Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtunddreißigstes Kapitel.

Drum leget jetzt, gleich Kriegern auf der Wache,
Der Seele Rüstung an, gleich vorbereitet
Zu Allem, was des Kriegers Wohl erheischt.

Johanna Baillie.

Der Leser wird sich erinnern, daß, als Rochecliffe und Joceline zu Gefangenen gemacht wurden, die Partei, welche sie begleitete, noch zwei andere Gefangene in ihrem Zuge führte, nämlich den Oberst Everard und den ehrwürdigen Nehemias Holdenough. Als sie in Woodstock Eintritt erhalten hatten und ihre Nachsuchungen nach dem flüchtigen Fürsten anfingen, führte man die Gefangenen in eine alte Wachtstube, deren Festigkeit sie zu einem Gefängniß geeignet machte, und Pearson stellte eine Wache davor. Man erlaubte ihnen kein Licht, außer das flimmernde Kohlenfeuer des Kamins. Die Gefangenen blieben abgesondert von einander, Oberst Everard mit Nehemias Holdenough schwatzend, in einiger Entfernung von ihnen Doctor Rochecliffe, Sir Henry Lee und Joceline. Bald ward die Gesellschaft durch Wildrake vermehrt, der in das Jägerhaus hinabgebracht und mit so wenig Umständen hineingestoßen wurde, daß, da seine Arme gebunden waren, er fast in die Mitte des Gefängnisses auf die Nase gefallen wäre.

»Ich danke, guter Freund,« sagte er, indem er gegen die Thüre zurückschaute, welche Diejenigen, die ihn hineingestoßen hatten, verschlossen. – » Point de cérémonie – denn ich sehe ja da gute Gesellschaft. Gott zum Gruß, Gott zum Gruß, Gentlemen. Was? à la mort und nichts Erfrischendes, um den Geist zu erregen und eine lustige Nacht zu verleben? – Die letzte wahrscheinlich; denn einen Pfennig gegen eine Million, morgen baumeln wir sämmtlich. – Patron – edler Herr, wie geht's? Das war doch ein schändlicher Streich von dem Noll, so weit es dich betraf; denn ich, ich mag wohl so etwas von ihm verdient haben.«

»Ich bitte dich, Wildrake, setze dich,« sagte Everard. »Du bist betrunken – störe uns nicht.«

»Betrunken, ich betrunken!« schrie Wildrake; »ich habe Noll's Branntwein in einem Becher auf des Königs Wohl geleert, und einen zweiten auf den Untergang Sr. Excellenz, und einen dritten auf die Verfluchung des Parlaments – vielleicht auch noch einen vierten und fünften, aber lauter teufelisch gute Toaste. Aber betrunken bin ich nicht.«

»Ich bitte dich, Freund, sei nicht profan,« sagte Nehemias Holdenough.

»Was, mein kleiner presbyterianischer Pfarrer, mein heuchlerisches Pfäfflein? Du wirst auch bald dieser Welt Valet sagen,« fuhr Wildrake fort; »ich meinerseits habe schwere Zeiten darin erlebt. – Ha, edler Sir Henry, ich küsse Ihnen die Hand. Ich sage dir, Ritter, meine Degenklinge war in der vergangenen Nacht dem Herzen des Cromwell so nahe als nur je ein Knopf seiner Nachtjacke. Hol ihn der Teufel, er trägt eine geheime Rüstung, – er, ein Soldat! Wär' nicht das verfluchte Panzerhemd gewesen, so hätte ich ihn wie Speck durchbohrt. Ha, Doctor Rochecliffe! – Du weißt, daß ich meine Waffe zu führen verstehe.«

»Ja,« erwiederte der Doctor, »und du weißt, daß ich auch die meinige zu gebrauchen weiß.«

»Ich bitte dich, sei ruhig, Meister Wildrake,« sagte Sir Henry.

»Ach, mein guter Ritter,« antwortete Wildrake, »seien Sie doch etwas freundlicher mit einem Unglücksgefährten. Das ist ein anderer Anblick, als der Sturm von Brentford. Die wankelmüthige Fortuna ist eine Stiefmutter gegen mich gewesen. Ich will Ihnen einen Gesang singen, den ich über mein eigenes Unheil dichtete.«

»In diesem Augenblicke sind wir nicht zum Gesang aufgelegt, Hauptmann Wildrake,« sagte Sir Henry höflich und ernst.

