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Vierunddreißigstes Kapitel.

Hört auf, hört auf, weg mit der Maske.

Heinrich IV.

Die Gesellschaft, die wir im Zimmer des Victor Lee verließen, wollte sich eben für diese Nacht trennen, und stand schon bereit, förmlich von einander Abschied zu nehmen, als man einen Schlag gegen die Hausthüre vernahm. Albert, die Schildwache des Hauses, eilte, sie zu öffnen, wobei er aber, ehe er die Stube verließ, den Uebrigen anempfahl, sich ruhig zu verhalten, bis er die Ursache des Klopfens erfahren habe. Als er an das Hausthor gelangte, rief er, wer draußen sei, und was man zu einer so späten Stunde begehre?

»Ich bin es nur,« antwortete ein schwaches Stimmchen.

»Und wie heißt du, mein kleines Bürschchen?« sagte Albert.

»Spitfire, Sir,« erwiederte die Stimme von außen.

»Spitfire!« sagte Albert.

»Ja, Sir,« erwiederte die Stimme, »alle Welt nennt mich so, ja sogar Oberst Everard selbst. Dennoch heiße ich eigentlich Spittal.«

»Oberst Everard! Kommst du von ihm?« frug der junge Lee.

»Nein, Sir; ich komme von Roger Wildrake Esquire von Squattlesea-mere, wenn's Ihnen beliebt,« sagte der Knabe, »und ich habe ein Zeichen für Fräulein Alexis mitgebracht, das ich ihren eigenen Händen überreichen werde, wenn Sie, Sir, nur die Thüre öffnen und mich einlassen wollen – denn ich kann mich meines Auftrages nicht entledigen, wenn eine 3 Zoll dicke Thüre uns trennt«.

»Es ist gewiß ein Narrenstreich des betrunkenen Schlingels,« sagte Albert mit leiser Stimme zu seiner Schwester, die ihm auf den Zehen nachgeschlichen war.

»Doch laß uns nicht vorschnell aburtheilen,« sagte die junge Dame; »in diesem Augenblick kann das geringste Versehen von Wichtigkeit sein. – Welches Zeichen hat mir denn Herr Wildrake geschickt, mein kleiner Knabe?«

»Ach, nichts von großem Werthe,« erwiederte der Knabe, »aber er war so besorgt, daß Sie es recht bald bekommen sollten, daß er mich von dem Fenster herabließ, damit ich nicht von den Soldaten aufgehalten würde.«

»Hörst du?« sagte Alexis zu ihrem Bruder; »mach' die Thüre auf, um Gotteswillen.«

Der Bruder, der nun auch von ihrem Ahnungsgefühl ergriffen worden war, öffnete eilig das Thor, und ließ den Knaben ein, dessen Gestalt, die einem angekleideten Pavian, oder einem Affen auf einem Jahrmarkte nicht unähnlich sah, zu jeder andern Zeit zu ihrer Unterhaltung beigetragen hätte. Der mißgestaltete Bote trat unter tölpelhaften Verbeugungen und Kratzfüßen in die Halle, überlieferte dem Fräulein mit vieler Förmlichkeit die Hahnenfeder und versicherte sie, es sei der Preis, den sie bei der Wette gewonnen habe.

»Ich bitte dich, mein kleiner Freund,« sagte Albert, »war dein Herr betrunken oder nüchtern, als er dich zur Nachtzeit einer Feder wegen, den weiten Weg herschickte?«

»Mit Ihrer Erlaubniß, Sir,« sagte der Knabe, »er war, was er nüchtern nennt, und was ich bei jedem Anderen von Wein umnebelt nennen würde.«

»Der Teufel hole den Trunkenbold!« sagte Albert. – »Da hast du einige Kreuzer, mein Kind, und sage deinem Herrn, er solle seine Scherze an passendere Personen und zur gelegeneren Zeit anbringen.«

»Warte noch einen Augenblick,« rief Alexis; »wir dürfen nicht übereilt handeln – das muß noch ruhiger überlegt werden.«

»Eine Feder!« sagte Albert; »so viel Umstände einer Feder wegen? Selbst Doctor Rochecliffe, der doch aus Allem Nachrichten erforscht, wie eine Elster ein Ey aussaugt, könnte darin nichts finden.«

»Wir wollen versuchen, was wir ohne ihn thun können,« sagte Alexis. Dann wandte sie sich zu dem Knaben: »Also hat dein Herr Fremde?«

»Oberst Everard, Madame, das ist ein's,« sagte Spitfire.

