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VI.
Uncle Sam und seine Demokratie

Bekanntlich das Sobriquet, das die Eigentümlichkeiten der amerikanischen Nation (wie John Bull die der englischen) bezeichnen soll.

Wohl eine Minute verging, ehe einer zu Worten, zur Besinnung kam. Endlich brach Kapitän Blount aus:

»Bei G–tt! Habt ihr je so etwas in eurem Leben gehört?«

»Hättet ihr euch auch nur träumen lassen, daß es in unserer Union solche Menschen geben könne?« ruft Heath.

»Ärger als Baschkiren und Kalmücken!« Johns.

»Und Algierer und Tuneser!« Trumbull.

»Sie wollen Ruhe«, lacht Richard.

»Unter la belle France zurück«, Doughby.

»Wir hätten unsern Sheffersen, Madersen, Ehedems behalten sollen«, spotten Beard und Weatherell.

»Haben Sie nur Raison, Shentelmen, was Straße an den Sabine?« Brown.

»Was, Kanal!« fällt wieder Blount ein. – »Was Kanal! Wäre ein Kanal vonnöten, hätte ihn der bon Dieu ohnfehlbar gemacht!«

Und abermals schauen sie sich an, so verdutzt, verblüfft über dieses kreolische Spektakelstück, wie ich in meinem Leben Hinterwäldler nie gesehen. Aber die Bellevue von unserm Treiben, die uns die guten Leute vor Augen gehalten, ist auch zum Verblüffen, ist von einem so barocken Standpunkte aus genommen, sticht so grell ab mit den Ansichten, Meinungen, die wir vorgefaßt, gehegt, gepflegt! – Wir hegen nämlich eine sehr gute Meinung von uns, eine vortreffliche, herrliche, kernsolide Meinung, würde Doughby sagen, die erste, die beste Meinung von der Welt. Schon John Bull hat, wie zur Genüge bekannt, eine gute Meinung von sich, allein er ist die Demut selbst, im Vergleich mit Uncle Sam, der sich noch einen ganz andern Mann erachtet, als seinen alternden Vetter John Bull, – frei, geradezu herausgesagt – denn er hält in diesem Punkte gar nicht hinter dem Berge – daß er der erste, vortrefflichste, beste Mann in der Welt ist, der freieste zugleich, sowie der verständigste, der aufgeklärteste, der glücklichste, kurz, ein ganz außerordentlicher Mann, dessen kleiner Finger mehr wert ist als bei einem andern die ganze Hand. Das versichert er euch auf Wort und Ehre und Leben und Seligkeit, und sie kommt von Herzen, diese Versicherung; denn sie ist ihm so oft gegeben worden, von groß und klein, jung und alt, hoch und niedrig, daß sie zum stehenden Glaubensartikel geworden, dem einzigen stehenden Glaubensartikel, den wir haben, und den ihr in jeder Hütte, auf jedem Platze, jeder Straße, ohne die mindeste Variante hört, den in Zweifel zu ziehen niemand mehr einfällt, um so weniger einfällt, als der Versuch mit einiger Gefahr für eure geraden Glieder verbunden wäre. Und eben weil dieser Glaubensartikel so allgemein, so einstimmig bekannt wird, bringt die Variante, die die Kreolen zu dato geliefert, eine so außerordentliche Erschütterung auf die sonst eben nicht zarten Felle meiner lieben demokratischen Mitbürger hervor; sie lassen sich schauen wie die angenehmen Antlitze ebenso vieler Affen, denen eine starke Portion gepfefferten Weinessigs eingetrichtert worden. Daß Uncle Sam in seiner zahlreichen und weitverzweigten Familie Glieder zähle, die durch unverdiente Gnade des Zufalls in diese aufgenommen, die Ehre und die Segnungen, deren sie durch diese Aufnahmen teilhaftig geworden, auf eine so impertinente Weise verkennen und sich unter das Joch einer absoluten Regierung zurücksehnen, ist für sie ein Phänomen, das ihren Ideengang ins Stocken, zum gänzlichen Stillstande bringt, denn burlesk, wie es ist, was sie gehört haben, so fühlen doch alle wieder, daß den Ausbrüchen etwas anscheinend Wahres zugrunde liege – es sind bedeutende Männer, die ihrem Herzen Luft gemacht, Männer, deren Interessen mit dem Besten des Landes innig verwoben, die sich im Besitze bedeutender Reichtümer unbehaglich fühlen, und die nur dem Drange ihrer bitteren Gefühle Luft gemacht, weil ihnen unsere Demokratie mit ihrem Treiben und ihrer tumultuarischen Beweglichkeit wirklich unbequem geworden, ebenso unbequem, wie das Treiben junger toller Bursche dem ermüdeten Reisenden, der in demselben Wirtshause Ruhe sucht, in das auch sie eingebrochen