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XI.
Die Soiree oder Neu-Orleans im Jahre 1799

An unserer Spitze zieht der Graf mit Mistreß Houston ein; – wirklich ein vollendeter Gentleman. Elegante Formen, leichte ungezwungene anmutige Haltung, die alles Auffallende, Auszeichnung Heischende zu vermeiden weiß, lebendige, geistreiche Physiognomie, von einem fortwährenden Lächeln aufgehellt, das bald mild ironisch, bald schärfer spöttisch, wieder freundlich gutmütig, dem von Natur malignen Franzosen so wohl ansteht. Die fein aristokratischen Züge, der schöne schneeweiße Kopf mit der geistreichen Stirne, leicht gerunzelt, der zarte Teint mit den lichtblauen, brillanten Augen, hatten mich schon beim ersten Zusammentreffen ungemein angesprochen. Ich liebe wieder gute alte Dinge, alten Wein, alten Rum und alten Adel. Wüßte auch nicht, warum ich in das zur Mode gewordene Pöbelgeschrei John Bulls einstimmen sollte, das den Handlanger eines Sir Arkwrights, Sir Richard Arkwright, der Vervollkommner der Spinnmaschine. der sich seine Millionen auf Unkosten von Millionen zusammengescharrt, in die Wolken erhebt und den edlen Sprößling einer noblen Rasse mit neidischem Hohne anglotzt. Wartet zuerst mit eurem Verdammungsurteile über die alten Feudalen – bis ihr die Segnungen geschaut, die euch eure neuen Zwingherren gebracht, die verbutteten verkrüppelten Milliarden von Wesen, in denen ihr kaum das Ebenbild Gottes mehr erkennt. – Wenigstens ließen diese Barone und Grafen euch und euern Vorfahren Mark und Kraft in den Knochen – und einen regen Geist, etwas zu entdecken, eure neuern Patrone; – doch wollen unsere Rhapsodien für ein andermal aufsparen – und zurück zu unserm Grafen. Er hat vieles vom Höflinge im bessern Sinne des Wortes. Wie unvergleichlich er die krampfhafte Spannung, in die der heillose Vergennes die ganze Tischgesellschaft versetzt, zu lösen, das Phantom, das er heraufbeschworen, zu verscheuchen gewußt; wie gefällig, leidenschaftslos der Wortfluß seiner Rede; auch nicht die mindeste Aufregung; – Sprache, Ton, Haltung, Kleidung, alles verrät den gebornen Aristokraten jenes alten Regime, bei dem Leidenschaften und Tränen längst versiegt sind. Chevalier d'Ecars sagt, er habe herbe Tage in seinem Leben gesehen. In seiner Jugend am Hofe Ludwig XVI. und Vertrauter einer der Brüder des Königs, soll er nach dem Tode des unglücklichen Monarchen in wichtigen Aufträgen gebraucht worden sein, die Aufstände in der Vendee mit organisieren geholfen, gegen die Westermanns, die Marceaus, die Dumas und Hoches gefochten haben, war, als alles verloren außer der Ehre, nach England – und von da nach Amerika entwichen, wo seine Familie noch aus früheren Zeiten her eine bedeutende Schenkung an Ländereien in den Attacapas besaß. Auf dieser hat er eine Pflanzung gegründet, die zu den bedeutendsten in Louisiana gehört und sich durch musterhafte Zucht und Ordnung auszeichnet. So lieb soll ihm sein neuer Wirkungskreis geworden sein, daß er es abschlug, nach Frankreich zurückzukehren, wo ihm nach der Restauration seine Familiengüter mit einer bedeutenden Entschädigung heimfielen.

Welche immer die Gründe sein mögen, die ihn bestimmten, die ewig grünen Wiesen und Orangenbosketts der Attacapas den glänzenden Antichambres der Tuilerien vorzuziehen, sie verraten einen bestimmten dezidierten Charakter. Das Portefeuille dieses Mannes müßte eine reiche Ausbeute von Erfahrungen darbieten.

Er hat sich mit Mistreß Houston auf dem Sofa niedergelassen und Luise nachgezogen. Ein zweites, das herangeschoben wird, nimmt Genievre, Lassalle und mich auf; die übrigen Gäste gruppieren sich in kleinen Abteilungen, mustern die Gemälde, d'Ermonvalle ergeht sich im Reiche der Töne und verliert sich in einer stürmischen Symphonie Beethovens. Er spielt meisterhaft, auch Vergennes hat ungemeine Fertigkeit.

»Es ist eine merkwürdige Eigenheit,« bemerkt der Graf, »daß diese schönste, erhebendste aller Künste bei freien Völkern so wenig betrieben wird. So versichert man, daß Musik heutzutage in Frankreich viel weniger als sonst einen Teil männlicher Erziehung ausmache; überhaupt wird sie weniger in England, als in Frankreich, in Frankreich weniger als in Deutschland, weniger in Deutschland als in Italien, am allerwenigsten in Amerika getrieben. – Ich habe nie von einem amerikanischen Staatsmanne oder überhaupt einem Manne von ausgezeichneter Stellung gehört, daß er Musik triebe!«

»Ich glaube wohl vorzüglich deswegen,« fiel ich ein, »weil eine gewisse Fertigkeit in der Musik wieder so vielen Zeitaufwand bedingt, als jeden, der seine Stunde zu schätzen weiß, abschrecken muß. Bei uns würde deshalb ein guter Fortepianospieler zugleich Vergnügen und mitleidigen Spott erregen. – So gerne wir künstlerische Fertigkeit an unsern Damen sehen, bei dem Manne können wir uns eines gewissen mißbehaglichen Nebengedankens nicht erwehren, wie dieser seine Zeit und Kräfte hätte besser gebrauchen können. Wir sind ferner sehr behutsam, uns nicht von Gefühlen, von leidenschaftlichen Aufregungen fortreißen zu lassen, und Musik ist es vorzüglich, die weich stimmt, entnervt. Gefühlvolle sensitive Individuen sowohl als Nationen sind nicht für die Freiheit geschaffen. Die Äußerung, die Krösus zugeschrieben wird, enthält viel Wahres Willst du Sklaven, so gib ihnen Musik..

»Ich glaube, Sie haben im ganzen genommen recht«, versetzte der Graf; »nur schade, daß der Erde schönste Freuden gerade wieder mit so vielen Entsagungen verbunden sind!«

»Amadee!« wandte er sich zum Alten, der mit chasse caffé nun die Runde zu machen begann. »Woran denkst du jetzt?«

»Vergebung, Herr Graf, ich denke mir so allerlei.«

»Zum Beispiel?« fragte der von seiner Tasse nippende Graf weiter; »war es das Renkontre bei St. Florent?«

»Nein, Herr Graf.«

»Oder die furchtbaren Tage von Nantes? – wo deine Schwester und – armer Knabe! – in dem Boote mit zwanzig Fuß breiten Falltüren –«

»Nein, Herr Graf, diese alle habe ich zu vergessen gesucht.«

»Ja, ja, alter Freund, du hast zu deiner Zeit – den Hof und die königliche Familie gekannt, – den Marquis von Beaulieu und Charette und Marigny.«

Und während er so spricht, streckt er die Hand dem alten Diener dar, der sie mit Herzlichkeit erfaßt und, in beiden seinigen haltend, dem Grafen gerührt in die Augen schaut.

Es ist ein schöner Zug, diese freundliche, beinahe brüderliche Umgangsweise der alten Franzosen mit ihren Dienern, verglichen gegen unser und unseres Verwandten John Bull vornehmes Herabsehen auf dieselben dienstbaren Geister. – Dafür sind aber unsere Diener bloß bezahlte Mietlinge, Werkzeuge, jene Kinder des Hauses, die am Wohl und Wehe desselben kindlichen Anteil nehmen.

»Also erzählt hast du, Amadee?« fragte der Graf wieder.

