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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der Schlangen giftigste sind die, die unter Blumen weilen,
Mit Farben schön gemalt, ein Wunder der Natur,
Die deren Augen sprühn wie Thau des jungen Morgens;
Von außen scheinen sie so harmlos liebe Wesen,
Doch Unschuld hüte dich, du ahn'st nicht die Gefahr,
Und nah ist doch das Gift!

Altes Schauspiel.

Carl (wir müssen ihm nun seinen eigenen Namen geben) fügte sich leicht in die Umstände, welche ihn zu einem längeren Aufenthalt in Woodstock nöthigten. Freilich würde er es vorgezogen haben, wenn er schnell aus England hätte entfliehen können; aber er war schon lange an unbequeme Verbergungsörter, an unangenehme Verkleidungen und an lange und schwierige Reisen gewöhnt, wo er die größten Unannehmlichkeiten ertragen mußte, und oft in der höchsten Gefahr schwebte. Er erfreuete sich also seiner vergleichungsweisen Ruhe und vergleichungsweisen Sicherheit.

Uebrigens hatte sich Carl mit der Gesellschaft in Woodstock, seitdem er sie besser hatte kennen lernen, wieder ausgesöhnt. Er sah, daß, um die schöne Alexis anzuziehen und um ihre Gesellschaft zu genießen, nichts nöthiger war, als sich den Launen ihres Vaters zu unterwerfen, und sich mit dem alten Ritter auf einen vertraulichen Fuß zu setzen. Einige Gänge im Fechten, bei welchen Carl Sorge trug, seine Ueberlegenheit und seine volle jugendliche Kraft und Gewandtheit nicht an Tag zu legen – das stillschweigende Anhören einiger Scenen aus Shakespeare, welche der Ritter mit größerem Eifer als Geschmack las, – einige Virtuosität in der Musik, welche der alte Mann über Alles liebte – geheuchelte Ehrfurcht gegen einige altmodische Meinungen, worüber er in sich lachen mußte – waren mehr als genügend, den verkleideten Fürsten dem Sir Henry Lee theuer zu machen, und sich einen gleichen Grad der Zuneigung von seiner liebenswürdigen Tochter zu erringen.

Nie gab es zwei junge Personen, welche ihre Vertraulichkeit auf einem ungleicheren Fuße begannen. Carl war ein Wüstling, der, wenn er auch bei kaltem Blute es nicht für gut fand, seiner unehrenvollen Leidenschaft gegen Alexis zu fröhnen, doch jeden Augenblick bewogen ward, die Stärke einer Tugend zu erproben, an die er nicht glaubte. Alexis ihrer Seits wußte kaum, was man unter dem Worte: Wüstling und Verführer verstand.

Ihre Mutter war frühe (gleich beim Anfang des Bürgerkrieges) gestorben, und sie war vorzüglich mit ihrem Bruder und ihrem Vetter auferzogen worden, so daß sie eine furchtlose unverdächtige Offenheit der Manieren besaß, denen Carl eine seinen eigenen Absichten günstige Meinung unterschob. Selbst Alexis' Liebe zu ihrem Vetter – das erste Gefühl, das ein unschuldiges, einfaches Gemüth zur Schüchternheit und Zurückgezogenheit gegen das männliche Geschlecht im Allgemeinen verleitet, – hatte doch in ihrem Busen durchaus keine Unruhe erzeugt. Sie waren nahe verwandt, und Everard, obgleich selbst noch ein Jüngling, war doch um einige Jahre älter als sie, und von ihrer frühesten Jugend an sowohl ein Gegenstand ihrer Achtung als ihrer Zuneigung. Als ihre frühe kindliche Vertraulichkeit zu jugendlicher eingestandener und erwiederter Liebe reifte, so war sie dennoch immerhin in einigen leichten Schattirungen von der Leidenschaft verschieden, die zwischen Liebenden besteht, die, ursprünglich fremd, erst durch die gewöhnliche Weise der Bekanntschaft vereinigt werden. Ihre Liebe war zärtlicher, vertraulicher, zutrauensvoller, auch vielleicht reiner und freier von Aufwallungen leidenschaftlicher Heftigkeit, oder ahnungsvoller Eifersucht.

Die Möglichkeit, daß Jemand es versuchen sollte, den Everard aus ihrer Neigung zu verdrängen, war ein Gegenstand, der Alexis nie einfiel; und daß dieser sonderbare schottische junge Mann, mit dem sie über seine Witze und über den sie wegen seiner Eigenheiten lachte, ein Gegenstand der Gefahr sein könnte, kam ihr nie in Gedanken. Die Art der Vertraulichkeit, zu der sie Kerneguy zuließ, war dieselbe, mit welcher sie eine Freundin ihres eigenen Geschlechtes gewürdigt hätte, deren Betragen sie nicht immer gut hieß, aber deren Gesellschaft sie unterhaltend fand.