»Und was für Fremde?« sagte Alexis, »doch wohl Gäste, wie ich denke?«

»Ei freilich, mein Fräulein,« sagte der Knabe, »eine Art Gäste, die sich überall selbst willkommen heißen, wo sie hinkommen, wenn sie auch der Wirth nicht bewillkommt – Soldaten, Madame.«

»Die Leute, die zu Woodstock lagen?« sagte Albert.

»Nein, Herr,« erwiederte Spitfire, »neu Angekommene mit zierlichen Jacken und stählernen Cürassen, und ihr Anführer – Ew. Gnaden und das gnädige Fräulein sahen wohl noch nie solch' einen Mann – wenigstens Bill Spitfire gewiß in seinem Leben nicht.«

»War er groß oder klein?« sagte Albert, der nun in große Unruhe gerieth.

»Weder das Eine noch das Andere,« sagte der Knabe; »ein kräftiger Mann mit breiten Schultern, dicker Nase und furchtbarem Angesichte. Er hatte mehrere Offiziere bei sich. Ich sah ihn zwar nur einen Augenblick, aber ich werde ihn Zeit meines Lebens nicht vergessen.«

»Du hast recht,« sagte Albert, indem er seine Schwester bei Seite zog, »ganz recht – der Erzfeind selbst ist gegen uns los!«

»Und die Feder,« sagte Alexis, die in ihrer Angst das geringste Zeichen auffaßte, »bedeutet Flucht – und ein Rebhuhn ist ein Zugvogel!«

»Du hast es errathen,« sagte ihr Bruder, »aber die Zeit ist entsetzlich kurz. Gib dem Knaben noch eine Kleinigkeit, – aber nicht so viel, daß es Verdacht erregen könnte, und entlaß ihn. Ich muß Rochecliffe und Joceline aufsuchen.«

Er ging also, aber da er sie nicht finden konnte, so eilte er mit Riesenschritten dem Wohnzimmer zu, wo der Page, seiner Rolle getreu, den alten Ritter unterhielt, der, während er über den Erzählungen lachte, welche Jener ihm vortrug, doch ängstlich wartete, um zu erfahren, was in der Halle vorgefallen war.

»Was gibt es, Albert?« sagte der alte Mann; »wer klopfte so spät noch an der Pforte, und warum wurde sie geöffnet? Ich will nicht, daß die Formen und Gebräuche meines zwar verfallenen Hauses bei Seite gesetzt werden sollen, weil ich alt und arm bin. Warum antwortest du nicht? was flüsterst du mit Louis Kerneguy, und warum merkt Niemand auf das, was ich sage? Tochter Alexis, bist du wohl so vernünftig und so höflich, mir zu sagen, was oder wer ist es, der gegen den eingeführten Gebrauch meines Hauses hier eingelassen wurde?«

»Niemand, Sir,« erwiederte Alexis; »ein Knabe brachte eine Botschaft, und wie ich fürchte, eine beunruhigende.«

»Sir, es ist nur die Furcht,« sagte Albert hervortretend, »die uns bewegt, daß, obgleich wir glaubten, bis morgen verweilen zu dürfen, wir nun noch heute Abschied nehmen müssen.«

»Nicht also, mein Bruder,« sagte Alexis, »du mußt hier bleiben und uns vertheidigen helfen – denn wenn ihr Beide abwesend seid, so wird man euch augenblicklich und wahrscheinlich mit Erfolg nachsetzen; bleibst du aber, so werden die verborgenen Plätze in diesem Hause Zeit zum Untersuchen kosten. Auch kannst du überdieß die Kleider mit Mr. Kerneguy wechseln.«

»Recht so, edles Mädchen,« sagte Albert; »vortrefflich – ja – Louis, ich bleibe als Kerneguy hier, und Sie entfliehen als der junge Mr. Lee.«

»Ich kann noch nicht einsehen, wozu das dienen soll,« sagte Carl.