»Aufzuwarten, Herr Graf.«

»Und was hast du erzählt?«

»Vergebung, Herr Graf!«

»Wissen Sie,« wandte er sich zu uns, »daß Amadee durchaus nichts davon wissen will, daß wir wieder nach Frankreich zurückkehren.«

»Ah, Herr Graf, Sie tun wohl daran, daß Sie hier bleiben«, murmelte der Alte.

»Schön, lieber Amadee,« fällt Luise ein, »du mußt uns den Papa Rossignolles hier behalten helfen.«

»Dazu bedarf es nicht viel Drängens, liebe Louise,« fällt dieser ein; »nein, liebes Kind, wer die Höhen gemessen hat, in seiner Jugend darauf so viel herumgeklettert und sich die Beine müde gezappelt hat wie wir, der liebt in seinen alten Tagen Ruhe. Zudem würden, aufrichtig gesagt,« – sein lächelnder Blick fiel auf Baron Lassalle – »uns, die wir seit so langer Zeit gewissermaßen nicht aus dem Schlafrocke gekommen, halbe Hinterwäldler geworden sind, die Tuilerien einigen Zwang verursachen.«

»Würden uns wenigstens anfangs seltsam genug darstellen«, meinte Lassalle.

»Und dann, was dürften wohl unsere dreihundert Neger sagen?« schaltet Amadee ein.

»Du hast recht, Amadee. La belle France, unter seine legitimen Monarchen zurückgekehrt, wird auch ohne uns bestehen können, aber unsere armen dreihundert Schwarzen würden es nicht so wohl.«

»Es wundert mich, Monsieur de Rossignolles, wie Sie sich so leicht in unsere Sklavenverhältnisse hineinfinden konnten; für einen Europäer aus den höhern Ständen sicherlich keine leichte Sache?«

Meine Frage schien de Rossignolles zu frappieren; er warf Lassalle einen jener Blicke zu, die indefinissable genannt werden könnten, und versetzte dann: »Sie haben vollkommen recht, Mister Howard. Es ist wirklich für einen Europäer, und vorzüglich unsereinen, keine leichte Sache. – Schon das Wort Sklaventum hat für unsere Ohren etwas Beleidigend-Verletzendes, die Idee war mir anfangs qualvoll.«

»Und wie überwanden Sie das allgemeine Vorurteil?«

Der Graf zuckte die Achseln. – »Das Gebot der Notwendigkeit anfangs, die Überzeugung später, daß sich in diesem Wirkungskreis ungemein viel Gutes tun lasse. – Was aber unsern Widerwillen vorzüglich und am schnellsten besiegte, war der Reiz der Neuheit und die furchtbar grausige Natur des Landes, das wir betraten.« –

»Wie,« fragte ich, »der Reiz der Neuheit, die furchtbar grausige Natur?«

»Ich glaube,« fährt der Graf fort, »daß der Anblick der gräßlichen Gestade Louisianas an den Mündungen des Mississippi und die kaum minder gräßlichen teilweisen Striche, die unsere Ländereien umgeben, vieles, ja das meiste beitrugen, mich mit dem Sklaventume zu versöhnen, indem sie mir beim ersten Anblicke die Überzeugung aufdrangen, daß der Weiße, sich selbst überlassen, unmöglich dieses Land der Kultur gewinnen könne.« – Er fuhr nach einer Weile fort: »Ich hatte viel Entsetzliches gesehen, als ich in Louisiana vor neunundzwanzig Jahren ankam, aber nie so etwas Grauenerregendes wie diese unabsehbaren Flächen von Sumpf und Schlamm und Morast, diese Tausende vermodernder Baumstämme, mit Tausenden von Alligatoren, diese gräßlichen Wolken von Moskitos; überhaupt dieses Chaos einer erst beginnenden Gestaltung. Ein solches Land der Kultur zu gewinnen, schien mir etwas so Ungeheures! – daß selbst das Furchtbare der Sklaverei dagegen verschwand, in meinen Augen gerechtfertigt ward.«

Es liegt sehr viel Wahres in dieser Bemerkung – obwohl, wenn unser Sklaventum keine positiveren Rechtsverhältnisse aufweisen könnte, es kümmerlich genug darum stände.

»Ja, Herr Graf, Sie riefen oft aus: mein Gott, in diesem Lande sollen wir leben!« schaltet Amadee ein.

»Wir kamen noch dazu in der schlimmsten Jahreszeit, im Anfang Juli«, bemerkt Lassalle.

»Das war freilich eine übel gewählte Jahreszeit!«

»Wir fuhren in der Mitte April ab,« berichtigt wieder der Graf, »brachten aber drei volle Monate auf der See zu. Es war ein trauriger Eintritt, der unsrige, nach den langen Mühseligkeiten und Entbehrungen einer solchen Seereise – die trostloseren Gestade der Mississippimündungen zu sehen.«

»Und die Hauptstadt –« gab wieder Amadee das Schlagwort.

»Mit ihren leeren, geschlossenen Häusern, Fensterladen, schmutzigen Gassen, statt des Pflasters mit Abfällen aller Art Tiere besäet, abgenagten Knochen, Gerippen, an denen ganze Scharen sogenannter Carankros Die kreolische Benennung der Turkey-Bussards, Aasgeier. hackten und zerrten, kein Mensch zu sehen – unser Schiff das einzige, das im Hafen lag. Es war die häßlichste, verödetste Stadt, in die ich je den Fuß gesetzt. Eine tote Stadt, aus der alles Lebende gewichen.«

»Mit vieler Mühe«, fuhr wieder der Baron fort, fanden wir endlich ein Estaminet.«

»Am untern Levee gegenüber der Kathedrale.«

»Pierre Brodin«, schaltet wieder Amadee ein.

»Aber dieses Estaminet, dieser Pierre Brodin«, bemerkt der Graf, »war auch der Wendepunkt unserer Leiden.«

Alle drei wurden auf einmal ungemein heiter gestimmt.

Der Baron nimmt das Wort. »Gerade wie wir an die Türe der Kneipe herantreten, wird diese geöffnet und eine Leiche von zwei Negern herausgetragen.«

»Courage, Monsieur de Vignerolles, Sie sehen, man macht uns Platz, sagte der arme Ducalle«, schaltet wieder Amadee ein.

Eine sonderbare Erzählung, die, was ihr an Zusammenhang fehlt, durch Originalität ersetzt; wenigstens hat sie den Vorteil der Authentizität, denn die drei Referenten berichtigen sich viva voce. – Es ist eine Art Terzett, ungemein lebendig, rasch vorgetragen. Jeder steuert seinen Anteil gewissenhaft bei, fällt mit dem Schlagwort auf eine Weise ein, die die andern immer auf dem qui vive erhält. Wir sind gerade in jener glücklichen Stimmung, die bei gesundem Verdauungsvermögen in der Regel nach einem guten Diner einzutreten pflegt, jener behaglich wohlwollenden Trägheit, in der die abgespannten körperlichen und geistigen Kräfte sich mit irgendeinem Surrogate geistiger Nahrung begnügen. – So lassen wir denn das Trio seinen eigenen Weg nehmen.

»Pierre Brodin«, fährt der Baron zu den beiden gewendet fort, »war der schwärzeste Bretagner, den ich je gesehen, voll Pockennarben, mit einer dicken, russischen aufgestülpten Nase und einem Paar ewig umherrollender roter Fuchsaugen. Als wir zehn Mann hoch angerückt kamen, übersah er uns einen Augenblick vom Kopf zu den Füßen, schrie den Negern nach, sie sollten sogleich zurückkehren und ja nicht den Toten entkleiden, er sei am gelben Fieber gestorben, dann sprang er in die Schenke zurück, ohne sich auch nur im mindesten um unsern Zuspruch zu bekümmern.«

»Wir standen zweifelhaft,« fuhr der Erzähler fort, »ob wir in diese Gelb-Fieberhöhle eintreten sollten oder nicht.« –

»Sie haben also die Überfahrt zusammen gemacht?« fragte ich.