Es war natürlich, daß die Ungezwungenheit in dem Betragen der Alexis, welche ihren Grund in der vollkommensten Gleichgültigkeit hatte, in der Meinung des königlichen Wüstlings für eine Aufmunterung galt, und daß der Entschluß, den er gefaßt hatte, die Gastfreundschaft zu Woodstock nicht zu verletzen, zu schwanken anfing, als die Gelegenheit es zu thun häufiger ward.

Diese Gelegenheiten wurden durch Alberts Abreise von Woodstock gleich nach dem Tage seiner Ankunft noch häufiger. Man war im großen Rathe mit Carl und Rochecliffe übereingekommen, daß der junge Lee nach der Grafschaft Kent reisen und seinen Oheim Everard besuchen sollte, um durch seine Anwesenheit daselbst jeden Verdacht von Woodstock abzuziehen, und den Feinden jeden Vorwand zu entreißen, die Familie seines Vaters deßwegen zu stören, weil sie Jemand beherberge, der noch vor Kurzem die Waffen gegen die herrschende Partei getragen hatte. Auch hatte er es auf seine eigene große persönliche Gefahr unternommen, verschiedene Punkte der Seeküste zu untersuchen, um sich von der Sicherheit einiger Plätze zu überzeugen, wo man für die Einschiffung des Königs Sorge tragen könne.

Diese Umstände trugen zugleich dazu bei, des Königs Sicherheit zu vergrößern und seine Flucht zu erleichtern.

Aber Alexis war dadurch der Anwesenheit ihres Bruders beraubt, der ihr wachsamster Wächter gewesen sein würde, und der des Königs frühere hingeworfene Rede der Fröhlichkeit seiner Laune zuschrieb, und es für eine große Ungerechtigkeit gegen seinen Souverain gehalten haben würde, den ernsthaften Verdacht zu hegen, daß er über einen solchen Bruch der Gastfreundschaft, wie ein unehrenvoller Plan auf Alexis war, brütete.

Doch waren Zwei in dem Hause zu Woodstock, die dem Louis Kerneguy und seinen Planen nicht ganz zu trauen schienen. Der Eine war Bevis, der von ihrem ersten unfreundlichen Zusammentreffen dem neuen Gaste einen Haß nachzutragen schien, den keine Freundlichkeit und keine Lockungen von Seiten Carls stillen konnten. War zufällig der Page allein bei seiner jungen Gebieterin, so fehlte Bevis selten bei der Gesellschaft; näherte sich jener dem Stuhle der Alexis, so war auch dieser bei der Hand und fing furchtbar zu heulen an.

»Es ist doch Jammerschade,« sagte der verkleidete Prinz, »daß Ihr Bevis kein Bullenbeißer ist, daß wir ihn den Rundköpfen zuschicken können; er ist zu schön, zu edel, zu aristokratisch, als daß er diese ungastfreundschaftlichen Vorurtheile gegen einen armen heimathslosen Royalisten nähren sollte. Ich bin überzeugt, daß der Geist des Pym oder des Hampden in den Gesellen gefahren ist, und nun fortfährt, seinen Haß gegen das Königthum und seine Anhänger zu zeigen.«

Alexis erwiederte dann gewöhnlich, daß Bevis Wort und That nach royalistisch sei, und nur ihres Vaters Vorurtheile gegen die Schottländer theile, welche, wie sie selbst eingestehen mußte, ziemlich stark waren.

»Nein,« sagte der vermeintliche Louis. »Ich muß einen andern Grund ausfinden; denn ich kann nicht zugeben, daß die Unfreundlichkeit des Bevis nur eine Nationalabneigung sei. Wir wollen also annehmen, daß irgend ein galanter Ritter, der in den Kampf zog, und nie zurückkehrte, seine Gestalt annahm, um den Gegenstand betrachten zu können, den er so ungern verließ, und daß er nun eifersüchtig darauf ist, wenn er sieht, daß selbst der arme Louis Kerneguy sich der Dame seiner verlorenen Neigung nähert.« Dabei rückte er seinen Stuhl näher, und Bevis heulte dumpf.

