freundes, an einem feierlichen Tage gesprochen, aus dem Herzen zu dem Herzen nicht mehr Eingang findet, nicht mehr Nachdruck hat als alle Weisheit der Alten und Neuen, so habe ich mich in dem Menschen überhaupt, so habe ich mich in Ihnen traurig geirrt. Sie sind gut, aber Sie sind leidenschaftlich. Treten Sie nicht in die Welt mit dem enthusiastischen Gedanken, nothwendig Ihr Glück machen zu müssen. Sie haben gewiß diesen Ausdruck längst philosophisch gewürdiget. Der vernünftige Mann hat sein Glück schon gemacht, und sein Antipode wird es nie erreichen. Alles unter dem Monde ist ungewiß und unbeständig. Setzen Sie nie in etwas außer Sich Ihre ganze Glückseligkeit; Sie stellen ein Gebäude auf Rohrstäbe, Sie verlieren Ihre Kraft, Ihre Selbstständigkeit gegen die Schläge des Schicksals, und nichts ist jämmerlicher als ein Mann, der unter der Last seiner Leiden wimmert. Hoffen Sie nichts mit Angst, und Sie werden nichts fürchten. Leben Sie brav und hartnäckig rechtschaffen; Ihr Wort sei Ihnen fester und unverbrüchlicher als Eidschwüre. Prüfen Sie Alles mit eigenen Gründen und lassen Sich nicht das Autosepha des Ansehens niederwiegen; aber dringen Sie nie Ihre Meinung Andern zum Maßstabe ihrer Handlungen auf, so wenig als Sie Anderer Urtheil zur Richtschnur der Ihrigen machen. Selbstüberzeugung sei Ihnen das Heiligste, dadurch erhalten Sie Ihre Selbstschätzung; und wer diese verloren hat, hat den unersetzlichsten Verlust erlitten. Suchen Sie nie die Gunst der Großen, und Sie werden sie gewinnen durch Ihr Talent und durch Ihre Rechtschaffenheit; wenn nicht dadurch, so ist sie des Suchens nicht werth. Bücken Sie Sich nie tiefer, als sich ein Mann bückt, der vernünftig über seine Verhältnisse denkt, der den Werth seines Kopfs und seines Herzens fühlt; aber urtheilen Sie nie von diesem Werth zu gespannt, und Sie werden nie Gefahr laufen, anmaßlich und eingebildet zu sein. Suchen Sie wenig Bekanntschaften und seien behutsam, wenn man die Ihrige sucht. Freundschaft ist eine Pflanze, die nicht in jedem Herzen gedeihet. Handeln Sie mit Höflichkeit mißtrauisch und prüfen stark den Charakter, ehe Sie aufnehmen oder Sich anketten. Nur die Tugendhaften sind Freunde, die Uebrigen nur Schwärmkameraden und Spießgesellen. Sprechen Sie ohne Winkelzüge, offen wie ein freier Mann, aber immer mit Würde und Feinheit. Wenn Sie auch mit dem Geringsten reden, denken Sie Sich, als ob der strengste Richter Ihre Worte aufschriebe und beurtheilte, und Sie gewinnen einen Ton, den Sie sonst fast nie zu ändern brauchen. Wägen Sie jeden Ausdruck; denn oft hängt Leben und Tod an einem kleinen Wörtchen. Die Wahrheit sei Ihnen stets unverletzt und heilig, und nie entfahre Ihnen auch nur im Scherz die geringste Unwahrheit. Wiederholungen machen Gewohnheit, Gewohnheit führt zum Leichtsinn, dieser zur Unbesonnenheit, Unbesonnenheit stürzt in Gefahr. Schonen Sie des Charakters Anderer, auch wenn er nicht zu schonen wäre, wo Sie nichts Gutes wirken, und wo Sie nicht Ihre Pflicht zwingt. Wir kennen meistens nicht die Verhältnisse, die Verflechtungen, die Bewegungsgründe, welche die Handelnden bestimmten. Nur der Allwissende kann competent über Moralität urtheilen. Seien Sie immer strenger gegen Sich selbst als gegen alle Uebrige; es ist heilsam und weise, und das Gegentheil ist Schwachheit. Seien Sie aufmerksam auf Tadel und Lob. Dieses kann Ihnen oft mehr schaden als jener. Prüfen Sie Beides und fragen genau, von wem es kam. So lange Sie über jedes Lob blind Sich kitzeln, ist es ein sicheres Zeichen, daß Sie es nicht verdienen; und den Tadel verdienen Sie, so lange Sie darüber empfindlich werden. Untersuchen Sie Beides und nehmen es nicht ausgedehnter, als es gegeben wird. Beweisen Sie nie mit Beispielen; Beispiele sind Beweise für Leute, die nicht denken können oder absichtlich nicht denken wollen. Sie