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Dreiunddreißigstes Kapitel.

»Wäre mein William jetzt doch nur da,
Er würde den Kampf nicht verfehlen.«
Da eilt an die Thüre mit mächtiger Eil'
Ein Page mit finsterer Miene,
»Ich sah, o Meister, ich sah sie dort stehn,
Dort unter dem dornigten Strauche
Gar viele der Krieger, gerüstet zum Kampf,
Zur Rache!« so schrie er und ging.

Henry Mackenzie.

Schon früh, um acht Uhr Abends, war die kleine Gesellschaft im Jägerhause zum Abendessen versammelt. Sir Henry Lee, die Speisen, welche auf dem Tische standen, vernachlässigend, stand bei einer Lampe am Kamine, und las mit finsterer Aufmerksamkeit einen Brief.

»Schreibt Ihnen mein Sohn ausführlicher als mir, Doctor Rochecliffe?« sagte der Ritter.

»Mir sagt er nur, daß er wahrscheinlich heute Nacht zurückkehren wird, und daß Mr. Kerneguy sich bereit halten müsse, augenblicklich mit ihm abzureisen.«

»Was will diese Eile? Haben Sie von neuen Nachsuchungen unserer leidenden Partei gehört? Ich wollte, sie erlaubten mir, auch nur einen Tag die Gesellschaft meines Sohnes zu genießen.«

»Die Ruhe, die davon abhängt, ob die Bösen nachlassen vom Verfolgen,« sagte Doctor Rochecliffe, »kann man nicht nach Tagen und Stunden, sondern nur nach Minuten zählen. Für einen Augenblick hatten sie ihren Blutdurst zu Worcester gestillt, aber ich glaube ihre Gier wird wieder rege.«

»Sie haben also Nachrichten hierüber,« sagte Sir Henry.

»Ihr Sohn,« erwiederte der Doctor, »schrieb mir durch denselben Boten; selten ermangelt er es zu thun, da er wohl weiß, wie wichtig es ist, daß ich Alles erfahre, was vorgeht. An der Küste stehen Mittel zur Flucht bereit, und Mr. Kerneguy muß sich bereit halten, mit Ihrem Sohne im Augenblicke seines Erscheinens abzureisen.«

»Es ist sonderbar,« sagte der Ritter, »vierzig Jahre lang habe ich in diesem Hause als Mann und als Jüngling verlebt, und die einzige Frage war nur, wie ich mir die Zeit vertreiben sollte; denn wenn ich nicht eine Jagdpartie oder eine Falkenbeize, oder sonst etwas dergleichen ausersann, so hätte ich hier auf meinem Armsessel, vom Anfange des Jahres bis zum Ende, so ruhig sitzen können, wie ein Siebenschläfer; nun aber werde ich beängstigt, wie ein Hase, wage es nur mit offenen Augen zu schlafen, und fahre zusammen, wenn der Wind in den Blättern rauscht.«

»Es ist sonderbar,« sagte Alexis, »daß der rundköpfige Soldat uns nichts davon gesagt hat. Er ist doch sonst mittheilungsvoll genug über die Bewegungen seiner Partei; und ich sah Euch heute Morgen im tiefen Gespräche begriffen.«

»Heute Abend wird es noch tiefer werden,« sagte der Doctor finster; »aber er wird nichts mehr schwatzen.«

»Ich wünsche, daß Sie ihm nicht allzusehr trauen,« sagte Alexis. »Mir kömmt es vor, als ob der dunkle Ausdruck und die Härte in dem Antlitze des Mannes Verrath in jedem Zuge zeigte.«

»Seien Sie ruhig, es ist dafür gesorgt,« antwortete der Doctor in demselben bedeutungsvollen Tone wie vorher. Niemand erwiederte und ein schauerhaftes ängstliches Ahnungsgefühl schien plötzlich die Gesellschaft zu beschleichen, gleich der Vorempfindung derjenigen, welche dem elektrischen Einflusse vorzüglich unterworfen sind, und die das herannahende Gewitter schon früher empfinden.

Der verkleidete Monarch, welcher wußte, daß er noch heute seinen zeitlichen Zufluchtsort verlassen mußte, fühlte auch seinen Theil an dem finsteren Ernste, der die kleine Gesellschaft überfallen hatte. Aber er war der Erste, der sich davon losriß, da er weder zu seinem Charakter, noch zu seiner Lage paßte. Fröhlichkeit war der Führer des Ersteren, und die Letztere erforderte Geistesgegenwart und nicht Muthlosigkeit.

