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XII.
Die Sklaven-Debatte

Und es tritt eine kurze Pause ein, die Vergennes durch die Worte, halb lachend und halb laut d'Ermonvalle zugeraunt, unterbricht:

» Ma foi! hast du je so etwas gehört? Zehn Franzosen, die nicht recht wissen, ob sie träumen oder wachen, während sie –«

Und er hält inne und sieht d'Ermonvalle und dann die übrige Gesellschaft an, die in dem Augenblicke gerade in einem Zustande ist, von dem es schwer zu bestimmen gewesen wäre, ob er träumend oder wachend sei. Einige studieren den Plafond, andere lächeln die Bilder an der Wand vergnügt an, die Gesichter aller sanft gerötet, mit jener Leerheit in den schwimmenden Augen, die auf eine zu starke Versuchung der digestiven Fähigkeiten deutet, alle aber im holdseligsten Farniente, das jetzt erst in eine mäßige Regung übergehen zu wollen scheint. Wir Amerikaner sahen Lassalle fragend an, um unsere Mundwinkel mochte der spottende Zug, der im Gesichte Vergennes zu lesen war, gleichfalls spielen. Hauterouge nahm eine hastige Prise.

»Aber konnten Sie denn keine andere Gelegenheit finden?« fällt d'Ermonvalle vermittelnd ein.

»Andere Gelegenheit finden?« erwidert Lassalle empfindlich; »es finden sich da Gelegenheiten, wenn das gelbe Fieber grassiert, kein Schiff, kein Boot zu sehen ist, die wenigen Einwohner, die zurückgeblieben sind, sich in ihre Häuser wie in belagerte Festungen einschließen, bloß einige hundert Elende wie Schakale oder Aasgeier sich umhertreiben. Daß wir Zutritt bei Don Valdez erlangten, war ein bloßes Ohngefähr und Vignerolles Dublonen sowie dem Umstande zuzuschreiben, daß einer seiner Vorfahren den Titulo de Castilla Das spanische Adelsdiplom. erlangt hatte. – Aber was läßt sich da weiter sagen? Man muß Nouvelle-Orleans gekannt haben, wie das gelbe Fieber und der Spanier zugleich da grassierten.«

»Auch darf man nicht vergessen,« bemerkt Hauterouge etwas beißend, »daß wir weder auf einer philanthropischen Negrophilen-, noch einer medizinischen Beobachtungsreise begriffen – nicht gekommen waren, die Natur des gelben Fiebers auszumitteln, sondern uns dasselbe so fern als möglich zu halten, kurz uns anzusiedeln in dem Lande, das uns als von Milch und Honig fließend beschrieben worden war, und das uns, ma foi! auf eine Weise aufnahm, die selbst Monsieur de Vergennes' Verstand aus der Fassung hätte bringen können, Parbleu! es ist ein großer Unterschied zwischen dem Nouvelle-Orleans von 1749 und dem von 1828.«

»Immer bleibt es mir unerklärlich, zehn Franzosen! und zwar Franzosen von guter Familie! – aber natürlich, zehn Farbige sind freilich eine ominöse Erscheinung!«

Dieser Vergennes ist wirklich ein heilloser Spötter.

»Die Amerikaner, lieber Vergennes, haben ein Sprichwort,« nimmt der Graf das Wort, »das da sagt: ein Europäer bleibt sieben Jahre in Amerika blind, und wenn Sie bleiben, dürften Sie erfahren, daß dieses Sprichwort viel Wahres enthält. – Wenigstens wir, ich gestehe es gerne, waren blind, als wir ankamen, und blieben auch geraume Zeit gleichsam blind, besangen in einer Weise, die dem Zustande des Schlaftrunkenen glich. Weit weniger so fühlten unsere Diener. Aber die Erscheinung war natürlich. Wir kamen aus Verhältnissen, die ich abstrakt nennen möchte im Gegensätze zu denen, in die wir eintreten sollten, und die konkreter Natur waren. Unsere Rollen in Europa, obwohl nicht gerade die unbedeutendsten, hatten uns, das Befehlen ausgenommen, nur wenig mit den Volksmassen in Berührung gebracht. – Wir waren gewissermaßen Räder, die wieder untergeordnete Triebwerke in Bewegung setzten, für die andere dachten, und die wieder andere in Bewegung setzten, handeln ließen. – Als Hofleute und kommandierende Offiziere konnten wir bei einem grand und petit lever fungieren, Regimenter, Bataillone kommandieren, auch Verse machen, Tragödien, Romane, Komödien kritisieren, verstanden etwas von Chemie, von Astronomie, glaubten, im Vorbeigehen sei es gesagt, in Louisiana, wenn nicht vollen Ersatz, doch einen leidlichen Zufluchtsort zu finden, was wir aber sahen, konnte nicht anders als unsere Erwartungen bitter täuschen.«

»Aber der Schluß war doch ein wenig zu voreilig, Herr von Vignerolles«, bemerkte ich.

»Ah, lieber Mister Howard, der Starkmut des Mannes hat auch seine Grenzen. Wer so viel gefochten, gekämpft, erduldet und ertragen als wir in den zehn Jahren unserer Revolution, der fängt an zu verzweifeln. Das stärkste Schiff hält wohl zwei, drei Stürme nacheinander aus, allein wenn diese Stürme immer und immer wiederkehren, bald von Westen, bald von Osten, bald von Norden, wieder von Süden, dann brechen nicht bloß die Ruder, die Maste, reißen die Segel, auch die Planken beginnen nachzugeben; so das Gemüt des Mannes, es fängt an zu wanken, zu verzweifeln, und ist es einmal dahin gekommen, dann Adieu Ruhe und Besonnenheit!«

»Dann kommt die Unruhe, die einen Menschen wie Balot und Kompagnie in die Klauen wirft«, fällt Lassalle ein.

»Der uns zehn Tage hindurch mit seinen Mulatten schier zu Tode peinigte und zuletzt am elften auf einem Baumstämme mitten im Plaquemine Bayou und Sümpfen und Morästen unter Alligatoren und Tortue-Krokodilen sitzen ließ«, fügte Hauterouge bitterböse hinzu.

»Wie! Sie im Plaquemine Bayou auf einem Baumstamme sitzen ließ?« fragten wir mit kaum unterdrücktem Gelächter.

Es war unzart von uns, maliziös, aber wer kann sich des Lachens enthalten? Zehn Franzosen sich an einen Baumstamm anrennen lassen!

» Ma foi!« fängt wieder Hauterouge an – »wenn ich noch an jene Nacht denke, ich glaube, ich könnte den zehn Bösewichtern mit Lust den Hals umdrehen.«

»So erzählen Sie doch nur«, baten wir Amerikaner, die sich durch die tragikomischen Aventuren dieser guten Franzosen nicht wenig gekitzelt fühlten.

