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X.
Ein kreolisches Diner

In den Korridors fängt es an zu dunkeln, die Gentlemen und Damen, wie sie ihre Zimmer verlassen, sind kaum mehr voneinander zu unterscheiden; der Gäste sind mehr, als ich gedacht, die Damen allein erreichen die schöne Zahl der Musen, die der Herren ein volles Dutzend. – Und wie wir nun in den hell erleuchteten Salon eintreten, schweben, tänzeln, tritt eine kurze Pause ein; Eingeführte und Einführende werfen sich forschende Blicke zu, die einen Augenblick auf den Gesichtern, den Toiletten haften, und dann in ein zufriedenes Lächeln übergehen. Es ist etwas naiv Drolliges in diesem wechselseitigen Mustern, Spionieren, das mit einem Blicke herausfinden will, wer das Vis-à-vis, ob es auch comme il faut ist. – Den Kreolen oder Franzosen jedoch gebührt der Vorzug in dieser Espece physiognomischer Kritik; ihre Blicke sind neugieriger, verraten aber mehr Delikatesse, Wohlwollen, obwohl ein leichter Anflug von Perfidie auch wieder nicht zu verkennen ist; – die der Unsrigen sind wieder starrer, fixierter, bohrender. Auch die Haltung der Franzosen ist natürlicher, ungekünstelter, franker. Man sieht es ihnen an, daß gute Gesellschaft das Element ist, in dem sie sich von Jugend auf bewegt – sie sind ganz at their ease Ungeniert. Korrespondiert mit der Franzosen à leur aise., wogegen die Unsrigen, besonders Mistreß Houston, wieder so gespreizt dasteht, als ob sie die ganze Würde unserer Pseudo-Aristokratie zu repräsentieren hätte. Kommt mir wie eine Repräsentantin unserer Geldaristokratie vor, die oft mehr in Sorgen ist, ihre neu erlangte Fashionabilität als ihre Geldsäcke zu konservieren; sie mustert Franzosen und Kreolen mit zweifelhaften Blicken, die erst in süßes Lächeln auftauen, als sie die klassischen Namen: Le Comte de Rossignolles, le Baron de Lassalle, de Monteville und so weiter hört, Namen, die sich an sehr bedeutende Häuser an unserem Red-River und in den Attacapas knüpfen, und deren Gründer ihre Geschäfte so wohl verstanden, daß sie heutzutage die gute Gesellschaft par excellence bilden. Und soll ich euch die Wahrheit gestehen, so nehme ich, wenn ich zwischen guter Gesellschaft zu wählen habe, lieber die der Kreolen als die unserer Pseudo- oder Geldaristokraten in Neuyork, Boston oder Baltimore, sind beinahe durchgängig bloß Provinzial-Nachdrücke eurer Londoner Ausgaben, die, habt ihr wirklich guten Ton, euch durch ihre Nachäfferei je länger desto unausstehlicher anekeln. Diese hingegen bilden eine wahrhaft gute Gesellschaft, der man es ansieht, daß sie noch aus jener alten Zeit herdatiert, wo der Adel noch keine Rivalin an der Geldaristokratie hatte, so daß er human tout le monde à son aise zu versetzen gewissermaßen notgedrungen war. – Doughby hat bereits mit den meisten Allianz-Traktate abgeschlossen, die Hände der Herren sowie der Damen mit Kentucky-Anmut erfaßt – soeben fragt er den Grafen Rossignolles: » And how d'ye do my dear Mister Comte?« – » Very well dear Mister Doughby«, erwidert der Graf. – Ich glaube, käme der gute Doughby in die Tuilerien zu Charles dix, er würde die Hand des alten Gesalbten gleich ungeniert erfassen und ihn ebenso unbekümmert fragen: » How d'ye do my dear Mister Charles dix?« – Nur schade, daß die aufgehenden Flügeltüren des Speisesaales uns diese interessante Unterhaltung verkürzen, aber was kommt, ist noch interessanter, obwohl Doughby frappiert scheint. – Es ist recht possierlich zu bemerken, wie naiv er auf einmal darein schaut, sich so auf einmal alleinstehend, von aller Welt verlassen zu finden. Der gute Doughby ist noch Neuling in diesem Punkt, hat keine Idee von den angenehmen Empfindungen, die der Anblick eines wohlarrangierten Speisesaals, einer elegant uns in die Augen blinkenden Tafel erregen; wie wohltuend das Ensemble gastronomischer Vorrichtungen auf Herz und Sinn wirkt, wie der Vorgeschmack auf allen Gesichtern ein so unvergleichlich wohlwollendes Lächeln hervorzaubert. Bei einigen äußert sich auch bereits der Effekt dieses Anblicks durch ein unwillkürliches leises Schnalzen der Lippen und der Zunge. Das ist der Fall mit meinem Nachbar, dem Chevalier D'Ecars, den Doughby mit einem Satyrslächeln anschaut; aber Doughby, wie gesagt, ist in diesem Punkte ein ganzer Barbar, der weder von Lucull noch Apicius gehört, von Epicurs Lebensphilosophie keine Idee hat, eine Canvas-back duck hinabsendet, als wäre es ein Hammelskotelette. Ich wieder nicht. – Ich liebe mir eine wohlbestellte Tafel, mit appetitlich weißem Tischzeuge, elegantem Tafelgeschirr; um Silberservice frage ich nicht viel, wäre auch bei uns, die wir unser Kapital zu andern Dingen brauchen, ganz am unrechten Orte, aber erträgliches Sèvresporzellan tut es auch, und gegenwärtiges läßt sich schauen. Die Aufsätze sind geschmackvoll, die Kühlwannen mit den Bouteillen, alle in kühlende Präparate eingewunden, verraten viel savoir vivre, die ganze Vorrichtung viel Takt mit unstudierter Einfachheit. Hasse eure Berge von Roastbeef, die euch schon bei eurem Eintritt in den gastronomischen Tempel den Magen drücken, und die Ungeheuer von Schinken und Welschhühnern, wie in eine Bucht verschlagene Wallfische in einem Fettsumpfe schwimmend. – Nein, so ist's recht, einfach, aber geschmackvoll. Feine Servietten auf den Kuverts, zwei Suppennäpfe an beiden Enden, nebst einigen gedeckten Schüsseln; in der Mitte einen Aufsatz und hinter den Sesseln ein halbes Dutzend sauber gekleideter Diener. Verabscheue das Gelaufe, Gerenne, Getreibe eurer großen Diners, die euch schon allen Appetit durch den Gedanken an die Plage und Mühe verleiden, die die armen Gastgeber mit euch haben.