»In diesem Falle blieben Sie am besten in Ihrer Entfernung,« sagte Alexis lachend; »denn der Biß eines Hundes, in den der Geist eines eifersüchtigen Liebhabers fuhr, kann nicht sehr sicher sein.«

Der König führte die Unterredung auf dieselbe Weise fort, und Alexis, die gewiß an nichts Ernstlicheres dachte, als an die oberflächliche Galanterie eines schwärmerischen Jünglings, verleitete den vermeintlichen Louis Kerneguy zu glauben, daß er eine von denen Eroberungen gemacht habe, welche so oft und so leicht den Fürsten zu Theil wird. Trotz seiner scharfen Urtheilskraft sah er doch nicht ein, daß der königliche Weg zu der Gunst der Frauen nur den Monarchen offen steht, wenn sie in großem Kostüm reisen, und daß, wenn sie incognito einhergehen, sie sich auf dem Wege der Liebe denselben Krümmungen und Schwierigkeiten unterwerfen müssen, welche die gerade Reise der Privatpersonen verhindern.

Außer Bevis gab es noch ein Mitglied der Familie, welches den Louis Kerneguy unfreundlich und scharf im Auge hielt. Phöbe Maiblume, obgleich ihre Erfahrung sich nicht über die Gemarkung ihres Dorfes erstreckte, kannte doch die Welt besser, als ihre Gebieterin, und war überdieß fünf Jahre älter. Da sie die Welt besser kannte, so war sie auch mißtrauischer. Sie glaubte, der thöricht aussehende schottische Bube besuche ihre junge Gebieterin öfter, als es sich zieme, und daß Alexis ihn mehr dazu aufmuntere, als Parthenia es gegen einen solchen Zierbengel in der Abwesenheit des Argalus gethan haben würde – denn das Werk, welches von den Liebesabenteuern dieser berühmten Arkadier handelt, war damals das Lieblingsstudium aller Frauen und Mädchen im ganzen fröhlichen England. Da sie nun einmal diesen Verdacht hegte, so war Phöbe bei dieser Gelegenheit im Zweifel, wie sie sich betragen sollte, und doch hatte sie sich es fest vorgenommen, nicht ruhig zuzusehen, daß die treue Liebe gegen Oberst Everard verdrängt würde, ohne Mittel dagegen zu ergreifen. Sie selbst war dem Markham ganz besonders gewogen, der ihrem Ausdrucke nach ein so schöner und anständiger junger Mann war, wie nur einer in Oxfordshire, und mit dem sich dieser junge schottische Fant so wenig vergleichen ließe, wie Kreide mit Käse. Und doch gab sie zu, daß Mr. Girniky eine wunderbar geläufige Zunge habe, und daß solche Bewerbungen nicht zu verachten seien. Was konnte sie thun? – Thatsachen waren ihr nicht bekannt, sie hegte nur einen allgemeinen Verdacht, und war zu ängstlich, mit ihrer Gebieterin zu sprechen, die, so groß auch ihre Güte war, doch nie zur Vertraulichkeit ermunterte.

Sie erforschte Joceline; aber er nahm, sie wußte nicht warum, so tiefen Antheil an dem unseligen Burschen, und hielt ihn so in Ehren, daß sie keinen Eindruck auf ihn machte. Mit dem alten Ritter zu sprechen, würde einen allgemeinen Sturm erregt haben. Der würdige Kaplan, der in allen streitigen Dingen Großreferendär in Woodstock war, wäre die natürliche Zuflucht des Mädchens gewesen; denn er war friedlich und strenge, rechtlich seinem Stande und seinem Betragen nach. Aber zufällig hatte er Phöbe, ohne es zu wollen, einmal dadurch beleidigt, daß er ihr den classischen Beinamen Rustica Fidele Getreues Landmädchen. gab, was sie aber, da sie es nicht verstand, im höchsten Grade übel nahm, und erklärte, daß sie eine Fiedel doch gar nicht lieber höre, wie eine Andere; und seit der Zeit vermied sie den Doctor Rochecliffe, wo sie nur konnte.

Unter allerlei Vorwänden ging Mr. Tomkins im Hause aus und ein; aber er war ein Rundkopf und sie war den Royalisten zu treu ergeben, als daß sie einen Feind in ihre innere Zwistigkeiten einweihen sollte; überdies hatte er sich gegen Phöbe selbst auf eine Weise betragen, die sie dazu bewog, Alles, was sich nur im geringsten der Vertraulichkeit näherte, zu entfernen. Sie hätte zuletzt den Cavalier Wildrake um Rath fragen können, aber Phöbe hatte ihre eigenen Gründe dazu, es nicht zu thun; denn sie sagte mit einigem Ausdruck: Cavaliero Wildrake sei eine unverschämte Londoner Ranke. Endlich entschloß sie sich, ihren Verdacht der Partei mitzutheilen, welche am meisten Interesse dabei habe, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