»Zu dienen, lieber Mister Howard«, antwortet der Graf. »Wir waren unserer Zehn: de Lassalle, Hauterouge und Ducalle mit ihren Dienern, ich und Amadee mit noch zwei Bedienten. Wir verließen Europa acht Monate nach dem 18. Brumaire. Das Aplomb, mit dem Buonaparte die Zügel der Regierung erfaßte und festhielt, hatte unserm Treiben ein Ende gemacht. Unsere Rollen in Frankreich waren ausgespielt; für unsern König, unsere ererbten Rechte hatten wir gekämpft, so lange ein Hoffnungsstrahl des Erfolgs leuchtete; – der letzte war verschwunden, und wir dachten, es sei an der Zeit, mit den Trümmern, die wir aus dem Schiffbruch gerettet, eine eigene Hütte zu bauen.«

Diese Worte waren mit einer gewissen Würde gesprochen, die jeder Mißdeutung vorbeugen zu wollen schien.

De Lassalle nahm wieder das Wort: »Pierre Brodin, weißt du, ließ sich endlich herab, hinter seinem schmutzigen Schenktische hervorzukommen und uns einige Worte zu schenken. Als er hörte, daß wir die Passagiere waren, die soeben mit dem Schiffe angekommen, verzog sich seine Fuchsmiene in ein schlaues Lächeln, mit dem er fragte, ob wir bei ihm Quartier nehmen wollten.«

»Auswahl war keine, so traten wir in das Schenkzimmer, in dem ein Dutzend Spanier, Mestizen und freie Mulatten tranken und lachten, wurden in ein anstoßendes Hinterstübchen geführt und nahmen Platz auf den Sesseln und Bänken«, fiel der Graf ein.

»Pierre Brodin musterte uns abermals vom Kopf zu den Füßen und fragte dann Plait-il?«, der Baron.

»Ohne unsere Antwort abzuwarten, lief er fort und kam in einer Minute mit einem Korbe Bordeaux und einem Dutzend Zigarren zurück«, wieder der Graf.

» Eh bien,« fährt der Baron fort, der nun in die Erzählungslaune gekommen zu sein scheint, »wir setzten uns. Die Promenade durch die häßliche Stadt, obwohl kurz, hatte uns gänzlich erschöpft, die Hitze war ungeheuer, die Moskitos jedoch in Vergleich zu denen, die uns an den Mündungen des Mississippi zur Verzweiflung gebracht hatten – zu ertragen. Wir tranken das erste Mal auf Neu-Frankreichs Grund und Boden.«

»Kommen jetzt die Lettres de récommendation«, fiel Amadee im Baßtone ein.

Der Baron nickte.

» Eh bien! Wie wir so saßen und tranken, trüben Gedanken Audienz gebend, nimmst du, Rossignolles, dein Portefeuille heraus, und wir folgen deinem Beispiele. Pierre Brodin, der durch die Türe hereingelugt hatte, kam, schlich eine Weile wie der Fuchs um den Hühnerstall um uns herum, schielte Hauterouge und Ducalle über die Achseln und hob endlich mit einem spöttischen Seitenblicke an –«

Ah des lettres de récommendation – Empfehlungsbriefe an Monsieur Bouligny; – nicht in der Stadt, der Monsieur Bouligny – an Baron Marigny, auf seinem Landsitze, der Baron Marigny – Pah.‹

»Und er wandte sich, drehte sich herum, rief abermals ein ›Pah – gut, sehr gut! Diese Empfehlungsbriefe sind gut‹, fährt er fort, uns wechselseitig mit Luchsblicken messend.«

»Die Wahrheit zu gestehen, so war unsere Toilette nichts weniger als gewählt, unsere Wäsche – wie sie nach einer solchen tristen Fahrt sein mußte. – ›Pah‹, rief Pierre Brodin Hauterouge und Ducalle zu: ›Habt ihr fünftausend Taler jährlich?‹

»Hauterouge und Ducalle sahen ihn mit großen Augen an.

›Habt ihr fünftausend Taler jährlich wohl und gut! – so werden diese Empfehlungsbriefe weit gehen, um euch eine niedliche Demoiselle zu verschaffen, eine Quaterone oder derlei Zeitvertreib, die euch eure Gourds verzehren helfen wird. Pah! Und Messieurs wird es geben, die euch belehren werden.‹

»Auf einmal wandte er sich ausschließlich an Ducalle, dem er über die Achsel in seinen Brief geschaut.

›Ihr seid ein Bretagner?‹

›Ja, mein Herr‹, antwortet Ducalle.

›Ihr habt einen Brief für die Attacapas?‹

›Ja, mein Herr.‹

›Ihr hattet, was man eine Erziehung nennt?‹

›Ich glaube ja, mein Herr.‹

›Versteht etwas von Chemie, von Chirurgie, von – von –‹

»Ducalle sah den Mann erstaunt an.

Tenez!‹ fuhr dieser fort – ›werde Euch etwas sagen. Ich, Pierre Brodin, sage Euch – verlaßt die Hauptstadt so schnell als möglich, befördert Euch weg von hier, sonst werdet Ihr befördert, so wie der, der soeben vor Euch hinausbefördert worden. – Ihr habt Chemie studiert,‹ fuhr er bestimmter fort, beide Hände in seine Westentaschen steckend, denn er hatte keinen Rock an – ›Chemie studiert, oder was dasselbe sagen will, Medizin, man nimmt es hier nicht so genau – so sage ich Euch denn, ich, Pierre Brodin, sage es, geht in die Attacapas – in den Attacapas herrschen, regieren intermittierende Fieber – intermittierende Fieber, versteht Ihr mich? Balot!‹ schrie er auf einmal zur Türe hinaus, ›Balot!‹

›Balot,‹ brüllte eine Stimme aus der Schenkstube herüber, ›was wollt Ihr mit Balot?‹

›Balot! Nicht wahr, bei euch in den Attacapas herrschen intermittierende Fieber?‹

›Herrschen, jawohl herrschen, regieren sie‹, brüllte Balot; – ›brauchen Rekruten, wißt Ihr, Rekruten für die intermittierenden Fieber. Boudin haben die Krebse, Allien die Alligatoren, Borel gleichfalls.‹

»Balot kam mit einem halbvollen Rumglase zur Türe herein, die Aussage durch seine Persönlichkeit zu bekräftigen, die eine der abschreckendsten war, die wir noch je gesehen hatten.

›Pierre Brodin‹, schrie er, das Rumglas leerend und diesem zuwerfend, der es wie ein Pudel den Bissen erhaschte und zur Türe hinauslief.

»Und wir saßen und schauten bald den uns mit trunkenen Blicken musternden, hemde-, schuh-, hutlosen Balot und wieder einander an. Es war etwas Trostloses, Verzweifelndes in unserer Lage, fremd, unbekannt in einer öden, verlassenen, vom gelben Fieber heimgesuchten Stadt, und unter solchen Menschen.«

»Aber hat Sie denn nicht der Kapitän in seine Obsorge genommen?« fragte ich kopfschüttelnd.

»Kapitän und Matrosen«, war die Antwort, »waren in der ersten Stunde verschwunden, um sich für die langen Entbehrungen so schnell als möglich zu entschädigen.«

»Brodin trat wieder unter uns, und nachdem er Balot das gefüllte Glas gereicht, hob er zu Ducalle gewendet an: –

›Ihr geht also in die Attacapas, das ist mein Rat, werdet da kurieren, Leute begraben, Geschäfte machen, Geld machen. – Apropos, habt Ihr Geld?‹

»Die Frage frappierte Ducalle. – Er schaute Pierre Brodin wieder mit großen Augen an.