sind. Denn gestehen wir es nur, mit diesem Treiben einer im Wirtshause Kirmes haltenden Schar hat unsere Demokratie zuweilen recht sehr viele Ähnlichkeit, und so sehr uns die Sprünge und der wilde Tanz und der Klang der Gläser und das Jauchzen und Johlen ergötzen, weil wir jung und lebensfroh an diese Sprünge gewöhnt sind, so ist es doch wieder sehr unerquicklich für den müden Reisenden, in später Nacht sein Schlafkämmerchen erdröhnen zu hören und aus dem ersten Schlummer in so unsanfter Weise aufgerüttelt zu werden. Und sie schüttelt zuweilen, unsere Demokratie, und rüttelt, wie ihr wißt, mit einer Sansfaçon, die stark nach Rustizität oder Familiarität, wie ihr es heißen wollt, riecht und besonders zarten, parfümierten und überpolierten Personalitäten nicht zweimal behagen will. Und solche parfümierte und überpolierte Personalitäten sind gerade diese Kreolen, trotz Wolldecken und Kapotte, Schmutz und Unwissenheit – es ist diese Pseudopolitur das einzige, was vom preziosen alten Regime auf sie herabgekommen und worauf sie halten, wie auf ein Erbstück. Es sind alte Münzen, diese Kreolen, einige unter Louis quinze, andere unter seinem bessern, aber unglücklichen Nachfolger ausgeprägt, und durch langen Umlauf so verschlissen, daß sie fürchten, durch die Berührung mit euch gänzlich vergriffen zu werden, und deshalb lieber ihre Tage verliegen wollen bis zur gänzlichen großen Umschmelzung. Sie wollen mit einem Worte Ruhe, mit eurem Selfgovernement nichts zu tun haben, es greift zu sehr ihre Fläche an, faßt sie zu scharf; die fünfundzwanzig Jahre Bekanntlich wurde Louisiana im Jahre 1803 von Frankreich für 15 Millionen Dollars an die Vereinigten Staaten überlassen, und ebenso bekannt ist es, daß die Antipathie der Kreolen gegen ihre neuen Mitbürger noch immer mehr oder weniger in den verschiedenen Teilen des Staates hervortritt., die sie darunter verlebt, haben den anfänglichen Reiz der Neuheit in Widerwillen verwandelt. Sie sind Franzosen von Geblüte und mit Leib und Seele, die die Freiheit recht gerne hätten, wenn sie nur keine Arbeit noch Mühe verlangte, schmücken würden sie sie, wie Kinder ihre Puppen schmücken, sie drei Tage auf den Putztisch stellen und entzückt um sie herumtanzen; dann müßt ihr es ihnen aber nicht übelnehmen, wenn sie sie nach den ersten drei Tagen auf einen Seitentisch schieben, um sich mit einem wichtigeren Dinge zu befassen, – und nach Verlauf der Woche zum Beschluß in den Kehricht werfen, – das Spielwerk ist ja so alltäglich geworden und erregt ihnen nur Widerwillen, und sie sehnen sich wieder in die bon vieux temps zurück, mit einem wahren Heimweh. So sehnt sich der Mestize der Tierra Caliente, den eine wohlwollende Hand aus dem mephytischen Fieberpfuhle von Veracruz oder Campeche in die reinere Atmosphäre von Durango oder Santa-Fé verpflanzt, zurück in seine Rohrhütte, zu seiner Kalabasse und seinem Bananen-Fleckchen, die ihm verstatten, dreihundertundsechzig Tage von den dreihundertundfünfundsechzig des Jahres zwischen seiner Siesta, dem Monte und der Gitarre zu teilen. So würdet ihr, unter das glückliche Zepter eines europäischen Monarchen versetzt, euch zurücksehnen auf eure rein natürlichen Höhen gesellschaftlicher Prinzipien, unfähig, den Druck der dichten Luftschichten, die Jahrhunderte einer stabilen Regierung übereinander gelagert, auszuhalten; so würden sich aber auch sicherlich die Völker dieser Monarchen, wenn durch irgendeinen revolutionären Stoß aus ihrem Gleichgewichte gebracht, zurücksehnen, ja zwängen in ihre gewohnte Atmosphäre, weil sie weder die frischere, schärfere Luft noch das ungewohnte Klima vertragen könnten; denn vergeßt es nie, die Freiheit sowie der passive Gehorsam brauchen eigene Lungen, die, um nicht der Schwindsucht zu verfallen oder euch das Spielen zu versagen, von Jugend auf, durch eine lange Reihe von Jahren für die eine oder andere Atmosphäre gezeitigt sein müssen. Plötzliche Übergänge mögen einzelnen Konstitutionen zusagen, bei ganzen Völkern tun sie nimmer gut und bringen nur Konvulsionen und epileptische Zufälle hinterdrein, die ihre Existenz gefährden. –