Doch wir haben Platz genommen. Der meinige ist neben Luise und Genievre Rossignolles, einem allerliebsten Mädchen, die Emilie gefährlich werden dürfte – mit der, wie ich erst heute vernahm, die Ehestandspräliminarien nichts weniger als abgeschlossen sind. – Meine Rhapsodien werden durch den Ausruf: »Deliziöse Suppe!« unterbrochen, der den Lippen Montevilles entfährt. – Es ist eine Austernsuppe, die ihn in Entzücken bringt, ich halte es mit der braunen, die das Forte der Maman ist. – Lassalle ist meiner Meinung und auch D'Ecars; andere nehmen die Partei der Austernsuppe; es entsteht eine kurze Debatte, die aber inmitten abgebrochen wird, denn die Deckel werden von den Schüsseln gehoben, und natürlich nimmt der Ideengang eine neue Richtung.

»Weißt du aber, teurer Menou,« hebt de Vignerolles an, »daß das neueste gastronomische Axiom gegen das Bedecken der Fische ist?«

»Es kommt nur darauf an, welche Gattung von Fischen es ist. Zum Beispiel Soles oder frischer Stockfisch, das gebe ich dir zu, aber unsere Sturgeons und Turbots vertragen es nicht«, versetzt Menou mit dem Gesichte eines Kathedermannes.

»Du hast mir versprochen, das Mistère deiner Austernsauce mitzuteilen«, nimmt D'Ecars das Wort.

»Das ist etwas Bekanntes«, fällt Rossignoles ein; »ich ziehe aber zur Sole die Hummernsauce vor, diese ist vortrefflich.«

»Ich nehme zwei Dritteile Hummern, sehr fein geschnitten, mit einem Dritteile Butter und meine Gewürzessenz.«

Die einigermaßen wässerige Fisch- und Saucen-Konversation wird durch das Anstoßen der Madeiragläser unterbrochen, worauf eine kurze erwartende Pause eintritt, deren Übergang zu regerer Tätigkeit durch zwei neue Erscheinungen bewirkt wird. Es sind Green Turtle Die beste Gattung der Seeschildkröten. und Ringeltauben-Pasteten.

» Bon«, sagt d'Ecars.

» Delicieux«, Lassalle.

Wollen also die Schildkrötenpastete versuchen. – Sonst liebe ich sie nicht sehr, denn das Fleisch, sagt, was ihr wollt, ist weder Fleisch noch Fisch, und erhält erst durch Gewürze seinen haut goût, – und ich hasse alles, was Gewürze heißt, – selbst gegen Papas Extrakt habe ich mein Bedenken. Gewürze bleiben Gewürze, die, mögen sie noch so fein destilliert sein, euch die Säfte verderben und die Hydropsie früher oder später auf den Hals bringen. Ich halte es mit der Würze, die uns die Natur gibt. –