»Und ich eben so wenig,« sagte der Ritter. »Leute kommen und gehen, schmieden Pläne und ändern sie in meinem Hause, ohne mir die Ehre zu erzeigen, mich um Rath zu fragen! Wer ist dieser Mr. Kerneguy, oder was ist er mir, daß mein Sohn dableiben und sich der Gefahr der Entdeckung aussetzen soll, damit dieser schottische Page unterdessen in seiner Kleidung entrinnt? Die Ausführung solcher Intriguen dulde ich nicht, und wäre es das feinste Gewebe, das Doctor Rochecliffe's Gehirn nur je ausgesponnen hat. – Ich wünsche Ihnen nichts Böses, Louis. Du bist ein herrlicher Jüngling; aber man behandelt mich gar zu verächtlich in dieser Sache, mein Freund.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir Henry,« erwiederte die angeredete Person. »Man hat wirklich Ihre Gastfreundschaft mit einem Mangel an Zutrauen erwiedert, das doch nie gerechter ertheilt worden wäre. Aber jetzt ist der Augenblick gekommen, wo ich es sagen muß, daß ich der unglückliche Carl Stuart bin, dessen Schicksal es über ihn verhängt hat, die Ursache des Verderbens seiner besten Freunde zu sein, und dessen gegenwärtiger Aufenthalt im Kreise Ihrer Familie und allen Ihrigen den Untergang droht.«

»Mr. Louis Kerneguy,« sagte der Ritter höchst aufgebracht, »ich will es Sie lehren, Ihre Witze besser zu wählen, wenn Sie mich anreden; denn, bei Gott, es bedarf nur noch einer geringen Beleidigung, und Ihr boshaft leichtfertiges Blut wird fließen.«

»Um Gotteswillen, schweigen Sie!« rief Albert seinem Vater zu. »Es ist wirklich der König; und seine Person schwebt in so großer Gefahr, daß jeder Augenblick, den er verweilt, die unglücklichsten Folgen herbeiziehen kann.«

»Gerechter Gott!« sagte der Vater, indem er die Hände zusammenschlug und auf das Knie fallen wollte, »ist mein innigster Wunsch erhört worden! und ach, auf eine Weise, daß ich beten muß, es hätte nie stattgefunden.«

Dann versuchte er es, seine Kniee vor dem Könige zu beugen – küßte seine Hand, heiße Thränen entrollten seinem Auge – dann fuhr er fort: »Um Verzeihung, Mylord – Ew. Majestät wollte ich sagen – erlauben Sie mir in Ihrer Gegenwart nur einen Augenblick sitzen zu dürfen, bis mein Blut wieder ruhiger schlägt, und dann –«

Carl erhob seinen alten, getreuen Unterthan vom Boden, und bestand selbst in diesem Augenblick der Furcht, der Angst und der Gefahr darauf, ihn zu seinem Sitze hinzuführen, in den er mit anscheinender Erschöpfung sank, das Haupt herabgebeugt auf seinen langen weißen Bart, so daß er sich mit seinem Silberhaare vermischte. Alexis und Albert blieben bei dem König, gaben ihm Gründe an und bestanden auf seiner augenblicklichen Abreise.

»Die Pferde sind in der Hütte des Försters,« sagte Albert, »und die untergelegten Renner stehen nur achtzehn oder zwanzig Meilen weit entfernt. Können Sie die Pferde nur so weit tragen –«

»Willst du nicht lieber,« unterbrach ihn Alexis, »den vielen erprobten und verborgenen Gängen dieses Hauses trauen – dem Zimmer des Rochecliffe und den noch entlegeneren geheimen Stellen?«

»Ach!« sagte Albert, »ich kenne sie nur dem Namen nach. Mein Vater schwur, sie nur Einem anzuvertrauen, und er hat Rochecliffe gewählt.«

»Lieber fliehe ich auf freiem Felde, als mich in irgend einem Schlupfwinkel Englands zu verkriechen,« sagte der König. »Könnte ich nur den Weg zu jener Hütte finden, wo die Pferde stehen, dann wollt' ich schon versuchen, was Sporn und Peitsche vermögen, um so bald wie möglich an den bestimmten Ort zu gelangen, wo ich den Sir John Reland und frische Pferde treffen soll. Kommen Sie mit mir, Oberst Lee, wir wollen uns darnach umsehen. In den Schlachten haben uns zwar die Rundköpfe geschlagen, gilt es aber einen Wettlauf oder ein Wettrennen, so werde ich doch, glaube ich, Sieger bleiben.«