Nein! – Das große Buch der Vergangenheit, selbst der Gegenwart, zeigt es euch auf jedem Blatte, daß die Göttin der Freiheit nicht die leichtfertige, blumenbekränzte Kokette ist, mit der Dichter und böswillige Phantasten euch die Sinne kitzeln, nicht die wollüstig lächelnde, im lüsternen Reigen einherschwebende Schöne, die sich im Sturme der Leidenschaft durch einen Coup de main vom ersten besten Wüstlinge erobern oder durch ein schaffellenes Pergament oder eine Charte oktroieren läßt. – Sie ist eine züchtig ernste, nüchtern gereifte Dame, bereits in Jahren vorgerückt, mit einem hausmütterlichen, ja strengen Antlitze, einer Kappe auf dem Haupte, die mit einer Seemannskappe viel Ähnlichkeit hat und weniger auf Grazie und feine Manieren als unverdrossene Arbeitsamkeit deutet, eine Spielereien und dem Tande abholde, matronliche, Tag und Nacht wachsame, mißtrauisch scharf ihren Blick umherwerfende, ihren Herd, ihr Haus bewachende, positive, ihrer Würde stets sich vollkommen bewußte, gottesfürchtige Dame, die unaufgefordert von selbst bei euch einkehrt, sowie ihr diese ihre Lieblingstugenden euch beigelegt, euch aber auch in demselben Augenblicke den Rücken wendet, wo ihr üppig ausgelassen ihre warnende Stimme überhört oder träge die Bürde eures Haushaltes auf die Schultern verräterischer Mietlinge wälzt. –

So erscheint sie uns, im Leben und im Bilde, auf jedem Eagle, jedem Dollar, jedem Dime Adler, Piaster, Zehncent- (oder Sous-) Stücke; die Münzen der Vereinigten Staaten, die bekanntlich auf einer Seite das Wappen, den weißköpfigen amerikanischen Adler, auf der anderen Seite das Brustbild der Göttin der Freiheit als Symbol führen., und wir glauben sie so ziemlich genau zu kennen, und wer sie euch anders malt – hütet euch vor ihm!

Ist aber doch zu verwundern, wie trotz dem unablässigen Reiben, Rollen, zu dem unsere Demokratie Uncle Sam verdammt, wie die alten Götter den armen Sysiphus, die ursprünglichen, aus dem alternden Europa herübergebrachten Schlagschatten noch so stark in seiner weitverzweigten Familie hervortreten!