erregen und erheben unsere Gefühle und sind ebenso oft verderblich als nützlich. In Ungewißheit und Unentschlossenheit giebt es Beruhigung, wenn man sieht, daß ein allgemein anerkannt braver Mann in ähnlichen Fällen ebenso gehandelt hat; aber Bürgschaft für Recht kann es nicht leisten. Lieben Sie Friede und Ruhe; nur der Wildling findet Vergnügen an Hader und Streit. Die Wahrheit gewinnt niemals durch Hitze, und Hitze verleitet, zumal bei Ihrem künftigen Handwerk, sehr oft zu blutigen Händeln. Weder Furchtsamkeit noch Tollkühnheit, sondern Grundsätze müssen das Betragen bestimmen. Es ist ein größerer Ehrenpunkt, Händel mit Klugheit und Würde vermieden, als sie mit Heftigkeit ausgefochten zu haben. Es wird Ihnen nicht an Gelegenheit fehlen, Ihren Muth und Ihre Standhaftigkeit zu zeigen, wo Sie Ihre Pflicht verbindet, und dann nur verdient man Beifall, Lob und Bewunderung. Es ist edler, kleine Beleidigungen zu verachten, als große dafür zurückzugeben, besser, den Zwist durch einen Händedruck als einen Lungenstoß zu schlichten. Denken und handeln Sie bei jedem ähnlichen Vorfalle kalt und ruhig, als Philosoph, und fast nie wird der Fall eintreten können, wo Sie im Extrem Ihre Argumente mit der Degenspitze oder der Pistolenkugel führen müßten. Ihr Stand, wenn Sie in demselben fortfahren, fordert in diesem Punkte doppelte Behutsamkeit. Die Vernunft hat das Vorurtheil der alten Barbarei noch nicht auswurzeln können. Griechen und Römer, die doch wahrlich nicht Memmen waren, haben kein einziges Beispiel vom Zweikampf; die Spitze der Phalangen und Legionen im Treffen war der Probestein ihrer Tapferkeit, wohin auch der einzige Tribun, welcher gefordert wurde, seinen Gegner vor das Angesicht der Armee beschied. Ich weiß, Sie haben bestimmte richtige Grundsätze über diesen Artikel; aber wachen Sie jeden Augenblick ernsthaft über Sich, denn Ihr Blut kocht, und schaffen Sich nicht zu der Thorheit noch den quälenden Gedanken, daß Sie der unglückliche, unbesonnene Veranlasser des Zwistes waren. Der junge Mann, der nicht sein eigener Führer zu sein im Stande ist, unterliegt schon halb der Gefahr. Wenn ihn sein Charakter und seine Grundsätze nicht bewachen, so wacht umsonst das Argusauge des besten Mentors. Die Gesetze, die Sie Sich selbst vorschreiben, müssen ebenso strenge sein, als ein Anderer sie Ihnen vernünftig vorschreiben kann. Sie treten nun in die Jahre, in welchen unser Geschlecht oft durch seine Thorheit die Beute des weiblichen wird. Ich bin überzeugt, daß Sie schon richtig genug über einen so wichtigen Gegenstand zu urtheilen fähig sind. Das Geschlecht kann weder der Gegenstand Ihrer Verachtung noch Ihrer heißen Verehrung sein; der Uebergang von einem Extrem zum andern ist hierinne sehr gewöhnlich. Höflichkeit und Artigkeit fordert die Feinheit des Betragens, und eine gleichgiltige unbefangene Aufmerksamkeit ist die beste Sicherheit gegen die Gefahren der Sinnlichkeit. Sie wissen, was Sie Sich, was Sie Ihrem Charakter und Ihrer Familie schuldig sind. Um künftig Mann in dem edelsten Sinne des Wortes zu sein, erniedrigen Sie Sich nie zum Weibersclaven; Verführer und Verführter sind gleich verächtlich. Ehren Sie die Religion und Alles, was auf dieselbe Bezug hat. Wohl Dem, der in ihr seine Beruhigung findet! Sollten Sie Zweifel oder andere Ueberzeugung in mehrern ihrer Punkte haben, so behelligen Sie nie Andere mit Ihren zudringlichen Belehrungen und hüten Sich ernstlich, je den Schwachsinn zu beunruhigen! Es ist grausam und menschenfeindlich, den wohlthätigen Glauben zu stören, auch wenn er Irrthum wäre. Zeigen Sie Ihre Religion durch Tugend und überlassen es den Herren der Katheder, über das System zu urteilen. Sprechen Sie lieber zu wenig als zu viel und halten Consequenz in Reden wie in Handlungen. Legen Sie Gewicht in jedes Wort, und Sie wirken mit Kürze mehr als mit