»Was läßt sich da erzählen«, versetzte der Baron ein wenig verdrießlich. »Es war eine Sottise, eine Bêtise, uns mit Menschen von einem solchen Gelichter einzulassen. Mir steigt noch jetzt die Galle auf, wenn ich daran denke. Wir hatten die elendste Fahrt, die je den Mississippi hinauf gemacht wurde, daß wir hinauf kamen, nur unserm guten Sterne und unsäglicher Arbeit zu danken. Wir mußten arbeiten wie Galeerensklaven, rudern wie Matrosen, denn diese faulen widerspenstigen Bestien wollten absolut nichts tun als Filet Branntwein. trinken und spielten uns noch dazu jeden möglichen Possen. Nachdem sie uns zehn Tage hindurch bis zum Rasendwerden geplagt hatten, rannten sie uns am elften, wo wir in das Plaquemine Bayou einfuhren, glücklich an einen über den Flußarm liegenden Cypressenstamm, auf dem unser Fahrzeug angespießt hing, der Vorderteil jenseits des Stammes, der Hinterteil diesseits – wir saßen mit einem Worte à cheval des Flusses.«

»Das Fahrzeug hatte ein gewaltiges Loch bekommen, das Wasser drang in Strömen ein, wir standen in einer Viertelstunde bis an den Unterleib im Wasser«, ergänzt Lassalle mit weinerlicher Stimme.

»Die ganze Nacht«, fällt Hauterouge in demselben Tone ein, »mußten wir mit Alligatoren kämpfen, die zu Dutzenden ihre greulichen Rachen an uns heraufstreckten, ja ins Fahrzeug kamen. Dazu die gräßlichen Mississippi-Nachteulen, die uns an die Köpfe flogen, und ihr höllisches Gelächter.«

»Balot und die Mulatten hatten sich, sowie sie unser Unglück sahen, der Jolle bemächtigt«, fügt wieder Lassalle hinzu.

»Und sie ließen ihnen die Jolle?« fragten wir.

»Wer dachte an die Jolle! Wir dachten nicht eher daran, als bis wir sie lachend abfahren sahen.«

»Sie hatten die Unverschämtheit, tausend Dollars für unsere Befreiung zu fordern.«

»Ah, diese Nacht«, lamentiert abermals Hauterouge. »Es war die schrecklichste, die ich je durchwacht. Stellen Sie sich vor, keinen Augenblick Ruhe, die ganze Nacht kämpfen und gegen wen? Gegen Alligatoren und Nachteulen.« –

»Und Ihre Engagés Die gemieteten Bootsleute, Ruderer.

»Waren mit einem unserer Güterballen, der dem Grafen gehörte und tausend Livres wert war, verschwunden. Wir würden ihnen sicherlich auf ihre unverschämten Forderungen geantwortet haben, aber die Ladungen unserer Pistolen und Flinten waren naß geworden. – Später erfuhren wir, daß sie es wirklich auf uns angelegt hatten.«

Es kostet uns schwere Mühe, das Lachen zu verhalten; denn es ist dieses eine stupendeuse Geschichte, für uns Amerikaner wenigstens, von denen jeder, wie wir hier sind, Entbehrungen und Fährlichkeiten bestanden, verglichen mit denen die der guten Franzosen bloßes Kinderspiel sind. Zehn Franzosen sich von zehn Mulatten bis zum Rasendwerden quälen und dann auf einem Baumstamme mitten im Plaquemine Bayou sitzen lassen, das verdiente im Holzstich verewigt zu werden! Aber so sind sie, diese Franzosen – heute voll Jubel, oben hinaus, morgen in Verzweiflung. Sie haben, wie der Graf recht passend gesagt, die chemischen Affinitäten, Astronomie, alles mögliche studiert, können Komödien, Tragödien kritisieren, Regimenter, Bataillone kommandieren, aber den Menschen kennen sie nicht, zur klaren, ruhigen Anschauung ihrer Lage kommen sie nimmermehr, daher wissen sie auch, sowie sie in eine neue versetzt werden, nicht wo aus noch ein, sind wie neugeborene Kinder, die immer regiert werden müssen. Überall bringen sie ihre alten Ideen hin; Spielereien behandeln sie als ernste Dinge, ernste Dinge als Spielereien. So haben sie es in Louisiana getan und tun es noch. Kaum waren die ersten Baracken der elenden Stadt zusammengestoppelt, als auch ein Theater da sein mußte und Spielhäuser und Ballhäuser und noch schlechtere Häuser. – Das nennen sie ein Land zivilisieren.

»Aber lieber Himmel!« fragt Mistreß Houston den kläglich dareinschauenden Lassalle, »konnten Sie sich denn nicht helfen? Zu jener Zeit waren doch bereits am Mississippi Pflanzungen?«

»Wir kamen von Nouvelle-Orleans«, erwidert dieser, »wo das gelbe Fieber herrschte. Keiner wollte mit uns etwas zu tun haben – und wenn ja einer, während wir unsere Mittags- oder Abendmahlzeit am Ufer hielten, sich uns näherte, waren die Worte: De pauvres Blancs oder des Français de St. Domingue hinlänglich, ihn schnell wieder zu verscheuchen.«

»Das war freilich traurig. Leider haben sich die damaligen Kreolen gegen ihre unglücklichen Mituntertanen von St. Domingo nicht allzu löblich bewiesen.«

»Sagen Sie vielmehr barbarisch, Madame! Inhuman, grausam haben sie sich bewiesen. Diese Periode ist und bleibt ein Schandfleck in der eben nicht sehr rühmlichen Geschichte von Louisiana.«

»Die Folgen der Sklaverei,« schaltet Vergennes ein, der sich auch wieder hören läßt – »die jedes menschliche Gefühl erstickt, Herren und Sklaven zu Unmenschen macht. Das Betragen dieser Engagés ist ein neuer Beleg. Was können Sie erwarten von Menschen, durch den Druck der Sklaverei durch und durch verdorben, aufgestachelt durch die derselben anklebende Verachtung, als Wiedervergeltung, und daß sie ihre Tücken bei jeder Gelegenheit an ihren weißen Feinden auslassen? Das sind notwendige Folgen eines entmenschenden Systems.«

Der junge Mann spricht wie von dem Katheder, so bestimmt und wichtig. Es setzt wieder Debatten. Lassalle fällt ungeduldig ein:

»Mit Ihrem ewigen System – was reden Sie da vom System. Das wahre System wäre gewesen, wenn wir ein halbes Dutzend Ochsenziemer statt unserer Dolche und Pistolen gehabt, und sie mit den Rücken der Kanaillen in nähere Bekanntschaft gebracht.« –

»Pfui!« ruft Vergennes.