»Wir erschweren die Stunde, indem wir uns der Melancholie überlassen. Wäre es nicht besser, wenn Sie, Fräulein Alexis, mich bei Patrik Careys fröhlichem Lebewohl accompagnirten. – Ach, kennen Sie den Pat Carey nicht – ein jüngerer Bruder des Lord Falkland?«

»Ein Bruder des unsterblichen Lord Falkland, und Gesänge schreiben?« sagte der Doctor.

»Ach Doctor, die Musen empfangen ihre Zehnten so gut wie die Kirche,« sagte Carl, »und haben von jeder bedeutenden Familie ihren Antheil. Sie kennen zwar den Text nicht, Fräulein Alexis, aber Sie können mir doch in der Ausführung der Melodie beistehen:

Es kommt jetzt die Stunde, die herbe, des Abschieds herbei,
Ich seh' dich, o Woodstock, du liebes, wohl niemals auf's Neu',
Drum bringet die Schaale, die volle, wir bleiben uns treu,
Der schäumende Becher der Zeuge sei!«

Der Gesang ertönte, aber nicht mit Lust. Es war eine jener Anstrengungen gezwungener Freude, die mehr, als jede andere Weise, die Abwesenheit der wahren Fröhlichkeit anzeigt. Carl hielt ein und machte den Choristen Vorwürfe.

»Sie singen, mein theures Fräulein Alexis, als sagten Sie die sieben Bußpsalmen her, und Sie, mein guter Doctor, als läsen Sie ein Todtenamt.«

Hastig stand der Doctor vom Tische auf und eilte gegen das Fenster; denn der Ausdruck stimmte sonderbar mit dem Geschäfte überein, dessen er sich heute Abend entledigen sollte. Carl staunte ihn an, denn die Gefahr, in welcher er schwebte, machte ihn auf die geringsten Bewegungen derjenigen aufmerksam, die ihn umgaben – dann wandte er sich gegen Sir Henry und sagte: »mein geehrter Wirth, können Sie mir einen Grund für diesen finstern Ernst angeben, der uns Alle auf eine so sonderbare Weise befallen hat?«

»Ich nicht, mein theurer Louis,« erwiederte der Ritter, »ich bin nicht geübt in der Auflösung so kitzlicher philosophischer Fragen. Ich könnte Ihnen eben so leicht den Grund sagen, warum Bevis sich dreimal im Kreise herumdreht, ehe er sich niederlegt. Ich kann nur von mir sagen, daß wenn Alter und Sorge und Ungewißheit hinreichend sind, einen fröhlichen Geist zu brechen und ihn wenigstens zu Zeiten niederzubeugen, ich meinen Antheil an Allem habe; so daß ich zum Beispiel nicht sagen kann, daß ich traurig wäre, bloß weil ich nicht fröhlich bin. Ich habe nur zu triftige Gründe, betrübt zu sein. Ich wollte, ich sähe meinen Sohn, wäre es auch nur für einen Augenblick.«

Plötzlich schien das Glück geneigt, den Wünschen des alten Mannes Gehör zu schenken; denn in diesem Augenblick trat Lee in's Zimmer. Er trug ein Reitkleid, und schien scharf geritten zu haben. Bei seinem Eintritt warf er das Auge eilig umher. Es ruhte eine Sekunde auf dem des verkleideten Fürsten, und befriedigt mit dem Blicke, den er zur Antwort erhielt, kniete er nach dem Gebrauch der alten Zeit vor seinem Vater nieder, und verlangte seinen Segen.

»Du hast ihn, mein Sohn,« sagte der alte Mann; eine Thräne entquoll seinem Auge, als er seine Hand auf die langen Locken legte, welche des jungen Mannes Rang und Grundsätze bezeugten, und die, sonst mit einiger Sorgfalt gekräuselt und gelockt, nun aufgelöst und in Unordnung von seinen Schultern herabflossen. Sie blieben einen Augenblick in dieser Stellung, bis der alte Mann plötzlich aufschreckte, als schäme er sich der Bewegung, die er vor so vielen Zeugen an den Tag gelegt hatte, die Hand schnell über das Auge streifen ließ, und dem Albert befahl aufzustehn, und an sein Essen zu denken, »weil du wahrscheinlich weit und scharf geritten bist, seitdem wir uns nicht sahen – dann wollen wir auch ein Glas auf deine Gesundheit leeren, wenn Doctor Rochecliffe und die übrige Gesellschaft einverstanden ist. – Joceline, Bursche, reiche die Gläser umher. – Du siehst ja aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