Da kommt das wahre Ding, die zweite Tracht, und mit dieser als Einleitung: –

Canvas-back duck Eine Gattung Wasserenten, die bloß in den Vereinigten Staaten zu Hause ist. Im Norden sind die der Chesepeake-Bay vorzüglich geschätzt.. Die sind eine Delikatesse, die, hätte sie Lukull geahnet, Columbus um die Ehre der Entdeckung unseres Weltteiles gebracht haben müßte. Keine europäische Kaisertafel kann ein Gericht so zart, so duftend, so schmelzend aufweisen, das Fleisch zerschmilzt euch buchstäblich auf der Zunge, das Fett träufelt, ihr mögt es anfangen, wie ihr wollt, euch über die Lippen; es ist ein wahrer gastronomischer Hochgenuß, dieses Gericht. Tiefe Stille herrscht während der sechs Minuten dieses sardanapalisch-heliogabalischen Schmauses; jeder ist mit sich selbst beschäftigt, und von den schönsten Lippen fällt euer Blick schnell wieder auf euern Teller, – denn sie glänzen von Fett. – Die allerliebsten Tierchen sind in der letzten Nacht im Ocassesee gefangen worden und also ganz frisch, was sie sein müssen; denn zwei Tage alt haben sie ganz den haut-goût, allen goût verloren. Unsere Seen, im Vorbeigehen sei es bemerkt, so höllische Dünste und Dämpfe sie ausatmen, sind wieder für den Gastronomen ein wahres Himmelreich. Sie wimmeln von Fischen und sind ganz bedeckt mit allen Arten von Wasservögeln. Eine Jagd auf dem See bei Natchitoches – die Zeit kommt nun – ist der Mühe wert. Der Horizont ist eine dichte Wolke von Wildenten, Gänsen und fliegendem Getiere, unter die ihr blindlings hineinschießt, ohne Unterlaß ladet und schießt, wie der Infanterist in die Rauchwolken des Schlachtfeldes hinein, ohne euch zu bekümmern, ob ihr getroffen. Es ist eine wahre Schlacht, die zwei oder drei Stunden dauert, und auf der einen Seite von ein paar hundert Schützen geliefert, auf der andern von Hunderttausenden von Wasservögeln ausgehalten wird. Erst wenn ihr müde und matt, weder mehr laden noch schießen könnt, sammelt ihr die Toten, von denen in der Regel auf den Mann mehrere Hunderte kommen. – Überhaupt so wenig ihr uns im Sommer um unsere Tafeln zu beneiden Ursache habt, so reich, luxuriös werden sie jetzt. Der liebe Gott weiß, was seinen Louisianern gut tut, und daß vieles Essen im Sommer sie mit Extrapost in sein Himmelreich bringen müßte, deshalb spart er sich und uns die Freude auf den Herbst und Winter. – Aber dieser Herbst und Winter! Das sind ganz andere Herbste und Winter als bei euch! Ganze Armeen von Zug- und Wasservögeln kommen nun aus dem Norden herabgezogen, unsere Schaltiere, den Sommer hindurch ungenießbar, erlangen ihre Reife – unser Louisiana ist doch, nehmt es, wie ihr wollt, eine ganz gute – die beste Welt, die einen Carême selbst um seinen Verstand bringen konnte. – Was sind zum Beispiel eure wilden Truthühner im Norden gegen diesen Koloß, der vor uns – in seinem eigenen Fette schwimmt, wie ein zwanzig Gallon haltendes Faß. Es ist jetzt ihre Mastzeit, und so wohl benutzen die guten Dinger die Gelegenheit, daß von zwanzig ausgewachsenen Hähnen, die ihr schießt, achtzehn ungezweifelt im Fallen zerplatzen. Dieser ist jedoch gefangen, denn wie ihr wißt, so werden diese treuherzigen, aber, wie alle treuherzigen, einigermaßen dummen Tiere auf unsern Pflanzungen zu Dutzenden in Fallen verlockt, in die sie den Weg, so enge er ist, hinein, aber nicht wieder heraus finden. Ihr Fleisch ist jetzt eine wahre Delikatesse; doch wir ziehen die Schnepfen vor, deren lange Schnäbel uns recht angenehm anlächeln. Auch diese haben vor euern nordischen Woodcocks den Vorzug der Fette, ich habe nie im Norden einen gefunden, der über sechzehn Unzen wog, wogegen die unsrigen bis zwanzig schwer sind. Sind ein unvergleichliches Verdauungsgericht, die just das Gewürz haben, das ich liebe. Doch genug von unsern Luisianadelikatessen; – die fragmentarisch abgebrochene Unterhaltung, die sich vorzüglich über Kochkunst ausläßt, in der zu meiner Verwunderung d'Ermonvalle und Vergennes recht solide Kenntnisse an den Tag legen – fehlt ihnen alles, so können sie doch noch Köche abgeben, die bei uns besser als unsere Gouverneure bezahlt werden, denn ich kenne Köche, die fünfzehnhundert Dollars Gehalt haben, und Gouverneure mit nur tausend per annum; – also die Konversation beginnt in neue Geleise überzugehen. Es entsteht ein Gesumse, aus dem man zu dato noch nicht so eigentlich klug werden kann. Der Chambertin und Chateau Margôt tun ihre Wirkung bei den Franzosen, bei uns der Madeira, an den wir uns für unsern Teil halten. –

»Ist doch die Krone aller Weine, der Madeira«, bemerke ich zu Richard.

Und Lassalle fällt andächtigen Blickes ein: – » Oui, er ist die Krone aller Weine.«

»Aber nur, wie er bei uns getrunken wird«, bemerkt Hauterouge; Baron de Hauterouge, muß ich beisetzen.

»Ah, ist auch in Carleston vortrefflich«, fällt Lassalle ein.

»Haben die nämliche Behandlungsweise«, versichert Vignerolles.

»Abominable aber in England«, behauptet Monteville. –

»Verstehen das Zeitigen nicht«, belehrt ihn Menou. »Glauben genug getan zu haben, wenn sie ihren Madeira ein- oder zweimal nach Ostindien senden, dann legen sie ihn wieder in ihre feuchten kalten Docks, und diese verderben den Wein durch und durch, nimmt in diesen Docks einen widerlichen Nachgeschmack an.«

»Mein Keller«, bemerkt der Graf Vignerolles, »ist das Dach.«

»Die mittlere Terrasse der meinige, wie du weißt«, versichert ihn Menou. »Dieses Gewächs ist erst sechs Jahre alt, liegt aber seit fünf in Demijohns Große gläserne Flaschen, die fünf bis zehn Gallons, 25-50 Bouteillen enthalten., der Hitze so wie der Kühle ausgesetzt.«

»Ziehst du die Demijohns den Johns vor?« fragt d'Ecars.

»Er kam in Demijohns an«, erwidert Menou.

Und die obere Weinunterhaltung wird durch die untere Doughbys und seiner beiden Antagonisten d'Ermonvalle und Vergennes überschrien. Sie sind am Ende der Tafel placiert und in eifriger Debatte begriffen. Doughby parliert französisch, Vergennes radebrecht unser Englisch; d'Ermonvalle gibt ein Quodlibet von beiden Zungen zum besten. Es ist der Mühe wert, sie zu hören. Vergennes spricht mit apodiktischer Bestimmtheit:

» I say de English Ladies are booty full also.«

» Booty full?« fragt Doughby, ihn anstarrend. » Que pensez-vous avec cela.«

» Booty full!« wiederholt Vergennes noch bestimmter.