»Was wollen Sie mit Ihrem Pfui?« interpelliert abermals Hauterouge. »Am dritten Tage nach unserer Abfahrt, wir waren an der Côte des Allemands, begegnen wir einem Boote, das vom linken auf das rechte Ufer übersetzt. Es war Windstille, der Strom ruhig. Balot teilte gerade das Filet aus. Wir waren ans Land gestiegen, um unser Abendmahl zu halten. Das fremde Boot war nicht mehr hundert Fuß vom Ufer, als Balot auf einmal dem Manne am Ruder zuschreit: À droite, à droite. In demselben Augenblicke läßt sich auch ein starker Windstoß spüren. Der Patron im fremden Boote lenkt unwillkürlich auf den Ruf hin das Boot rechts, ohne daran zu denken, daß er die Seite dem Windstriche darbietet; – ein Schrei war aus dem Boote gehört worden, aber schon zu spät, der Luftstrom hat das Boot erfaßt, kollert es wie ein Faß über und über, in den nächsten zehn Sekunden sehen wir es gescheitert ans Ufer angeworfen, den Pflanzer halb zerschmettert, zwei Neger vor unsern Augen ertrinken, einen Knaben seine weißen Händchen angstrufend aus dem Wasser emporstrecken, dann versinken; – alles das vor unsern Augen.«

»Und Sie faßten nicht sogleich den Bösewicht und banden ihn und überlieferten ihn dem Gesetze oder dem ersten besten Pflanzer?«

»Er war geschwinder als wir. Kaum sah er und die Seinigen, was sie angerichtet, als sie lachend wie Kobolde in das Fahrzeug sprangen und uns zuriefen, wir sollten nach oder sie ließen uns sitzen. Wir mußten nach, die ganze Nacht rudern, um der Verfolgung zu entgehen.«

»Und Sie gingen mit den Leuten?« fragt abermals Mistreß Houston.

Lassalle zuckt die Achseln: »Was zu tun?«

»Das bestätigt nur, was ich gesagt habe«, nimmt der Systemsmann Vergennes abermals das Wort. »Wollen Sie Menschen und keine boshaften Affen, so müssen Sie sie menschlich behandeln.«

»Aber zum T–l!« fuhr der Baron heraus; »Vergebung, Damen! Aber unser starrköpfiger Landsmann scheint es recht darauf angelegt zu haben, unsere Politesse und Geduld auf eine gleich harte Probe zu setzen. Wir taten diesen Bösewichtern doch nichts, im mindesten nichts, und der arme Pflanzer und sein Knabe und die Neger auch nichts.«

»Aber sie waren Weiße, denen der Schwarze Feindschaft im Mutterleibe geschworen. Können Sie Menschlichkeit von entarteten Geschöpfen erwarten, die in jedem der Unsrigen nur einen Tyrann ihrer Rasse sehen. Ah, ein Land, das sich mit seiner Freiheit brüstet und in dem jeder Bürger ein privilegierter Tyrann einer unglücklichen Rasse ist!«

»Impertinenter Bursche!« entfuhr mir und Doughby und Richard, und zugleich sprangen wir auch auf den jungen Menschen zu. Ich war wirklich böse geworden, und wer würde es nicht bei einer so impertinenten Herausforderung?

»Sie werfen da, Monsieur, unserer Nation ein Kompliment zwischen die Zähne, für das wir Ihnen den Dank nicht schuldig zu bleiben willens sind.«

»Wie es Ihnen gefällt«, erwidert der Junge, der, seine Beine gemächlich streckend, uns recht behaglich vom Kopfe zu den Füßen beschaut.

In mir begann es zu sprudeln, Papa und Luise waren mir zugleich in die Arme gefallen.

Richard fällt gefaßter ein: »Was nennen Sie Tyrannei, Tyrannen? Doch nur Menschen, die sich widerrechtlich, auf ungesetzliche Weise die Herrschaft über ihre Mitbürger angemaßt, diese willkürlich üben?«

»Eine Definition, die keine Enzyklopädie besser geben könnte«, versetzt der impurtable Junge halb gähnend.

»Wahrhaftig,« raunte ich zähneknirschend Papa zu, »Ihr lieber Neffe sündigt stark auf Kosten seiner Blutsverwandtschaft mit Ihrem Hause.«

»So erlauben Sie mir. Ihnen in der höflichsten Weise zu sagen,« fährt Richard fort, »daß Ihr Ausdruck ganz und gar nicht auf die Verhältnisse unserer Sklaven und ihrer Besitzer paßt. Wissen Sie, wie wir zum Besitz unserer Sklaven gekommen sind?«

»Die Art mag sein, welche sie wolle.«

»Nein,« versetzt Richard, »die Art und Weise der Besitzerlangung bestimmt die Rechtmäßigkeit des Besitztitels. Das sollten Sie als Prinzipmann wissen.«

»O, das junge Frankreich«, meint Hauterouge, »kümmert sich wenig um Prinzipe, wenn sie nicht gerade in seinen Kram taugen.«

»Und diese Art?« fragt Vergennes gedehnt spöttisch.

»Sollten Sie auf alle Fälle erst kennen gelernt haben, ehe Sie ein so hartes Urteil über eine Nation fällten, deren Gastfreundschaft Sie genießen«, fällt Monteville etwas schadenfroh ein. »Monsieur!« setzt er hinzu: »Sie waren, was wir impoli nennen.«

Und die Reihe des Aufspringens ist nun an Vergennes. Er prallt auf wie unsere Indianer, wenn sie den Warwhoop Kriegsgeschrei. hören; der Champagnerdunst, der sich leicht über seine Stirne hingelagert, ist mit einem Male verschwunden. Er will nicht impoli sein.

»Ruhig, lieber Neffe!« mahnt Papa Menou. »Sie haben diese Lektion verdient. Sie waren wirklich impoli. Setzen Sie sich.«

Und der Brausekopf setzt sich und wir gleichfalls, und Richard nimmt eine Rednermiene an. Mir kommt jetzt wieder das Ganze, so ernst es ist, ein wenig drollig vor.

»Was früher Monsieur de Monteville bemerkt«, hebt er an – »ist allerdings streng historisches Fakt.«

»Und ein Fakt ist mehr wert, als tausend Argumente«, fällt Doughby ein.

