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Die Belagerung, Eroberung und Zerstörung von Platäa

Aus der Geschichte des peloponnesischen Kriegs von Thucydides

Von der innern politischen Geschichte Griechenlands ist mir immer zur wahren Würdigung des griechischen Charakters in Rücksicht auf Völkerrecht und Humanität der peloponnesische Krieg als das wichtigste Stück vorgekommen; und aus dem Laufe dieses Krieges sind nach meiner Meinung in eben dieser Rücksicht die merkwürdigsten Punkte die Vorfälle bei Platäa und Syrakus. Die messenischen Kriege, welche der Nationalbildung und Humanität der Griechen überhaupt und der Spartaner insbesondere ebenso wenig Ehre machen, sind zu entfernt, zu wenig geschichtsmäßig und fallen noch zu sehr kaum in die Morgendämmerung der griechischen Cultur, als daß wir aus ihnen hierher gehörige Belege nehmen könnten. Ich weiß nicht, ob ich mich irre, in der Peripherie meiner Kenntniß griechischer Literatur ist mir nichts Größeres vorgekommen als dieser Fall von Platäa. Ich habe also dieses Stück zur Bearbeitung und Darstellung gewählt, weil sich in demselben der ganze griechische Charakter ausdrückt, weil sich in demselben alles Schöne und Häßliche, alles Starke und Schwache, alles Liebenswürdige und Abscheuliche des griechischen Namens vereiniget findet. Die Anbeter der griechischen Humanität werden nach Erwägung solcher Vorfälle, die von den besten Schriftstellern der Nation selbst als gar nicht ungewöhnlich erzählt werden, dieselbe wenigstens nicht in ihren Völkerverhandlungen suchen und zufrieden sein, wenn sie in Aspasiens Zirkeln, in der Akademie oder höchstens in der Poikile unbestritten glänzt. Bei Uebersicht der Nationalgeschäfte der Alten möchte man weinen; so sehr man ihren Gemeingeist und Patriotismus bewundern muß, möchte man weinen über die Begriffe von Freiheit und Gerechtigkeit, welche die Norm ihres Verfahrens waren. Unter den Griechen hatte Sparta auf einem schlechten Grunde noch das beste Gebäude und Athen auf einem guten das schlechteste; und die beständige Furcht, worin beide vor ihren respectiven Heloten mit Recht standen, zeigt deutlich, wie wenig menschlich richtig auf die Dauer berechnet beider Politik war. Wo wahre Freiheit ist, muß sie allgemein sein; diesen Ausspruch thut die Vernunft, diesen Anspruch hat die Menschheit, und wir haben nicht nöthig hinzuzusetzen, daß dieser Anspruch unverjährbar ist; denn Alles, was Natur ist, und was die Vernunft will, ist es. Wehe der Humanität unsers Zeitalters, wenn die Neuern die Freiheit der Alten zu ihrem Prototyp nehmen wollten, wo nicht einmal die ersten Grundbegriffe des Naturrechts und Völkerrechts festgestellt waren! Man sage und predige von heiligen und profanen Rednerstühlen, so viel und erbaulich man will, ohne diese kann keine Gerechtigkeit, kann keine Freiheit, keine Humanität bestehen; der erste Wind der Leidenschaften und der Parteisucht wirft sie um.

Man verzeihe mir diese Aeußerungen zur Einleitung; sie zeigen, daß ich mehr mit kosmischer Absicht arbeite als mit literarischem Beruf. Ich wende mich zu meinem Gegenstande. Die Katastrophe ist ungefähr zu Ende des fünften Jahres des peloponnesischen Krieges. Der erste Angriff einige Jahre vorher war den Thebanern nicht gelungen, und durch unerhörte Ungerechtigkeiten auf beiden Seiten war die Erbitterung aufs Höchste gestiegen. Ich halte mich wörtlich an des griechischen Geschichtschreibers Erzählung; und blos hier und da muß ich, da die Geschichte in zwei Büchern zerstreut liegt, Einiges zum Zusammenhange einschalten. Sprachkundige und Sachverständige mögen urtheilen, ob und inwiefern ich den Geist des Griechen gefaßt und die edle Form des Originals in unserer Sprache erhalten habe. Schon der Name Thucydides nennt die Schwierigkeiten, die bei der Arbeit sind, und die Platäischen Händel sind keine der leichtesten Stellen. Der griechische Text nach Duker ist meistens meine Norm, und man wird bei einer Vergleichung sehen, wo ich von Heilmann theils im Sinn, theils im Ausdruck abgewichen bin. Die Gründe zu finden und zu würdigen, überlasse ich mit Bescheidenheit den Kritikern.

Vierzehn Jahre blieb der nach der Eroberung von Euböa geschlossene dreißigjährige Friede fest. Im funfzehnten Jahre aber, als im achtundvierzigsten Jahre des Priesterthums der Chrysis in Argos, als Aenesius in Sparta Ephorus und Pythodorus im zehnten Monate in Athen Archon war, im sechsten Monate nach der Schlacht bei Potidäa, rückten gleich mit Anfang des Frühlings unter Anführung der Böotarchen Pythangelus, des Phylides, und Diemporus, des Onetorides Sohn, ungefähr etwas über dreihundert bewaffnete Thebaner bei Nacht während des ersten Schlafs in Platäa ein, welches mit Athen im Bunde stand. Ihre Führer, welche ihnen auch die Thore öffneten, waren Platäer, nämlich Nauklides mit seiner Partei, die durch das Verderben ihrer Gegner sich Macht schaffen und die Stadt für die Thebaner gewinnen wollten. Dieses hatten sie durch Eurymachus, einen der angesehensten Thebaner, abgehandelt. Denn da die Thebaner den Krieg voraussahen, wollten sie noch im Frieden und vor dem förmlichen Ausbruche des Kriegs Platäa, mit welchem sie beständig Streitigkeiten hatten, vorher besetzen, weswegen sie auch desto leichter heimlich einzogen, indem keine Wachen ausgestellt waren. Nun faßten sie auf dem Markte Posten, ganz wider die Wünsche ihrer Einführer, welche wollten, daß man sogleich zu Werke schreiten und in die Häuser der Gegenpartei einbrechen sollte, und beschlossen, durch gütlichen Aufruf eines Herolds die Stadt zu einem freundschaftlichen Vertrage zu bewegen, indem sie hofften, auf diese Weise sie leicht in ihr Bündniß zu ziehen. Der Herold rief also aus, wer nach der Väter Sitte Bundesgenosse aller Böotier sein wollte, möchte mit den Waffen auf ihre Seite treten.

Als die Platäer erfuhren, daß die Thebaner so plötzlich die Stadt besetzt hatten, und im Schrecken ihre Anzahl für weit größer hielten, da sie in der Nacht nicht sehen konnten, kamen sie zum Vertrage herbei, nahmen die Bedingungen an und waren ruhig, zumal da man gegen Niemand etwas unternahm. Während der Unterhandlung aber entdeckten sie, daß der Thebaner nur Wenige waren, und glaubten, in einem Angriffe leicht den Sieg zu erhalten. Denn das Volk von Platäa wollte auf keine Weise das Bündniß mit den Atheniensern Natürlich, daß das Volk überall lieber die Athenienser und die Vornehmern lieber die Lacedämonier zu Bundesgenossen oder auch wol zu Oberherren hatten. Die Verfassung der Erstern war oft bis zur Zügellosigkeit steigender Demokratismus, und die Spartaner führten überall einen ziemlich drückenden Aristokratismus ein. Isokrates, der übrigens feiler Sophist genug sein mag, spricht darüber in verschiedenen Reden zur Ehre seines Namens mit vieler Bündigkeit. aufgeben. Man beschloß also, die Sache zu versuchen. Man versammelte sich, durchbrach die gemeinschaftlichen Mauern der Häuser, damit der Feind nichts auf der Straße sähe; man stellte Wagen ohne Gespann in die Straßen, welche statt einer Mauer dienten, und brachte Alles in Ordnung, was der gegenwärtige Augenblick zu erfordern schien. Nachdem Alles so gut als möglich fertig war, warteten sie noch die Nacht nur bis an die Morgendämmerung und brachen dann aus den Häusern auf den Feind los, damit er nicht am Tage muthiger gegen sie auf gleichem Fuß fechten möchte, sondern, noch durch die Nacht geschreckt, ihnen den Vortheil ließe, den ihnen ihre Kenntniß des Orts geben mußte. Sie griffen also plötzlich an und kamen schnell zum Handgemenge.