» Ah vous voulez dire«, verbessert ihn Doughby lachend, » nos dames sont presque belles dans visage et leur figure.«

» Presque belles,« lacht wieder Vergennes zu d'Ermonvalle. » Hear him, Presque belles! He mean by dat, les dames américaines sont les plus belles quant au visage et à la taille.«

» Oh how drôle!« meint d'Ermonvalle.

» Ah Mister Doughby. I must laugh over you«, lacht Vergennes wirklich.

» Vous riez sur moi!« fragt Doughby – » mais non pas sur moi à particulier?«

» No indeed, in public, out open. – I laugh not in particular over you, but I laugh over your French, because you laugh over my English, and you must know I live for two year in England, I rid de English, rode de English, I rid de Edinbro Waterly –«

» De Edinbro Waterly?« wiederholt Doughby, ihn anstarrend.

» De Edinbourgh Quarterly«, platzt Richard heraus und wir alle mit ihm. Lautes Gelächter erschallt durch den ganzen Speisesaal. Die Komödie erinnert mich an die Debatte, die vor einigen Jahren zwischen zwei ehrenwerten Mitgliedern unserer Assembly stattfand, zur großen Belustigung der übrigen. Denn wie ihr wißt, so harangieren in unserer General-Assembly die Kreolen französisch, die Amerikaner englisch. Der gute R-n war soeben in seinem besten Redestrome, die Notwendigkeit dartuend, das Balize in einen bessern Zustand zu versetzen – zu welchem Zwecke er bloß fünfzigtausend Dollars forderte. »Was!« schrie ein Kreole ihm in die Rede, »fünfzigtausend Dollars für eine Valise! Mit zwanzig will ich eines herschaffen.« Der eine hatte die Stockade an den Mississippimündungen, der andere ein Felleisen verstanden.

Mit dem funkelnden Champagner tritt eine frischere Lebensperiode ein – die Geister werden lebendiger, stürmischer, wären die Damen nicht, vielleicht nur zu lebendig stürmisch. Vergennes hat eine neue Batterie eröffnet, läßt etwas von seinem französischen Liberalismus, seiner weltbeglückenden Philanthropie hören, Richard und Doughby beginnen die Stirnen zu runzeln.

» Eh bien, et le principe de l'ordre social!« ruft ihm der gemäßigte d'Ermonvalle zu.

» Ah le principe de l'ordre – c'est une abomination, que ce principe de l'ordre.«

Und fort fährt er, findet es horribel, daß in einem Lande der Freiheit, das sich mit seiner Aufklärung, seiner Humanität brüstet, die Sklaverei existiere.

Monteville nimmt den hingeworfenen Handschuh auf, bemerkt dagegen, ziemlich gelassen, obwohl ihm die Lippen bereits zucken, daß unsere Sklaverei ein altes, seit anderthalb Jahrhunderten eingeführtes und so eingewurzeltes Übel ist, das nur mit der Zeit gehoben werden könne. Das gibt wieder Vergennes nicht zu, ein so monströses Übel, das die Moralität der bürgerlichen Gesellschaft von Grund aus zerstöre, sollte auf der Stelle ausgerottet werden, die Regierung sollte sogleich eingreifen, die Sklaven freigeben, ihnen Ländereien anweisen, Schulen errichten und so fort. – – Hätte unsere Regierung die Allgewalt des olympischen Zeus und den Verstand seiner Tochter dazu, Vergennes wüßte ihnen beiden Beschäftigung genug. Mit Ausländern und besonders politischen Systemsmännern über unsere politischen Einrichtungen zu debattieren, ist das Peinlichste, das es geben kann. Sie sind so ganz in ihren Formen befangen, so ganz Cockneys, Kleinstädter, die nie über die Nußschale, in der sie gelebt, gewebt, hinaussehen, daß sie wie kleine Kinder, die aus dem englisch redenden Norden nach Louisiana oder von hier hinaufgeschickt werden, um die neue Sprache zu lernen, immer nur dasselbe herplappern. Schon das Prinzip, von dem sie ausgehen, ist dem unsrigen so schnurstracks entgegengesetzt! – Ihnen ist die Regierung ein abstraktes, halb überirdisches Wesen, das alles leiten, lenken, bewirken, schaffen soll, eine Art irdischer Gottheit, die das Volk als Materiale behandelt. Daß wir selbst, wir Pflanzer – wir Volk die Regierenden sind, und daß unsere Repräsentanten, Senatoren, Gouverneure, Staatssekretäre mit dem Präsidenten obendrein – bloß die Diener unseres Willens, unsere Organe sind, das können sie nimmermehr begreifen. Daß wir in den Besitz unserer Sklaven durch unsere Voreltern, unter der gesetzlichen Garantie der Staaten- und Zentral-Konstitution gelangt, in diesem Sklavenbesitze ein ebenso unantastbares Eigentum haben, als jedes andere Eigentum ist, das will ihnen nicht einleuchten. – Der Mensch kann nimmermehr das Eigentum des andern sein, ist ihr ewiger Einwurf. »Es ist richtig, Vergennes«, gibt ihm Monteville zu; »wir geben unsere Neger frei,« fährt er fort, »sobald Ihr uns für die Summen, die unsern Eltern ihr Ankauf, ihre Erhaltung gekostet, entschädigt. – Wir haben, gezwungen durch Frankreichs, Englands Regierungen, notgedrungen unser Kapital, unser Vermögen, unser Alles in sie hineingesteckt, es unter der Garantie der damaligen, der nachfolgenden Zentral- und Staaten-Konstitution, so wie sie noch heutzutage bestehen, hineingesteckt, wir fordern als unser Recht, daß die Gewährleistungen für den uns aufgedrungenen Besitz auch gehalten werden. – Wir haben in den südlichen Staaten über zwei Millionen Sklaven, auf eine Bevölkerung von etwas über vier Millionen Weißer, in Louisiana allein auf weniger denn hunderttausend Weiße mehr denn hundertundzwanzigtausend Schwarze und Farbige. Die zwei Millionen Schwarze der elf Sklaven haltenden Staaten – der Kopf im geringsten Durchschnittspreise nur zu dreihundert Dollars gerechnet, fordern eine Entschädigungssumme von sechshundert Millionen Dollars, weit über drei Milliarden französischer Franken. Wo ist«, fährt Monteville fort, »der Nationalschatz, der diese Summe aufbringen, wo die Nation, die sich und die kommenden Geschlechter zu Gunsten einer solchen Rasse mit einer so ungeheuern Schuldenlast beladen würde? Aber selbst wenn der Fall stattfände, und die acht Millionen unserer nordischen Mitbürger, denn sie allein müßten die Entschädigung leisten, – ihren fünf nachkommenden Generationen diese Schuldenlast aufbürden wollten, wäre dem Übel abgeholfen? Könnten sie die tierischste, die trägste Rasse des Erdbodens, die einzig durch die Peitsche regiert zur Arbeit vermocht wird, durch eine Emanzipationsakte zu tätigen Bürgern umwandeln? Würden diese nicht in den ersten Monden ihrer Freiheit, das Spielwerk irgend eines schwarzen Spartacus, den Kampf auf Leben und Tod mit uns beginnen?«