»Ruhig, Doughby, die Diskussion ist von Wichtigkeit.«

»Unsere Sklaven wurden uns wirklich aufgedrungen«, fährt Richard fort, »und wir sind daher für die Entstehung dieses Übels unter uns nicht im entferntesten verantwortlich.«

»Erlauben Sie mir, Messieurs, Ihnen den Ursprung der Sklaverei in den Vereinten Staaten in Kürze streng geschichtlich nachzuweisen:

»Sie wissen, daß wir noch vor weniger denn sechzig Jahren unter der Krone von Großbritannien standen, – daß diese das Recht ansprach, den Handel ihrer Kolonien zu regulieren, daß sie dieses in einem Umfange übte, der zugleich darauf berechnet war, die Kolonien so lange als möglich in Abhängigkeit vom Mutterlande zu erhalten. – Alle Parlamentsakten weisen dieses nach, indem sie einzig und allein dahin abzielten, den Handel der in Großbritannien wohnenden Untertanen zu begünstigen und den der Kolonisten in Amerika zu beschränken oder ganz zu verhindern. – Sie hatten und durften keine Seeschiffe haben, bloß Küstenschiffe waren ihnen gestattet: – die See- und Kauffahrteischiffahrt war den in den vereinigten drei Königreichen wohnenden Untertanen Sr. britischen Majestät vorbehalten, die allein das Monopol hatten und übten, solche Artikel, als die Regierung in die Kolonien einzuführen erlaubte, ein- und auszuführen.

»Ein Zweig dieser erlaubten Handelsartikel wurde bald, nachdem die Kolonien einigen Wohlstand erreicht hatten, die Einfuhr afrikanischer Negersklaven. – Die erste Importation geschah durch ein holländisches Schiff Im Jahr 1620., und zwar mit Bewilligung der britischen Regierung, die aber sogleich diesen Handel ganz an sich riß und ihn hinfüro bloß britischen Schiffen, in britischen Seehäfen ausgerüstet und Briten angehörig, erlaubte, mit einem Worte, ihn zum Monopol erhob. Gegen dieses Handelsmonopol konnten und durften die Kolonisten im allgemeinen nichts einwenden; aber sehr viel wandten sie gegen den neuen Zweig, die Importation der Afrikaner ein.

»Es entging ihnen nicht, daß die Importation der schwarzen Afrikaner, die gleich andern Handelsartikeln auf offenem Markte wie Tee, Zucker und Gewürze feilgeboten und losgeschlagen wurden, die Sklaverei in ihrem Lande einwurzeln, verewigen müsse; die Ankunft der ersten Sklavenschiffe verursachte daher auch allgemeinen Alarm. Die Kolonien kamen alsogleich zum Entschlusse, gegen diesen Menschenhandel beim britischen Parlamente zu remonstrieren; sie taten es, flehten die Krone dringend an, sie mit der Importation der Afrikaner und der damit unausweichlichen Sklaverei zu verschonen. Massachusets, Pennsylvanien, Maryland, Virginien taten es, andere folgten ihrem Beispiele.

»Um ihnen von dem Ernste dieser Protestationen und der verzweiflungsvollen Ausdauer der Bittsteller einen Begriff zu geben, mag es hinreichen, Georgien als Beispiel anzuführen. Die Kolonie war die jüngste und letzte der unter Englands Herrschaft gegründeten großen Niederlassungen. Ihre Entstehung fällt in die letzten Jahrzehnte der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, also eine Periode, wo die Barbarei des Mittelalters bereits vor der einbrechenden Aufklärung geschwunden, die Staatsmänner humaneren Prinzipien zu huldigen begannen. Der vortreffliche Oglethorpe war ihr Gründer und erster Gouverneur. Kaum war die Kolonie gegründet, als auch bereits britische Sklavenschiffe an den Seehäfen Georgiens anlangten und mit Bewilligung der britischen Regierung ihren Markt eröffneten. Vergebens protestierte der Gouverneur, das Konseil, – es war Kronrecht, die Einfuhrartikel zu bestimmen, das Interesse der britischen Kauffahrteischiffahrt, wähnte man, fordere die Begünstigung eines Handels, der so viele Schiffe beschäftige; das Beste der Kolonien war nur untergeordnete Sache. Die Kolonisten, der Gouverneur, das Konseil wurden mit ihrem Gesuche abgewiesen. Das erste Fehlschlagen schreckte sie aber nicht von der Wiederholung ihrer Bitten ab; – sie petitionierten dringender ein zweites, drittes, viertes Mal, zehn Male hintereinander, wie die Regierungsakte der Kolonien ausweisen. Die endliche Antwort auf ihre unermüdlichen Remonstrationen war, daß der Gouverneur abgesetzt, das Konseil mit einem Verweise entlassen ward, und die Sklaveneinfuhr stärker als je ihren Weg fortging.«

»Aber mußten die Kolonisten diese Sklaven kaufen?« fragte d'Ermonvalle.

»Man konnte sie nicht, wie die Teekisten zu Boston, in die See werfen«, versetzte Richard. »Und wenn Sie die menschliche Natur nur einigermaßen kennen, so werden Sie einsehen, daß es in jeder bürgerlichen Gesellschaft Gewinnsüchtige gibt, die wohl ihren Vorteil, nicht aber ihre Pflichten im Auge haben. Es fanden sich natürlich Menschen, die die Schwarzen kauften, andere, von humaneren Gefühlen beseelt, kauften sie, um sie dem herzzerreißenden Elende, dem sie auf den Sklavenschiffen und in den Marktställen ausgesetzt waren, zu entreißen.