Als sich die Thebaner betrogen sahen, zogen sie sich dichter zusammen, um die Anfälle von allen Seiten zurückzutreiben. Zwei- oder dreimal warfen sie dieselben auch zurück; da aber die Platäer sodann mit großem Sturm hervordrangen und Weiber und Dienstleute mit vielem Geschrei und Lärm Steine und Ziegel von den Häusern warfen und zugleich die Nacht der Regen goß, geriethen sie in Schrecken, kehrten den Rücken und flohen durch Dunkelheit und Koth in der Stadt umher, die Meisten unbekannt mit den Auswegen zur Rettung, zumal da der Vorfall gegen den Neumond geschah und die schrittkundigen Bürger sie überall verfolgten, damit Keiner entrönne. So kamen die Meisten um. Einer der Platäer verschloß das Thor, durch welches die Feinde hereingekommen waren, und welches noch offen stand, indem er den Schaft seines Spießes Es muß eine eigene zusammengesetzte Maschinerie gewesen sein; denn sonst würde ein solcher Riegel den fliehenden Feind nicht lange gehindert haben, schnell das Thor zu öffnen. statt eines Riegels einwarf, so daß auch hier kein Ausgang war. Ueberall durch die Stadt verfolgt, stiegen Einige von ihnen auf die Mauer und stürzten sich auswärts hinab, kamen aber meistens um. Einige hieben heimlich mit einer Axt, die ihnen ein Weib gegeben hatte, an einem unbesetzten Thor den Riegel auf und entkamen auf diese Weise; doch nur Wenige, denn man merkte die Sache bald. Andere wurden hier und da in der Stadt niedergehauen. Der Haupttrupp aber, der sich dicht zusammengeschlossen hatte, warf sich in ein großes Gebäude an der Mauer, dessen Thor offen stand, und das sie für ein Stadtthor hielten, wo sie einen Ausgang zu finden hofften. Da die Platäer sie so eingeschlossen hatten, hielten sie Rath, ob sie durch Anzündung des Gebäudes den ganzen Haufen mit verbrennen, oder was sie sonst mit ihnen thun sollten. Endlich trafen diese Eingeschlossenen, und die sich sonst noch durch Umherirren in der Stadt gerettet hatten, einen Vergleich und übergaben sich mit ihren Waffen den Platäern. So ging es Denen in Platäa.

Das nachrückende Corps Thebaner, welches, wenn der Vergleich ihren eingelassenen Kameraden nicht glücken sollte, mit Tagesanbruche vor der Stadt zu sein Befehl hatte, kam auf im Zuge erhaltene Nachricht schleunig zu Hilfe herbei. Platäa liegt von Theben siebzig Stadien, und der die Nacht eingefallene Regen hatte den Marsch sehr langsam gemacht. Denn der Asopus ging hoch und machte den Uebergang schwer, so daß sie wegen des mühsamen Marsches im Regen und des mißlichen Ueberganges über den Fluß zu spät eintrafen, als ihre Brüder schon umgekommen oder gefangen waren. Als die Thebaner den ganzen Vorfall erfuhren, machten sie ihren Anschlag auf die außer der Stadt befindlichen Platäer; denn viele Bürger mit ihren Familien und Hauswirthschaften waren auf dem Lande, da man während dem Frieden keine Gefahr befürchtete. Sie wollten also, was sie außerhalb treffen würden, zur Sicherheit für ihre in der Stadt etwa übrigen gefangenen Mitbrüder festhalten. Das war ihre Absicht. Da sie aber noch darüber zu Rathe gingen, schickten die Platäer, die so etwas vermutheten und für ihre Mitbürger außerhalb der Stadt besorgt waren, ihnen einen Herold mit der Botschaft: die Thebaner hätten unverantwortlich gehandelt, indem sie während dem Frieden einen solchen verrätherischen Versuch auf ihre Stadt gemacht, und sie möchten ihre draußen befindlichen Landsleute nicht beleidigen; thäten sie dieses, so würden sie alle von ihnen gefangenen Thebaner tödten; wenn sie aber das Gebiet der Stadt verließen, wollten sie ihnen die Männer wieder ausliefern. So sagen die Thebaner und behaupten, daß dieses beschworen worden sei. Die Platäer aber geben nicht zu, daß sie versprochen, die Gefangenen sogleich herauszugeben, sondern erst, wenn vorher ein Vergleich getroffen werden könnte; auch sagen sie, es sei kein Eid geschworen worden. Die Thebaner rückten also wieder aus dem Gebiet, ohne etwas zu beschädigen. Sobald aber die Platäer Alles, was noch auf dem Lande war, in die Stadt gebracht hatten, tödteten sie sogleich die Gefangenen. Derselben waren 180 und unter denselben Eurymachus, mit welchem die Verräther unterhandelt hatten.

Hierauf schickten sie Boten nach Athen und ließen auch die Thebaner unter sicherm Geleite ihre Todten abholen; in der Stadt selbst machten sie ihre Einrichtung, wie die Lage der Sachen es zu fordern schien. Die Athenienser hatten den ganzen Vorfall in Platäa schon erfahren und sogleich alle Böotier, die sich in Attika befanden, greifen lassen und schickten den Platäern einen Herold mit der Botschaft, sie möchten den gefangnen Thebanern nicht ungebührlich begegnen, ehe auch sie selbst über die Sache berathschlagten. Denn ihr Tod war ihnen noch nicht gemeldet worden, da der erste Bote gleich bei dem Einrücken der Thebaner, und der andere, da sie eben geschlagen und gefangen waren, abgegangen war; weiter hatten sie noch keine fernere Nachricht. Sie schickten also ihren Boten, ohne den weitern Erfolg zu wissen, der die Männer schon getödtet fand. Gleich darauf zogen die Athenienser mit Truppen nach Platäa, versahen es mit Lebensmitteln, ließen eine Besatzung daselbst und führten Alle, die nicht zur Verteidigung helfen konnten, und alle Weiber und Kinder heraus.

Dieses war die Veranlassung zum Kriege, der nun förmlich ausbrach. Die verschiedenen griechischen Staaten nahmen nach ihrem Interesse verschiedenen Antheil und schlossen sich entweder an die Athenienser oder die Spartaner an. Ich übergehe alle übrigen Vorfälle der Feldzüge, wo die Peloponnesier verschiedenemal in Attika einfielen und es verwüsteten, wo die Athenienser auf Rath und unter Anführung des Perikles sich vertheidigungsweise hielten und blos mit der Flotte einige Unternehmungen machten. In diese Periode fällt die große Pest zu Athen, welche mehr Schaden that als der ganze Krieg. Des griechischen Verfassers Beschreibung davon ist bekannt genug und gehört zu den stärksten Stücken der alten Geschichte. Ich übergehe Alles, was auf meinen Gegenstand keinen oder höchst entfernten Bezug hat. Vermuthlich haben auch die Thebaner von Zeit zu Zeit während dieser Periode Einfälle in das Platäische gethan, ohne weitern Erfolg als gegenseitige Neckereien, obgleich eigentlich Thucydides nichts davon sagt, sondern es einigemal nur aus dem Context errathen läßt. Er fährt im einundsiebzigsten Capitel des zweiten Buchs, als im dritten Jahre des Kriegs, über Platäa weiter fort.

Den folgenden Sommer rückten die Verbündeten nicht in Attika ein, sondern zogen mit ihrem Heere gegen Platäa. Ihr Anführer war Archidamus, des Zeuxidamus Sohn, König der Lacedämonier, der, nachdem er sein Lager aufgeschlagen hatte, die Gegend umher zu verwüsten drohete. Ein gewöhnliches Verfahren der alten gepriesenen Heerführer, weswegen nur noch jetzt gegen alle humane Disciplin die Kosacken berüchtiget sind. Man sehe, was dagegen Raynal von seinen Indianern sagt, die wir für Barbaren halten. I. Band. Die Platäer schickten ihm aber sogleich Boten zu mit dem Auftrag: »Archidamus und Ihr Lacedämonier, Ihr handelt sehr ungerecht und weder Euer noch Eurer Väter würdig, daß Ihr das Gebiet der Platäer mit Krieg überzieht. Denn als der Lacedämonier Pausanias, des Kleombrotus Sohn, mit Hilfe Derer, die die Gefahr des bei uns gehaltenen Treffens theilen wollten, Griechenland von den Persern rettete und auf unserm Markte Jupiter dem Freiheitsbeschützer opferte, rief er alle Bundesgenossen zusammen und übergab den Platäern Stadt und Gebiet zur völligen unabhängigen Freiheit, so daß Niemand sie beleidigen und ihre Freiheit antasten sollte, sonst würden die gegenwärtigen Bundesgenossen sie mit aller Macht beschützen. Dieses gaben uns Euere Väter zur Belohnung unserer Tapferkeit und unsers entschlossenen Eifers in jenen Gefahren; und Ihr thut jetzt das Gegentheil. Ihr kommt mit den Thebanern, unsern bittersten Feinden, uns zu unterjochen. Wir beschwören Euch bei Euern und unsern Göttern, die alle Zeugen des damaligen Eides sind, das Gebiet der Platäer nicht zu beschädigen, noch den beschwornen Vertrag zu verletzen, sondern uns bei unserer Freiheit zu lassen, wie Pausanias uns zugestanden hat.«