Servabit odorem testa diu

sagt der römische Dichter, und bei uns gilt dies, wiewohl in einem anderen Sinne, recht eigentlich im großen Maßstabe. Seht nur zum Beispiele den Yankee, einen der ältesten Söhne besagten Uncle Sams! Seht ihn an, mit seiner gefurchten Stirne und den kalten, neblig-frostigen Augen, den strenge zusammengezogenen Lippen, die sich nur öffnen, um den Herrn in seinem Tabernakel zu preisen oder den Zucker, Kaffee und Tee in seinem Kramladen; – in unausstehlich gedehnter Selbstgenügsamkeit, nicht bloß im Herzen, sondern laut Gott dankend, daß er nicht ist wie andere Menschen, sondern ein eigener auserwählter Mann; – und ihr habt ein ziemlich getreues Bild der frommen Wanderer von Plymouth, die, wenn die Chroniken wahr sprechen, über dem Drang nach dem Himmel der guten Dinge dieser Erde nicht vergaßen; und ihrer Meinungs- und Stammesverwandten, der Rundköpfe und Puritaner und Cameronianer und Knoxianer, und wie die liebenswürdigen Leute alle hießen. Aber wieder bergen diese schroffen, stockischen, unlieblichen Züge Tugenden, die ihr schwerlich unter der harten, abstoßenden wucherischen Außenseite suchen würdet, Tugenden, die diesen schwerfälligen Gast wie mit Schmetterlingsflügeln in die kalte, trostlose Wildnis Neuenglands getrieben, von da über die Alleghanyberge getrieben, und wie die âmes damnées des Bosporus nimmer ruhen gelassen, bis er die Wildnisse des Ohio in fruchtbare Paradiese umgeschaffen. Und wandert ihr heute durch das Land im Westen der Alleghanyberge, dasselbe Land, das vor weniger denn fünfzig Jahren statt der Menschen Bären, Wölfe und Elentiere beherbergte, so findet ihr Millionen ruhiger, friedlicher, tätiger Bürger und Bürgerinnen, in Staaten vereinigt, die manche eurer europäischen Königreiche an Umfang, Wohlstand und die meisten an Gesittung, Aufklärung übertreffen; und Städte, in denen euch zwar noch Schweine und Rinder den Weg zuweilen vertreten, die ihr aber schöner und lieblicher in keinem Lande der Erde findet, und Eisenbahnen und Straßen, die das Land in jeder Richtung durchschneiden, und Dampfschiffe, die alle Flüsse und Ströme bedecken. Und fragt ihr, wer dies getan hat, so ist die Antwort, großenteils, wenn nicht ganz, jener Yankee mit der gefurchten Stirne und kalten, nebligen Augen, dem selbst, wie seine Nachbarn versichern, kein gerade sehr warmfühlendes Herz im Busen schlägt, das überflüssigen Raum hätte für den Nebenmenschen, der ihm aber doch in dem schönen Ohio einen Wohnplatz bereitet, – so daß nun Deutsche und Engländer und Schotten und Franzosen Saaten einernten, wo sie nicht gesäet. – Sagt, woher das Rätsel?