»Der üble Erfolg Georgiens schreckte jedoch die übrigen Kolonien keineswegs von Erneuerung ihrer Vorstellungen ab; sie flehten, baten immer dringender, je weiter das Übel um sich griff, in den nördlichen Kolonien legten sie wirklich nach Kräften der Importation und dem Ankäufe Hindernisse entgegen, aber den südlichen, wo die Konstitutionen, weniger freisinnig, den von der Krone eingesetzten Gouverneuren mehr Gewalt gaben, wurden diese Sklaven nicht viel weniger als geradezu den Kolonisten aufgedrungen. Das Übel wurde allgemein und so tief gefühlt, daß eben dieser Sklavenhandel eine der veranlassenden Ursachen mit ward, die endlich zur Revolution führten. So finden Sie in dem Originalentwurfe der Unabhängigkeitserklärung, entworfen von Jefferson, Adams, Livingston, Sherman und Franklin und aufgesetzt von Jefferson, einen Artikel, der unter den vielen Beschwerden, die die Kolonisten zur Ergreifung der Waffen und Abschüttlung des englischen Joches bestimmte, auch die anführt: daß der König von England ein fremdes Volk seiner Heimat entrissen, über weite Seen geschleppt, es in die nordamerikanischen Kolonien als Leibeigene verkauft, und so mit fremden Völkern, einer fremden Rasse, einen blutigen Markt eröffnet, ja sich nicht entblödet habe, dieselben Leibeigenen, die unter seiner Sanktion als solche an die Kolonisten verkauft worden, zur Empörung gegen ihre Herren und Besitzer aufzurufen Folgendes ist die wörtliche Übersetzung dieser merkwürdigen Stelle:
»Er (der König von Großbritannien) hat einen grausamen Krieg gegen die menschliche Natur selbst geführt, die heiligsten Rechte der persönlichen Freiheit und des Lebens in den Personen eines fremden Volkes verletzend, das ihn nie beleidigte – indem er es gefangen in die Sklaverei in ein anderes Land schleppte, sie während der Transportation einem elenden Tode preisgebend. Dieser seeräuberische Krieg, der Schandfleck ungläubiger Regenten, ist der Kriegsgebrauch des christlichen Königs von Großbritannien. Fest entschlossen, einen Markt offen zu behalten, wo Menschen verkauft und gekauft werden sollten, hat er sein Veto prostituiert, durch das er die legislativen Akte und diesen exekrablen Handel unterdrücken und hindern konnte. Und auf daß diese Reihe von Greueltaten durch keinen mildernden Zug gesänftigt werde, so wiegelt er jetzt eben diese Menschen auf, die Waffen gegen uns zu ergreifen, und die Freiheit, deren er sie beraubte, dadurch zu erkaufen, daß sie das Volk ermorden, dem er sie aufgedrungen hat, so frühere Verbrechen, gegen die Freiheit eines Volkes begangen, mit neuen ausgleichend, gegen die Existenz eines andern richtend.
Bei jeder Gelegenheit haben wir um Abhilfe in den demütigsten Ausdrücken angesucht, unsere wiederholten Bitten wurden uns durch neue Bedrückungen beantwortet.«
Siehe Kongreßakten vom J. 1776.
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»Dieser Artikel«, fährt Richard fort, »wurde zwar bei der Veröffentlichung der Unabhängigkeits-Urkunde ausgelassen, aus dem Grunde, weil einige Mitglieder des Kongresses aus den südlichen Kolonien Bedenklichkeiten in den darüber entstandenen Debatten äußerten, und eine Übereinstimmung aller in einem so wichtigen Dokumente natürlich jeder andern Rücksicht voranging, aber die Empörung gegen die rücksichtslose Barbarei der Regierung sprach sich deshalb nicht weniger stark in eben diesen südlichen Kolonien aus.«

»Das stellt wirklich die Sachlage aus einem ganz neuen Gesichtspunkte dar«, bemerkt d'Ermonvalle, der aufmerksam zugehört hatte. »Aber eine Frage bitte ich mir zu erlauben: was tat Ihr Kongreß, Ihre eigene Regierung, nachdem sie das Joch Großbritanniens abgeschüttelt hatte, in der Angelegenheit der unglücklichen Schwarzen?«

»Ihre Frage ist ebenso bescheiden als natürlich, ich beantworte sie mit Vergnügen«, versetzt Richard.

»Die Kolonien nahmen bereits vor dem Ausbruche der Feindseligkeiten mit Großbritannien Maßregeln, um diesem inhumanen Handel Einhalt zu tun. Der sogenannte Kontinentalkongreß von Philadelphia, im Jahre 1774 versammelt, kam zum einmütigen Entschlusse, daß mit Ausgang Dezembers desselben Jahres kein Sklave mehr eingeführt oder zum Verkauf ausgeboten werden solle. Denselben Beschluß hatten früher schon die Kolonialassembleen von New York und Delaware gefaßt. Daß diese Beschlüsse nicht ganz die beabsichtigten wohltätigen Folgen hatten, war den unvermeidlichen Wirren, die nach unserer, sowie jeder andern Revolution einbrachen, einzig und allein zuzuschreiben.

»Sie haben vielleicht von der Föderal-Regierung, die nach der Beendigung des Unabhängigkeitskampfes errichtet wurde oder vielmehr sich zusammentat, gehört. Es war ein loser Verband der dreizehn unabhängig gewordenen Staaten, ein Staatenbund ohne Zusammenhang nach innen, ohne Macht nach außen, da jeder der neuen Staaten nicht bloß volle Souveränität innerhalb seiner Grenzen, sondern auch in Beziehung aus auswärtige Nationen ansprach. – Die Föderal-Regierung war so schwach, daß sie sich nach wenigen Jahren eines ohnmächtigen Bestandes von selbst auflöste. – Dieser Fall trat im Jahre 1787 ein, in welchem Jahre die amerikanische Nation, die Notwendigkeit einer kräftigen Zentralregierung endlich deutlich erkennend, eine Konvention zusammenberief, der die große Aufgabe zuteil ward, eine neue Konstitution zu gründen. Diese Konvention trat im Jahre 1787 zusammen und beendigte ihre Arbeiten im Jahre 1789, in welchem Jahre auch die neue Verfassung mit Washington als Präsidenten in Wirksamkeit trat.

»Es wäre zu wünschen gewesen,« fährt der Sprecher fort, »daß die zweiundfünfzig Gründer dieses unvergänglichen Monumentes politischer Weisheit der Zentralregierung auch die Gewalt über die Sklavenfrage erteilt hätten. Dieses geschah jedoch nicht, konnte wohl aus dem Grunde nicht geschehen, weil die einzelnen Staaten, nun in den Vollgenuß ihrer bürgerlichen und politischen Rechte eingetreten, die Frage über Sklaverei als eine Eigentumsfrage betrachteten. Die Mehrzahl derselben hielt nun wirklich Sklaven, bloß die Neu-England-Staaten, in denen Sklaverei nie feste Wurzel zu fassen vermocht, hatten diese während der Zwischenregierung von 1787 bis 1789 abgeschafft. Die Majorität der Stimmen im Kongresse war daher in den Händen der südlichen, sklavenhaltenden Staaten, die, allmählich an das Übel gewöhnt, über diese Frage um so mehr für sich abzuurteilen wünschten, als sie den größten Teil ihres Vermögens auf den Ankauf dieser Sklaven verwendet hatten. Und wenn Sie die Schwierigkeiten bedenken, die überwunden werden mußten, ehe eine wirksame, nach Möglichkeit starke Bundesregierung gegründet werden konnte, Schwierigkeiten, um so größer, als jeder einzelne Staat von seinen Souveränitätsrechten so wenig als möglich aufzuopfern geneigt und so den großen Männern, die die neue Staatsverfassung entworfen hatten, den Washingtons, Jeffersons, Franklins, Adams, Hamiltons, Morris, gewissermaßen die Hände gebunden waren, dann werden Sie leicht begreifen, wie selbst diese großen und weisen Staatsmänner in diesem, sowie in manchen andern Punkten nachgeben mußten, um nicht das große Lebensprinzip des werdenden Staates selbst zu gefährden; denn es handelte sich darum, ob die frei gewordenen Kolonien dreizehn kleine uneinige Republiken oder ein großer mächtiger Staat werden sollten. Doch hat selbst diese Konvention auch die Sklavenfrage nicht ganz vergessen, ja sie hat mehr getan als alle Regierungen Europas damals zusammengenommen. Es ward nämlich der Beschluß gefaßt, der auch zum Gesetz erhoben wurde, daß zwar den sklavenhaltenden Staaten ihr Besitz, so wie er ihnen von der Krone Englands garantiert worden, auch ferner gewährleistet, auch die Lösung dieser schwierigen Frage ihnen überlassen bleiben sollte; daß aber der Sklavenhandel innerhalb eines gegebenen Termins, und zwar innerhalb siebzehn Jahren, gänzlich aufhören, ja jeder amerikanische Bürger, im Sklavenhandel nach dieser Zeit betroffen, als Seeräuber angesehen und bestraft werden solle. Das geschah, als England und die übrigen Regierungen kaum noch eine Ahnung von der Inhumanität des Sklavenhandels zu haben schienen.«

Die ganze Gesellschaft hörte mit gespannter Aufmerksamkeit die für sie ebenso interessante als wichtige Erörterung.