Auf diesen Vortrag der Platäer antwortete Archidamus: »Ihr Männer von Platäa sprecht gut; wenn Ihr nur handelt, wie Ihr redet. Lebt selbst frei nach Euern Gesetzen, wie Pausanias Euch zugesprochen hat, und helft auch die andern Theilnehmer jener Gefahren und jener Verträge in Freiheit setzen, wie jetzt unter dem Joche der Athenienser sind! Diese ganze Zurüstung und der ganze Krieg ist blos wegen ihrer und der Uebrigen Befreiung; und je thätiger Ihr selbst daran Antheil nehmt, desto getreuer seid Ihr den Verträgen. Wollt Ihr dieses nicht, so bleibt wenigstens ruhig, wie wir Euch schon den Vorschlag gethan haben, behaltet das Eurige und seid von keiner Partei; nehmt beide freundschaftlich auf und leistet keiner im Kriege Beistand! Damit wollen wir zufrieden sein.« So sprach Archidamus. Als die Gesandten der Platäer es gehört hatten, gingen sie in die Stadt, theilten dem Volke die Unterredung mit und brachten folgende Antwort zurück: Es wäre ihnen unmöglich, die Vorschläge ohne Einwilligung der Athenienser anzunehmen; denn ihre Kinder und Weiber befänden sich bei denselben. Auch wären sie überhaupt wegen der Stadt in Besorgniß, es möchten nach ihrem Abzug die Athenienser kommen und die ganze Sache hindern, oder die Thebaner, als in den Vertrag Eingeschlossene, indem beide freundschaftlich aufgenommen werden sollten, es wieder versuchen, sich der Stadt zu bemächtigen. Archidamus suchte sie hierüber zu beruhigen und sprach: »Uebergebt uns Lacedämomern Stadt und Häuser, bezeichnet die Grenzen des Gebiets, zählt Eure Bäume ab, und was sonst zu zählen möglich ist. Ihr selbst geht während des Kriegs, wohin Ihr wollt; wenn er vorbei ist, wollen wir Alles wieder zurückgeben. Unterdessen wollen wir das Land als anvertrautes Pfand behalten, es bauen und Euch, so viel Euch nöthig ist, als Pacht zahlen.«

Die Gesandten gingen mit diesem Vorschlage wieder in die Stadt, hielten mit dem Volke Rath und antworteten sodann: Sie wollten den Antrag erst den Atheniensern mittheilen, und wenn sie dieselben dazu überreden könnten, ihn sodann eingehen; bis dahin baten sie um Waffenstillstand, und daß man das Land nicht verheeren möchte. Die Lacedämonier gewährten ihnen den Stillstand, bis man füglich die Antwort zurückbringen könnte, und thaten auf dem Lande keinen Schaden. Die Platäischen Gesandten, welche mit den Atheniensern Rath gehalten hatten, brachten ihren Mitbürgern in der Stadt Folgendes zurück: »Die Athenienser sagen, so lange wir Bundesgenossen sind, Ihr Platäer, haben sie uns kein Unrecht zufügen lassen; und auch jetzt werden sie uns nicht vernachlässigen und uns mit allen Kräften zu Hilfe eilen; sie bitten Euch also bei dem Eide, den unsere Väter beschworen haben, nichts gegen das geschlossene Bündniß vorzunehmen.«

Auf diese Botschaft der Gesandten beschlossen die Platäer, die Athenienser nicht zu verrathen, und wenn es sein müßte, ihres Gebietes Verwüstung mit anzusehen und jeden andern möglichen Unfall geduldig zu ertragen, Niemand mehr zu den Feinden hinauszusenden, sondern ihnen die Antwort über die Mauer zuzurufen: »daß es ihnen unmöglich sei, die Forderungen der Lacedämonier einzugehen.« Auf diese Entschließung rief endlich der König Archidamus die Götter und Helden des Landes mit folgenden Worten feierlich zu Zeugen auf: »Ihr Götter alle, die Ihr dieses Gebiet der Platäer beschützt, und Ihr Helden seid unsere Zeugen, daß wir nicht anfangs mit Unrecht, da Diese zuerst den beschworenen Vertrag gebrochen, dieses Land überzogen, in welchem unsere Väter Euch wohlgefällig beteten und die Barbaren schlugen, und das ihr den Griechen zu einem glücklichen Kampfplatz gabt; auch jetzt soll unser Verfahren keine Ungerechtigkeit sein. Wir haben viele und billige Anträge gethan und nichts erhalten. Verleiht uns also, daß wir die Urheber der Ungerechtigkeit strafen und unsere gerechte Genugthuung an ihnen nehmen!«

Nach diesem frommen Enthusiasmus machte er Anstalten, feindlich zu verfahren. Zuerst ließ er die Stadt mit abgehauenen Bäumen rund umpfählen, daß Niemand heraus konnte. Sodann führten sie an der Stadt einen Wall auf, weil sie so die schnellste Einnahme des Orts hofften, da ein so großes Heer arbeitete. Den Wall umflochten sie auf beiden Seiten statt einer Mauer mit Holzwerk, welches sie auf dem Cithäron hieben, damit die Erde nicht herabschießen könnte. Dabei führten sie Holz, Steine, Erde und Alles auf, um das Werk zur gehörigen Höhe zu bringen. Siebzig Tage und Nächte schanzten sie so ununterbrochen fort, in Ablösungen eingetheilt, so daß ein Theil fuhr, die andern aber aßen und schliefen. Die Lacedämonier, welche die Hilfstruppen der verschiedenen Städte anführten, waren Aufseher bei der Arbeit. Als die Platäer sahen, daß der Wall immer höher stieg, verfertigten sie ein hölzernes Gerüste und setzten es da, wo man den Wall aufführte, auf die Grundmauer und bauten darein mit Ziegeln, welche man von den nahen Häusern herbeischaffte. Das Holzwerk diente ihnen zur Bindung, daß der Bau bei größerer Höhe nicht zu schwach wurde. Zur Decke hatten sie Häute und Felle, damit sowol die Arbeiter als das Holzwerk vor brennenden Pfeilen in Sicherheit wären. Die Höhe der Mauer stieg also beträchtlich; aber auch nicht langsamer erhob sich der Wall von außen. Da ersannen die Platäer die List, daß sie die Mauer, wo der Wall daran stieß, durchbrachen und die Erde hineinführten.

Sobald die Peloponnesier dieses merkten, warfen sie mit Schlamm gefüllte Binsenflechten vor die Oeffnungen, welche nicht wie die Erde hinweggeschafft werden könnten. Diesen Weg mußten also die Belagerten aufgeben. Sie gruben aber einen Minengang aus der Stadt heraus nach dem Walle und zogen auf diese Weise wieder die aufgeführte Materie zu sich. Dieses trieben sie ziemlich lange den Belagerern unbemerkt fort, welche durch das Auffahren gar nichts gewannen, indem ihnen der Wall von unten wieder weggefahren wurde und sich immer in den leeren Raum setzte. Aus Furcht aber, sie möchten auch auf diese Weise mit ihrer geringen Anzahl der Menge nicht widerstehen können, geriethen sie noch auf folgendes Mittel. Sie hörten nämlich auf, an dem großen Gebäude gegen den Wall zu arbeiten, und fingen an, von beiden Seiten desselben inwendig in der Stadt an der niedrigern Grundmauer eine andere mondförmige zu bauen, damit, wenn die Hauptmauer genommen würde, diese noch Widerstand thun könnte und der Feind einen neuen Wall aufführen müßte; so daß er bei seinem Einbruche doppelte Arbeit fände und ihrem Angriffe desto mehr ausgesetzt wäre. Nach Aufführung des Walles pflanzten die Peloponnesier auch zugleich ihre Maschinen auf, wovon eine von der Schanze nach dem hohen Gerüste mit solcher Gewalt und Erschütterung arbeitete, daß die Platäer in das größte Schrecken geriethen. Sonst waren hier und da an der Mauer noch andere angebracht, welche aber die Platäer mit Stricken umschlangen und zerbrachen und große Balken, an beiden Enden mit langen eisernen Ketten befestiget, über die Mauer an hervorstehenden Hebebäumen quer hinausließen und so, wenn die feindliche Maschine im Anstürzen war, den Balken an der Kette so schnell hinunterschossen, daß sie durch die Macht des Falles den Widderkopf der Sturmmaschine abschlugen. Ueber diese ganze Operation ist Folard über den Polyb und vorzüglich Ouischard in seinen »Mémoires militaires« nachzusehen, wo über diese Belagerung gesprochen wird.

Da nun die Maschinen nichts halfen und man dem Wall eine Gegenmauer machte, sahen die Peloponnesier wohl ein, daß sie bei vorhandenen Schwierigkeiten die Stadt nicht einnehmen würden, und machten Anstalt, dieselbe förmlich einzuschließen. Vorher aber machten sie noch mit Feuer einen Versuch, ob sie bei starkem Winde die Stadt, welche nicht groß war, anzünden und verbrennen könnten; denn sie suchten alles Mögliche auf, um ohne großen Aufwand und ordentliche Belagerung sich derselben zu bemächtigen. Sie trugen also Reisbündel zusammen und warfen sie von dem Walle zuerst in den zwischen ihren Werken und der Mauer befindlichen Raum, und als dieser wegen Menge der Arbeiter bald angefüllt war, auch überall, wohin sie von der Höhe reichen konnten; sodann warfen sie Schwefel und Pech darein und zündeten die Masse an; und es erhob sich eine Flamme, wie man sie, von Menschenhänden gemacht, bis dahin noch nicht gesehen hatte. Denn auch in Bergwäldern entsteht zuweilen, wenn der Wind das Holz bewegt und reibt, ohne alles Zuthun Flamme und Brand. Dieses Feuer war aber so groß, daß die Platäer, welche den übrigen Gefahren glücklich widerstanden hatten, fast darin umgekommen wären; denn an viele Orte der Stadt konnte man sich deswegen gar nicht wagen. Und wenn, wie die Feinde hofften, ein starker Wind nach der Stadt dazugekommen wäre, so wäre keine Rettung gewesen. So sagt man aber, es sei eben ein Gewitter mit heftigen Regengüssen entstanden, habe die Flamme gelöscht und so diese Gefahr abgewendet.