»Ich will den Mr. Everard es wissen lassen, daß eine Wespe um seinen Bienenkorb schwärmt,« sagte Phöbe; »und ferner, daß ich weiß, daß dieser junge schottische Unhold bei Goody-Greens seine Weiberkleidung in eine männliche verwandelte und Goody-Greens Dolly ein Goldstück gab, nichts davon zu sagen; sowie es auch außer mir Niemand erfuhr; auch weiß sie am besten, ob sie ihm Etwas für das Goldstück gab oder nicht. – Aber Mr. Louis ist ein drolliger Affe, und wird schon fordern.«

Drei oder vier Tage vergingen, während die Sachen so standen – der verkleidete Fürst zuweilen an den Liebeshandel denkend, den ihm das Glück zu seiner Unterhaltung in den Weg geworfen zu haben schien, und jede Gelegenheit benützend, seine Vertraulichkeit mit Alexis Lee zu vergrößern; aber indem er noch öfter den Doctor Rochecliffe mit Fragen über die Möglichkeit seiner Flucht plagte, gegen welche sich der gute Mann, da er außer Stande war, sie zu beantworten, vor der königlichen Zudringlichkeit in die verborgenen Gänge des Jägerhauses zurückzog, welche vielleicht nur ihm bekannt, zwanzig Jahre lang dazu dienten, daselbst die Wunder von Woodstock zu beschreiben. Es geschah am vierten Tage, daß ein unbedeutender Umstand den Ritter aus dem Hause rief, und den jungen Schottländer, welcher nun mit der Familie vertraut war, im Zimmer des Victor Lee allein mit Alexis ließ. In dieser Lage hielt er die Zeit nicht für ungünstig, eine erprobende Liebeserklärung zu machen, so wie die Croaten es im Sturme zu thun pflegen, wenn sie, die Zügel in der Hand, jeden Augenblick bereit stehen, den Feind anzugreifen, oder wenn die Umstände es erheischen, davon zu eilen, ohne sich ihm zu nähern. Nachdem er ungefähr zehn Minuten mit einer Art metaphysischem Kauderwelsch verloren hatte, welches Alexis, wie sie wollte, entweder für die Sprache der Liebelei oder für ernstere Ansprüche nehmen konnte; und gerade, als er vermuthete, sie würde jetzt ungefähr seine Meinung errathen, hatte er die Demüthigung, durch eine einzige einfache aber unerwartete Frage zu finden, daß Alexis in diesem Augenblicke an alles Andere eher dachte, als an den Sinn dessen, was er sagte. Sie frug ihn, ob er ihr nicht sagen könne, wie viel Uhr es sei, und zwar mit jener Miene wahrer Neugierde, bei welcher sich an keine Koketterie denken ließ.

»Ich will auf den Sonnenzeiger sehen, Fräulein Alexis,« sagte Louis, indem er aufstand und über die Verachtung, mit welcher er sich behandelt glaubte, tief erröthete.

»Sie werden mir eine Gefälligkeit dadurch erzeigen, Mr. Kerneguy,« sagte Alexis, ohne im Geringsten den Unwillen zu vermuthen, den sie erregt hatte.

Mr. Louis Kerneguy verließ also das Zimmer, jedoch keineswegs, um die verlangte Erkundigung einzuziehen, sondern um seinem Aerger und seiner Demüthigung freien Lauf zu lassen, um mit ernsterer Absicht als früher zu schwören, daß Alexis ihre Unverschämtheit bereuen sollte. So gutmüthig er auch war, war er immer ein Fürst, und an Widerspruch und noch viel weniger an Verachtung nicht gewöhnt, und sein beleidigter Eigendünkel fühlte sich aufs Tiefste verwundet. Mit eilendem Schritte vertiefte er sich in dem Forste, und dachte an seine eigene Sicherheit nur in sofern, daß er die schattigeren und verborgeneren Gänge wählte, wo er, einherschreitend mit eiligem, kräftigem Schritte, Rachepläne gegen die unverschämte Landkokette schmiedete, von denen sie in Zukunft keine Berücksichtigung der Gastfreundschaft retten sollte.