»Pierre Brodin maß Ducalle mit einem blinzelnden Seitenblicke und fuhr fort: ›Gut, Ihr habt keines, schadet aber nichts – tut nichts. Sollt Geld haben. Habt da eine goldene Uhrkette, hängt doch auch eine Uhr daran. Strecke Euch zwanzig Gourds vor, laßt die Kette mit der Uhr als Unterpfand zurück. Kauft Medizinen ein, will sie für Euch einkaufen. Mit zwanzig Gourds Medizinen kuriert ihr ganz Attacapas, wenn Ihr die Sache versteht. Calomel ist die Hauptsache, versteht Ihr, legt einen tüchtigen Vorrat von Calomel ein. Strecke euch zwanzig Dollars vor, will für Eure Passage noch extra sorgen, nehme bloß fünf per cent per Monat, bin billig, seid ein Landsmann, ein Franzose, ein Bretagner. Man muß billig mit Landsleuten sein. Einem andern täte ich es nicht unter zehn per cent. Gebe Euch einen Brief an Damien mit – ist alles, was ich tun kann, das übrige ist keinen Picaillon wert. – Schaut, daß Ihr so schnell fortkommt, als möglich.‹

›Schaut, daß Ihr so schnell fortkommt als möglich‹, wiederholte der trunkene Balot.

»Und Pierre Brodin, nachdem er solchermaßen Ducalle abgefertigt, wendet sich an dich, Rossignolles.«

Der Graf nickte.

Und der Baron erhebt sich, steckt die beiden Hände in seine Westentaschen, und mit kecker, sorgloser Miene tritt er an den Grafen heran.

Und wir schauen alle hoch auf, begierig auf die neue Wendung, die dieser Trilog nehmen zu wollen scheint.

»Ihr seid ein Gentilhomme von Geburt?« fragte Lassalle den Grafen im höhnisch lachenden Tone.

»So glaube ich«, versetzte dieser.

Der Baron wirft ihm einen halb mitleidigen, halb verächtlichen Seitenblick zu.

» Ah bien – es hat ihrer – hat ihrer in erklecklicher Zahl – kommen, kommen. Auch ich, auch ich war, was Ihr seid – Ihr wollt in die Attacapas?«

»Ich glaube ja –« war wieder des Grafen Antwort.

»In die Attacapas?« frägt der den Pierre Brodin repräsentierende Baron. »In die Attacapas also? Habt Ihr Geld?«

»Habe es nicht gezählt.«

»Nicht gezählt, so recht – auch ich zählte es nicht, als ich es nicht hatte. Man zählt nicht, wenn es nicht im Beutel ist,« lachte der Pseudo-Brodin – »Ihr wollt also in die Attacapas? Ihr wollt? Sage Euch, Pierre Brodin sagt es, tut besser, Ihr geht nach Natchitoches.«

»Geht nach Natchitoches, richtet Euch einen kleinen Laden mit Pulver, Blei, Seidenbändern zum Handel mit Indianern und Negern ein.«

» Eh bien«, versetzte der Graf.

»Richtet Euch einen Laden ein,« versetzt der Pseudo-Pierre Brodin, »leihe Euch zehn Dollars – leihe dir zehn Dollars, Kamerad, du gibst mir ein Pfand – fünf per cent – kaufe dir die Waren ein – verstehst du mich? He?« –

Und so sagend faßte er den Grafen beim mittleren Rockknopfe.

» Chien,« schreit auf einmal der alte Amadee, der vor und auf den Baron zuspringt, » chien, du wagst es den Herrn Grafen zu duzen?«

Und wir schauen wie aus den Wolken gefallen den alten Amadee an. Das ist doch ein wenig weit gegangen. –

Der Baron läßt sich jedoch in der übernommenen Rolle nicht irre machen.

»Pah,« entgegnete er, Amadee mit einem höhnischen Blick messend. – »Pah, was geht das dich an, Freund? Freund, bekümmere dich um deine Schuhe. Wenn der Mann da will, was geht das dich an? Will er nicht, so geht es dich auch nichts an. Ist ihm mein Kabarett zu schlecht, so – hier ist die Türe.«

Und der Baron springt der Salontüre zu, und öffnet sie.

Die ganze Gesellschaft hat sich um die drei Akteure gruppiert. – Es ist etwas Einziges um diese Franzosen, sie sind wirklich geborene Schauspieler.

»Ah,« fährt der Baron fort, indem er wieder näher an den Grafen, der mit vornehmer Nachlässigkeit im Sofa liegt, heranrückt. »Ah, auch wir – auch wir – wir wüßten etwas zu erzählen von adeligen Vorfahren, vom Hofleben; auch wir, die wir Oberster im Regimente von Artois, die wir Graf, Baron, Chevalier, Besitzer von Herrschaften, Silberbergwerken –«

»Im Regimente von Artois? Darf ich um Ihren Namen bitten?« fragte de Vignerolles.

»Louis Viktor Comte de Rossignolles – Baron de Pierpont, Chevalier de Mazanaras«, trompetet der Pseudo-Pierre Brodin mehr als er spricht.

»Also habe ich die Ehre, mit dem Grafen Louis Viktor de Vignerolles zu sprechen?« frägt der Graf.

»Mit dem Grafen Louis Viktor,« versetzt Pierre Brodin, »mit Louis Viktor de Vignerolles, Herr der Herrschaften von Pontbleu, der Silberbergwerke von Blois.«

»Der Silberbergwerke von Blois?« fragt wieder der Graf, »in welchem Teile der Welt liegen diese Silberbergwerke von Blois?«

Der Baron wird wütend. »Was!« schreit er, »Ihr wollt Pierre Brodin zum besten halten, die Silberbergwerke von Blois nicht kennen? Ihr wollt ein Franzose sein? Ein sauberer Franzose seid Ihr!«

Und wir alle schauen den den Kneipenwirt nachäffenden Baron an und schlagen ein lautes Gelächter auf. Und der alte Amadee springt mit seinem Rohrstocke vor und ruft dem Baron zu: »Pierre Brodin, kennst du mich?«

Und Pierre Brodin schaut Amadee verblüfft an, verliert die Fassung sichtlich und stammelt: »Nein, mein Herr, ich kenne Sie nicht.«

»Jacques Pajol!« schreit Amadee stärker – »Jacques Pajol! Sohn der Marketenderin und Wäscherin Jeannot vom Regimente Provence! kennst du den Sergeanten Amadee nicht?« ruft dieser, den Stock schwingend.

Und der Pierre Brodin springt verblüfft, halb entsetzt im Saale herum. Er, der Doppelgänger Louis Viktors Graf von Vignerolles, Oberst des Regiments Artois, hatte sich in den Sohn der Marketenderin Jeannot und Trommelschläger Jacques Pajol verwandelt.

»Jacques Pajol!« schreit Amadee stärker, den Stock schwingend – »Jacques Pajol! höre mich an. Unsere Effekten und Gepäcke, und zwar des Herrn Grafen Rossignolles, dessen Doppelgänger du bist, und der Barone Lassalle, Hauterouge und Monsieur Lacalle, sind an Bord unseres Schiffes, und wenn besagte Effekten in einer Stunde noch an Bord des Schiffes sind, und die Erlaubnis zur Ausschiffung nicht erteilt ist, so wird dieser mein Stock auf deinem Rücken einen Kotillon aufführen.«

» Parbleu!« ruft der nun in Jacques Pajol travestierte Baron Lassalle – »Was soll das bedeuten, Herr Sergeant?«

»Jacques Pajol!« wiederholt dieser trocken, »höre mich an. Unsere Effekten und Gepäcke, und zwar das des Herrn Grafen Rossignolles, dessen Doppelgänger du bist, und der Barone Lassalle, Hauterouge und Monsieur Lacalles sind an Bord unseres Schiffes, und wenn besagte Effekten in einer Stunde noch an Bord des Schiffes sind, und die Erlaubnis zur Ausschiffung nicht erteilt ist, so wird dieser mein Stock auf deinem Rücken einen Kotillon aufführen.«

»Pierre Brodin, alias Jacques Pajol, ci-devant Louis Viktor Graf von Vignerolles, Baron de Pierpont, Chevalier de Mazanares und Herr der Herrschaften Pontbleu und der Silberbergwerke von Blois,« – fährt der Baron sich setzend mit ungemein drolliger Wichtigkeit fort, »weit entfernt, über die Entdeckung seines ursprünglichen Charakters verblüfft zu sein, wußte zum bösen Spiel gute Miene zu machen. Er sprang auf Amadee zu, drückte ihm die Hände, machte tausend Kratzfüße vor dem Grafen und schien ganz Jubel und Entzücken, seiner Doppelgängerschaft los geworden zu sein.