So beiläufig lautet die Schlußfolgerung Montevilles, der während seiner sprudelnden Rede immer heftiger wird, auf einmal abschnappt, das Champagnerglas unwillig von sich stößt und Vergennes mit einem Flammenblicke mißt. Der gute Monteville merkt, daß er eine Unbesonnenheit begangen, indem er sich in die Widerlegung einer Frage eingelassen, die nie von einem Fremden in unserem Lande gestellt werden sollte. – Es ist eine Frage über Mein und Dein, eine Existenzfrage, die uns, und niemanden sonst angeht, in die sich kein Fremder zu mischen hat. – Was würde, ich sage nicht der französische oder englische Peer, nein, der bloße Fabrikbesitzer sagen, an dessen gastlicher Tafel ein Fremder das Monströse der Sklaverei seiner Fabrikarbeiter, die enorme Ungleichheit, die zwischen dem Verdienste des Taglöhners und dem Gewinnste des Fabrikherrn herrscht, aufs Tapet bringen wollte? Aber unsere Freiheit hat wieder ihr Unbequemes. – Weil unser Land frei ist, erlaubt sich jeder, der importiert wird, Freiheiten, die er sich in seinem Lande herauszunehmen wohl hüten würde.

Eine unheimliche, ja bange Stille herrscht im ganzen Saale, eine schweigsame Spannung; keine Silbe ist zu hören, alle scheinen den Atem an sich zu halten, es ist die Windstille, die dem Tornado vorhergeht, aller Zungen sind wie gelähmt, die Augen der Kreolen auf Vergennes und Monteville geheftet, einige bleich vor Zorn; die allgemeine Heiterkeit ist verschwunden, unsere Damen sind nicht weniger aufgeregt. Bin nur begierig, wie die Episode endigen wird.

Auf einmal läßt sich die Stimme Monsieur de Vignerolles vom oberen Ende der Tafel herab hören. Sie hat eine freundlich wohlwollende Betonung. »Sind Sie schon lange in unserm Louisiana, lieber Vergennes?«

»Bereits zehn Wochen, Monsieur de Vignerolles.«

»Schon zehn Wochen? Da haben Sie freilich unser Land kennen zu lernen Gelegenheit gehabt.«

Und die Miene des Grafen überfliegt, während er so spricht, ein ungemein fein ironisches Lächeln, das ihn allein schon interessant machen würde. Wir alle sehen ihn erwartend an.

Er wandte sich an Papa Menou.

»Gedenkst du noch der Zeiten von 88, du warst damals freilich noch sehr jung, bist fünf Jahre jünger als ich; – ah, welcher Unterschied zwischen der vieille und der jeune France!«

»Es hatte viele loyauté und Delikatesse, das gute alte France«, murmelt Lassalle.

» Les extrêmes se touchent,« bemerkt der Graf – »die alte und neue Welt berühren sich. Wir hörten in unserer Jugend die Nachklänge der alten – in unserem Alter hören wir die Anklänge der neuen Herrschaft.«

»Ich halte es mit der neuen«, ruft Vergennes mit beinahe herausfordernder Heftigkeit. Der gute Junge hat etwas zu viel Chambertin eingenommen.

»Ich glaube nicht, lieber Vergennes,« erwidert de Vignerolles in demselben freundlichen Tone, »daß der gesellschaftliche Zustand im ganzen bei den großen Umwälzungen verloren hat; wir haben verloren, soviel ist ausgemacht, aber das Volk hinwieder gewonnen.«

»In fünfzig Jahren wird Europa republikanisch oder kosackisch sein«, versichert Vergennes kurz und bestimmt.