Als den Peloponnesiern auch dieses fehlschlug, ließen sie die Armee auseinandergehen und behielten nur einen Theil derselben vor der Stadt, um sie förmlich von allen Seiten einzuschließen, und gaben den Truppen jeder Stadt ihr gemessenes Stück Arbeit. Diese machten nun aus einem doppelten Graben innerhalb und außerhalb ihrer Werke Ziegel. Nachdem das Ganze mit Aufgang des Arctur's fertig war, ließen sie zur Hälfte der Mauer Besatzung, die andere Hälfte hatten die Böotier besetzt, und jedes Hilfscorps ging nach seiner Heimath. Die Platäer aber hatten schon vorher Kinder und Weiber und Alte und Alles, was unnütze und hinderlich sein konnte, nach Athen gebracht, und der Belagerten in der Stadt waren vierhundert nebst achtzig Atheniensern und hundertundzehn Weibern, welche die Speisen besorgten. Dieses war ihre ganze Anzahl, als die Belagerung anfing, und außerdem war Niemand, weder Freier noch Sclave in der Stadt. Auf diese Weise sperrte man Platäa.

Ich übergehe hier wieder die übrigen Vorfälle des Kriegs und die verschiedenen Unternehmungen der Parteien gegen einander zu Wasser und zu Lande, die hierher keine Beziehung haben. Der Sieg des Phormio zur See gegen die Peloponnesier und die Landung der Letztern auf Salamis und ihre Vertreibung von der Insel durch die Athenienser waren wol darunter das Wichtigste. Gegenseitige Einfälle geschahen beständig. Ich hebe bei der Stelle wieder an, wo das Schicksal der Platäer und ihrer Stadt weiter erzählt wird.

Der Grieche spricht im dritten Buche, im zwanzigsten und den folgenden Capiteln von der kühnen Unternehmung der Belagerten, sich durchzuschlagen, welche aber nur halb gelang.

In dem nämlichen Winter beschlossen die noch immer belagerten Platäer und die mit ihnen eingeschlossenen Athenienser, da sie an Lebensmitteln den größten Mangel litten und sie von Athen noch keine Hoffnung des Entsatzes hatten, auch sonst keine andere Rettung sich zeigte, zuerst mit dem ganzen Corps einen Ausfall zu thun, die Mauer der Feinde zu ersteigen und sich wo möglich durchzuschlagen. Die Urheber des Unternehmens waren Theänet, der Wahrsager, Sohn des Timidas, und Eumolpidas, des Daïmachus Sohn, welcher auch der Anführer war. Nachher trat die Hälfte wegen der Größe der Gefahr zurück; aber ungefähr 220 Mann entschlossen sich freiwillig, den Ausfall zu wagen, und zwar auf folgende Weise. Sie machten sich Leitern von der Höhe der feindlichen Mauer, wozu sie das Maß nach den Schichten der Steine nahmen, wo sie nach ihrer Seite zu nicht bestrichen waren. Es zählten nämlich Viele zugleich die Schichten; und wenn auch Einige fehlten, so trafen doch Mehrere die richtige Zahl, zumal da sie oft zählten, nicht weit davon waren und die Mauer zu dieser Absicht deutlich genug sehen konnten. So nahmen sie das Maß zu den Leitern, indem sie die Dicke der Steine berechneten.

Die Mauer der Peloponnesier war aber auf folgende Weise gebaut. Sie hatte zwei Ringmauern, eine gegen die Platäer einwärts und eine auswärts gegen einen Angriff der Athenienser. Diese beiden Ringmauern standen ungefähr sechzehn Fuß von einander, und in diesem Raum von sechzehn Fuß waren für die Besatzung Baracken gebaut, und zwar so zusammenhängend, daß das Ganze wie eine einzige dicke Mauer hinein und heraus mit Brustwehren aussahe. Bei jeder zehnten Brustwehr Die Brustwehren müssen also irgend ein Abtheilungszeichen gehabt haben; denn eine eigentliche Trennung läßt sich dort militärisch nicht wohl denken. stand ein hoher Thurm, einwärts und auswärts der Mauer gleich, so daß man nicht herum gehen konnte, sondern durchgehen mußte. Die Nächte, wenn das Wetter naß war, verließen also die Wachen die Brustwehren und hielten ihren Posten in den Thürmen, die nicht weit auseinanderstanden und bedeckt waren. So war die Mauer beschaffen, mit welcher man ringsum die Platäer eingeschlossen hielt.

Als diese nun Alles zur Unternehmung in Bereitschaft gesetzt hatten, wählten sie eine stürmische, regnichte und ganz mondleere Nacht zur Ausführung. Die Urheber waren auch die Anführer des Streichs. Zuerst gingen sie durch den sie umgebenden Graben und näherten sich dann ganz stille, daß keine Wache sie merkte, der feindlichen Mauer, da man sie im Finstern nicht sehen und vor dem Sturm das etwanige Geräusch ihres Annäherns nicht hören konnte. Auch gingen sie weit von einander, damit das Zusammenschlagen der Waffen sie nicht etwa verriethe, und nur leicht bewaffnet, und zur Sicherheit im Gefecht und im kothigen Marsche nur am linken Fuße beschuhet. Die Ausleger martern sich, die Ursache zu finden, warum sie eben den Schuh am linken Fuße hatten. Eine sagt der Geschichtschreiber selbst, wegen des Marsches auf kothigem, schlüpfrigem Wege. Die andere giebt sich meines Erachtens sehr leicht aus der Sache. Die linke Seite ist die Schildseite; der linke Fuß muß im Gefecht feststehen und das ganze Gewicht halten; der rechte thut den Ausfall, der linke muß unterstützen. Auch wir dürfen jetzt im Fechten nach der Regel mit dem linken Fuß nicht von der Stelle kommen. Sie wollten leicht sein und kein Geräusch machen: den rechten Schuh konnten sie entbehren, den linken nicht. Die Veränderung des πρός τόν πηλύν in πρός τόν πόλεμον wäre also sehr passend, wenn sie nur nicht willkürlich wäre und Grund in Manuscripten hätte. Doch hat die Sache gar keine Schwierigkeit, wenn man bedenkt, daß sie mit einem Mittel mehrere Absichten erreichen wollten, nämlich Festigkeit im Schritt und im Gefecht, welches Letztere das Wichtigste war, und weswegen durchaus der linke Fuß beschuhet sein mußte, wenn man nicht links fechten wollte. Sie näherten sich also an der Courtine Ich weiß wohl, daß das griechische εταηΰργιον nicht ganz unsere Courtine ist, weiß aber nicht, welchen bessern Ausdruck man unter unsern Fortificationstermen nehmen könnte, wenn man nicht eine lange Umschreibung geben wollte, die nichts weniger als Thucydideisch wäre. zwischen den Thürmen den Brustwehren, von welchen sie wußten, daß sie leer waren, brachten die Leitern herbei und lehnten sie an. Sodann stiegen zwölf Leichtbewaffnete mit Dolchen und Brustharnischen hinauf, deren Anführer Ammeas, Sohn des Koroebus, war, welcher auch zuerst hinaufstieg. Ihm folgten die Uebrigen, Sechs nach jedem Thurm. Diesen folgten andere Leichtbewaffnete mit Lanzen, denen wieder Andere die Schilde nachtrugen, damit sie leichter steigen könnten, und um sie ihnen zu geben, wenn sie sich dem Feinde näherten. Als eine ziemliche Anzahl von ihnen oben war, ward sie die Wache von den Thürmen gewahr; denn einer der Platäer warf, als er sich anhalten wollte, einen Ziegel von der Brustwehr, welcher ein Geräusch machte, und sogleich erhob sich Lärm. Die Truppen eilten auf die Mauer; denn man wußte wegen der Dunkelheit der Nacht und wegen des Sturms nicht, wo die Gefahr war. Zugleich thaten die in der Stadt zurückgebliebenen Platäer von innen einen Angriff auf die entgegengesetzte Seite der Mauer, damit man die Unternehmung ihrer Kameraden desto weniger merken möchte. Es war also überall Lärm, aber Niemand wagte es, Andern zu Hilfe seinen Posten zu verlassen, und Niemand wußte im Schrecken, was der Lärm bedeuten sollte. Die Dreihundert, welche, wenn etwas vorfallen sollte, die Reserve hatten, rückten auf den Tumult vor die Mauer hinaus und steckten nach Theben zu Lärmfeuer zu Signalen an. Aber auch die Platäer steckten in der Stadt von der Mauer viele Lärmfeuer an, die sie vorher schon dazu in Bereitschaft hatten, damit die Feinde sich nicht in die Signale finden könnten und nicht zu Hilfe kämen und ihre Kameraden während dieser Ungewißheit Rettung und Sicherheit gewönnen.