»Amadee unterbrach abermals die Lustigkeit des Wichtes: ›Gnädiger Herr der Herrschaften von Pontbleu, wir müssen Sie, wie gesagt, bemühen, sich mit ihrer eigenen Reise-Equipage auf die Douane zu verfügen und unsere Effekten aus den Händen dieser weltlichen Hermandad zu erlösen, ansonst unser Stock doch unvermeidlicherweise ein Menuett auf Ihrem Rücken tanzen müßte.‹

›Was,‹ schrie Jacques Pajol, ›in meinem eigenen Hause?‹

›Auf alle Fälle wollten wir uns erkühnen‹, fiel mein Jean ein, der sonst gerade nicht sehr zu Scherzen aufgelegt war.

›Chevalier de Mazanares!‹ schrie der Diener Hauterouges.

›Herr der Silberbergwerke von Blois‹, der Lacalles.

Allons, fort mit Euch.‹

Jacques Pajol flog umher wie ein Ball, aus einer Hand in die andere.

Ma foi! Morbleu!‹ schrie er, ›wer wird mir aber mein Estaminet besorgen?‹

›Wir alle‹, riefen unsere Diener. Jacques jedoch kratzte sich hinter den Ohren, und Ducalle machte dem Zögern durch den Vorschlag ein Ende, die Demi-Escalins für ihn einzunehmen. Erst nachdem er ihn in die schöne Kunst, Sangaree und Toddy, Sling und Cocktail zu bereiten, eingeweiht hatte, trollte er sich fort.«

»Es war die erste fröhliche Stunde, die wir in Louisiana genossen«, bemerkte de Hauterouge.

»Wirklich erquicklich war sie,« bekräftigt de Lassalle, »sie erschien uns gewissermaßen als eine glückliche Vorbedeutung unserer Schicksale in der neuen Welt. Und wahrlich, wir brauchten eine solche Aufmunterung, hilflos wie wir waren, inmitten einer, von allen nur einigermaßen respektablen Einwohnern verlassenen, verpesteten Stadt, in der nur der verworfenste Auswurf zurückgeblieben war, gleich den Carancros über jene unglückseligen Opfer herfallend, die der Zufall ihnen als Beute hingeworfen.

»Noch saßen wir lachend über unserm Bordeaux, der wenigstens dem Estaminet zu keiner Schande gereichte, als Jacques mit einem kleinen klapperdürren Spanier – denn Louisiana war, wie Sie wissen, bei unserer Ankunft noch unter spanischer Herrschaft – zurückkam. Der Hidalgo war eingetan in einen braunen Rock, den er noch von seinen Universitätsjahren von Salamanca her haben mußte, denn die Arme hingen sechs Zoll über die Gelenke aus den Ärmeln heraus, seine Spindelbeine waren in gleichfarbige sehr zerlöcherte kurze Beinkleider eingehülset; er griff bei seinem Eintritte mit vieler Amtswürde an seinen dreieckigen Hut, gab uns seinen langen Namen und längeren Titel, von denen ich bloß das Don Henriquez behalten habe, und sah uns dann, eine Antwort erwartend, der Reihe nach an.

»Wir waren alle aufgestanden.

»De Vignerolles bekomplimentierte den Don, der aber nichts weniger als redselig schien. Nach den ersten Begrüßungen fragte er: ob Se. Exzellenz Don Salceda, der Gouverneur, in der Stadt sei.

›Seine Exzellenz der Zivil- und politische, auch militärische General-Gouverneur der Provinzen von Louisiana und Westflorida sind auf der Inspektionstour der Festungen‹, versetzte der Spanier, der während der Erwähnung der Exzellenz den Hut abgenommen und dann wieder aufgesetzt hatte, mit feierlich erhobener Stimme.

PerdonVergebung., entschuldigte sich Vignerolles. ›Wir haben eine lettra de recommendacion Empfehlungsschreiben. an Se. Exzellenz, und bedauern sehr, Hochdemselben unsere Aufwartung nicht machen zu können.‹

»Diese Worte besänftigen in etwas den beleidigten kastilianischen Stolz, so daß Vignerolles die Frage wagte: ob vielleicht der Ober-Intendant der königlichen Finanzkammer in der Hauptstadt sei.

»Wieder schrie der Hidalgo: ›Seine Heiligkeit der Ober-Intendant der königlichen Douanen für die Provinzen Louisiana und Westflorida, auch Intendant der Krondomänen, ferner Richter der Admiralität und Chef der Handelskammer besagter Provinzen sind auf dem Lande.‹

Perdon,‹ entschuldigte sich abermals Vignerolles. ›Wir haben eine Schenkung über Ländereien in den Attacapas, ausgestellt von Sr. Majestät Louis dem XV., und wünschen sehnsüchtig, die gesetzlichen Formen zu beobachten, um in den Besitz besagter Schenkung eintreten zu können.‹

›Seine Herrlichkeit Don Maria Nicolas Vidal Chavez, Fahavarri de Madrigal, Valdez, bürgerlicher Gubernador Lugerteniente Vize-Gouverneur., auch Kriegsauditor in den Provinzen Louisiana und Westflorida, ferner Oberrichter etc. etc. sind in der Stadt, leben aber zurückgezogen von allen Geschäften.‹

»Vignerolles spielte, statt der Antwort, mit ein paar Goldstücken zwischen den Fingern.

»Der Spanier verzog keine Miene, schwenkte sich aber mit echt kastilianischer Grandezza dicht an Vignerolles heran.

›Auf keinen Fall zu sehen,‹ sprach er in demselben abgemessenen Tone, ›der aber dann eine Ausnahme findet, wenn Don Henriquez die Staatsgeschäfte von hinlänglicher Wichtigkeit erachtet, um Sr. Herrlichkeit kostbare Mußestunden durch eine Unterbrechung zu behelligen!

»Vignerolles ließ einen Louisdor in seine Hand schlüpfen.

»Der Spanier besah das Goldstück und sprach trocken:

›Es bedarf noch einer Bedingung, Se. Herrlichkeit zu sehen.‹

»Vignerolles ließ ein zweites zwischen seine Finger gleiten.

Muy bien‹, erwiderte der Spanier. ›Senores wollten aber auch Ihre Effekten ans Land haben? Gefällt es Ihnen, die Bedingungen auf einmal zu erfüllen, oder –?‹

»Vignerolles sah sich abermals genötigt, seine Finger in die Börse zu senden.

›Zwei Bedingungen sind hinreichend‹, versichert ihm der pragmatische Diener Sr. katholischen Majestät.

»Nachdem diese erfüllt worden waren, verneigte sich der Hidalgo, griff an den Hut, und mit den Worten: Venid Senores Kommen Sie, gnädige Herren.! schritt er gravitätisch durch die Schenkstube des Estaminets der Türe und dann dem Levee zu.