»Joceline,« sagte Alexis, »ist krank aus Sympathie – einer der Hirsche lief heute auf Phöbe Maiblume zu, und sie bedurfte Jocelins Hülfe, um das Thier fortzujagen. – Das Mädchen hat Krämpfe bekommen, seitdem sie nach Hause kam.«

»Thörichtes Mädchen,« sagte der alte Ritter – sie eines Waidmanns Tochter! – Aber Joceline, wann das Wild gefährlich wird, so müssen wir ihm nothwendigerweise einige Pfeile zuschicken.«

»Es wird nicht nöthig sein, Sir Henry,« sagte Joceline, dem das Sprechen nur mit großer Mühe von Statten ging – »er ist jetzt sicher genug – er wird auf diese Weise nicht mehr beleidigen.«

»Gib darauf Achtung,« erwiederte der Ritter; »und denke, daß Fräulein Alexis sich oft in dem Park ergeht. – Nun aber fülle in der Runde, und schenke auch dir einen Becher ein, um deine Furcht zu betäuben. – Ach was, Freund, es wird Phöbe nichts schaden – sie schrie und lief nur, damit du das Vergnügen haben konntest, ihr beizustehen. – Denke doch an das was du thust, und verschütte den Wein nicht auf diese Weise. – Kommt, auf das Wohl unseres zurückgekehrten Wanderers.«

»Da wird Niemand williger Bescheid thun, als ich,« sagte der verkleidete Fürst, der ohne daran zu denken, eine Wichtigkeit annahm, welche der Charakter, den er vorstellte, kaum gestattete; aber Sir Henry hatte den vermeintlichen Pagen mit allen seinen Eigenheiten so lieb gewonnen, daß er ihm wegen seines Vorwitzes nur einen mäßigen Verweis gab. »Du bist ein fröhlicher, gutmüthiger Jüngling,« sagte er; »aber man kann wohl sehen, welche Voreiligkeit des gegenwärtigen Geschlechtes den Ernst und die Ehrfurcht betäubt, die in meiner Jugend von höherem Rang und Stande so regelmäßig beobachtet wurde. – Ich würde es eben so wenig gewagt haben, meiner eigenen Zunge den Zügel schießen zu lassen, wenn ein Doctor der Gottesgelahrtheit gegenwärtig war, als in der Kirche während des Gottesdienstes zu schwatzen.«

»Das ist ganz wahr,« sagte Albert, der sich schnell in's Mittel legte, »aber Mr. Kerneguy hat ein um so viel größeres Recht, jetzt zu sprechen, da ich sowohl seine als meine Geschäfte besorgte, mehrere seiner Freunde sah, und ihm wichtige Nachricht bringe.«

Carl wollte aufstehen und Albert bei Seite ziehen, da er natürlicherweise ungeduldig war, zu erfahren, welche Neuigkeiten er sich verschafft hatte, oder welche Pläne zu einer sichern Flucht er ihm vorlegen würde. Aber Doctor Rochecliffe zog ihn am Rock, und gab ihm damit einen Wink, sitzen zu bleiben, und kein Zeichen einer außerordentlichen Aengstlichkeit sehen zu lassen, da im Fall einer plötzlichen Entdeckung seines wahren Standes die Heftigkeit der Gefühle des Sir Henry Lee wahrscheinlich zu viel Aufmerksamkeit erregen würde.

Also erwiederte Carl bloß, daß er in dem Ausdrucke seines Dankes gegen den Obersten Lee, schnell und ohne Ceremonie zu sein, ein besonderes Recht habe – daß Dankbarkeit sich nicht an Manieren knüpfe; endlich, daß er dem Sir Henry für seine Zurechtweisung sehr verbunden sei; und daß er seiner Zeit sicherer wäre, Woodstock als ein besserer Mann zu verlassen, wie er zur Zeit seines Dahinkommens gewesen sei. –