Der gereizte Liebhaber ging bei dem alten, bemoosten Sonnenzeiger vorbei, ohne ihn einer einzigen Frage zu würdigen; auch hätte dieser seine Neugierde nicht befriedigen können, da die Sonne in diesem Augenblick gerade nicht schien. Er eilte fort, hüllte sich in seinen Mantel, und nahm einen gebeugten Gang an, welcher seine anscheinende Größe verringerte. Bald hatte er sich in den tiefen schattigen Alleen des Waldes verloren, in welche er sich, seiner selbst unbewußt, vertieft hatte, und die er zum großen Theil durchwandelte, ohne zu wissen, in welcher Richtung er ging. Aber plötzlich ward seine Eile zuerst durch ein lautes Halloh aufgehalten, und dann durch eine Aufforderung, stehen zu bleiben, wobei er den Schlag eines Stöckchens auf seiner Schulter fühlte, was auf eine zwar gutmüthige aber etwas befehlende Weise geschah. In diesem Augenblicke wäre ihm Niemand angenehm gewesen, aber die Gestalt der Person, welche ihn auf diese Weise in seinem Wege aufhielt, konnte ihm gewiß nichts weniger als erfreulich sein. Als er sich auf das Zeichen umwandte, sah er nahe bei sich einen jungen, fast sechs Fuß hohen, schön gebauten Mann, dessen ernste Gestalt, obgleich sie schön und adelig zu nennen war, und Liebe zur Ordnung verrieth, doch den verarmten und besiegten Royalisten fremd und nur den Personen der siegreichen Partei eigen war, welche durch ihren höheren Rang im Stande waren, sich schön und anständig zu kleiden. Bei näherer Betrachtung dieser Person ward der Prinz noch mehr in Unruhe versetzt. Die Gestalt des Fremden, welcher ihn zu dieser Zwiesprache zwang, verrieth bedeutende körperliche Kraft; Würde und Entschlossenheit lag auf seiner Stirne, ein langes Schwert hing an seiner Linken, ein Dolch und ein Paar Pistolen in seinem Gürtel, was – da Louis Kerneguy keine andere Waffe, als sein Schwert bei sich hatte – dem Fremden schon einen bedeutenden Vortheil gewährte, selbst wenn seine körperliche Stärke dem Anderen nicht so sehr überlegen gewesen wäre.

Indem er bitter den gedankenlosen Ausbruch der Leidenschaft, welche ihn in diese Lage gebracht hatte, bereute, aber besonders seine Pistolen wünschte, die er zurückgelassen hatte, verließ doch den König sein Muth und seine Geistesgegenwart nicht, die seit Jahrhunderten nur Wenigen in seiner unglücklichen Familie fehlte. Er stand fest und bewegungslos, seinen Mantel um den unteren Theil seines Gesichtes gehüllt, um Zeit zu weiterer Erklärung zu haben, im Fall Jener sich in der Person geirrt hätte.

Diese Kälte brachte den erwünschten Erfolg hervor; denn Jener sprach erstaunt und zweifelnd: »Ist es nicht Joceline Joliffe? – Kenne ich auch den Förster nicht mehr, so sollte ich doch wahrlich meinen eigenen Mantel kennen.«

»Wie Sie sehen, Sir, bin ich der Joceline Joliffe nicht,« sagte Kerneguy kalt, indem er sich aufrichtete, um den Unterschied der Größe zu zeigen, und den Mantel herabfallen ließ.

»Wirklich,« erwiederte der Fremde erstaunt; »dann, Herr Unbekannter, muß ich mein Bedauern ausdrücken, mein Stöcklein als ein Mittel gebraucht zu haben, um Sie aufzuhalten. Diesem Kleide nach, das ich gewiß wieder für das meinige erkenne, schloß ich, daß Sie Joceline sein müssen, in dessen Verwahrung ich meinen Mantel im Jägerhause zurückließ.«

»Auch wenn ich Joceline gewesen wäre, Sir,« erwiederte der vermeintliche Kerneguy mit vollkommener Ruhe, »so scheint es mir, daß Sie nicht so hart hätten schlagen sollen.«

Der Gegner ward durch die beständige Ruhe, mit welcher Jener ihm antwortete, sichtbar in Verlegenheit gesetzt. Die Höflichkeit befahl ihm zuerst, sich wegen eines Irrthums zu entschuldigen, da er geglaubt hatte, die Person sicher zu kennen.

Mr. Kerneguy war nicht in der Lage, viel Schwierigkeiten zu machen; er verbeugte sich zuerst, zum Zeichen, daß er die angebotene Entschuldigung annehme, wandte sich und ging, wie er glaubte, dem Jägerhause zu. Doch hatte er den Wald, der nach verschiedenen Richtungen von Alleen durchschnitten war, zu schnell durcheilt, um des Weges, den er einzuschlagen wünschte, gewiß zu sein.