»Wir folgten und nahmen unsere Effekten, die zur Ausschiffung auf dem Verdecke bereit lagen, in Empfang. Während unsere Leute beschäftigt waren, die Kisten und Ballen mit Hilfe der Neger, die uns Pajol mitgegeben hatte, vor das Estaminet zu schaffen, winkte der Hidalgo Vignerolles, ihm zu folgen. Ich habe vergessen, zu bemerken, daß unser Kapitän, gleich nachdem das Schiff an der Levee befestigt worden Wegen der Tiefe des Mississippi werden nie Anker geworfen, sondern man befestigt die Schiffe mittelst starker Taue an der Levee., mit unsern Pässen verschwunden war und das Schiff zwei Matrosen zur Bewachung überlassen hatte. – Jetzt fragte der Spanier, welcher von uns beiden der Chevalier Mazanares sei; der Umstand, daß einer der Vorfahren Vignerolles das spanische Adelsdiplom erhalten, hatte wahrscheinlich am meisten beigetragen, unsern steifen Führer so zuvorkommend, nämlich spanisch zuvorkommend, zu stimmen. Mir, der sich anschloß, wurde erst nach wiederholten Beteuerungen, daß auch ich ein Caballero sei Kavalier., gestattet, mitzukommen. Wir gingen durch die mit den ekelhaftesten Abfällen angefüllte und beinahe ungangbar gewordene St. Louis-Straße hinab, der Rue Rempart zu, und die kurze Promenade war, ich versichere Sie, hinreichend, unsere gute Laune wieder so ziemlich zu verscheuchen. Unbegreiflich war es uns, wie in solchen Umgebungen und einer so gänzlich verpesteten Atmosphäre ein lebendiges Wesen es aushalten konnte. Auch sahen wir keines; aber hinter den zerstreuten Häusern der Rue Rempart krochen in den Gräben Alligatoren und anderes namenloses Gewürm herum. Dies waren die einzigen lebendigen Geschöpfe, die wir sahen. Die Häuser bestanden durchgängig aus einem bloßen Rez de chaussée mit breiten vorspringenden Dächern. Vor einem, das einige dreißig Schritte von der Straße zurück stand, hielten wir.

»Der Spanier sah uns bedeutsam an, legte den Finger warnend auf den Mund, und mit den Worten: ›Seine Herrlichkeit rekreieren sich von den Lasten der Staatsgeschäfte‹, bedeutete er, uns einige Schritte seitwärts zu halten, während er an die Schwelle des barackenähnlichen Häuschens trat und leise anklopfte.

»Eine rauhe, kreischende Stimme fragte:

Que es eso?

›Don Henriquez‹, versetzte unser Führer.

»Nach einer Weile wurde die Türe aufgetan, unser Führer sprach die Worte: › Ave Maria purissima‹; der Öffnende erwiderte lachend: › Sine peccado concebeda‹, und die Türe ging zu.

»Wir standen einige Minuten, unsere Blicke auf die ominöse Haustüre gerichtet. Sie wurde abermals geöffnet, unser Führer trat zwischen sie, und nachdem er uns herangewinkt, schritt er vor uns her, uns in ein mäßig großes, aber unglaublich schmutziges Zimmer einführend.

»Auf einem hochlehnigen Sessel, der hinter einem Tische stand, auf dem Schnürleibchen, Muschettowedel, alte Beinkleider, Gläser mit Überresten von Ananaspunsch, Strumpfbänder und derlei Sachen herumlagen, saß die Person, der wir oder vielmehr der Caballero Mazanares von unserm Führer mit einem tiefen Bückling präsentiert wurden. Er hatte kurze, auf dem Knie offene Beinkleider an, aber keine Strümpfe; einer der Füße war in einem alten Pantoffel, der andere bar. Über dem Hemde hatte er einen schwarzen Rock, auf dem Kopfe einen dreieckigen Hut und, obwohl er saß, einen Degen um den Leib gegürtet. Das war Se. Herrlichkeit der Vize-Gobernador, im Vorbeigehen sei es bemerkt, die greulichste Affenphysiognomie, die mir je im Leben aufgestoßen.

›Don Mazanares‹, redete er Vignerolles an.

»Dieser verbeugte sich und überreichte ihm mit einigen vorläufigen Komplimenten unsere Pergamente.

»Der Senor warf nochmals einen amtlichen Blick auf uns und winkte dann Don Henriquez, der ihm die Brille brachte, die Se. Herrlichkeit gravitätisch auf der Nase befestigten, worauf sie die Dokumente überlasen. Dieses dauerte ungefähr fünf Minuten. Ohne ein Wort weiter zu sagen, erhob er sich, streifte mit seiner Rechten die Namen und keine Namen habenden Dinge, die auf dem Tische standen und lagen, mit Ausnahme des Punschnapfes und der Gläser, hinweg, so daß sie auf die Erde fielen, und setzte sich nieder.

Por todos los Demonios Bei allen T–n.!‹ schrie dieselbe rauh kreischende Stimme, die wir bereits gehört hatten, und eine Glastüre, die in ein anstoßendes Kabinett führte, flog auf, und heraus eine Gestalt, die uns bei einem Haar aus der Fassung gebracht hätte.

Carracco!‹ schrie sie stärker: › Que querir decir eso? – El viejo no vale V–t! Was will das sagen? Der Alte hat seinen Verstand verloren.!

»Unser Senor schien ein wenig frappiert über diese unvorgesehene Erscheinung, aber nur ein wenig, obwohl er vollwichtige Ursache gehabt hätte, es mehr zu sein; denn die Schöne, die so unzeremoniös hereinsprang, war eine Mulattin und im Mulattinnen-Negligee, übrigens noch jung und sehr korpulent.

Que es este Was gibt es??‹ fragten Se. Herrlichkeit der Vize-Gobernador, mit unvergleichlich kastilianischem Phlegma eine Prise nehmend und die Mulattin fragend anschauend.

Que es este?‹ fragte sie höchlich erbittert entgegen – › Que es este? En Verdad‹ – wandte sie sich – › El bobo viejo no, vale Was es gibt? Wahrhaftig, der alte Geck hat den Verstand verloren.

»Und sofort bückte sie sich, um die Hemden, Schnürleibchen, Muschettowedel von den Matten aufzuraffen, was sie mit unglaublichem Sans gêne tat, und sich dann gleich ungeniert, wie sie stand, im bloßen Hemde zu Don Henriquez wandte.

Ah caro mio, como estemos? Que hay de nuevo? Estrannos Ah, Lieber, wie befinden Sie sich? Was gibt es Neues? – Ah, Fremde!?

»Und sie überflog uns mit lüsternen Blicken.

Seas decente‹, sprachen mit demselben kastilianischen Phlegma Se. Herrlichkeit, eine zweite Prise nehmend.

Seas decente, y menda por un Padre, y trae un puerco, en donde echar el demonio Sei doch anständig und sende um einen Priester und lasse ein Schwein bringen, auf daß er den Teufel aus dir in selbes treibe..‹

»Und so sagend, erhob er sich gravitätisch, ging auf sie zu, die jedoch die Hand, mit der er die ihrige ergreifen wollte, zurückstieß und mit den Worten: › Gasta calcones Er macht den Hosen Schande.« lachend hinter der Glastüre verschwand.

»Wir standen, ohne eine Miene zu verziehen, den scharfen Rattenblick des alten Wollüstlings ruhig aushaltend. Es war wohlgetan. Ohne ein Wort zu sagen, setzte er sich abermals, Don Henriquez zog aus seiner Rocktasche Feder und ein Tintenfäßchen hervor, und der Alte unterschrieb die Dokumente, die er letzterem mit dem Bedeuten zustellte, das Staatssiegel beizudrucken. Mit einem Buen viage Glückliche Reise. entließ er uns und schloß die Türe.

»Erst jetzt durften wir lachen über die ungemein groteske Erscheinung des zweiten Stellvertreters Sr. katholischen Majestät in den Provinzen Louisiana und Westflorida, des bekannten Vidal, der der sonst humanen Verwaltung Spaniens durch seine grenzenlose Raubsucht und Schamlosigkeit einen so garstigen Schandfleck aufgedrückt; aber die Lust zum Lachen verging uns. Es lag etwas zu Unnatürliches in dieser gräßlichen Karikatur des Lasters. Wir eilten wie getrieben vom Pestengel unserem Estaminet zu, nur eines Gedankens mächtig, nämlich, so schnell als möglich aus dieser jammervollen Hauptstadt zu entkommen. Wir waren kaum unter unsern Freunden zurück, als wir diesen auch unsern Entschluß mitteilten, alsogleich in die Attacapas überzufahren. Alle waren es höchlich zufrieden, und unsere Abreise wurde auf den folgenden Morgen mit Tagesanbruch festgesetzt, Pajol die Weisung erteilt, mit Balot in Unterhandlungen zu treten.

»Pajol jedoch schüttelte den Kopf und bedeutete uns, er wolle mit unserer Abreise nichts zu tun haben, und wir täten besser, unsere Empfehlungsbriefe abzusenden und die Antworten abzuwarten.