Unterdessen erstiegen die Platäer die Mauer, und so wie die Ersten oben waren, hieben sie von beiden Seiten die Wachen der Thürme nieder und faßten in den Durchgängen Posten, damit Niemand durch dieselben zu Hilfe kommen könnte, legten die Leitern von der Mauer an die Thürme und brachten Mehrere von ihrer Mannschaft hinauf, so daß sie nunmehr den angreifenden Feind von oben und unten zurücktrieben. Der größte Theil ihrer Kameraden legte nun zugleich eine Menge Leitern an, riß die Brustwehren nieder und ging zwischen den Thürmen über die Mauer. Die Hinübergebrachten stellten sich an den Rand des Grabens und trieben mit Pfeilen und Wurfspießen die Feinde ab, die sich von der Mauer ihrem Uebergange widersetzen wollten. Kaum waren Alle von den Thürmen und der Mauer bis auf den letzten Mann herab und an dem Graben angekommen, so erschienen die Dreihundert von der feindlichen Reserve mit Fackeln. Die Platäer am Rande des Grabens konnten sie aus der Finsterniß besser sehen und trafen sie also mit Pfeilen und Wurfspießen, wo sie Blöße gaben; sie selbst aber konnten im Dunkeln von den Fackelträgern nicht so gut gesehen werden, so daß sie Alle glücklich, obgleich mit vieler Mühe und Anstrengung, über den Graben kamen. Denn das Eis war noch nicht so stark gefroren, daß sie hätten darüber gehen können, und war noch schwach und wässerig, da nicht der Nordwind, sondern der Nordost wehete; auch hatte der mit diesem Wind gefallene Schnee das Wasser im Graben so hoch gemacht, daß sie kaum aus dem Wasser hervorragend übergingen. Aber eben nur durch die Größe des Sturmwetters war ihnen die Rettung möglich geworden.

So wie die Platäer aus dem Graben heraus waren, marschirten sie geschlossen den Weg nach Theben zu und ließen die Kapelle des Androkrates zur Rechten, indem sie glaubten, man würde sie aus dem Wege, der zu den Feinden führte, am Wenigsten vermuthen. Sie sahen auch sogleich, daß ihnen die Peloponnesier nach dem Cithäron über Dryoskephalä auf dem Wege nach Athen mit Fackeln nachsetzten. Sechs oder sieben Stadien marschirten so die Platäer auf der Straße nach Theben fort, nahmen aber sodann den Weg über die Gebirge nach Erythrä und Hysiä, hielten sich im Gebirge fort und retteten sich auf diese Weise, Zweihundertundzwölf zusammen, nach Athen; denn Einige kehrten wieder in die Stadt um, ehe sie auf die Mauer kamen, und ein Bogenschütze wurde am äußern Graben gefangen. Die Peloponnesier kehrten vom Nachsetzen auf ihren Posten zurück. Die Platäer in der Stadt, welche von dem ganzen Ausgang nichts wußten und von ihren Zurückkehrenden hörten, daß kein Einziger davongekommen sei, schickten mit Tagesanbruch einen Herold, um wegen der Aufhebung ihrer Todten zu handeln. Als sie aber das Wahre der Sache erfuhren, waren sie ruhig. Auf diese Weise retteten sich die Platäer, welche den Ausfall gewagt hatten.

Nachdem Thucydides die übrigen Begebenheiten der Zwischenzeit erzählt hat, kommt er im zweiundfunfzigsten Capitel des nämlichen Buchs zur endlichen Katastrophe, die er ausführlich beschreibt.

Um die nämliche Zeit dieses Sommers ergaben sich auch die Platäer, welche wegen Mangel der Lebensmittel die Belagerung nicht länger aushalten konnten, den Peloponnesiern auf folgende Weise. Man griff ihre Werke an, und sie waren zu schwach, sie zu vertheidigen. Der Lacedämonische Feldherr, der ihre Schwäche kannte, wollte den Ort mit Sturm nicht nehmen; denn er hatte von Lacedämon dazu den Auftrag, damit, wenn man mit den Atheniensern Frieden schlösse und jede Partei die im Kriege eroberten Plätze herausgäbe, man Platäa nicht zurückgeben dürfte, weil es freiwillig übergegangen. Er schickte ihnen also einen Herold mit dem Auftrage, wenn sie freiwillig den Lacedämoniern die Stadt übergeben und sich ihrem Ausspruche unterwerfen wollten, so sollten die Schuldigen bestraft und gegen Urtel und Recht Niemand verurtheilt werden. So sprach der Herold. Sie aber übergaben die Stadt, da sie durchaus keine Kräfte mehr hatten. Einige Tage wurden nun die Platäer von den Peloponnesiern verpflegt, bis fünf Männer aus Lacedämon als Richter ankamen. Nach ihrer Ankunft wurde weiter keine Klage angebracht, sondern man rief nur die Gefangenen vor und fragte sie: ob sie den Lacedämoniern und den Bundesgenossen in dem gegenwärtigen Kriege irgend einen Vortheil verschafft hätten. Diese baten um Erlaubnis, sich weitläuftiger zu erklären, und gaben zween von ihren Kameraden, dem Astymachus, Sohne des Asopolaus, und dem Lakon, Sohne des Aeimnestus, einem Gastfreunde der Lacedämonier, dazu den Auftrag. Diese traten hervor und sprachen:

»Wir haben Euch die Stadt auf Treu und Glauben übergeben, Ihr Lacedämonier, und von Euch kein solches, sondern ein billigeres Gericht erwartet. Wir wollten keine anderen Richter haben als Euch, die wir jetzt wirklich haben, in der Hoffnung, bei Euch am Meisten Gerechtigkeit zu finden. Jetzt fürchten wir, uns in Beidem geirrt zu haben; denn wahrscheinlich gilt es unser Leben, und Ihr scheint nicht sehr gewissenhaft zu sein, da Ihr uns keine Klagepunkte zur Beantwortung, sondern nur eine Frage vorlegt; und diese Frage ist so kurz, daß wir in der Beantwortung mit der Wahrheit sogleich verloren und mit der Unwahrheit sogleich überführt sind. Wir sind von allen Seiten in die Enge getrieben; aber besser ist es doch wol, noch vor der Gefahr zu sprechen. Denn man könnte vielleicht sagen, Leute in unserer verzweifelten Lage hätten sich doch durch einen Vortrag retten können. Aber schwerlich wird unsere Rede Eindruck machen. Denn wenn wir einander unbekannt wären, könnten wir Vortheil von Euch unbekannten Zeugnissen erwarten; wir sprechen aber zu Leuten, die von Allem unterrichtet sind. Wir fürchten auch nicht, daß Ihr es uns zum Verbrechen machen werdet, daß unsere Verdienste nicht so groß sind als die Eurigen, sondern wir fürchten nur, daß Ihr aus Gefälligkeit gegen Andere schon über uns Gericht gehalten und abgesprochen habt.

»Doch wollen wir unser Recht gegen den Groll der Thebaner und unsere Verdienste um Euch und ganz Griechenland anführen und Euch zu unserm Vortheil zu gewinnen versuchen. Auf die kurze Frage: ob wir den Lacedämoniern und den Bundesgenossen in diesem Kriege einigen Vortheil verschafft haben, antworten wir: Wenn Ihr uns als Feinde fragt, so ist Euch kein Unrecht geschehen, da wir keine Wohlthaten von Euch genossen; wenn Ihr uns aber für Freunde haltet, so seid Ihr die Schuldigen, daß Ihr uns mit Krieg überzogt. Im Frieden aber und gegen die Perser sind wir immer rechtschaffene Männer gewesen; den erstern haben wir nicht zuerst gebrochen, und gegen die Letztern haben wir von allen Böotiern allein zur Befreiung Griechenlands mitgefochten. Denn wir waren als Landtruppen doch mit in dem Seegefecht bei Artemisium, und in dem Treffen hier auf unserm Gebiete waren wir bei Euch und Pausanias. Und wo zu der damaligen Zeit irgend eine Gefahr für die Griechen war, haben wir immer mit aller Macht daran Antheil genommen. Und Euch besonders, Ihr Lacedämonier, haben wir, als Sparta in der größten Gefahr war, da nach dem Erdbeben die sich empörenden Heloten sich nach Ithome zogen, den dritten Theil unserer Mannschaft zu Hilfe geschickt: das solltet Ihr billig nicht vergessen.

»So waren wir ehemals bei den wichtigsten Vorfällen. Nachher wurden wir Feinde; aber die Schuld ist Euer. Als wir um Bündniß und Hilfe baten, da die Thebaner uns bedrängten, stießt Ihr uns von Euch und hießt uns zu den Atheniensern gehen, die uns näher wären als Ihr. Während dem Kriege haben wir Euch nichts Ungebührliches zugefügt und würden es nicht gethan haben. Wenn wir aber auf Euern Befehl nicht von den Atheniensern abfallen wollten, so war dieses nicht ungerecht. Denn sie unterstützten uns auch gegen die Thebaner, als Ihr Euch weigertet. Sie zu verrathen, wäre nicht brav gewesen, zumal da sie unsere Wohlthäter waren, wir um ihr Bündniß gebeten und ihr Bürgerrecht erhalten hatten; vielmehr mußten wir mit Eifer ihrer Anführung folgen. Wenn Ihr die Bundesgenossen führt, so ist es nicht die Schuld der Gehorchenden, wenn Unrecht geschieht, sondern der Anführer selbst, als der Urheber der Ungerechtigkeit.