Dem Anscheine nach war seine Rede an den Vater gerichtet; aber ein Blick auf Alexis gab ihr die Versicherung, daß sie ihren vollen Antheil an der Artigkeit habe. Er schloß, nachdem er sich an Albert wandte: »ich fürchte, Sie kommen uns zu sagen, daß unser Aufenthalt hier nur noch von sehr beschränkter Dauer sein muß?«

»Nur einige Stunden,« sagte Albert – »gerade hinreichend zur nöthigen Ruhe für uns und unsere Pferde. Ich habe zwei gute und erprobte Thiere angeschafft. Aber Doctor Rochecliffe hat mir sein Wort nicht gehalten. Ich erwartete Jemand in Jocelins Hütte zu treffen, wo ich die Pferde verließ, und da ich Niemanden fand, so mußte ich mich eine Stunde damit aufhalten, sie selbst anzubinden und zu versorgen, damit sie der Arbeit des morgenden Tages fähig sind – denn wir müssen noch vor Tagesanbruch fort.«

»Ich – ich – wollte den Tomkins hinabschicken – aber – aber,« – sagte der Doctor schwankend, »ich« –

»Der rundköpfige Schurke war betrunken, oder wahrscheinlich nicht da,« sagte Albert. »Ich freue mich darüber – Sie mögen ihm leicht zu viel Zutrauen schenken.«

»Bis jetzt hat er sich getreu bewiesen,« sagte der Doctor, »und ich habe keine Furcht, daß er mein Zutrauen in der Zukunft mißbrauchen wird. Aber Joceline wird hinabgehen, und morgen früh die Pferde bereit halten.«

Bei außerordentlichen Fällen spiegelte sich sonst in Jocelins Mienen die Dienstfertigkeit selbst. Nun aber schien er zu schwanken.

»Sie gehen doch ein Stückchen Wegs mit, Doctor,« sagte er, als er sich eng an Rochecliffe schmiegte.

»Was, Thor, Narr, Dummkopf,« sagte der Ritter, »verlangst du von Doctor Rochecliffe, daß er dir zu dieser Stunde Gesellschaft leiste? Fort, Kerl! – Geh augenblicklich hin, oder ich will dir deine Schurkentatzen zerbrechen.«

Joceline sah den Geistlichen an mit einem Blicke, in welchem der Todeskampf sich zeigte, und als bitte er ihn, zu seinen Gunsten ein gutes Wort einzulegen. Eben wollte er sprechen, da erhob sich ein melancholisches Geschrei am Thore der Halle, und man hörte einen Hund um Einlaß schreien.

»Was will denn jetzt der Bevis?« sagte der Ritter. »Heute muß gewiß Aller – Narren – Tag sein, denn es scheint mir, als würde Alles verrückt!«

Derselbe Laut schreckte Albert und Carl von einer Privatunterhaltung auf, in welcher sie vertieft waren, und Albert lief an die Thüre der Halle, um persönlich die Ursache des Geräusches zu erforschen.

»Es ist keine Gefahr vorhanden,« sagte der alte Ritter zu Kerneguy, »denn in solchen Fällen ist das Bellen des Hundes kurz, scharf und wüthend. Aber man sagt, dieses lange Heulen wäre Unheil bedeutend. Gerade so stöhnte Bevis Ahne die liebe lange Nacht, in welcher mein Vater starb. Kömmt es nun als eine Vorbedeutung, so geb es nur Gott, daß es den Alten und Nutzlosen gelte, und nicht den Jungen, und denjenigen, die noch dem Könige und dem Vaterlande dienen können!«

Der Hund war bei dem Obersten Lee, der ein wenig an der Thüre der Halle stehen blieb, um zu hören ob es draußen nichts Beunruhigendes gebe, stillschweigend vorbeigegangen, trat in das Zimmer, wo die Gesellschaft versammelt war, trug etwas in seinem Munde und zeigte im ungewöhnlichen Grade jenes Bewußtsein der Pflicht und des Interesse's, welches ein Hund darzulegen scheint, wenn er sich mit etwas Wichtigem beauftragt glaubt. Er trat ein mit lang herabhängendem Schweife, mit gebeugtem Haupte und zurückgeschlagenen Ohren, mit der kräftigen aber melancholischen Würde eines Streitpferdes bei dem Leichenbegängnisse seines Herrn. Auf diese Weise schritt er durch die Halle, ging gerade auf Joceline zu, der ihn mit Verwunderung betrachtete, stieß ein kurzes melancholisches Geheul aus, und legte den Gegenstand, den er in seinem Munde trug, zu seinen Füßen nieder. Joceline beugte sich und nahm von dem Boden den Handschuh eines Mannes, wie ihn die Soldaten tragen, der aber einem altmodischen Fechterhandschuh ähnlich war, da ein dickes Leder sich bis zum Ellenbogen erhob, und den Vorderarm gegen einen Schwertschlag schützte. Kaum aber hatte Joceline das erblickt, was ein so gewöhnlicher Gegenstand schien, als er es rasch wegschleuderte, zurückschwankte, einen Seufzer ausstieß, und fast zu Boden sank.