»Was taten nun«, fährt Richard fort, »die einzelnen Staaten, denen diese Frage überlassen wurde? Sie taten folgendes: Während der Zwischenzeit von 1787 bis 1789 hatten, wie bemerkt, die Neu-England-Staaten die Sklaverei innerhalb ihrer Grenzen abgeschafft – ihrem Beispiele folgten bald darauf Pennsylvanien, Delaware, New York und New Jersey, in allem zehn Staaten. Von diesen zehn Staaten wurden bekanntlich die westlichen Territorien von Ohio, Indiana und Illinois bevölkert, in denen daher gleichfalls keine Sklaverei existiert; Michigan, das in wenigen Jahren in die Reihe als Staat eintreten wird, hat ebenfalls keine, so daß die Mehrzahl der Vereinigten Staaten die ihnen aufgedrungene Sklaverei aufgehoben und abgeschafft hat. Unfehlbar werden Maryland, Virginien und Kentucky bald diesem Beispiele folgen.

»Das ist«, beschließt der Sprecher, »die Art und Weise, wie wir ein ohne unsere Schuld bei uns eingewurzeltes Übel behandeln und allmählich heben. Keiner von uns verhehlt sich, daß es ein Übel sei, daß es unheilbringend in mehr als einer Hinsicht auf uns, unser bürgerliches Leben einwirke, daß eine Radikalkur absolut notwendig, allein daß diese allmählich, langsam vor sich gehen müsse, wird auch keiner, der nur einigermaßen Einsicht hat, bestreiten.«

»Jawohl, langsam«, bemerkt d'Ermonvalle.

»Sie haben mehr denn zwölf Jahrhunderte in Europa gebraucht, Ihre weißen Sklaven zu emanzipieren, und sind noch nicht am Ziele –; und diese sind die Nachkommen von Menschen, die durch Ihre Vorfahren ihrer Freiheit, ihres Eigentums, ihrer bürgerlichen Rechte beraubt worden, – denen Sie also Ersatz schuldig waren. Bei uns ist der Fall anders, ja die Welt stellt kein analoges Beispiel auf. Es ist dieser Fall wirklich ein ungeheurer, bei dessen Ermessen Ihnen der Verstand wohl versagen könnte. Um ihn nur einigermaßen zu würdigen, müssen Sie in Anschlag bringen, daß Großbritannien auf seine vierundzwanzig Millionen Einwohner und seine hundertundzwanzig Millionen auswärtiger Untertanen nicht viel über achtmalhunderttausend Sklaven in seinen westindischen Besitzungen hat, Frankreich auf seine zweiunddreißig Millionen nicht dreimalhunderttausend in Martinique und seinen übrigen Inseln. Beide Regierungen dürften heute ihre Sklaven loskaufen, freigeben, ohne daß ihren Völkern ein sehr großer Nachteil daraus erwachsen könnte; – sie sind tausende von Meilen von ihnen und kommen in keine Berührung. Aber bei uns ist es anders. Wir haben nahe an zwei und eine halbe Million Sklaven, auf eine Bevölkerung von vier, und wenn Sie die ganze Union nehmen, von fünfzehn Millionen. Denken Sie sich in irgendeinem europäischen Reiche von siebzehn Millionen eine solche Masse fremden Blutes als Sklaven aufgedrungen. – Können Sie sie so geradezu losgeben, sie heraufziehen zu Ihnen – in bürgerliche Rechte einsetzen?«

»Und warum nicht?« fällt Vergennes ein.

Ein mitleidiges Lächeln, das auf allen Gesichtern spielt, ist die Antwort.

»Sie kennen diese Rasse nicht, Monsieur Vergennes, Sie haben Ihre Ansichten aus den französischen Romanen Dumas' und Viktor Hugos und ihren Klubs geschöpft; lernen Sie in der Wirklichkeit kennen, dann werden Sie anders reden.«

»Ah, Mister Richard, das mag sein«, fällt Vergennes ein, »aber Sie geben mir auch zu, daß das Vorurteil Ihrer Mitbürger unbezwingbar ist. Selbst diese Emanzipation in den nördlichen Staaten! Nennen Sie das Emanzipation, wo der Farbige bloß dem Namen nach frei ist, aber nie in die Schranken mit Weißen treten darf, weder in bürgerliche noch politische, – zum Betteln oder Dienen verdammt ist, ein unauslöschlicher Makel ihm anklebt, selbst wenn er aufgehört hat, schwarz oder farbig zu sein, weiß geworden ist wie Sie oder ich? Weiset ihm sein Stammbaum auch nur einen Tropfen schwarzen Blutes nach, so ist er gewissermaßen gebrandmarkt, er darf an keiner Tafel, in keinem Theater, keiner Kirche erscheinen. Nennen Sie dieses Freiheit?«

»Wer Ihnen das gesagt hat, hat Sie übel berichtet«, versetzte Richard etwas frostig. – »Gehen Sie in unsere Kirchen, selbst an dem Tische des Herrn werden Sie Schwarze und Weiße gemeinschaftlich sehen; was aber Tafel und Theater betrifft, so finde ich natürlich, daß wir zu unsern Tafel- und Theater-Nachbarn solche nehmen, die uns gleich sind. Wenn Sie dieses Vorurteil nennen, dann muß ich nur sagen, daß wir es mit allen Völkern teilen; ich habe von keinem zivilisierten Volke gehört, wo, mit Ausnahme besonderer Fälle, unehelich Geborene auf gleiche Behandlung, gleiche bürgerliche Rechte mit ehelich Erzeugten Anspruch machen könnten.«

Aber der sprudelnde Vergennes hört nicht. »Nennen Sie dieses Freiheit? Nennen Sie dieses dem in Ihrer Unabhängigkeitserklärung aufgestellten Prinzipe, daß alle Menschen frei geboren sind, gemäß handeln?«