»Ach nein, es wird Ihnen zu Ihrer Andacht helfen. – Meiner Treue, es klingt wie ein Bußpsalm:

Als ich ein junger Bursche war,
Da ging es mir ganz sonderbar –
Ein Taug'nichts hat kein Glück.

Bald ging mit lauter Saus und Braus,
Bei Spiel und Wein mein Geld hinaus,
Doch kam es nie zurück.

Ich hab' zwar Strümpfe, sehet her,
Doch hab' ich keine Schuhe mehr,
D'rum trag' ich Stiefeln jetzt.

Verflucht daran die Sohle sei,
Verdammt der Absatz auch dabei,
Das Leder ist verletzt.«

Als Wildrake mit lauter Stimme diesen Vers geendigt hatte, öffnete sich die Thüre, und eine Schildwache trat herein, die, ihn mit dem Titel »gotteslästerlicher, brüllender Stier von Baschan« begrüßend, ihm einen mächtigen Schlag auf die Schulter gab.

»Abermals Ihr gehorsamer Diener, Sir,« sagte Wildrake, indem er mit den Schultern zuckte, »bedaure, meine Dankbarkeit nicht thätlich zeigen zu können. Ha, Ritter, hörten Sie meine Glieder klappern? Der Schlag war tüchtig – der Kerl könnte die Bastonade selbst in Gegenwart des Großherrn austheilen. – Er hat keinen Geschmack an der Musik, Ritter, – ihn bewegt nicht die Harmonie der süßen Töne; ich halte ihn des Verraths, der List und der Räuberei fähig – ha – es bleibt mir Alles im Munde stecken – gut – ich will heute Nacht auf der Bank schlafen, was mir schon manche Nacht begegnet ist, und mich bereit halten, morgen mit Anstand gehenkt zu werden, was mir aber in meinem ganzen Leben noch nicht wiederfahren ist.

Als ich ein junger Bursche war,
Da ging es mir ganz sonderbar.

Bst – bst – das ist nicht die Melodie.«

Hier fiel er fest in Schlaf, und früher oder später folgten alle Unglücksgefährten seinem Beispiele.

Die Bänke, welche zur Ruhe der wachhabenden Soldaten berechnet waren, gewährten doch den Gefangenen die Bequemlichkeit, sich niederlegen zu können, obgleich man wohl glauben kann, daß ihr Schlaf weder gesund noch ruhig war. Aber als das Tageslicht nur ein wenig schimmerte, hätte die Explosion des Pulvers und der darauf folgende Einsturz des Thurms, unter welchem die Mine angebracht war, die Siebenschläfer oder den Morpheus selbst erwecken können. Der Rauch, welcher durch die Fenster drang, ließ sie die Ursache leicht errathen.

»Da geht mein Schießpulver drauf,« sagte Rochecliffe, »das gewiß so viele rebellische Schurken hätte in die Höhe sprengen können, als es sonst Mittel dargeboten hätte, sie auf freiem Felde umzubringen. Es muß zufällig Feuer gefangen haben.«

»Zufällig, nein!« sagte Sir Henry, »verlassen Sie sich darauf, mein kühner Albert hat das angezündet, und in diesem Augenblick fliegt Cromwell gegen den Himmel zu, dessen Wälle er nie erreichen wird. – Ach, mein wackerer Knabe, vielleicht hast du dich selbst aufgeopfert, wie ein jugendlicher Simson unter den rebellischen Philistern. – Aber ich werde nicht lange hinter dir zurückbleiben, Albert.«

Everard eilte an die Thüre, hoffend, von den Wachen, denen sein Name und sein Rang bekannt sein konnte, einige Erklärungen über die Explosion zu erhalten, die eine entsetzliche Catastrophe anzuzeigen schien.

Aber Nehemias Holdenough, dessen Ruhe durch die Trompete gestört worden war, die das Zeichen zur Explosion gab, schien in der Crisis des Entsetzens.

»Das ist die Trompete des Erzengels!« rief er aus. »Das ist der Untergang dieser Welt der Elemente – das ist die Aufforderung zum Gericht! Die Todten gehorchen dem Rufe, sie sind bei uns – sie sind unter uns – sie stehen auf in körperlichen Leibern – sie kommen uns zu mahnen!«

Als er das sprach, waren seine Augen fest auf Doctor Rochecliffe gerichtet, der ihm gerade gegenüber stand. Indem nämlich dieser schnell aufgestanden war, war die Mütze, die er dem damals unter Geistlichen und Bürgerlichen üblichen Gebrauche gemäß trug, von seinem Kopfe herabgefallen und hatte das breite seidene Pflaster, das er wahrscheinlich der Verkleidung wegen auflegte, mit herabgerissen; denn die Wange war jetzt ohne Narbe und ein Auge so gut als das andere.