Und schaut ihr vom rechten Ufer der belle Rivière Der Ohio, von den Franzosen bekanntlich der schöne Strom genannt. hinüber auf das linke, so findet ihr wieder einen ganz andern Zweig von Uncle Sams Familie, einen Zweig, vom kalten, nebligen Yankee himmelweit verschieden. – Es ist ein lebensfroher, noch etwas wilder Geselle, der seine Indianerkämpfe noch im frischen Gedächtnisse führt, Wettrennen liebt und einen Rough und Tumble, auch Karten und Würfel mehr als nötig, den Kopf emporhält und sich ein wenig spreizt ob seiner Abstammung vom alten Virginien, das, wie ihr wißt, seinen Stammbaum von einem jüngern Sohne eines altadeligen englischen Geschlechtes herleitet und deshalb etwas vornehm auf die plebejischeren Geschwister in Uncle Sam herabsieht, wie jüngere Söhne alter Familien gerne zu tun pflegen; – den Kopf nicht ganz so kühl wie Bruder Yankee, das Herz dafür aber wärmer am rechten Flecke sitzen hat. Es sind nun einige siebzig Jahre, daß seine Vorfahren, eine Schar dieser Söhne Virginiens, die heutige westliche Grenze Virginiens ursprüngliche Grenze war, infolge der von den Königen Englands garantierten Charte, der atlantische Ozean östlich, der Mississippi und die Seen westlich und nördlich; später trat es zu verschiedenen Perioden den größten Teil seines Gebietes an die Vereinigten Staaten ab, aus welchem dann die Staaten Ohio, Kentucky usw. gebildet wurden. ihres Staates überschritten, um nach alter Weise auf Entdeckungen und Abenteuer auszuziehen. Es war damals die Nacht des Waldes über die ganze Ohio- und Mississippiregion hinabgebreitet, nur am untersten Rande des endlosen Stromes hatten sich Franzosen eingenistet, und an unserm Red River; – Oasen mit einem dürftigen Grün und einer schwachen Quelle in der grenzenlosen Wüste der Barbarei. – Als die kühnen Gesellen tiefer eindrangen in das hehre Dunkel der Urwälder, dem grauenerregenden blutigen Grunde, wie das heutige Kentuck genannt wurde, näherkamen und die wilde Musik der Jaguare und Panther und Bären und Wölfe und Büffel hörten, ward ihnen ein wenig bange, doch drangen sie noch immer mutig vorwärts, in der freudigen Hoffnung, auf den Ohio zu stoßen; aber als sie statt an diesen, nur tiefer in das Herz des blutigen Grundes gerieten und ihnen auf einmal das Geheul der roten Männer in die Ohren gellte, da versagte ihnen der Mut, und sie wandten schaudernd den Rücken und flohen in Schrecken und Entsetzen in ihre Heimat zurück. Das sind nun siebzig Jahre und einige darüber, und führt euch euer Weg heutzutage durch den blutigen Grund, so stolpert ihr sozusagen mitten in denselben Urwäldern, die den ersten Abenteurern Virginiens solches Grauen verursachten, auf Städte von fünf- und zehntausend Einwohnern und kaum zwanzig Jahren, die euch so frisch und fröhlich ins Auge blicken, als ob sie vor acht Tagen aus der Werkstätte des Baumeisters gekommen wären, und in denen abermals Irländer und Schottländer und Deutsche und Franzosen einen Herd und eine Heimat gefunden, zu denen sie den Weg auf denselben Straßen und Kanälen gefunden, die unsern Kreolen so viele Qual und Pein verursachen. Und das tat der fröhlich-sorglose, oft unüberlegt ausgelassene Kentuckier, trotz Anklang irischer Teufelei und Rough und Tumble und zeitweiligem Kopfaufwerfen über seine Brüder in Uncle Sam, und vornehmem Herabsehen auf die transatlantischen Söhne in Adam. Und dasselbe taten der als engherzig ausgeschriene Quäker Pennsylvaniens, der nimmer ruhende geldstolze Bruder von Manhattan Der indianische Name von Neuyork., der sehnsüchtig die Kolonialherrschaft Altenglands zurückwünschende Karoliner. – Alle gestatten sie unter ihrem Dache auch anderen zu wohnen, auf ihren Straßen auch andern zu reiten, zu fahren, geben den Müden, den Armen, den Unterdrückten, für die euer Busen zu enge geworden, die ihr verstoßen, ein Plätzchen, sich einzunisten, einen neuen Herd zu schaffen; nicht als ob sich ihre Herzen – in der Kälte der Not zusammengeschrumpft – in der Frühlingswärme der Freiheit und des Wohlstandes erweitert hätten, – nein, Uncle Sams und seiner Söhne Appetit in diesem Punkte ist so scharf als der einer Anakonda, er wird eher schärfer als schwächer durch Befriedigung, er baut gerne und sät und pflanzt leidenschaftlich, aber er will auch ernten für sich, was er gebaut, gesät, nicht für andere; die schönen Träume einer weltumfassenden Philanthropie haben in seinem nüchternen Gehirne nicht Eingang gefunden, denn er weiß aus Erfahrung, daß die Liebe ist wie jene Wasserkreise, die, wenn sie sich allzuweit ausbreiten, endlich verflachen und spurlos verschwinden, auch daß gute Kosmopoliten in der Regel schlechte Patrioten sind. Und er ist und will guter Patriot sein, glühender Patriot, dem sein Land, und nur sein Land, am Herzen liegt; aber doch verschmäht er nicht, fremde Materialien zu seinem Baue zu nehmen, weiset fremde Gesichter, wenn sie bei ihm anklopfen, nicht von der Türe; jene herrliche Folie, die der Römer dem Namen nach kannte, aus Nationalstolz aber unterdrücken mußte, die Caritas generis humani, durchschimmert wirklich, ohne daß er sich ihrer eigentlich bewußt wäre, sein Tun und Treiben. – Und kennt ihr die wohltätige Fee, die diese herrliche Folie Uncle Sam und seinen Söhnen unterbreitet, seine harten Züge erweicht, sie segensvoll für das gegenwärtige und zukünftige Geschlecht gemacht, die Schale seiner Selbstsucht gewissermaßen zerbrochen und den gesunden, von John Bull geerbten Kern zum Keimen gebracht hat? Denselben englischen Kern, den nur die siebenfache Schale, mit der ihn eure Tories umschlossen, am Keimen verhindert? – Es ist dieselbe Demokratie, die ihr in eurer Engherzigkeit als die Quelle alles Übels, als die Drachenzähnesaat anseht. Es ist sie, die dieses bewirkt, die Uncle Sam mit allen seinen Härten, mit allen seinen unliebenswürdigen Eigenschaften, zu einem im Grunde so achtbaren, ja dem achtbarsten Manne der neueren Zeit umgestaltet, dem groß-, dem weitherzigsten. – Es fällt euch schwer, dieses zu begreifen, das gestehen wir gerne ein; werden wir doch selbst öfters irre an ihr, da sie ein wahres Zwitterding ist, ein wunderbares Amalgama der widersprechendsten Tugenden und Gebrechen, zuweilen so genau und filzig, daß sie ihre besten Freunde, ihre ältesten Diener darben läßt, und wieder den Reichtum ihres Gemütes so strömend ausquellend, daß sie ganze Landschaften befruchtet. Sie ist zuzeiten so unausstehlich engherzig, daß sie ihren eigenen Kindern das Brot vom Munde reißt, und wieder wird ihre Menschenliebe, ihre Caritas so allgemein, daß sie die Welt umfaßt. Es ist Zärtlichkeit in ihrer Rauheit, Edelmut in ihrer Familiarität, Wohlwollen in ihrer Härte; kein Adamskind, gleichviel ob Deutscher oder Franzose, Irländer oder Russe, hält sie ihrer Milde unwert, sie behandelt nicht ehrerbietig, aber ehrenfest, auf gleichem Fuße, vergißt den erhabenen Standpunkt, zu dem sie sich emporgeschwungen, und reicht ihre hilfreiche Hand dem in der Tiefe sich krümmenden Erdenwurm. Es ist sie, die den siebenfachen Panzer unserer frostigen Selbstsucht gebrochen, Millionen mechanischer Hände mit einem freien Willen bewaffnet, den Vorhang weggerissen, der den Westen unseres Landes dem Osten verborgen, die Alleghanies überstiegen, und nicht geruht, bis sie jenseits dieser ihr Reich gegründet, das jetzt schon an Umfang dem römischen in seiner kaiserlichen Glanzperiode nicht weicht, das ohne einen Tropfen Blutes, nicht durch das Schwert, sondern durch die Axt gewonnen worden, das in sieben Jahrzehnten von hundert Millionen freier Bürger bewohnt sein, einen Koloß bilden wird, der mit dem rechten Fuße am Gestade des atlantischen Ozeans, mit dem linken am Stillen Meere halten, unter dem Gesetze Christi leben, die Sprache Shakespeares, Miltons reden, ein England, durch ein Solarmikroskop gesehen, sein wird, ein England zur zehnfachen Potenz physischer und moralischer Kultur und Entwicklung erhoben! –