»Dieses ließ sich nicht wohl aus dem Grunde tun, weil die Abwartung der Antworten notwendig einige Tage nehmen, und jede Stunde unseres Bleibens uns, die wir nicht akklimatisiert waren, in Gefahr bringen mußte. Wir machten Pajol darauf aufmerksam sowie auf sein früheres Drängen, ja so schnell als möglich abzugehen.

»Pajol geriet in einige Verlegenheit, blieb aber dabei, wir sollten die Antwort auf die abgesandten Briefe abwarten, wollten wir jedoch nicht in Nouvelle-Orleans bleiben, so könnten wir über den Pontchartrain gehen.

›Und mittlerweile unsere Effekten in deiner Verwahrung lassen‹, fragte Amadee, den Mann auf die Achsel klopfend.

›Besser, Ihre Effekten bleiben in Neuorleans, als Sie selbst‹, meinte Pajol, der seine fröhliche Stimmung noch mehr als wir eingebüßt zu haben schien. Es war etwas Barsches, Mürrisches, Unruhiges in den Mann gefahren, das uns notwendig hätte auffallen sollen, wenn wir, im halben Taumel, wie wir waren, irgendeines andern Gedankens fähig gewesen wären, als so schnell als möglich fortzukommen.

›Kurz und gut,‹ sprach ich, ›du unterhandelst mit Balot, der sich anheischig gemacht hat, uns nach den Attacapas zu bringen.‹

›Oder‹, fiel Amadee ein, seinen Stock hebend.

»Pajol ließ sich jedoch durch diese Drohung nicht einschüchtern. ›Ich will nichts mit Ihrer Abreise zu tun haben‹, war seine Antwort. ›Sie tun am besten, Ihre Empfehlungsschreiben abzusenden und sich durch Ihre Freunde eine Gelegenheit in die Attacapas zu verschaffen. Wollen Sie mit Balot abgehen, so mögen Sie, allein ich will meine Hand nicht dazu bieten.‹

»Wir schauten einander an. Etwas war nicht richtig, das sahen wir; allein wer kann in der Lage, in der wir uns befanden, erwägen? –

»Vignerolles nahm den Mann auf die Seite und fragte um die Ursache seiner Meinungsänderung, ob Balot ein verdächtiger Charakter; – er bat ihn, aufrichtig zu sein.

»Pajol kehrte sich ab und brummte etwas, das ich nur zur Hälfte verstand; es war etwas von neun Zoll kaltem Eisen – dann wandte er sich wieder zu Vignerolles und versicherte ihn, daß Balot Hunderte in die Attacapas überfahren, daß er uns aber rate, auf das jenseitige Ufer des Pontchartrain zu gehen, wo wir vom gelben Fieber nichts zu befürchten hätten.

»Wir wandten uns unwillig von dem Manne, bei dem weder Bitten noch Vorstellungen fruchten wollten.

»In diesem Augenblicke trat der wilde Balot ein, warf einen fragend mißtrauischen Blick auf Pajol, der diesen noch verstörter zu machen schien, und schrie: ›Messieurs, ich bringe euch in die Attacapas.‹

»Pajol stand mir zunächst und wisperte mir in die Ohren: ›Gehen Sie nicht mit Balot, gehen Sie über den Pontchartrain.‹

»Balot stand, einen nach dem andern anstierend, allem Anscheine nach aber viel nüchterner, als es nach der bedeutenden Quantität gebrannten Wassers, die er zu sich genommen, zu vermuten stand.

»Ich war nachdenklich geworden, und mehr noch unser alter Freund Amadee, der mir seine Bedenklichkeiten leise zuflüsterte. Vignerolles hatte sich unterdessen mit dem Patrone in Unterhandlungen eingelassen, dieser sich anheischig gemacht, mit seiner Voiture Nennt man sonst in Louisiana bedeckte Boote, in welchen vor Erfindung der Dampfschiffe gewöhnlich die Reisen gemacht wurden. den folgenden Morgen um fünf Uhr an der Levee zu sein und die nötige Mannschaft mitzubringen, die aus zehn Rameurs, einem Bootmann und ihm als Patron bestehen sollte. Seine Forderung bestand in einem Dollar per Tag für jeden Ruderer, zwei für den Bootmann und drei für den Patron. Der Handel war kurz abgeschlossen worden. Von Zeit zu Zeit sah sich Balot nach Pajol um, der ängstlich hinaus-, wieder hereingetrippelt war, auf einmal sich an Amadee herangeschoben und diesem etwas in die Hand gedrückt hatte.

»Mir war keine Bewegung des Mannes entgangen.

»Balot hatte das Darangeld von zehn Dollars erhalten, für das übrige sollte ihm ein Scheck ausgestellt werden. Währenddem diese Verhandlungen ins reine gebracht wurden – was einige Schwierigkeiten hatte, denn der Mann wollte Vorausbezahlung, um seine Schulden bei Pajol und einem Crochet zu berichtigen – hatte Amadee einen Blick in das ihm so geheimnisvoll zugesteckte Papier geworfen. – Gleich darauf trat er auf Balot zu.

›Balot!‹ sprach er, ›welchen Weg gedenkt Ihr zu nehmen?‹

»Balot warf einen fragenden Blick auf Amadee, schoß einen giftigen in der Stube umher, aber Pajol war verschwunden.

»Der Mann wurde mir jetzt unheimlich.

›Welchen Weg?‹ brüllte er – ›welchen andern Weg, als den nächsten, besten, wo meine Voiture und meine Passagiere am schnellsten dahin kommen, wo wir sie haben wollen.‹

»Diese Worte hatten einen höhnend lachenden Nachklang.

›Und dieser Weg?‹ fragte Amadee weiter.

›Was geht Euch der Weg an‹, brüllte mit einem Roßgelächter Balot. ›Ihr geht den Weg, den Eure Herrschaft geht; der Herr da‹, auf den Grafen deutend, ›hat akkordiert.‹

›Nicht so vorschnell, Balot,‹ fiel ich ein, ›Amadee ist unser alter Freund, und was er spricht, wiederholen wir. Nicht wahr, Vignerolles?‹

»Vignerolles bejahte es.

›Und dieser Weg?‹ wiederholte Amadee.

›Führt durch das Bayou La Fourche.‹

›Nein,‹ versetzte Amadee, ›diese Straße gehen wir nicht; – wir gehen durch das Bayou Plaquemine.‹

›Dann mögt ihr allein gehen, ich bleibe‹, sprach er trotzig.

›So mögt Ihr‹, versetzte ich, bei dem nun der Argwohn tiefe Wurzel geschlagen hatte, obwohl mir die Einrede Amadees, der das Bayou Plaquemine den von La Fourche vorzog, auffiel. Wir hatten uns nämlich während unserer vierzehntägigen Auffahrt von den Mündungen des Mississippi nach Neuorleans häufig mit dem Kapitän und den Matrosen über die beste Art und Weise, von der Hauptstadt nach den Attacapas zu gelangen, besprochen und erfahren, daß das Bayou La Fourche, siebenundzwanzig Stunden ober Neuorleans vom Mississippi ausgehend, bei weitem der beste Weg sei, wogegen der von Plaquemine eine Reise von neununddreißig Stunden aufwärts den Mississippi erfordere, was uns zwei Tage mehr nehmen würde. – Aber eben dieser Umstand machte die letztere Tour auch für den Patron gewinnreicher, und die Weigerung, sie zu nehmen, um so verdächtiger.

›Aber was fällt dir auf einmal ein, Amadee?‹ fragte der Graf unsern alten Freund.

›Ich glaube, wir tun am besten, Herr Graf, wenn wir unsere Empfehlungsbriefe absenden und über den Pontchartrain gehen, im Falle Balot nicht durch die Plaquemine will.‹

»Ich stimmte bei, und Vignerolles, der nun zu merken anfing, daß Amadee wichtige Gründe haben mußte, die ihn zur Veränderung unseres Reiseplanes bewogen, gleichfalls.