Er kam sehr in Verlegenheit, als er fand, daß er den Gefährten nicht los werden konnte, dessen Bekanntschaft er so unwillkürlich gemacht hatte. Ging er schnell, ging er langsam, sein Freund in dem adeligen, aber puritanischen Kleide, stark in Körperkraft und wohl bewaffnet, so wie wir ihn beschrieben haben, schien immer fest entschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten, und ohne ihn gerade einholen zu wollen, oder sich in ein Gespräch einzulassen, duldete er es doch nie, daß er sich mehr als auf zwei oder drei Ellen von ihm entfernte. Der Wanderer beschleunigte seinen Schritt; aber obgleich er damals in seiner Jugend, sowie später in seinem reiferen Alter, einer der besten Fußgänger in Britannien war, so blieb doch immer der Fremde, ohne seinen Schritt zu übereilen und ohne zu laufen, dicht an seiner Seite. Da er ihn nun so nah, beständig und unausweichlich verfolgte, so wurde Carls Stolz und Furcht zu gleicher Zeit rege, und er dachte, daß, wie groß auch die Gefahr eines Zweikampfes sein möchte, er doch mit seinem schlanken Verfolger im Walde besser fertig werden würde, als wenn er sich einem bewohnten Platze nähere, wo jener wahrscheinlich Freunde und Anhänger hatte.

Schwebend zwischen Furcht, Angst und Zorn wandte sich Carl plötzlich gegen seinen Verfolger um, als sie eine schmale, kleine Allee erreichten, die zu einer kleinen Wiese führte, über welche die Königseiche hervorragte, deren ausgedehnte Aeste und riesenhafter Stamm Stützpunkte der kleinen wilden Gegend waren.

»Herr,« sagte er zu seinem Verfolger, »Sie haben sich schon einer Unverschämtheit gegen mich schuldig gemacht. Sie haben Abbitte gethan; und da ich keinen Grund weiß, woher Sie mich von einem Gegenstande ihrer Unhöflichkeit unterscheiden könnten, so habe ich Ihre Entschuldigung ohne weiteres angenommen. Bleibt noch etwas zwischen uns auszumachen übrig, was Sie bewegt, mich auf diese Weise zu verfolgen? Wenn das ist, so sollte es mich freuen, es Ihnen genüglich erklären zu können. Ich kann Ihnen wohl nichts zu Leide gethan haben; denn so viel ich weiß, habe ich Sie früher nicht gesehen. Haben Sie einen guten Grund, sie zu verlangen, so bin ich bereit, Ihnen persönliche Genugthuung zu geben. Ist aber Ihre Absicht nur eine unverschämte Neugierde, so sage ich Ihnen hiermit, daß ich es nicht dulden werde, daß mir Jemand auf meinem Spatziergange auf Schritt und Tritt nachgeht.«

»Wenn ich meinen eigenen Mantel auf den Schultern eines Andern erkenne,« erwiederte der Fremde trocken, »so glaube ich doch wahrhaftig, ein natürliches Recht zu haben, ihm nachzugehen und zu sehen, was er damit anfängt. Denn, Sir, obgleich ich mich in dem geirrt habe, der ihn trägt, so bin ich doch sehr sicher, daß ich ein eben so gutes Recht darauf habe, meinen Stock auf dem Mantel tanzen zu lassen, in den Sie gehüllt sind, wie es Niemand einem Andern streitig machen wird, daß er das Recht hat, seinen Rock auszuklopfen. Wenn wir also Freunde sein sollen, so sagen Sie mir erst, wie Sie zum Beispiel zu diesem Mantel kamen, und wohin Sie mit ihm gehen? sonst werde ich mir die Freiheit nehmen, Sie aufzuhalten, wie Jemand, der ein vollkommenes Recht dazu hat.«

»Ach unglücklicher Mantel,« dachte der Wanderer, »dreimal unglückselige, thörichte Idee, die mich hieher führte, um Streit anzufangen und Aufmerksamkeit zu erregen, wo Ruhe und Geheimniß besonders wichtig für meine Sicherheit sind!«

»Wenn Sie mir eine Vermuthung erlauben wollen, Sir,« fuhr der Fremde fort, welcher kein Anderer als Markham Everard war, »so will ich Ihnen beweisen, daß ich Sie besser kenne als Sie glauben.«

»Nun, das wolle der allgütige Gott verhüten!« betete Jener in Stille, aber so andächtig, wie nur je in seinem Leben. Aber selbst in diesem Augenblick der höchsten Noth entging ihm sein Muth und seine Ruhe nicht, und er bedachte, daß es von der höchsten Wichtigkeit sei, nicht erschrocken zu scheinen und so zu antworten, daß er wo möglich den ganzen Verdacht erführe, welchen Jener gegen ihn hegte.