»Allerdings«, antwortete Richard. – »Wir haben das Prinzip aufgestellt, und ich bin fest überzeugt, konsequent durchgeführt, wir wenden es eben jetzt auf Sie, sowie jeden Fremden, er mag Deutscher, Franzose, Irländer oder Brite sein, an; alle finden sie sich bei uns als freie Menschen behandelt; wenn aber die frei gelassenen Schwarzen es nicht ganz so sind, dann glauben Sie mir auf mein Wort, muß die Schuld die ihrige, nicht die unsrige sein. Aber Sie«, fügt er hinzu, »scheinen eine jener großartig starken Seelen, die andern übermenschliche Opfer und Entsagungen um so leichter zumuten, als sie Ihnen selbst nichts kosten. Wenn unsere Mitbürger, wie gesagt, ein Vorurteil gegen diese Farbigen haben, dann seien Sie versichert, daß Gründe vorhanden sind – einen habe ich Ihnen angegeben.«

»Gründe? keine Gründe«, sprudelt Vergennes heraus. »Sie erklären ja selbst die Ehe mit Farbigen ungültig, die öffentliche Meinung verdammt sie.«

»Aber Sie werden doch nicht wollen, daß eine ganze bürgerliche Gesellschaft dadurch, daß sie die Ehe mit einer so bedeutenden Masse unehelich abgestammter Mischlinge sanktioniert, sich selbst das Schandmal aufdrücke?« Doch die Worte waren bereits von allen Seiten überschrien.

»Sie werden doch nicht wollen, daß unsere Mitbürger Farbige zu ihren Frauen nehmen!« ruft Mistreß Houston.

»Warum nicht?«

Ein neuer Schrei des Entsetzens bricht von allen Lippen.

»Der junge Mann hat horrible Grundsätze!« ruft die Maman.

»Schamlos!« Mistreß Houston. »Kommen Sie, Damen, die Sprache ist zu empörend, Bürgerinnen in gleiche Wagschale mit diesen Geschöpfen zu werfen!« –

»Abscheulich!« rufen Luise und Julie.

»Horrible!« Menou und Genievre.

Der junge Mensch steht und schaut umher wie ein Kind, das unvorsichtigerweise ein Loch in den Erddamm eines reißenden Stromes gegraben, das Wasser plötzlich rauschen, stärker und stärker brausen, auf einmal den Damm selbst krachend weichen und von der Wogenflut fortreißen sieht. Er wendet sich links, wieder rechts.

»Aber, mein Gott! Was habe ich denn so Böses gesagt?« fragt er endlich.

»Monsieur Vergennes«, nimmt der Chevalier d'Ecars kopfschüttelnd das Wort, »wenn Sie das sittliche Gefühl unserer Damen noch öfters auf diese harte Probe zu stellen sich gelüsten sollten, dann stehe ich Ihnen nicht dafür, daß Ihnen nicht bald überall die Türe gewiesen wird.«

»Das ist wirklich horribel!« ruft Meurdon, der bisher noch kein Wort gesprochen.

»Abominable!« läßt Demoiselle Genievre noch in der Türe hören. Sie und die übrigen Damen haben mit einem Male Reißaus genommen.

»Ah, Vergennes«, warnt Doughby, » vous aurier fait mieux de tenir votre langue, comme vous êtes un peu en liqueur.«

»Wissen Sie denn auch, wer und was diese Farbigen sind?« schreit Lassalle.

»Sie sind Menschen!« erwidert hitzig Vergennes, der selbst Doughbys klassisches Französisch überhört hat.

»Wenigstens zum Fünfteile«, fällt Meurdon ein.

»Wissen Sie, daß Sie unsern Damen einen wirklichen Schimpf antaten, sie auf gleiche Wahllinie mit den Farbigen zu stellen?«

»Schimpf?« fragt Vergennes mit naiver Verwunderung. »Nennen Sie das einen Schimpf antun, die Rechte einer gedrückten Menschenklasse zu verteidigen?«

»Gedrückt, gedrückt«, versetzt Hauterouge; »hier ist nicht vom Drucke die Rede – hier ist von ganz anderem Drucke die Rede – hier ist von Menschen die Rede, die durch ein fortgesetztes Laster, durch ungesetzliche tierische Vermischung sich in die weiße Rasse eingestohlen; und wollen Sie diese auf gleiche Rangstufe mit sittsamen Töchtern und Frauen stellen?«

»Sie sind die Sprößlinge zügelloser Leidenschaften«, schreit Lassalle. »Sobald Sie sie zur Auswahl den übrigen Bürgerinnen gleichstellen, stoßen Sie das Fundamentalprinzip der Ehe von vornherein um.«

»Ungeregelte Leidenschaften führen zum Verderben, sind ansteckend durch ihre Berührung«, räsoniert Hauterouge.

Der Aufruhr wird immer heftiger.

»Messieurs, Messieurs!« ruft der Graf Vignerolles mit seiner Hellen, klaren Stimme – »Messieurs!« wiederholt er: »Hören Sie, was Amadee sagt.«

Und seltsam! Das babylonische Stimmengewirr legt sich, alle wenden sich, um zu hören, was Amadee sagt. Vergennes, von jeder Seite angefallen, ersieht den günstigen Augenblick und bugsiert sich zu Amadee hin, wie der Kauffahrteischoner, von einer Kaperhorde gejagt, zur Fregatte, um hinter ihren Kanonen Sicherheit zu suchen.

»Vergebung, Herrschaften!« psalmodiert der alte Amadee, eine Prise nehmend, mit ungemeiner Wichtigkeit – »Vergebung! Wenn ich in meiner Einfalt just meine, daß der junge Herr da Dinge gesagt, die oft nach unserer Ankunft in den Attacapas auch gesagt wurden.«

»Aber Amadee, nicht so impertinent haben wir sie gesagt«, fällt Hauterouge ein.

»Nicht vor Damen«, Lassalle.

»Ach, wollte Gott! Diese Dinge wären auf eine so impertinente Weise, vergeben Sie, Monsieur de Vergennes, ich wiederhole aber nur, was Bessere als ich vor mir gesagt haben, vielleicht hätten sie jemand abgeschreckt.«

Und der Graf, Hauterouge, Lassalle, alle die Franzosen und Kreolen sehen den Alten bedeutsam warnend an.

» Ma foi, Amadee!«

»Auch Monsieur de Vergennes will die Rechte der Farbigen vertreten, ihnen einen Dienst erweisen.«

Wieder eine Pause.

»Für den sie ihm aber nicht danken dürften«, fährt er fort. »Ah, Monsieur Vergennes, glauben Sie mir, die Farbigen sind nicht zur Ehe geboren, weil – sie nicht in der Ehe geboren sind.«

Noch immer sehen wir den Alten an.