Die Thebaner haben uns oft und viel Unrecht zugefügt und sind zuletzt, wie Ihr wißt, Ursache von unserm jetzigen Unglück. Wir haben uns an ihnen, die unsere Stadt im Frieden und noch dazu an einem Festtage überfielen, nach überall giltigen Gesetzen gerächt, welche nicht allein erlauben, sondern befehlen, sich gegen den angreifenden Feind zu wehren: und nun sollen wir ihrentwegen so unbillig leiden? Wenn Ihr jetzt nach Euerm und ihrem feindlichen Vortheil einen Ausspruch thut, so wird man Euch nicht für Richter der Wahrheit, sondern für Diener des Eigennutzes halten. Wenn Euch Diese jetzt nützlich zu sein scheinen, so waren wir und die übrigen Griechen es Euch zur Zeit der größten Gefahr noch mehr. Jetzt greift Ihr für sie Andere als furchtbare Feinde an, und als die Barbaren ganz Griechenland mit Knechtschaft bedroheten, waren Diese auf ihrer Seite. Es ist billig, daß Ihr unserm jetzigen Fehler, wenn wir ja gefehlt haben, unsern damaligen Eifer entgegensetzt; Ihr werdet finden, daß dieser größer war als jener, und zwar größer war zu einer Zeit, wo die Griechen nicht gern ihren Muth der Macht des Xerxes entgegenstellten. Doch verdienten Diejenigen mehr Lob, die in der Gefahr, ohne bei dem Angriff auf ihre Rettung und Sicherheit zu denken, für Freiheit und Ehre die schönsten Thaten wagten. Ob wir gleich unter diese, und zwar zu dem ersten Range gehören, müssen wir doch jetzt eben deswegen den Untergang fürchten, daß wir uns mehr mit Gerechtigkeit zu den Atheniensern als aus Eigennutz zu Euch hielten. Von den nämlichen Dingen sollte man immer das Nämliche denken und nur das für Vortheil halten, was sich bei gegenwärtiger Ordnung der Geschäfte mit der Erkenntlichkeit für die Verdienste braver Bundesgenossen verträgt.

»Erwägt auch, daß man Euch bis jetzt für das Muster der Rechtschaffenheit unter den Griechen hält! Wenn Ihr nun über uns ein ungebührliches, grausames Urtheil fället, denn das Gericht kann nicht unbekannt bleiben, da Ihr so angesehen seid und wir nicht verächtlich sind, so sehet zu, wie man es aufnehmen wird, wenn Ihr als die Stärkern über uns rechtschaffene Männer etwas Unwürdiges beschließt und in den gemeinschaftlichen Nationaltempeln von uns, den Wohlthätern Griechenlands, Euern Raub aufhängt! Es wird schrecklich zu hören sein: »Die Lacedämonier haben Platäa zerstört!« Eure Väter haben den Namen unserer Stadt zum Lohn für unsere Tapferkeit auf den Dreifuß zu Delphi gegraben, und Ihr habt sie für die Thebaner durchaus gänzlich aus der Gemeinschaft der Griechen vertilget. πανοικησίᾳ steht im Text und hat einen rührenden Nachdruck, den ein Anderer mit gleicher Kürze erreichen mag; denn eben in der Kürze liegt meistens der Nachdruck. »So daß kein Haus stehen bleibt, bis auf den Grund«, sagt Heilmann. So unglücklich ist unser Schicksal geworden: hätten die Perser gesiegt, so wären wir verloren gewesen, und jetzt verlieren wir bei Euch, unsern alten Freunden, gegen die Thebaner. Zwei Momente der Todesgefahr für uns: hätten wir die Stadt nicht übergeben, so wären wir verhungert; jetzt sollen wir zum Tode verurtheilt werden. Und wir, wir Platäer, die über alle Kräfte kühn und eifrig für die griechische Freiheit fochten, sind von allen Griechen die Einzigen, die ohne Hilfe und Erbarmung hinausgestoßen werden. Kein Bundesgenosse hilft uns, und wir fürchten, auch unsere einzige letzte Hoffnung zu Euch, Ihr Spartaner, ist fruchtlos.

»Wir bitten Euch um der Götter willen, die Zeugen unsers Bundes und unsers Muthes für die Griechen waren, laßt Euch erweichen und ändert den Schluß, zu dem Euch vielleicht die Thebaner überredet haben, und fordert selbst von ihnen diese Gefälligkeit, Diejenigen nicht zu tödten, die Ihr selbst mit Gerechtigkeit nicht tödten könnt; zieht eine weise Erkenntlichkeit einer schändlichen vor, damit Ihr nicht Andern zu Gefallen den Vorwurf der Ehrlosigkeit auf Euch ladet! Ihr habt uns bald getödtet; aber schwer wird es sein, die Schande der That auszulöschen. Ihr rächt Euch nicht an Feinden, sondern bringet Freunde um, die gezwungen gegen Euch Krieg führten. Wenn Ihr uns also rettet, handelt Ihr heilig und gerecht, da wir mit ausgestreckten flehenden Händen uns Euch freiwillig ergaben, und Flehende zu tödten, verbietet das Gesetz jedem Griechen, und da wir beständig um Griechenland so viele Verdienste hatten. Seht hin auf die Gräber Euerer Väter, die hier von den Persern erschlagen und bei uns begraben wurden, und die wir jährlich durch Schmuck und jede gesetzliche Feierlichkeit ehren: wir bringen ihnen die Erstlinge von Allem, was unsere Erde giebt, als Freunde von freundlichem Boden, als Bundesbrüder unsern ehemaligen Kriegsgefährten. Ihr würdet das Gegentheil thun, wenn Ihr ungerecht gegen uns wäret. Ueberlegt nur: Pausanias begrub sie und glaubte sie in freundschaftlichen Boden und zu Freunden zu legen. Wenn Ihr uns umbringt und unser Gebiet den Thebanern übergebt, wollt Ihr Euere Väter und Verwandte in feindlicher Erde und bei ihren Mördern lassen und ihnen alle Ehrenbezeugungen rauben, deren sie jetzt genießen? Wollt Ihr den Boden, auf welchem die Griechen die Freiheit erfochten, unter Knechtschaft bringen? Wollt Ihr die Tempel zerstören, wo sie vor der siegreichen Schlacht zu den Göttern beteten? Wollt Ihr die alten väterlichen Opfer vernichten, die ihre Urheber und Stifter anordneten?

»Vergeßt nicht so sehr Eueres Ruhms, Ihr Spartaner, sündiget nicht gegen die gemeinschaftlichen Gesetze der Griechen und Euerer Vorfahren und laßt wegen fremder Feindschaft uns, die Wohlthäter Griechenlands, die Euch nie beleidiget haben, nicht zu Grunde gehen! Habt Schonung, ändert Euere Meinung und nehmt uns mit gerührtem Mitleiden auf! Ueberlegt nicht allein das Schreckliche unserer Leiden, sondern auch wer wir Leidende sind, und wie ungewiß das Schicksal ist, das auch Unschuldige treffen kann. Wir flehen also in unserer Noth mit Gefühl unsers Werths zu den Göttern, denen wir mit Euch und allen Griechen auf gemeinschaftlichen Altären opfern, daß sie Euch Mitleid einflößen, und bitten Euch, den Bundeseid, den Euere Väter geschworen haben, nicht zu vergessen! Wir flehen Euch bei den Grabmälern Euerer Väter und bitten Euch bei ihren Gebeinen, uns nicht den Thebanern zu übergeben, uns nicht als unsere besten Freunde unsern bittersten Feinden zu überlassen. Erinnert Euch jenes Tages, wo wir mit ihnen die schönsten Thaten verrichteten; und wir schweben jetzt in der schrecklichsten Gefahr! Endlich, so schwer es uns in unsern Umständen wird, die Rede zu schließen, da sogleich darauf die Entscheidung von Tod und Leben folgt, endlich wiederholen wir zum Schlusse: wir haben die Stadt nicht den Thebanern übergeben, denn eher würden wir den abscheulichsten Tod des Hungers gestorben sein; zu Euch sind wir auf Treu und Glauben gekommen. Gerechtigkeit ist es, wenn wir Euch nicht erbitten können, daß Ihr uns wieder in den nämlichen Zustand setzt, wo wir den Ausgang unsers Schicksals abwarten können. Wir beschwören Euch, Lacedämonier, uns Platäer, die wir stets mit größtem Eifer für die Griechen fochten, nicht aus Euren Händen, denen wir uns mit Gnadeflehen anvertrauet haben, den Thebanern zu überliefern, sondern unsere Retter zu sein und nicht Diejenigen völlig zu verderben, welche das übrige Griechenland befreien halfen!«

So sprachen die Platäer. Die Thebaner, welche fürchteten, die Lacedämonier möchten auf diese Rede etwas nachgeben, traten hervor und sagten, auch sie wollten reden, da man Jenen wider ihr Erwarten mehr als zur Beantwortung der Frage so lange zu sprechen erlaubt habe. Auf erhaltene Erlaubniß sprachen sie:

»Wir würden nicht um Erlaubniß zu reden gebeten haben, wenn auch Diese kurz auf die Frage geantwortet hätten. Sie wenden sich mit Beschuldigungen gegen uns und suchen sich ganz außer dem Gebiet der Sache weitläufig zu vertheidigen, da sie doch Niemand anklagt, und ihre Thaten zu loben, die doch Niemand tadelt. Nun müssen wir auf die ersten antworten und die zweiten widerlegen, damit ihnen nicht unsere Nachlässigkeit und ihre Ruhmredigkeit helfe, sondern Ihr von beiden die Wahrheit hören und sodann darnach urtheilen möget. Der Anfang unserer Streitigkeiten ist folgender. Wir hatten von ganz Böotien nach Vertreibung des gemischten zusammengelaufenen Haufens Platäa und einige andere Orte zuletzt gegründet und in Besitz genommen; nun wollten diese unsere Oberbefehlshaberschaft nicht anerkennen und verletzten allein das alte väterliche Herkommen der Böotier. Als wir sie zwingen wollten, wendeten sie sich an die Athenienser und thaten uns in ihrer Verbindung viel Schaden; dafür sind sie nun wieder gezüchtiget worden.