»Wenn Sie mich kennen, Herr,« sagte er, »und ein Gentleman sind, wie Ihr Anzug es verspricht, so können Sie nicht lange zweifeln, welchem Zufall Sie es zuschreiben müssen, daß ich diese Kleider trage, die Sie für die Ihrigen halten.«

»O Herr,« erwiederte Oberst Everard, dessen Zorn sich bei der gütigen Antwort des Fremden keineswegs legte, »wir haben Ovid's Metamorphosen studirt und wissen, was man davon zu halten hat, wenn junge Leute von Stand verkleidet reisen – wir wissen, daß man selbst bei gewissen Gelegenheiten zu weiblichen Kleidungen seine Zuflucht nahm; – wir haben von Vertumnus und Pomona gehört.«

Als der Monarch diese Worte hörte, ließ er wieder ein andächtiges Gebet gen Himmel steigen, des Inhalts, daß wenn diese unglückselige Geschichte keinen tiefern Grund habe, als die Eifersucht eines Anbeters der Alexis Lee, er hiemit feierlich gelobe, daß, wie sehr er auch dem schönen Geschlecht ergeben sei, er keinen Augenblick anstehen wolle, der schönsten Eva'stochter zu entsagen, um aus dieser Klemme zu kommen.

»Sir,« sagte er, »Sie scheinen ein Edelmann zu sein. Ich nehme also keinen Anstand Ihnen zu sagen, daß auch ich zu dieser Classe gehöre.«

»Oder vielleicht zu einer etwas höheren,« sagte Everard.

»Ein Edelmann ist ein Ausdruck, der alle die begreift, welche das Recht haben, ein Wappen zu tragen – Herzog, Lord und Fürst sind nicht mehr als Edelleute, und wenn man, wie ich, im Unglück ist, so darf man froh sein, wenn uns der allgemeine Höflichkeitsausdruck gestattet ist.«

»Sir,« erwiederte Everard, »ich habe keineswegs die Absicht, Ihnen ein Geständniß zu entreißen, das Ihrer eigenen Sicherheit gefährlich sein könnte. Auch ist es mein Geschäft nicht, thätig bei der Verhaftung von Privatpersonen zu sein, deren verkehrte Ansicht von Bürgerpflicht sie zu Irrthümern verleitet haben mag, die der Nachsichtsvolle eher bemitleiden als strafen möchte. Aber wenn diejenigen, welche Bürgerkrieg und Beunruhigung in ihr Vaterland brachten, Schimpf und Unehre bis in das Innere der Familien tragen – wenn sie es wagen, mit ihrer zügellosen Ausschweifung das gastfreundschaftliche Dach zu beschimpfen, das ihnen eine Zuflucht darbietet vor den Folgen ihrer öffentlichen Verbrechen, glauben Sie dann noch, Mylord, daß wir es ruhig ertragen werden?«

»Wenn Sie es sich vorgenommen haben, Streit mit mir anzufangen,« sagte der Prinz, »so sprechen Sie es zumal aus, wie es einem Edelmanne ziemt. Der Vortheil der Waffen ist ohne Zweifel auf Ihrer Seite, aber deßwegen werde ich doch nicht vor einem einzelnen Manne fliehen. Wenn Sie aber geneigt sein sollten, Vernunft anzuhören, so sage ich Ihnen mit ruhigen Worten, daß ich weder die Beleidigung errathen kann, auf welche Sie anspielen, noch begreife, warum Sie mir den Titel Mylord geben.«

»Sie läugnen es also, Lord Wilmot zu sein?« sagte Everard.

»Das kann ich ruhig thun,« sagte der Prinz.

»Vielleicht nennen Sie sich Graf von Rochester? Wir haben gehört, daß Ihr Ehrgeiz nach einem solchen Titel vor dem Könige der Schotten strebte.«

»Ich bin weder ein Lord noch ein Graf, so wahr Gott meiner christlichen Seele gnädig sei. Mein Name ist –«

»Erniedrigen Sie sich nicht durch unnöthige Lüge, Mylord, und zwar gegen einen Mann, der, wie ich Ihnen mein Wort darauf gebe, die öffentliche Gerechtigkeit nicht auffordern wird, seinem guten Schwerte beizustehen, wenn er Ursache finden sollte, es zu gebrauchen. Können Sie diesen Ring ansehen und läugnen, daß Sie Lord Wilmot sind?«

Er übergab dem verkleideten Fürsten einen Ring, welchen jener sogleich für den erkannte, den er an der Quelle in den Krug der Alexis geworfen hatte, als er unvorsichtig genug seiner augenblicklichen Galanterie folgend, einem schönen Mädchen, das er zufällig erschreckt hatte, einen kostbaren Edelstein schenkte.