»Ah, Herr Graf«, wendet sich dieser an Vignerolles. »Fällt Ihnen an dem jungen Herrn nicht etwas auf? Sehen Sie ihn doch genauer an.«

Und der Graf fixiert Vergennes einen Augenblick.

»Monsieur Lacalle«, flüstert ihm der Alte zu.

»Wahrhaftig, wie er leibte und lebte«, entfährt unwillkürlich dem Grafen, der nochmals einen fixierenden Blick auf Vergennes wirft und dann nachdenkend, beinahe unmutig, mit der Hand über die Stirne fährt.

Und Lassalle und Hauterouge rufen Ma foi! aus, und ihre Stirnen überzieht gleichfalls eine trübe Wolke, ihre Blicke fallen mitleidig teilnehmend auf Vergennes.

»Armer Lacalle!« läßt es sich nochmals hören.

»Ganz wie er war«, bekräftigt Amadee.

Der arme Vergennes steht verlegen, seine Imperturbabilité ist dahin. – Es ist allerdings peinlich, sich als Gegenstand des Mitleides belächelt zu sehen. Schadet ihm aber gar nicht, die Lektion.

Eine lange Pause tritt ein.

»Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen,« nimmt endlich der Graf das Wort, »daß mir die Debatten, wie wir sie soeben gehört, mit Ausnahme dessen, was Mister Richard ebenso wahr als gründlich angeführt, sehr widerlich in den Ohren klangen. Daß die Sklaverei, wie sie bei uns existiert, ein Übel, ja ein Makel unserer freien Verfassungen sei, das wissen wir alle, fühlen es tief; aber es ist eine Angelegenheit, die uns allein angeht, und in die sich ein Fremder zu mischen wohlweislich hüten sollte, weil er notwendig der Kenntnis des Gegenstandes ermangelt und, statt Licht über diese kitzliche Lebensfrage zu verbreiten, sie nur verwirrt. – Jede bürgerliche Gesellschaft hat das Recht, ja die Verpflichtung, gewisse Beschränkungen der Zulassung in ihrer Mitte aufzustellen. Ich glaube, Europa, das noch heutzutage Millionen von Israeliten vom Genusse bürgerlicher Rechte mehr oder weniger ausschließt, die Emanzipation seiner weißen Leibeigenen kaum zur Hälfte durchgeführt hat, hat kein Recht, den Amerikanern über ihre Langsamkeit in dieser Hinsicht Vorwürfe zu machen. Unser Fall kann zudem von einem Europäer, wenn er nicht längere Zeit in unserem Lande gelebt, nur sehr oberflächlich gewürdigt werden, weil kein analoger in der transatlantischen Welt vorhanden ist. Denn wie Mister Richard richtig bemerkt, so ist den Vereinigten Staaten eine Masse von Sklaven aufgedrungen worden, die nicht bloß außer allem Verhältnis zu der von Frankreich und England in den westindischen Inseln besessenen Sklavenanzahl steht, sondern dadurch noch ein eigentümlich gefährlicher Übelstand für dieses Land wird, daß sie im Herzen desselben wuchert, ihr Gift nach jeder Seite verbreitet und die Moralität der bürgerlichen Gesellschaft anfrißt. Der Fall mit unsern Schwarzen ist wirklich ein harter, ein unheilschwangerer Fall, viel härter, als der mit den weißen Leibeigenen Europas. Diese, von derselben kaukasischen Rasse wie ihre Herren, können ohne Gefahr für die Moralität der übrigen Bürger zum Vollgenusse aller Rechte zugelassen werden, sobald sie die gehörige Stufenleiter der Zivilisation erreicht; – es ist eine große Frage, ob dieses mit unseren Schwarzen oder Farbigen je tunlich oder rätlich sein wird. Es ist ein ganz anderes Blut, ein Blut, in der heißen Zone in Siedhitze übergegangen, bei jeder Gelegenheit in diese Siedetemperatur aufwallend; – das fühlt die Nation tief, diese Überzeugung hat sich ihr allgemein aufgedrungen, und daher ihr Unwille, diese exotische Rasse in ihre Mitte zuzulassen. Was aber eheliche Verbindungen oder die sogenannte Amalgamation betrifft, so sage ich frei heraus, daß, wäre der Widerwille dagegen weniger allgemein, ich unmöglich das Volk der Vereinigten Staaten so hoch achten könnte, wie ich es hoch zu achten vollen Grund zu haben glaube.«

»Gesprochen wie ein wahrer Amerikaner«, riefen wir alle, dem Grafen freundlich die Hand drückend. – Aber währenddem wir so tun, stiehlt sich ein tiefer Seufzer aus der Brust des edlen Greises herauf, und seine Stirn überfliegt ein unmutiger Zug. Es ist uns klar, daß er nur gesprochen, um unsere Aufmerksamkeit von Lacalle abzulenken.

»Aber Vergebung, was war es mit Lacalle?« fragt Monsieur de Meurdon. »Ist es derselbe Lacalle, der –«

»Amadee«, wandte sich der Graf an diesen, »du hast da einen dummen Streich gemacht. Trübe Erinnerungen sind am besten in Vergessenheit begraben.«

»Ah, Herr Graf«, erwidert der alte Diener, »was hilft es, sie in Vergessenheit zu begraben, wenn sie in neuer Gestalt immer und immer wieder in Vorschein kommen? Ah, hätte Monsieur Lacalle gewußt, wie es endigen wird – und Monsieur Caillou, der zwei Jahre darauf – ah, es würde dem jungen Herrn gewiß nicht schaden – er soll in Louisiana bleiben.«

»Und«, fügte er, als der Graf schwieg, hinzu, »wir könnten ja in den Speisesaal gehen.«

»Aber Demoiselle Lacalle«, wandte Hauterouge ein.

»Wie, ist Demoiselle Lacalle hier?« fragte ich.

»Ja, mit meiner Tochter«, versetzt der auf einmal einsilbig gewordene Graf.

»Und ihr Vater?«

Keine Antwort.

»Unser junger Freund soll also vorerst in Louisiana bleiben?«

Vergennes nickt mechanisch. –

Wieder eine lange Pause – wir sehen uns einander befremdet an.

»Ja, wir wollen, wenn es den Herren so gefällig ist, in den Speisesaal gehen.«

Und mit diesen Worten erhebt sich der Graf. Wir ziehen in den aufgeräumten Speisesaal in schweigsamer Spannung, denn auch zu unsern Ohren war das Gerücht von diesem Lacalle gedrungen, aber entstellt, dunkel, unheimlich. Alle waren wir daher begierig, die seltsame, halb verklungene Sage aus authentischer Quelle zu hören.

*

Gedruckt bei M. Müller & Sohn in München

 


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