»So hat Napoleon gesagt«, entgegnet der Graf in demselben gefällig leichten Tone. »Ich wieder bin der festen Meinung, daß die Throne der alten Welt so ruhig fortbestehen werden, als in der neuen Republiken entstehen und fallen werden. An ihrem Glanze mögen sie allenfalls einbüßen – und vielleicht das nicht einmal; – aber ihre Existenz ist zu tief in der menschlichen Natur begründet, als daß sie je gestürzt werden könnten. Als Napoleon die berühmten prophetischen Worte sprach, hatte er noch keine Idee von der großen Potenz, die seit seinem Falle entstanden, der Potenz der Geldaristokratie, die als Mittlerin zwischen Völkern und Thronen beide in ihrer Wagschale balanciert, keine von beiden sinken läßt und kosackischer prinziploser Willkür nie den Eingang in das eigentliche Heiligtum europäischer Zivilisation gestatten wird. Das Prinzip der Geldaristokratie, la propriété, welches die Stelle der loyauté eingenommen, kämpft für die Throne gegen die Prolétaires, und umgekehrt, – ihr Losungswort ist Sicherheit des Eigentums.«

»Aber Sie geben doch zu, Monsieur de Vignerolles,« hebt Vergennes abermals an, »daß die Welt seit den letzten zwanzig Jahren demokratischer geworden ist, als sie es je war.«

»Ohne Zweifel«, erwidert der Graf, »haben die materiellen, oder was dasselbe sagen will, demokratischen Interessen seit zwanzig Jahren gewonnen, aber eben weil sie materiell sind, werden sie, wenn sie bis zu einem gewissen Punkte gelangen, konservativ; denn merken Sie wohl, Individuen sowie Staaten sind nur solange, als sie arm sind, demokratisch; reich geworden zeigen sie sich konservativ, aristokratisch – die Interessen –«

»O diese Interessen, diese preziosen Interessen!« bricht Vergennes aus.

»Für uns Franzosen sowie Europäer überhaupt ist es ungemein schwer, lieber Vergennes, das Wesen des republikanischen Charakters zu erfassen, und noch schwerer, Geschmack daran zu finden. Wir sind in zu künstlichen Formen auferzogen, um an der natürlichen Ungezwungenheit – einer philosophischen Ordnung der Dinge Gefallen zu finden. Die Menschen erscheinen uns nicht nur zu ungeniert, sondern auch zu selbstsüchtig, interessiert im Vergleich mit dem dévouement der alles aufopfernden generösen loyauté rein monarchisch beherrschter Nationen; aber die Ursache ist wohl diese, daß in reinen Monarchien die Interessen aller, der allgemeine Egoismus, wenn ich so sagen darf, in der Hand eines einzigen und seines Kabinettes konzentriert, in Republiken hingegen dieser Egoismus, diese Interessen wieder über die ganze Masse der Bürger zerstreut sind, daher die Erscheinung, daß je republikanischer eine Regierung wird, desto selbstsüchtiger, egoistischer, geldsüchtiger das Volk. – Ich zweifle, ob Napoleon, wenn er heute in all seiner Kraft erstünde, noch die Hälfte der Opfer von unserem Frankreich erlangen würde, die ihm während seines Konsulats und Kaisertums zu seinem Unglücke gewissermaßen aufgedrungen wurden.«

»So zweifle ich,« fährt er nach einer Pause fort, »ob sie heutzutage fünfzig Kavaliere finden würden, die, wie wir zu Tausenden es taten, unserm Vaterlande, unsern Besitzungen, Familien den Rücken kehren würden, um für eine hohe Idee zu kämpfen. Die materiellen Interessen sind das Grab jener hohen loyauté, wie sie früher verstanden wurde; aber diese materiellen Interessen haben wieder auf der andern Seite das Gute, daß auch die sogenannten Prinzipmänner heutzutage nur wenig mehr ausrichten würden.«

»Und halten Sie das für etwas Gutes, Monsieur de Vignerolles?« fragt Vergennes, und die Lippen des jungen Mannes kräuseln sich auf eine Weise, die nicht undeutlich zu verstehen gibt, wie er gerne einen solchen Prinziphelden spielen würde.

»Allerdings, lieber Vergennes, weil wir die Übel geschaut, gesehen die Brände, die Stürme, die diese Prinzipmänner, die Mirabeaus, die Robespierres, Dantons, Marats verursacht.«

Und der Mann hält inne, sieht den Jüngling einen Augenblick mit einem diamantfunkelnden Blicke an und fährt dann fort:

»Ah, mein junger Freund! Es ist etwas Schönes und wieder etwas Furchtbares mit einem sogenannten Prinzipmanne. Er ist ein Wesen, das seinem Prinzips alles opfert – Religion und Familie, Vaterland und Herd, alles soll sich diesem fügen; Anarchie und Verwirrung, das Zerreißen aller Liebes-, Freundes-, geselliger Bande, Ströme Blutes, brennende Städte und rauchende Landschaften kümmern ihn nicht, so nur sein Prinzip weiterschreitet. Es ist sein Gott, dieses Prinzip, dem er das ganze Menschengeschlecht zum Opfer bringen möchte. Und es ist wirklich etwas Göttliches, Gottähnliches in dem konsequenten Aufrechthalten eines Prinzipes; aber darum wehe dem schwachen Erdensohne, der sich Allgewalt anmaßt, ohne den Arm derselben zu besitzen. Er fällt früher oder später als der Sklave, das Opfer seiner Anmaßung. Mirabeau und Robespierre und Danton und Marat waren Prinzip-, Systemsmänner, Erdengötter, sie fielen. Warum? Weil sie nicht die Kraft hatten, ihr Prinzip bis zum Ende durchzuführen. Noch einen Schritt und sie hätten triumphiert, aber diesen Schritt vermochten sie nicht mehr zu tun, die Kraft ging ihnen aus, weil sie beschränkte Erdensöhne waren.«

»Aber ihre Prinzipe, ihre Systeme stehen fest«, erwidert Vergennes; »ein anderer führt sie, bringt sie zum Ziele.«