»Ich kenne den Ring,« sagte er, »er war mein Eigenthum. Wie er mir aber beweisen soll, daß ich Lord Wilmot sei, kann ich nicht begreifen, und erlaube mir zu sagen, daß er ein falsches Zeugniß gegen mich aussagt.«

»Sie sollen den Beweis sehen,« antwortete Everard, und indem er den Ring wieder ergriff, drückte er an eine Feder, welche künstlich an der Fassung angebracht war, worauf der Stein zurückflog und die Anfangsbuchstaben des Namens des Lord Wilmot zeigte, im Kleinen wunderschön gestochen und mit einer Krone verziert. – »Was sagen Sie nun, Sir?«

»Daß Wahrscheinlichkeiten noch keine Beweise sind,« sagte der Prinz; »hier ist nichts Sicheres, auf das Sie rechnen können. Ich bin der Sohn eines schottischen Edelmannes, welcher in der Schlacht von Worcester tödtlich verwundet und gefangen wurde. Als er Abschied nahm, und mich zur Flucht aufforderte, gab er mir die wenigen Dinge von Werth, welche er besaß, und unter anderen auch diesen Edelstein. Ich habe von ihm gehört, daß er bei einer gewissen Gelegenheit mit dem Lord Wilmot die Ringe wechselte, aber ich kannte nie die Feder, die Sie mir so eben gezeigt haben.« Es dürfte nöthig sein zu bemerken, daß Carl hierin die vollkommene Wahrheit sprach, auch würde er sich nicht so leicht von dem Ring getrennt haben, wenn er vermuthet hätte, daß er so leicht zu erkennen sei. Nach einem augenblicklichen Stillschweigen fuhr er fort: »Noch einmal, mein Herr – ich habe Ihnen schon viel gesagt, das meine Sicherheit betrifft, – wenn Sie großmüthig sind, so werden Sie mich gehen lassen, vielleicht kann ich Ihnen einst wieder einen guten Dienst dafür erweisen. Wollen Sie mich aber aufhalten, so müssen Sie es hier und auf Ihre Gefahr thun; denn ich werde Sie weder auf Ihrem Wege begleiten, noch erlauben, daß Sie mir auf dem meinigen auf Schritt und Tritt nachgehen. Wollen Sie mich gehen lassen, so danke ich Ihnen dafür – wo nicht, so ziehen Sie Ihr Schwert!«

»Junger Edelmann,« sagte Oberst Everard, »Sie haben mich in Zweifel gesetzt, ob Sie wirklich der junge, ausgelassene Edelmann sind, für den ich Sie hielt; aber da Sie selbst sagen, daß Ihre Familie vertraut mit ihm ist, so zweifle ich keinen Augenblick, daß auch Sie die Schule der Ausschweifung durchgangen haben, in welcher Wilmot und Villiers Professoren, und ihr hoffnungsvoller Herr ein ausgelernter Student ist. Ihr Betragen zu Woodstock, wo Sie die Gastfreundschaft der Familie damit belohnten, daß Sie darüber brüteten, der Ehre derselben eine tödtliche Wunde beizubringen, hat bewiesen, daß Sie ein nur zu fähiger Schüler dieser hohen Schule sind. Ich wollte Sie nur warnen, – es ist Ihr eigener Fehler, wenn ich die Strafe der Warnung nachfolgen lasse.«

»Mich warnen, Sir,« sagte der Fürst erzürnt, »und Strafe! Da trauen Sie meiner Geduld mehr zu, als sich mit Ihrer Sicherheit verträgt. – Ziehen Sie, Sir!« – Indem er das sagte, legte er seine Hand an das Schwert.

»Meine Religion,« sagte Everard, »verbietet mir, bei Blutvergießen voreilig zu sein. – Gehen Sie nach Hause Sir – seien Sie vernünftig – folgen Sie den Befehlen der Ehre sowohl, wie denen der Vernunft. Achten Sie die Ehre des Hauses Lee und bedenken Sie, daß Jemand nahe verwandt mit demselben ist, der Ihre Handlungen einer schweren Rechenschaft unterwerfen wird.«

»Aha!« sagte der Prinz mit einem bittern Gelächter, »jetzt sehe ich die ganze Sache ein – wir haben unsern rundköpfigen Oberst, unsern puritanischen Vetter vor uns – den Mann der Bibel und der Moral, über den Alexis so herzlich lacht. Wenn Sie, Sir, Ihre Religion verhindert, Genugthuung zu geben, so sollte Sie dieselbe auch abhalten, einen Mann von Ehre zu beleidigen.«

Nun hatte die Leidenschaft bei Beiden den höchsten Grad erreicht – sie zogen gegenseitig und fingen an zu fechten, indem der Oberst dem Vortheil entsagte, den ihm seine Feuerwaffen hätten verschaffen können. Ein Schwanken des Arms, ein Ausgleiten des Fußes hätte in diesem Augenblicke das Schicksal Großbritanniens entscheiden können, als die Ankunft eines Dritten das Gefecht unterbrach.



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