Oberst Everard, der von der Thüre zurückkehrte, versuchte es umsonst, dem Mr. Holdenough begreiflich zu machen, was er von der Wache draußen erfahren hatte, daß nämlich die Explosion nur den Tod eines republikanischen Soldaten zur Folge gehabt habe. Der presbyterianische Geistliche fuhr fort, wilde Blicke auf Jenen der Episcopal-Kirche zu schießen.

Aber Doctor Rochecliffe hörte und verstand die Neuigkeit, welche Oberst Everard brachte, und befreit von der augenblicklichen Angst, die ihn regungslos machte, nahte er sich dem zurückweichenden Calvinisten und bot ihm auf die freundlichste Weise die Hand dar.

»Hinweg mit dir – hinweg mit dir!« sagte Holdenough, »die Lebenden dürfen den Todten die Hände nicht reichen.«

»Aber ich,« sagte Rochecliffe, »bin grade so sehr am Leben wie du.«

»Du am Leben! – Du – Joseph Albany, den meine eigene Augen von den Zinnen des Schlosses von Clidesthow stürzen sahen?«

»Ja,« antwortete der Doctor, »aber du sahst mich nicht an das Ufer schwimmen, bis an eine mit Schilf bewachsene Stelle – fugit ad salices – auf eine Weise, die ich dir ein andermal erklären werde.«

Zweifelnd und unsicher berührte Holdenough seine Hand. »Du bist wirklich warm und lebendig,« sagte er, »und doch nach so vielen Wunden und einem so fürchterlichen Falle – du kannst nicht mein Joseph Albany sein.«

»Ich bin Joseph Albany Rochecliffe,« sagte der Doctor, »welchen Namen ich durch eine kleine Besitzung meiner Mutter erlangte, die aber in Beschlag genommen ist.«

»Ist es denn wirklich an dem?« sagte Holdenough, »und habe ich meinen alten Schulfreund wieder?«

»So ist's,« erwiederte Rochecliffe, »denselben, der dir im Spiegelzimmer erschien. – Du warst so kühn, Nehemias, daß unser ganzer Plan zu nichte geworden wäre, wäre ich dir nicht in der Gestalt eines verstorbenen Freundes erschienen. Doch glaube mir, es war meinem innersten Gefühle entgegen, daß ich es thun mußte.«

»Ach, schäme dich, schäme dich,« sagte Holdenough, indem er sich in seine Arme warf und ihn an seinen Busen drückte, »du warst immer ein sonderbarer Mann. Wie konntest du mir einen solchen Streich spielen? – Ach, Albany, erinnerst du dich des Doctors Puresoy und des Cajus College?«

»Ach gewiß erinnere ich mich dessen,« sagte der Doctor, indem er seinen Arm in den des presbyterianischen Geistlichen legte und ihn zu einem Sitze führte, der abseits von den übrigen Gefangenen, welche diese Scene mit vielem Erstaunen sahen, war. »Ob ich mich des Cajus College erinnere!« sagte Rochecliffe, »ach, und an das gute Bier, das wir tranken, und unsere Partieen zur Mutter Huff-cap.«

»Eitelkeit der Eitelkeiten,« sagte Holdenough, wobei er jedoch liebreich lächelte und den Arm seines wiedergefundenen Freundes fest in dem seinigen hielt.

»Aber als wir in den Weinberg des Rectors einbrachen, und Alles rein aufaßen!« sagte der Doctor, »es war das erste Complot, das ich angesponnen habe, und es kostete mich viele Mühe, bis ich dich überredete, Theil daran zu nehmen.«

»Ach, sprich doch nichts von diesem Unrechte,« sagte Nehemias, »da ich wohl sagen kann, wie der fromme Mr. Baxter, daß diese bübischen Beleidigungen sich in späteren Jahren noch bestrafen, da diese ungeordnete Lust nach Obst mir Magenschmerzen zugezogen hat, an denen ich noch jetzt leide.«

»Wahr, wahr, mein theurer Nehemias,« sagte Rochecliffe, »aber kümmre dich nichts darum – ein Schluck Branntwein wird alles schon wieder gut machen. Mr. Baxter war,« er wollte sagen, »ein Esel,« aber er besann sich und ergänzte den Satz mit »ein guter Mann, aber gar zu genau.«