»Balot hatte wechselsweise mich, wieder Amadee mit Dolchblicken gemessen.

›Pah!‹ schrie er endlich, ›habe doch die zehn Dollars, die mir niemand nehmen kann; sind gerade recht zu einem Zeitvertreibe bei Crochet.‹

»Und fort ging der Mann mit brüllendem Hohngelächter zum Zeitvertreibe bei Crochet.

»Und wir schauten«, fuhr der Baron fort, »dem Manne nach, so trostlos wie gestrandete Seefahrer, die das Rettungsschiff herannahen und wieder verschwinden sehen. – Erst lange nachdem er gegangen, fielen wir beinahe unwillig über Amadee her, der uns die Aussicht verdorben, aus dieser verpesteten Stadt zu entkommen.

»Amadee aber wies uns statt aller Antwort das Papier, das Pajol ihm in die Hände gedrückt hatte. Es waren mit Bleistift die Worte darauf gekritzelt: ›Um Gottes willen! Fahren Sie nicht durch die Bayou La Fourche, fahren Sie durch das Bayou Plaquemine. Balot ist ein Quateroon, seine Rameurs Neger und Mulatten.‹

›Pah,‹ rief Lacalle, ›und was hat das zu sagen? Quateroon oder Weißer, das ist alles eins, Pajol ist ein Narr. Ein Quateroon ist so gut wie ein Weißer.‹

»Sie wissen, daß in Frankreich damals die Negromanie Steckenpferd war«, bemerkt der Baron.

»Pajol sprach zur Türe herein: ›Monsieur! Wenn Sie noch in sechs Wochen am Leben sind, werden Sie Pajol keinen Narren schelten.‹

»Wir riefen ihn herein, drangen in ihn, sich deutlicher zu erklären, aber er weigerte sich ganz entschieden. Bereits habe er mehr getan, als er vor Balot und seinen Genossen verantworten könne, er könne nichts weiter sagen, als daß Balot und Kompagnie Farbige wären, und Pflanzer es vorziehen, ihre Reisen auf dem Mississippi und den Bayous mit Akadiern zu machen.

»Und seine Neger rufend, fingen diese an, den Tisch für unser Abendessen zu decken und die Speisen aufzutragen.

»Wir setzten uns, aber sowohl die Speisen als Getränke widerstanden uns. Es bedurfte gar nicht der öfteren Erinnerungen Pajols, ja mäßig im Genüsse der Fleischspeisen zu sein, wir konnten absolut nichts als Gemüse und einige Schinkenschnitte zu uns nehmen; die Hitze war zum Ersticken.

»Und wie wir so saßen, kam abermals Balot zur Türe herein.

›Messieurs,‹ brüllte er uns an, ›ich bringe Sie durchs Bayou Plaquemine, aber es kostet Sie die Hälfte mehr.‹

›Ihr erhaltet, was ausgemacht ist,‹ bedeutete ihm Amadee, ›einen Gourd für die Ruderer, zwei für den Bootmann und drei für Euch.‹

›Wohl, so gehen wir morgen um sechs Uhr ab.‹

»Wir waren es zufrieden, Vignerolles schrieb die Anweisung, die nach unserer Ankunft von unserem Bankier in Nouvelle-Orleans ausgezahlt werden sollte, und Balot entfernte sich, um seine Leute zusammenzubringen.

›Sind Sie mit Waffen versehen?‹ fragte mich Pajol nach einer Weile wie gelegentlich.

›Mit Pistolen und Doppelflinten, auch Kavalleriesäbeln.‹

›Die letzteren sind gut,‹ meinte er, ›aber nichts gegen Dolche auf Voitures. Sie müssen auch Dolche haben.‹

›Glaubt Ihr, daß wir sie vonnöten haben werden?‹

›Das läßt sich unmöglich voraussagen‹, versetzte Pajol, der das Estaminet verließ. – »Ich teilte, was mir zugeflüstert worden, meinen Freunden mit. Die Eröffnung verscheuchte, ganz wie ich vermutete, auf einmal die trübe Laune, die alle niedergedrückt hatte. Die verpestete Atmosphäre, die heißen Dämpfe waren es, denen alle um jeden Preis entkommen wollten; diese Aussicht hatten wir nun und zur Zugabe eine zweite auf einen Strauß, die uns Hitze und Fieber vergessen ließ. Pajol kam und brachte sechs spanische Dolche, die wir für so viele Piaster eintauschten. Bei allen war Heiterkeit und Mut wiedergekehrt, lachend beschlossen wir unser Abendessen, lachend suchten wir unsere Lagerstätten, die im Schuppen des Estaminethofes neben unseren Kisten und Ballen aufgeschlagen worden waren, – da wir billiges Bedenken trugen, uns den Betten Bajols anzuvertrauen, obwohl er uns hoch und teuer versicherte, daß sowohl die Zimmer gelüftet, als die Leintücher und Tillandsea-Matratzen nach jedem, der am gelben Fieber gestorben, verbrannt, oder in den Mississippi geworfen worden wären. Trotz Mochettoes, Brulôts Sind kleiner als die Mochettoes, dringen aber durch die Kleider, und ihre Stiche sind ungemein peinlich. und anderem namenlosen Ungeziefer schliefen wir ruhiger, als es seit drei Monaten der Fall gewesen war.

»Amadee allein teilte unsere Sorglosigkeit nicht. Er war wach geblieben. Vor Tagesanbruch kam er zu unserem Strohlager, rüttelte Vignerolles, Hauterouge und mich aus dem Schlafe und winkte uns, ihm zu folgen.

»Schlaftrunken folgten wir ihm, Lacalle kam gleichfalls nach.

›Was gibt es, Amadee?‹

›Ich glaube, wir tun am besten und gehen über den Pontchartrain.‹

›Was zum Henker fällt dir ein, jetzt, nachdem der Handel abgeschlossen!‹

»Amadee schüttelte den Kopf. ›Es sind Farbige, traue den Farbigen nicht. War zudem im Estaminet, gefallen mir nicht?‹

›Das finde ich begreiflich, du konntest nie einen Farbigen seit den Zeiten des Klub Massiac Die bekannte Assoziation von Negrophilen, die sich im Anfange der Revolution zu Paris gebildet hatte, und der die Revolution in St. Domingo größtenteils zuzuschreiben sein dürfte. leiden‹, spottete Lacalle.

›Wir sind hier unbekannt‹, versetzte Amadee, der den Vorwurf nicht gehört zu haben schien, ›diese Menschen mögen uns hinführen, wo sie wollen, – kein Hahn kräht um uns. Geben wir unsere Empfehlungsschreiben ab, Herr Graf – das wenigste, was die Herren tun können, ist, uns Gelegenheit nach den Attacapas zu verschaffen.‹

›Hast du etwas gehört?‹ fragten wir.

›Ich blieb im Estaminet, um mit Pajol wegen der nötigen Lebensmittel zu verabreden. Was ich hörte, gefiel mir nicht‹, erwiderte Amadee.

›Und was hörtest du?‹ fragten wir.

›Bloß unsere Namen, verstehen konnte ich ihr negerkreolisches Kauderwelsch nicht.‹

›Pah, Amadee, du bist doch sonst nicht furchtsam, hast das Herz am rechten Flecke? Zehn Franzosen werden sich doch nicht vor zwölf Farbigen fürchten?‹ meinte Hauterouge. ›Es ist point d'honneur für uns, zu gehen, man würde uns auslachen.‹

›Ich meinerseits bin fest entschlossen, mit den Leuten zu gehen‹, sprach Lacalle.

›Und so bin ich‹, fiel Hauterouge ein.

»Ich und Vignerolles waren unentschlossen, aber jetzt kam Balot, und der Gedanke, uns vor diesem Menschen bloß zu geben, beschwichtigte alle Bedenklichkeiten, so ernster Natur diese auch waren.

»Wir begannen unsere Effekten an das Levee und an Bord des Fahrzeuges schaffen zu lassen, wohin wir, wie Leute, die nicht recht wissen, ob sie wachen oder träumen, nachfolgten.«


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