»Verflucht sei doch die Memme,« sagte der Ritter; der den Handschuh aufhob und ihn betrachtete.

»Man sollte dich wieder in die Schule schicken, und dich peitschen, bis das Memmenblut ganz ausgelaufen ist. – Was siehst du denn den Handschuh so an, du feiger Gesell, und noch einen sehr schmutzigen Handschuh dazu? – Still, da sind ja Schriftzüge – Joseph Tomkins! – Wie, das ist ja der rundköpfige Bursche – ich hoffe, daß ihm kein Unglück widerfahren ist. – Denn das ist kein Schmutz am Fechthandschuh, sondern Blut. – Bevis kann den Burschen gebissen haben, und doch schien ihn der Hund wohl leiden zu können, – oder auch die Hirsche können ihn beschädigt haben – fort Joceline, augenblicklich und sieh wo er ist – lege dein Jagdhorn an.«

»Ich kann nicht gehen,« sagte Joceline, »wenn nicht,« – und abermals blickte er kummervoll den Doctor Rochecliffe an, welcher nun sah, daß keine Zeit zu verlieren sei, den Schrecken des Försters zu beruhigen, da seine Dienstverrichtungen bei den gegenwärtigen Umständen ganz unentbehrlich waren. –

»Nimm Spaten und Hacke,« flüsterte er ihm zu, »und eine Blendlaterne, treffe mit mir in der Einöde zusammen.«

Joceline verließ das Zimmer, und ehe der Doctor ihm folgte, wechselte er einige Worte mit dem Oberst Lee. Sein eigener Geist, weit entfernt, durch die Umstände niedergedrückt zu sein, schien sich im Gegentheil zu erheben, denn Intriguen und Gefahren waren das Element, in dem er lebte.

»Seitdem Sie abgereist sind,« sagte er, »ist es hier toll zugegangen. Tomkins betrug sich roh gegen das Mädchen Phöbe – Joceline und er geriethen in Streit, und Tomkins liegt todt im Gebüsche, nicht weit vom Rosamundenbrunnen. Es ist unumgänglich nöthig, daß ich und Joceline hingehen, um den Körper zu beerdigen; denn abgesehen davon, daß Jemand darüber straucheln, und die Sache bekannt machen kann, so wird auch dieser Bursche Joceline zu keinem kräftigen Dienste brauchbar sein, bis er unterm Boden ist. Obgleich kräftig wie ein Löwe, hat doch der Förster auch seine schwache Seiten, und fürchtet sich mehr vor einem todten Körper, als vor einem Lebenden. Wann gedenken Sie morgen abzureisen?«

»Mit Tagesanbruch oder noch früher,« sagte Oberst Lee, »aber wir werden wieder zusammentreffen. – Es ist für ein Schiff gesorgt, und ich habe auf mehr als einem Orte untergelegte Pferde. – Wir segeln von den Küsten von Sussex ab; und ich werde zu – einen Brief erhalten, der mir genau den Ort anzeigt.«

»Und warum reisen Sie nicht augenblicklich ab?« fragte der Doctor.

»Die Pferde würden es nicht ertragen,« erwiederte Albert, »sie sind heute ohnedieß stark angestrengt worden.«

»Leben Sie wohl,« sagte Rochecliffe, »ich muß an mein Geschäft – ergeben Sie sich einstweilen der Ruhe und dem Schlafe. – Einen ermordeten Körper zu verbergen, und in derselben Nacht einen König aus Gefahr und Gefangenschaft zu erretten, sind zwei Thaten, die zu verrichten nur wenig Leuten außer mir bestimmt sind; aber während ich meine Rüstung anlege will ich nicht groß thun, als hätte ich den Sieg schon errungen.« Indem er das sagte, verließ er das Zimmer, hüllte sich in seinen Mantel und eilte der sogenannten Einöde zu.