Das ist die Aufgabe, die sich unsere Demokratie gesetzt, die sie zur Hälfte bereits gelöst hat. –

Und ihr schmäht diese Demokratie! Daß engherzige Schulgelehrte und furchtsame Große besorgt ihre Köpfe schütteln ob der Übel, die sie über Uncle Sam und die Welt bringen wird, das begreifen wir, ihr beengter Gesichtskreis reicht nicht weiter. Sie messen sie nach dem Maßstabe des Staatchens Athen und der griechischen Republiken und der römischen Plebejer und der neuern Sanskülotten und übersehen, daß, was in einem engen Raume verheerend wirkt, im weiten wohltätig sich ausbreitet, daß diese Riesenkraft, die im alten Europa notwendig in einer Hand konzentriert sein muß, diese bei uns wie das Pulver das Faß zerreißen und in die Lüfte sprengen würde, – daß unsere Demokratie ihrer Wesenheit und Natur nach eine ganz andere ist als die der alten vollgepfropften, beengten Welt, wo sie zerstörend war, notwendig sein mußte, während sie bei uns eine belebend schaffende, erhaltende Kraft ist, die beglückend für uns, selbst segenbringend zerteilend auf die sturmgeschwängerte Atmosphäre jener zurückwirken muß.

»Grandios«, rufen wir aus, dem wackern Weatherell und Trumbull die Hände drückend zum Zeichen unserer Beistimmung, denn was wir gehört, ist das Resümee der Räsonnements dieser beiden würdigen Männer, und besonders des greisen Weatherell, der –

By Discipline of time made wise
Has learned to tolerate the infirmities
And faults of others
Der, durch Prüfungen weise gemacht, gelernt hat, die Schwachheiten und Gebrechen anderer zu dulden.. –

Und unsere Demokraten geben ein neunmaliges Hurrah for Uncle Sam and all true Democrats! Lebehoch dem Onkel Samuel und allen treuen Demokraten. und das Dampfschiff hebt sich, und wie es rundet und den Vorsprung erreicht, brechen ein Dutzend fröhlicher Lebemänner in ein lautes Gelächter aus, das um sich greift, ansteckend wird und zuletzt die ganze Besatzung des Dampfschiffes in Konvulsion setzt. – Blount lacht, und Emilie lacht, und Mistreß Houston und Doughby und Weatherell lachen, daß sie schier sprengen möchten, und angesteckt lachen Luise und Julie, und keiner weiß warum. Es ist die seltsamste Komödie, die ihr je auf einem Dampfer spielen sahet.


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