»Nie,« versetzt der Graf, »nie wird ein Systemsmann ein Prinzip fortführen, was ein anderer begonnen, es ist moralisch unmöglich – ein Denkmal wahnwitziger Vermessenheit findet er es, und so läßt er es – kahle riesige Grundmauern eines aus den Trümmern einer zerstörten Stadt aufgebauten Warnungstempels, dem vorübergehenden Wanderer ins Auge zu starren, ihm die furchtbaren Schicksale der geschlachteten Tausende, den Jammer der Väter, Mütter, die Flüche, die Verzweiflung eines ganzen Volkes zu erzählen – und Nachteulen, Schlangen und Fledermäusen zum Schlupfwinkel zu dienen.«

»Was hat der Mann gegen Prinzipe – scheint kein Freund von Prinzipien?« raunt mir Doughby herüber. »Gebe keinen Strohhalm für den Mann ohne Prinzipien.«

»Vergebung, Mister Doughby. Ein Mann ohne Prinzipien, ohne Grundsätze, der ist freilich nur wenig wert, aber es ist ein großer Unterschied zwischen dem Manne von Grundsätzen und dem Prinzip-, dem Systemsmanne«, versetzt der Graf, der ihn gehört hatte.

»Verstehe, was Sie sagen wollen, Monsieur de Vignerolles«, fällt Doughby ein. »Dem einen sind sie Meilenzeiger auf seinem Wege, die ihn die gerade Straße fortführen, dem andern ist sein System, sein Prinzip ein Sporn, der ihm Tag und Nacht in den Flanken sitzt, ihn zu Tode hetzt. Wüßte auch etwas von derlei Prinzipmännern zu erzählen.«

»Aber mein Gott, Papa«, unterbricht auf einmal Luise die Prinzipdiskussion; »über lauter Prinzipien haben wir ganz auf das Dessert vergessen – Papa, das Dessert.«

Und alle schauen auf und rufen laut ein Ma foi – En vérité – mais voyez donc. – Wirklich haben wir in der Hitze der Diskussion und der darauffolgenden Spannung ganz auf diesen wesentlichen, ja vorzüglichen Bestandteil einer Louisianatafel vergessen, und die Überbleibsel der zweiten Tracht stehen noch immer in nichts weniger als pittoresken Bruchstücken umher, und die Leute, scheint es, machen es sich auch bequem, keiner ist zu sehen.

»Mein Gott! Wo sind denn die Leute alle?« fragt die Maman. »Wo sind sie? Kein einziger ist da, Champagner seit einer halben Stunde auf der Tafel und kein Dessert! Welche Verwirrung!« jammert sie.

Und der Papa springt auf und Luise mit ihm, und beide laufen zur Tür hinaus in den Salon. Luise kommt laut lachend zurück.

»Stellen Sie sich nur vor, Amadee steht mitten unter unsern und ihren Domestiken und erzählt ihnen der Himmel weiß was für Geschichten, und sie hören alle zu mit offenem Munde –«

Und neues Gelächter, » Ma foi, c'est drôle«.

»Wer ist dieser Amadee?« fragte ich Luise.

»Der Amadee? Kennst du Amadee nicht? – Es ist der Amadee von Papa Rossignolles – mein Gott, alle Welt kennt ihn. – Da kommt er, Amadee, lieber Amadee!«

Und der liebe Amadee kommt wirklich mit Papa Hand in Hand, ein paar Worte flüstert dieser dem Grafen und Maman in die Ohren; die gute Mama schaut auf, wird betroffen, faßt sich jedoch gleich wieder, reicht dem Alten freudig die Hand, die er recht französisch galant an die Lippen drückt. Wir alle schauen der Pantomime gespannt zu. Die Kreolen stecken die Köpfe zusammen, horchen, und ihre Gesichter erheitern sich; sie werden kindisch ausgelassen. Die guten Kreolen! Nichts als Amadee, bon Amadée ist zu hören.

»So sage mir nur, was das alles soll?«

»Später!« lispelt mir Luise zu – »du wirst hören.«

»Amadee, deine Gesundheit!« ruft der Papa, das Glas hebend.

Und alle heben die Gläser.

» Amadée santé.«

Und der alte Amadee hebt das ihm von der Maman gereichte Glas gleichfalls, salutiert mit Anstand rings umher und leert es dann auf unser aller Gesundheit.

Das ist doch seltsam, wirklich seltsam. Der alte Vendeer oder Gascogner führt uns unsere Diener mir nichts dir nichts aus dem Saal, um ihnen alte Geschichten zu erzählen, statt sie das Dessert aufstellen zu lassen, und wird dafür von sämtlichen Kreolen toastiert, als ob er eine Heldentat vollbracht hätte. Auf alle Fälle ist er ein ganz einziges Exemplar eines Ci-devant Valet de chambre oder was er ist? Ein wahres Laternengesicht, das bloß Haut und Knochen vorweiset und Runzeln und eine scharfe spitze Nase, am äußersten Ende rot punktiert, ein Paar kleine funkelnde Augen, grauweiße Wimpern, das ganze Profil ungemein scharf, nicht eigentlich aristokratisch, aber verschlagen scharf, eine wahre Häscher-, Polizeidirektors-Physiognomie. Für das ihm übrig gebliebene Haarkapital trägt er übrigens viele Sorge, ein kurzer dicker Haarzopf sitzt ihm im Nacken und zwei eisgraue Wülste über den Ohren, die mit dem spiegelglatten ehrwürdigen Scheitel nicht übel kontrastieren. Sein Rock ist aus dem feinsten blauen Tuche mit weißen Aufschlägen, aber in einer Fasson geschnitten, die wenigstens ein halbes Säkulum alt ist. Auch seine Gamaschen datieren in diese Zeit zurück. – Jetzt ist er ganz mit Aufstellung des Dessertes beschäftigt, das er recht kunstgerecht vor die Augen zu bringen weiß. Unsere Desserte aber verdienen es auch, unsere Ananastorten allein – die vor uns stehende verrät eine Meisterhand – sind wahrhaftig deliziöse Artikel; auch unsere Bananentorten, obwohl sie nicht das Pikante haben, sind nicht zu verwerfen. –