Die Nacht war frostig und kalt. Hoch lag der Nachtthau auf der Oberfläche; doch war die Nacht nicht sehr dunkel zu nennen; obgleich die Wolken die Gestirne größtentheils verhüllten. Dennoch konnte Rochecliffe den Förster nicht erkennen, bis, als er einigemal gehustet hatte, Joceline das Signal mit einem Lichtstrahl aus der Blendlaterne beantwortete, die er trug. Geleitet von diesem Zeichen seiner Gegenwart fand ihn der Geistliche gelehnt an einem Pfeiler, der einst eine nun verfallene Terrasse hielt. Er hatte eine Axt, eine Schaufel und das Fell eines Rehes über seinen Schultern hängen.

»Wozu brauchst du denn das Fell, Joceline,« sagte Doctor Rochecliffe, »daß du es bei solch einem Geschäfte umhängst?«

»Ja sehen Sie, Doctor,« antwortete er, »es ist eben so angenehm zu erzählen, als alles Uebrige. Der Mann und ich – der dort – Sie wissen, wen ich meine – hatten vor vielen Jahren einen Streit wegen dieses Rehes. Denn obgleich wir vertraute Freunde waren, und es dem Philipp mit Erlaubniß meines Herrn gestattet war, mir in meinen Verrichtungen beizustehen, so wußte ich doch trotz Allem, daß Philipp Hazeldine zuweilen dennoch Waldfrevel beging. Zu jener Zeit waren die Wilddiebe sehr kühn, denn es war gerade vor dem Ausbruche des Krieges, zur Zeit, wo die Unordnung schon gährte. Nun fand ich eines Tages im Forste zwei Bursche mit geschwärzten Gesichtern und Hemden über den Röcken, die einen der feistesten Rehböcke forttrugen, der im Park zu finden war. Ich sprang ihnen im Augenblick nach – einer entfloh, aber den andern Burschen packte ich, und wer ist's? kein anderer als der getreue Philipp Hazeldine. Gut also, ich weiß nicht war es Recht oder Unrecht, aber bei allem dem, war er doch mein Freund und Zechgefährte, drum nahm ich sein Wort an, daß er sich in Zukunft bessern wolle. Er half mir dagegen das Reh an einen Baum aufhängen, und ich ritt in's Jägerhaus zurück, erzählte dem Ritter die ganze Geschichte und verschwieg nur Philipps Namen. Aber die Schurken waren listiger als ich, denn sie zogen dem Reh die Haut ab, stopften es aus, und ließen das Fell und die Hörner mit dem Verslein zurück:

Die Hüfte dein,
Die Brust mein,
Fell und Hörner sollen des Försters sein.

Ich erkannte es für einen von den tollen Streichen des Philipp, die er, in Verbindung mit anderen Burschen der Gegend, in jenen Tagen zu treiben pflegte. Mich ärgerte es aber so, daß ich das Fell des Rehes von einem Gerber zurecht machen ließ, und schwur, daß es entweder sein oder mein Leichentuch sein müsse; und obgleich ich schon lange meinen voreiligen Eid bereut habe, so sehen Sie, Doctor, doch, wozu es jetzt da ist. – Denn, obgleich ich es vergaß, so hielt es doch der Teufel im Gedächtniß.«

»Es war sehr unrecht gehandelt, ein so sündliches Gelübde zu thun,« sagte Rochecliffe, »aber es wird ein noch weiteres Unglück sein, es halten zu wollen. Darum also sei guter Laune, denn nach Allem, was ich von Phöbe in dieser unglücklichen Sache gehört habe, kann ich nicht verlangen, daß du deine Hand hättest in Ruhe halten sollen, obschon ich es bedaure, daß der Schlag unglücklich ausgefallen ist. Dennoch aber hast du nur das gethan, was auch der große göttliche Gesetzgeber that, als er den Egyptier die Hebräer bedrücken sah, nur daß es im gegenwärtigen Falle ein Frauenzimmer war. Darum ermahne ich dich also, dich nicht unmäßig zu grämen, denn obgleich dieser Umstand bei jetziger Zeit und in unserer Lage höchst unglücklich ist, so ist es doch nach dem, was mir Phöbe von den Ansichten jenes Schurken erzählte, sehr zu bedauern, daß ihm das Gehirn nicht schon in der Wiege zerschmettert wurde, ehe er zu einem dieser Grindlestonianer oder Muggletonianer erwuchs, die der Inbegriff aller niederträchtigen und gotteslästerlichen Ketzereien sind, vereint mit einer solchen Uebung in scheinheiliger Verstellung, daß sie selbst ihren Herrn, den Satan, hintergehen könnten.«