»Als die Barbaren Griechenland anfielen, sagen Diese, sie seien von allen Böotiern allein nicht auf ihre Seite getreten, weswegen sie sich vorzüglich brüsten und uns schmähen. Aber sie standen blos deswegen nicht auf persischer Seite, weil sie es mit den Atheniensern hielten; und als hernach auf gleiche Weise die Athenienser die übrigen Griechen unterdrückten, waren sie auch von allen Böotiern die Einzigen von der Atheniensischen Partei. Und überlegt, in welchen verschiedenen Lagen wir beide so gehandelt haben! Unsere Stadt war damals weder gesetzlich aristokratisch noch demokratisch, sondern, was den Gesetzen und einer vernünftigen Staatseinrichtung am Meisten zuwider ist und der Tyrannei am Nächsten kommt, einige wenige Männer hatten alle Macht an sich gerissen. Diese hielten, in der Hoffnung, ihr eigenes Ansehen desto sicherer zu haben, wenn die Perser siegten, das Volk mit Gewalt im Zaum und führten die Barbaren zu uns. Die Stadt handelte also dabei nicht mit Freiheit und gesetzlicher Willkür, und man sollte ihr nicht vorwerfen, was sie auf diese Weise widergesetzlich gefehlt hat. Als die Perser fort waren und die Gesetze wieder Kraft erhielten, da die Athenienser nebst den übrigen Griechen auch unser Gebiet zu unterjochen versuchten und wegen den Unruhen in unserer Stadt schon einen großen Theil weggenommen hatten, so überlegt auch, wie wir bei Koronea fochten, sie überwanden, Böotien befreieten und nun die übrigen Griechen eifrig mit befreien halfen, indem wir an Reiterei und zu den übrigen Kriegsbedürfnissen mehr stellen als irgend ein Bundesgenosse! So viel von unserer Parteilichkeit für die Perser.

»Nun wollen wir zu zeigen suchen, daß Ihr den Griechen weit größere Beleidigungen zugefügt habt und daher die strengste Strafe verdient. Ihr sagt, um Euch gegen uns Gerechtigkeit zu schaffen, seid Ihr Bundesgenossen und Mitbürger der Athenienser geworden. Ihr solltet sie also nur gegen uns geführt haben und ihnen nicht gegen Andere gefolgt sein, da, wenn sie Euch mit Gewalt zu folgen zwingen wollten, Euch ja das Bündniß und die Freundschaft von der Perser Zeit her mit den Spartanern blieb, weswegen Ihr so hoch sprecht. Dieses hätte Euch gewiß hinlänglich gegen uns geschützt, und was die Hauptsache ist, Euch Sicherheit und Ruhe gegeben, reiflich Rath zu halten. Aber Ihr habt freiwillig und nicht gezwungen die Partei der Athenienser ergriffen. Ihr sagt, es wäre schändlich gewesen, Euere Wohlthäter zu verrathen; aber noch schändlicher war die Ungerechtigkeit, alle Griechen, mit denen Ihr zusammen geschworen habt, als allein die Athenienser zu verrathen. Diese wollen Griechenland unterjochen, jene es befreien. Die Athenienser haben diese Erkenntlichkeit um Euch nicht verdient, und Euch gereicht sie zur Schande. Ihr littet Unrecht, sagt Ihr, und nahmt Euere Zuflucht zu ihnen: nun steht Ihr ihnen in ihren Gewaltthätigkeiten bei. Es ist nicht so schändlich, gar nicht dankbar zu sein, als zwar gerechte Verpflichtungen zur ungerechten Beeinträchtigung Anderer zu bezahlen.

»Ihr habt also deutlich gezeigt, daß Ihr damals nicht für die Freiheit Griechenlands, sondern blos deswegen allein nicht von der Partei der Perser waret, weil es auch die Athenienser nicht waren. Diesen wolltet Ihr folgen und allen Uebrigen trotzen; und nun fordert Ihr hier Belohnung dafür, daß Ihr blos Andern zu Gefallen Euch brav gehalten habt. Das ist sonderbar. Ihr habt Euch zu den Atheniensern geschlagen; nun fechtet mit ihnen und beruft Euch nicht auf das ehemals beschworne Bündniß, um Euch jetzt dadurch zu retten! Ihr habt es verlassen und bundbrüchig die Aegineten und andere Verbündete unterjochen helfen, die Ihr hättet schützen sollen; und dieses freiwillig, mit völliger bedachter Willkür, ohne daß Euch Jemand zwang, wie uns. Noch zuletzt, ehe Ihr belagert wurdet, nahmt Ihr den Antrag, ruhig zu bleiben und Keinem beizustehen, nicht an. Wer muß also allen Griechen billig verhaßter sein als Ihr, die Ihr mit einem Vorwand von Rechtschaffenheit und Bravheit ihren Untergang suchtet? Ihr habt jetzt gezeigt, daß Alles, was Ihr ehemals Braves gethan, nicht Euch angehöret, und Euer beständig wahrer Charakter hat sich jetzt trefflich geoffenbaret. Ihr folgtet den Atheniensern in ihren Ungerechtigkeiten. Dieses von unserer erzwungenen Parteilichkeit für die Perser und von Euerer freiwilligen Parteilichkeit für die Athenienser.

»In Ansehung der letzten Euch zugefügten Beleidigung, daß wir im Frieden und am Monatsfeste in Euere Stadt gerückt sind, haben wir auch nicht mehr gefehlt als Ihr selbst. Wenn wir mit Gefecht und unter feindlicher Verheerung des Landes eingerückt wären, so wäre Euch Unrecht geschehen; wenn uns aber Euere reichsten und angesehensten Die Thebanischen Redner geben hier selbst zu verstehen, daß man die Spartanische Aristokratie habe einführen wollen; aber eben deswegen wollte, wie vorher im Texte stehet, das Volk die Bundesgenossenschaft der Athenienser nicht verlassen, weil es bei der attischen Demokratie seine Rechnung besser zu finden glaubte und dieses Unterfangen für ein Attentat in seine Rechte hielt. Bürger, um Euch der fremden Bundesgenossenschaft zu entziehen und zur alten väterlichen Verfassung aller Böotier zurückzubringen, uns freiwillig riefen, wo liegt da die Beleidigung? Die Führer, nicht die Folgenden fehlen; aber nach unserm Urtheil fehlten weder sie noch wir. Sie waren Bürger wie Ihr und hatten mehr zu wagen, öffneten uns ihre Thore und brachten uns in ihre Stadt als Freunde und nicht als Feinde, um die Schlechtgesinnten zu unterdrücken und den Bessern zu verschaffen, was ihnen gehörte. Sie wollten als Euere Lehrer und Wegweiser nicht der Stadt ihre Bürger rauben, sondern sie ihrer Verwandtschaft wiedergeben, Niemand Feinde machen, sondern durchaus Freundschaft und Friede stiften.

»Ein Beweis, daß wir nicht Feinde waren: wir haben Niemand angetastet und ließen nur ausrufen: wer von Euch nach der alten Verfassung der Böotier leben wollte, möchte zu uns treten. Mit Freuden kamet Ihr, schloßt den Vergleich und waret anfänglich ruhig. Als Ihr nachher unsere geringe Anzahl merktet, handeltet Ihr mit uns ohne alle Billigkeit, wenn wir auch etwas ungewöhnlich ohne Wissen Eures gesammten Volks eingerückt waren, daß Ihr uns nicht erst ansagtet, auszuziehen, sondern sogleich mit Gewaltthätigkeiten anfinget und uns gegen den eben geschlossenen Vergleich überfielet. Die im Gefecht Gefallenen beklagen wir nicht so sehr; sie kamen doch einigermaßen nach Kriegssitte um; aber ist es nicht entsetzlich, daß Ihr die Gefangenen, die sich Euch mit emporgehobenen Händen flehend ergaben, und von denen Ihr uns nachher verspracht, ihnen kein Leid zuzufügen, widerrechtlich und unmenschlich tödten ließet? Drei Ungerechtigkeiten habt Ihr dabei in Kurzem begangen: Ihr habt den Vergleich gebrochen, habt die Männer getödtet und habt in dem Versprechen, ihnen kein Leid zuzufügen, gelogen, das Ihr uns gabt, wenn wir in Euerm Lande keinen Schaden thäten. Und doch beschuldiget Ihr uns und wollt für Euere Verbrechen von keiner Strafe wissen. Aber das wird nicht sein, wofern unsere Richter noch gerecht richten; und Ihr sollt für Alles büßen.