Und wie er den Schwarzen die Teller, Schüsseln und Schüsselchen abnimmt und sie in gefälligerer Perspektive auf der Tafel arrangiert, geht mir auch das Licht auf. Der Alte hat sie mit den Dienern der Gäste zweifelsohne aus dem Saale bugsiert, um zwischen ihre Ohren und die Zunge Vergennes die gehörige Distanz zu legen – »Nicht wahr, Louise?«

Louise nickt, legt aber den Finger mit einem vielsagenden Blicke auf meinen Agnaten an den Mund. –

»Weiß nicht, liebe Louise, wer so rücksichtslos jede Convenance verletzend, wie dieser junge Mensch, seine krüde philanthropische Klub-Efferveszenz bei jeder Gelegenheit auskramt und den fanatischen Apostel spielt, verdiente eigentlich eine ernstliche Zurechtweisung. Respekt vor jeder Meinung, aber Delikatesse ist da am unrechten Orte, wo unsere und der Unsrigen Sicherheit und Leib und Leben in Gefahr stehen. Ohne die einigermaßen seltsame Dazwischenkunft des fremden Majordomo würden ein Dutzend Sklaven Dinge gehört haben, die in Zeit von einer Woche unsern fünfundzwanzigtausend Negern am Red-River – auf die wir nicht fünfundzwanzighundert Weiße haben – die Köpfe leicht so lichterloh hätten anbrennen können, als uns unser Louisiana nur zu heiß gemacht haben dürfte. Ist nicht zu scherzen in diesem Punkte, es ist furchtbarer Ernst, versichere euch. Wir sitzen auf einem Vulkan – auf einem Pulvermagazin, wir dürfen es uns nicht verhehlen, so qualvoll, so entsetzlich diese Gewißheit auch sein mag; aber wie wir unsere Lage kennen sollen, sollen wir auch nicht jeden Unbesonnenen mit brennender Lunte in dieses Magazin eintreten lassen, ehe wir aufgeräumt, die Explosion unmöglich gemacht haben. – Wie Männer sollen wir unsere Lage ins Auge fassen, nicht wie alte törichte Weiber, und die Kreolen und Franzosen sind in diesem Punkte belfernde, leichtsinnige, schnatternde Weiber. Befürchte, gestehe es aufrichtig, diese Kreolen bringen früher oder später eine St. Domingo-Teufelei über uns und unser Louisiana! Zum Glück haben wir Uncle Sam im Norden!«

Doch die Stimmen werden wieder fröhlicher, die Zungen lauter, die Inspiration beginnt sich auf den Gesichtern, der Männer wenigstens, zu zeigen. Alle fühlen sich so wohl, wie man es immer nur sein kann, wenn Ananas- und Bananentorten und Granadillos und Peccans und Orangen und zwanzigerlei Arten tropischer Früchte mehr und Champagner- und Madeiraweine euch anlächeln.

Es ist erstaunlich, welche Niederlage in den Vivres und Fluiden unsere zwanzig Personalitäten oder vielmehr unser Dutzend, denn die Damen zählen nicht, angerichtet; – es scheint, als ob alle das Versäumte wieder einbringen wollten. Einige sitzen bereits wie im Traume, die Akazien vor dem Hause beginnen ihnen Menuetts zu tanzen – werden revolutionär, die Tafel, die Sessel fangen an zu promenieren. – Hauterouge ruft de Vergennes zu: » De l'ordre, de l'ordre – on a toujours assez de liberté, c'est de l'ordre qu'il nous faut.«

Vergennes hat die dreifarbige Kokarde in der Hand, die er an die Lippen drückt, er schreit: » C'est une honte, qu'on ait reculé devant l'idée d'une nationale assamblée, qu'on n'ait point fait révolutionairement une loi d'élection; qu'ill fallait une nouvelle loi d'élection, une nouvelle chambre, pui un« und so weiter, zum offenbaren Verdrusse d'Ermonvalles, der ein ganzer Doktrinär – eine neue Espeze Menschenbeglücker – in kurzen abgebrochenen Sentenzen das Belle-France analysiert, dividiert, subdividiert, so daß es zuletzt impalpable erscheint. – Er tut wieder die Notwendigkeit des Friedens dar, der Quieszenz der großen europäischen Familie. Es geht uns nur, um die verschiedenen Nuancen der großen Nation alle zu haben, noch ein St. Simonist und ein Kongregationalist ab. – Wir wußten gar nicht, welchen Parteien-Reichtum unser Louisiana besitzt; Bonapartisten und Republikaner, Legitimisten und Doktrinäre, alle möglichen Arten und Abarten tauchen auf. Die Wirkungen des Champagner und Madeira springen in die Augen. –

Schade, daß Mistreß Houston endlich sich vom Sessel erhebt – sie hatte mit einiger Ungeduld der französischen Sitte, an der Tafel zu bleiben, das Opfer gebracht – jetzt erhebt sie sich jedoch, mit ihr die übrigen. – Es ist auf alle Fälle Zeit, den Aufruhr, den die Weinfluten angerichtet, mit dem Öle der Mokkabohne zu beschwichtigen. –

»Mesdames und Messieurs! Ist's gefällig, in den Salon zurückzukehren?«

Keine Einwendung gegen die Motion des guten Papa – wir arrangieren uns in Reihe und Glied.


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