langen diffusen Perioden. Fliehen Sie den Kram der Gelehrsamkeit und sprechen Vernunft mit ihrer verborgenen Hilfe. Schulpedanterei und Bücherstand ist in der Welt, was ein Marmorbild ohne Politur in der Werkstatt des Künstlers ist. Suchen Sie Ihre Kenntnisse zu erhalten und zu erweitern, ohne damit zu Markte zu ziehen. Schützen Sie Sich vor geschmacklosen oder gefährlichen Gesellschaften mit einem gewählten Buche. Langeweile ist nur die Qual der Schwachköpfe. Scheuen Sie nie Gefahr; aber suchen Sie sie nicht. Ohne Catonische Strenge halten Sie Sich immer ernsthaft, und Sie vermeiden manche Gelegenheit zu Unannehmlichkeiten. Haschen Sie nie nach Witz, wenn ihn nicht der Gegenstand bietet, und hüten Sich, durch stachlige Persönlichkeiten irgend Jemand zu beleidigen, welches manchen Groll erzeugt. Opfern Sie nie die Wahrheit einem schönen Einfalle auf und legen auf ein richtiges Urtheil mehr Werth als auf die zierlichsten Spielwerke der Laune. Halten Sie die festeste Ordnung in allen Ihren Geschäften. Begegnen Sie immer Ihren Untergebenen und Bedienten mit Güte und Freundlichkeit, selten oder nie mit Vertraulichkeit und Freundschaft. Thun Sie Alles mit möglichster Kürze und Bestimmtheit. Merken Sie auf Alles, was Ihnen Ihre Obern sagen, mit der größten Genauigkeit. Aufmerksamkeit und Gegenwart des Geistes ist die Seele aller Geschäfte, vorzüglich bei Ihrem Stande, wo die Minuten am Theuersten sind, und wo von der guten oder schlechten Ausführung eines Befehls Wohl und Weh von Tausenden abhängt. Ueberall kann man ohne Gefahr bessern; aber bei dem Krieger folgt meistens die fürchterlichste Strafe sogleich auf den Fehler, den der Feind schon benutzt, sobald er begangen ist. Hüten Sie Sich vor Borgen und Leihen; durch Beides verwirren Sie Ihre Geschäfte und gerathen oft selbst mit Freunden in Verdrießlichkeiten.

Verzeihen Sie, Lieber, ich habe geprediget, als ob ich den Sirach und Salomo zu diesem Behuf gelesen hätte. Meine Apologie ist mein Herz. Ich liebe Sie so sehr ohne alle Rücksicht, daß ich gern das schwerste Opfer bringen würde, wenn ich Ihnen einige Fehler, die Ihnen in jedem Ihrer künftigen Verhältnisse schädlich werden können, wegnehmen könnte. Halten Sie es nicht für Hofmeisterton; ich habe dazu längst die Neigung und das Recht verloren und dadurch halb unwillig hierinne meine Ruhe gesichert; aber wenn die Stimme eines Freundes bei Ihnen etwas vermag, eines Mannes, der kein Interesse hat, Ihnen das geringste Unangenehme zu sagen, eines Mannes, der selbst bisher schon unter so mancher Zone als ein Ball des Schicksals herumgeworfen worden ist, wenn Sie den Eintritt in die Welt nicht für unwichtig halten, so gehen Sie nicht mit Ihrer gewöhnlichen Leichtigkeit über Worte hin, in die ich Seele gelegt zu haben glaubte. Ich spreche nicht, um Ihnen neue Wahrheiten zu sagen, sondern nur um Ihnen eine feierliche Erinnerung an alte zu Herzen zu führen. Mustern Sie nicht die Composition; ich bin nicht Stilist und konnte es noch weniger in der Eile sein; fühlen Sie das Geschenk der Freundschaft. Ich kann Ihnen nichts vorbringen, was Ihnen nicht Ihr guter Verstand ebenso gut selbst sagte; aber wird Ihr Kopf nicht zuweilen Ihren Leidenschaften unterthan, nicht der Sclav Ihres Herzens werden? Ich beruhige meine Furcht in Ihren vortrefflichen Grundsätzen und hoffe und wünsche, daß Sie noch dann erst recht glücklich sein mögen, wenn man auf einem großen oder kleinen Kirchhofe mit meinen Knochen gegen die Leichensteine wirft. Leben Sie wohl und lieben und schätzen mich, so wie Sie finden, daß ich es verdiene, und seien Sie versichert, daß ich trotz den tiefsten Gefühlen meines Herzens gegen Sie das Nämliche thun muß. Die Hoffnung täuscht mich gewiß nicht, daß mein Herz gegen das Ihrige sich nie wird umstimmen dürfen.


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