»Dessenungeachtet Sir,« sagte der Förster, »hoffe ich, werden Sie dem armen Manne die kirchlichen Gebräuche nicht verweigern, da es sein letzter Wunsch war, und er Sie, Sir, zu gleicher Zeit nannte. Denn geschähe es nicht, so würd' ich es in meinem ganzen Leben kaum wagen, im Dunkeln auszugehen.«

»Du bist ein thörichter Bursche,« sagte der Doctor, »aber wenn er mich bei seinem Sterben nannte, und die letzten Ceremonien der Kirche verlangte, so hat er darin vielleicht eine Reue über seine bösen Handlungen ausdrücken wollen, und hat in seinem letzten Augenblick noch das Gute erkannt; hat ihn nun der Himmel begnadigt, noch eine so geziemende Bitte zu thun, warum sollte sie der Mensch verweigern? Alles, was ich fürchte, ist die Kürze der Zeit.«

»Nun, Ew. Hochwürden kann ja den Gottesdienst etwas abkürzen,« sagte Joceline; »sicherlich ist er des Ganzen doch nicht werth; nur wenn gar nichts geschähe, so müßte ich, glaube ich, das Land meiden. Es waren seine letzten Worte und es kömmt mir vor, als habe er den Bevis mit dem Handschuh geschickt, um mich daran zu erinnern.«

»O du Narr! – glaubst du,« sagte der Doctor, »die Todten schickten den Lebenden Handschuhe zu, wie die Romanenritter im Zweikampfe? Bei seinem Umherstreifen fand Bevis den Leichnam und brachte dir den Handschuh, um dir anzuzeigen, wo er liege und deine Hülfe in Anspruch zu nehmen; denn das ist der Naturtrieb dieser Thiere gegen Leute in Gefahr.«

»Nun, wenn Sie so sprechen, Doctor,« sagte Joceline, »und ich muß freilich eingestehen, daß Bevis dem Manne wohlwollte – wenn wirklich nichts Schlimmeres in Bevis' Gestalt lag, denn mir schien es, als rollten seine Augen wild und stolz, als wolle er sprechen.«

Als sie so schwatzten, blieb Joceline immer etwas zurück, was den Doctor so verdroß, daß er ausrief: »Komm her, du faule Kröte. – Bist du ein tapferer Soldat und fürchtest dich so vor einem Leichnam? – Ich wette doch, du hast sowohl in der Schlacht, als im Forste schon mehr als Einen umgebracht.«

»Ja wohl, aber dann wandten sie mir den Rücken zu,« sagte Joceline. »Nie aber sah ich einen, der den Kopf zurückwarf, und mich anklotzte, wie jener Geselle dort, aus dessen Auge noch immer Haß, Entsetzen und Vorwurf mit kaltem Erstarren spricht. – Und wären Sie nicht bei mir, und beträfe es nicht meinen Herrn und sonst wichtige Dinge, so gebe ich Ihnen mein Wort darauf, daß ich um ganz Woodstock ihn nicht wieder anschauen möchte.«

»Doch mußt du es thun,« sagte der Doctor, indem er plötzlich stehen blieb – »denn hier ist die Stelle, wo er liegt! Komm hieher, tief in den Graben – nimm dich in Acht, daß du nicht strauchelst. – Hier ist gerade ein passender Platz, wir wollen dann die Gebete über das Grab sprechen.«

Als der Doctor diese Anweisungen gab, half er zugleich selbst sie ausführen; und während sein Gefährte daran arbeitete, ein schmales, unförmliches Grab zu bereiten (ein Geschäft, das der mit Wurzeln verwachsene und von Kälte erstarrte Boden sehr schwierig machte), las der Geistliche einige Stellen aus dem Todtenamte, zum Theil um Jocelins abergläubischer Furcht zu genügen, und anderen Theils, weil er es für eine Gewissenssache hielt, das Ritual der Kirche einem Mann nicht zu verweigern, der in der letzten Stunde ihren Beistand verlangt hatte.



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