»Aber alsdann,« sagte Albert, »verlieren wir die Zeit, die wir durch die Vertheidigung des Hauses gewinnen könnten – denn auf diese Weise lassen wir Niemanden, als meinen armen Vater hier, der außer Stande ist, etwas zu thun; und Sie werden augenblicklich mit frischen Pferden verfolgt werden, während die Unserigen unfähig sind zur weitern Reise. Ach, wo ist denn der Schurke Joceline?«

»Wo ist nur Doctor Rochecliffe hingekommen?« sagte Alexis, – »er, der mit gutem Rathe so sehr bei der Hand ist – wo mag er hingegangen sein? Ach, könnte mein Vater sich nur selbst ermannen!«

»Dein Vater hat sich ermannt,« sagte Sir Henry, indem er aufstand und mit der vollen Kraft der Männlichkeit im Antlitz und Bewegung auf sie zutrat. – »Ich sammelte nur meine Gedanken – aber wann fehlten sie einem Lee, wenn sein König Rath oder Hülfe nöthig hatte?« Dann fing er an zu reden mit der schnellen und deutlichen Aussprache eines Generals an der Spitze seiner Armee, der alle Bewegungen zum Angriff und zur Vertheidigung überblickt – selbst unbewegt, glühend von Thatkraft, die Gehorsam abnöthigt, und zwar jenen freudigen Gehorsam von allen, denen er befiehlt. »Tochter,« sagte er, »jage die Dame Jellicot heraus – Phöbe soll aufstehen, und läge sie am Tode, und Thüren und Fenster verwahren.«

»Beides ist regelmäßig geschehen, seit – seitdem wir so sehr beehrt wurden,« sagte seine Tochter, indem sie den König anblickte; – »doch mögen sie noch einmal durch die Zimmer wandern.« So zog sich Alexis zurück, um die Befehle zu ertheilen, kehrte aber sogleich wieder zurück.

Der alte Ritter fuhr in demselben kräftigen Tone der Eile und Schnelle fort – »Wo ist Ihre erste Station?«

»Gray's – Rothebury über Henley, wo Sir Thomas Acland und der junge Knolles Pferde bereit stehen haben« – sagte Albert; »aber wie soll man mit unseren ermüdeten Pferden hingelangen?«

»Ueberlasse das mir!« sagte der Ritter. »Ew. Majestät müssen augenblicklich nach Jocelins Wohnung, dort finden Sie Pferde und Mittel zur Flucht. Die geheimen Oerter dieses Hauses, wenn man sie wohl benützt, werden den rebellischen Hunden schon gute zwei bis drei Stunden zu thun geben. Ich fürchte, Rochecliffe ist aufgefangen worden, und sein Independent hat ihn verrathen. Hätte ich doch nur den Elenden besser gekannt! Ich hätte ihn mit ungeschlagener Waffe niedergestoßen, wie Will sagt. Auf einen halben Bogenschuß weit von Jocelins Hütte ist die des alten Gärtners Martin, der mag Ihnen zum Führer dienen; er ist einige zwanzig Jahre älter als ich, aber kräftig wie eine alte Eiche. Spähen Sie seine Wohnung aus, und lassen Sie ihn mit sich auf Tod und Leben reiten. Er wird Sie auf den bestimmten Sammelplatz führen, denn kein Fuchs im Walde kennt auf sieben Meilen in der Runde die Gegend so gut, wie er.«

»Vortrefflich, mein theuerster Vater, vortrefflich,« sagte Albert; »ich hatte den alten Gärtner Martin vergessen.«

»Junge Leute vergessen alles,« antwortete der Ritter. – »Ach, daß doch die Glieder den Dienst versagen, wenn der Kopf sie am Besten leiten könnte.«

»Aber die ermüdeten Pferde,« sagte der König – »könnten wir keine andern bekommen?«

»Unmöglich zur Nachtzeit,« antwortete Sir Henry; »aber mit Sorgfalt und Aufmerksamkeit können auch ermüdete Pferde viel leisten.« Er ging hastig an den Schreibepult, der an einem der Gitterfenster stand und suchte etwas in den Schubladen, die er eine nach der andern aufzog.