So setzten sie sich also als die besten Freunde nieder und schwatzten eine halbe Stunde lang über alte Schulgeschichten mit gegenseitigem Entzücken. Stufenweise kamen sie auf die Politik des Tages; und obschon sie ihre Hände nicht von einander zogen und oft Ausdrücke wie »nein, mein theurer Bruder,« und »da muß ich nothwendigerweise von deiner Ansicht abweichen,« unter ihnen gewechselt wurden, so stimmten sie doch wie Brüder in ein einstimmiges, helltönendes Geschrei, wenn die Rede auf Independenten und andere Secten kam, so daß man kaum sagen konnte, wer wohl den Andern übertraf. Unglücklicherweise aber wurde im Laufe des Gesprächs eines Bisthums erwähnt, was sie plötzlich auf die dogmatischen Fragen über die Regierung der Kirche brachte. Ach, da waren die Schleußen geöffnet, da regnete es griechische und hebräische Texte, während ihre Augen sprühten, die Hände sich ballten, und sie wüthenden Polemikern, die im Begriffe sind, sich die Augen auszukratzen, weit ähnlicher sahen, als christlichen Geistlichen.

Roger Wildrake trug das Seinige dazu bei, ihre Heftigkeit zu vermehren, indem er bei dem Streite den Zuhörer machte. Er ergriff entschiedene Partei bei einer Sache, deren eigentliche Stärke ihm ganz unbekannt war. Von Holdenough's fertiger Rednerkunst und Gelehrsamkeit etwas beunruhigt, beobachtete der Cavalier mit ängstlichem Gesichte die Züge des Doctor Rochecliffe; aber als er das stolze Auge und die kräftige Haltung des Kämpfers für das Episcopal-System bemerkte und hörte, wie er Griechisch mit Griechisch und Hebräisch mit Hebräisch beantwortete, da unterstützte er seine Gründe beim Schlusse seiner Sätze mit einem kräftigen Schlage auf die Bank und einem höhnischen Gelächter in's Gesicht des Gegners. Nur nach langer Zeit und mit vieler Mühe gelang es dem Sir Henry und dem Obersten Everard, die beiden aufgebrachten Freunde zu bewegen, ihren Streit aufzuschieben, so daß sie sich endlich in einiger Entfernung von einander zurückzogen und sich gegenseitig Blicke zuwarfen, in welchen die alte Freundschaft von der heftigsten Erbitterung zurückgedrängt worden zu sein schien.

Aber während sie so da saßen, Einer auf den Andern wartend, und darnach schmachteten, einen Streit zu erneuern, in welchem beide Theile den Sieg errungen zu haben behaupteten, trat Pearson in das Gefängniß und bat die Anwesenden mit leiser, zitternder Stimme, sich zum Tode vorzubereiten.

Sir Henry Lee empfing die Kunde seines Schicksals mit der ernsten Ruhe, die er bisher bewiesen hatte. Oberst Everard versuchte es, eine starke, racheschnaubende Appellation an das Parlament gegen den Urtheilsspruch des Kriegsgerichts und des Generals einzulegen. Aber Pearson verweigerte es, irgend eine Einrede zu empfangen oder zu überbringen, und mit finstern Blicken und Mienen, Vorboten eines melancholischen Ausgangs, wiederholte er ihnen seine Ermahnung, sich zur Mittagsstunde vorzubereiten, und entfernte sich aus dem Gefängniß.

Höchst merkwürdig war der Eindruck dieser Nachricht auf die beiden geistlichen Streiter. Sie betrachteten sich einen Augenblick gegenseitig mit Augen, in welchen reuevolle Güte und ein Gefühl von großmüthiger Scham jedes entgegenstrebende Rachegefühl verlöschte, und indem sie zu gleicher Zeit in die Ausrufungen ausbrachen: »mein Bruder, mein Bruder, ich habe gesündigt – ich habe gesündigt, indem ich dich beleidigte!« stürzten sie sich einander in die Arme und vergossen Thränen, als sie sich gegenseitig um Verzeihung baten; und gleich zwei Kriegern, die einen persönlichen Streit aufgeben, um sich der Pflichten gegen ihren gemeinschaftlichen Feind zu entledigen, riefen sie sich die höheren Ideen ihres heiligen Standes in das Gedächtniß zurück, und indem sie die Maßregeln ergriffen, welche bei einer so traurigen Gelegenheit am passendsten waren, fingen sie an, die Umstehenden zu ermahnen, dem angezeigten Schicksale entgegen zu gehen mit der Festigkeit und Würde, welche nur die Religion verleiht.



 << zurück weiter >>