»Für uns und für Euch, Ihr Lacedämonier, haben wir hierüber so weitläufig gesprochen, damit Ihr sehet, daß Ihr sie mit Gerechtigkeit verurtheilt, und daß wir noch eine gelinde, glimpfliche Strafe verlangen. Laßt Euch nicht durch die Vorstellung ihrer alten Rechtschaffenheit bewegen, wenn sie je solche zeigten; diese muß nur Unrechtleidenden zu Statten kommen, den Uebelthätern aber doppelte Strafen bereiten, weil sie ihren Charakter so schändlich verleugneten. Es müsse ihnen nicht ihr Wehklagen und Jammern helfen, wenn sie bei den Gräbern Euerer Väter flehen und ihre eigene traurige Verlassenheit beweinen. Auch wir erinnern Euch an unsere von ihnen umgebrachten Mitbürger, deren Schicksal so schrecklich war, deren Väter einige Euch Böotien gewannen und bei Koronea starben, andere aber kinderlos in ihren einsamen verlassenen Wohnungen mit mehr Gerechtigkeit zu Euch um Rache flehen. Wer sein Unglück nicht selbst verschuldet hat, verdient Mitleiden; wer sich aber wie Diese selbst ins Elend stürzt, ist billig ein Gegenstand der Schadenfreude. Sie sind durch sich selbst jetzt so verlassen. Sie haben die bessern Bundesgenossen freiwillig von sich gestoßen, haben gegen uns alle Gesetze verletzt, nicht durch Beleidigungen vorher von uns gereizt, sondern mehr aus Groll als Gerechtigkeitsgefühl, und ihre Strafe ist gewiß noch nicht ihren Verbrechen gleich. Sie leiden, was gerecht ist. Sie haben nicht im Gefecht um Gnade geflehet, sondern sich selbst freiwillig zum Gericht übergeben. Rächt also, Ihr Lacedämonier, die von ihnen verachteten Gesetze der Griechen und belohnt uns Unrechtleidende für unsern gezeigten Eifer und laßt uns nicht unser Recht durch ihre Rede verlieren! Zeigt den Griechen ein Beispiel, daß sie nicht mit Worten, sondern mit Thaten wetteifern sollen! Sind diese gut, so ist eine kurze Erzählung hinreichend; sind sie aber schlecht, so sind zierliche Reden nur Schleier der Schande. Wenn Ihr Bundeshäupter aber wie jetzt nach kurzer Untersuchung Alles entschlossen entscheidet, so wird Niemand mehr zu ungerechten Unternehmungen schöne Worte suchen.«

So sprachen die Thebaner. Die lacedämonischen Bevollmächtigten glaubten, daß die kurze Frage ihre Richtigkeit habe: ob sie in diesem Kriege ihnen einigen Vortheil verschafft hätten. Denn vorher hatten sie dieselben schon gebeten, vermöge des alten Vertrags mit Pausanias zu der Perser Zeit sich ruhig zu halten, und auch nachher vor der Belagerung war der Antrag, gegen beide freundschaftlich zu sein und Keinem zu helfen, verworfen worden. Sie glaubten also, die Platäer Ich überlasse es Sachverständigen, ob diese Erklärung dieser schweren Stelle möglich ist; mir scheint sie consequent zu sein. Das τή έαυτών σιχαία βουλήσει geht auf die Platäer, die, wie die Thebaner sagten, ganz freiwillig unerhörterweise aus dem Bunde getreten waren; das π αύτών auf die Spartaner und Verbündeten, welche sie dafür gezüchtiget. Wenn man lesen könnte: ύδ αύτών würde auch dieses auf die Platäer gehen können und der Sinn sein: sie haben sich ihr Elend selbst beizumessen, wie auch die Thebaner schon vorher sagten. Die Bedenklichkeit Heilmann's, daß βούλησις nur deliberatio de re sucipienda bedeute, fällt weg; denn in der Periode, von welcher die Lacedämonier sprechen, hielten die Platäer wirklich erst Rath, was sie thun sollten. haben selbst den Bund mit gehöriger Ueberlegung gebrochen und sich ihr Unglück zugezogen. Sie ließen daher Jeden besonders vortreten und fragten: ob sie in diesem Kriege den Lacedämoniern und den Bundesgenossen etwas genutzt hätten, und so wie er Nein antwortete, führte man ihn fort zum Tode, und es wurde kein Einziger ausgenommen. Auf diese Weise ließen sie nicht weniger als zweihundert Platäer und hundertundfünf mitbelagerte Athenienser umbringen. Die Weiber machten sie zu Sclavinnen. Die Stadt gaben die Thebaner auf ein Jahr den Flüchtlingen aus Megara und den Platäern, die von ihrer eigenen Partei noch übrig waren, zur Wohnung. Nachher schleiften sie dieselbe von Grund aus bis auf den Boden und baueten nicht weit von dem Tempel der Juno eine Herberge.

So erzählt Thucydides, ein Zeitgenosse, ein Mann, der an der Geschichte seiner Zeit in seinem Vaterlande selbst einigen Antheil hatte, dem seine Verhältnisse Gelegenheit genug gaben, sich zu unterrichten, und der diese Gelegenheit so benutzte, daß er bis jetzt unter den pragmatischen Schriftstellern eine der ersten Stellen behauptet. Man sage nicht, er war Athenienser und hatte Ursache, das Betragen der Lacedämonier und Thebaner von der gehässigsten Seite zu schildern; seine Landsleute waren nach ihrer Gewohnheit nach der ihm aufgetragenen mißlungenen Unternehmung auf Amphipolis nicht sehr glimpflich mit ihm umgegangen. Er verlor sein Commando und zog sich ins Privatleben zurück, wo er als Wahrheitsforscher beobachtete und mit so viel Humanität, als er und sein Zeitalter haben konnte, die Geschichte schrieb. Es ist für die Kenntniß des Alterthums ein großer Verlust, daß wir seine eigene Fortsetzung nicht haben. Xenophon, so viel Anmuth und Verdienst seine Diction hat, folgt ihm doch nur, wie Ascan seinem Vater im Virgil, non passibus aequis. Nicht nur die Spartaner, Thebaner und Platäer handelten so grausam und unmenschlich; auch die Athenienser, die man gewöhnlich als Muster der griechischen Kalokagathie aufstellt, hatten die nämliche Norm. Die Melier ergaben sich den Atheniensern auf Willkür, erzählt unser Geschichtschreiber zu Ende des fünften Buchs ganz trocken, und diese hieben alle jungen Leute nieder, die ihnen in die Hände fielen. Die Weiber und Kinder aber verkauften sie zu Sclaven. Den Ort besetzten sie und schickten hernach eine Colonie hin.

Die gefangenen Aegineten, sagt er an einer andern Stelle, verurtheilten die Athenienser in Betrachtung ihrer ehemaligen beständigen Feindseligkeiten zum Tode. Beispiele dieser Art sind in der griechischen Geschichte nicht selten; wir haben nicht nöthig, in die fabelhaften Zeiten der Heroen zurückzugehen, wo Achilles ein Dutzend Gefangene am Grabe seines Freundes Patroklus opferte; gleichzeitige Schriftsteller erzählen sie ohne alle Anmerkung als etwas Gewöhnliches. Es ist vielleicht Schonung oder Klugheit, daß Thucydides obige Beispiele seiner Mitbürger so kurz anführt. Gewiß lag Stoff zu eben dem Pathos darin, das er uns hier in dem Schicksale der Platäer zeigt; und hier hat vielleicht der Athenienser geschwiegen, soweit es der Geschichtschreiber durfte. Welches Ungeheuer von Kriegsrecht, die feindlichen Gefangenen kaltblütig niederzumetzeln, weil sie feindlich gesinnt waren! Daß Aufruhr und augenblickliche Volkswuth zuweilen so unsinnig handeln, ist zu begreifen und zu verzeihen; aber daß eine Nation, deren Bildung und Menschenliebe man erhebt, einen solchen Proceß anstellen, ein solches Urtheil fällen und dieses Urtheil dann kaltblütig ausführen lassen kann, ist nach unsern Begriffen von Cultur kaum denkbar. Wenn man auch diese Kriege der Griechen als lauter Bürgerkriege annehmen wollte, welches man doch nach der Verfassung der griechischen Staaten nicht kann, so ist es doch empörend, mit welcher Grausamkeit und Gefühllosigkeit man nach dem Treffen gerichtlich schlachtete. Die blutigsten Scenen unserer Zeit kommen nicht solchen Abscheulichkeiten gleich; denn wenn auch der Parteigeist würgt, so wird doch Niemand wagen, zu sagen: das hat die Nation gethan. Aber diese Monumente stehen ewig da in der Geschichte der feinsten Nation, zur Schande ihrer gepriesenen Humanität.


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