»Wir verlieren Zeit, Vater,« sagte Albert, welcher befürchtete, daß der Geist und die Thatkraft, welche der Greis an den Tag gelegt hatte, nur ein augenblickliches Aufflackern der Lampe gewesen sein möchte, die sich dann wieder in Abenddämmerung verdunkele.

»Laß mich machen, Herr Knabe,« sagte sein Vater gereizt, »ziemt es dir, mir in dieser Gegenwart Vorstellungen zu machen? Wisse also, daß, wären auch alle Rundköpfe aus der Hölle in diesem Augenblicke um Woodstock versammelt, so wollte ich doch die königliche Hoffnung Englands auf einen Weg fortschicken, den selbst der Weiseste von ihnen nicht errathen sollte. – Alexis, mein Leben, frage nichts, sondern eile in die Küche und schneide ein oder zwei Stück Rindfleisch, oder noch besser, Wildpret ab, schneide sie lang und dünne, verstehst du mich?«

»Das ist Geistesabwesenheit,« sagte Albert bei Seite zu dem Könige. »Wir thun unrecht, und Ew. Majestät sollten nicht darauf hören.«

»Das glaube ich nicht,« sagte Alexis, »und ich kenne doch meinen Vater besser, als du.« So sprechend verließ sie das Zimmer, um den Befehlen ihres Vaters nachzukommen.

»Auch ich bin der Meinung,« sagte Carl. »Als die presbyterianischen Geistlichen in Schottland von ihren Kanzeln aus über meine Sünden und jene meines Hauses donnerten, nahmen sie sich die Freiheit, mich in's Gesicht Jeroboam oder Rehoboam, oder mit so einem ähnlichen Namen zu nennen, weil ich der Meinung junger Räthe folgte. – Alle Welt, jetzt will ich mir einmal von dem Graubart rathen lassen; denn nie sah ich größere Kraft und größeren Ausdruck, als in den Zügen des edlen Greises.«

Unterdessen hatte Sir Henry das gefunden, was er suchte. »In diesem kleinen Schächtelchen,« sagte er, »befinden sich sechs Kügelchen, bereitet aus den köstlichsten Specereien und vermischt mit Heilmitteln von der auserwähltesten, stärkendsten Kraft. Gibt man sie von Stunde zu Stunde zwischen Lagen von gutem Rindfleisch oder Wildpret, so wird ein sonst muthiges Pferd in fünf Stunden nicht ermüden, und acht Stunden in einer zurücklegen; und, wenn Gott hilft, bringt schon der vierte Theil dieser Zeit Ew. Majestät in vollkommene Sicherheit – was übrig bleibt, mag bei künftigen Gelegenheiten von Nutzen sein. Martin weiß, wie man damit umgeht; und des hülflosen Alberts träges Roß wird nach einem langsamen Gehen von zehn Minuten bereit sein, laufend den Weg zu verschlingen, wie der alte Will sagt. Aber wir wollen keine Zeit mit Schwatzen verlieren, Ew. Majestät beehren mich unendlich, wenn Sie das in Anspruch nehmen, was ohnehin Ihnen zugehört. – Nun schau ob die Küste frei ist, Albert, damit Se. Majestät plötzlich abreisen kann. Wir werden unsere Rolle schlecht spielen, wenn man ihm in den ersten zwei Stunden nachsetzt, die zwischen Nacht und Tag sind. – Wechselt die Kleider in jenem Schlafzimmer, wie Ihr es vorgeschlagen habt – es könnte doch auch zu etwas nützen.«

»Aber, mein guter Sir Henry,« sagte der König, »Ihr Eifer läßt Sie einen Hauptpunkt übersehen. Freilich kam ich von des Försters Hütte hieher, aber das war bei Tag und mit einem Führer – ich werde den Weg bei so finsterer Nacht und ohne Führung nie finden. – Ich fürchte, Sie werden den Obersten mit mir gehen lassen müssen; und ich bitte Sie und befehle Ihnen, daß Sie sich der Gefahr nicht aussetzen, das Haus zu vertheidigen – halten Sie sie nur so lange wie möglich mit der Untersuchung der geheimen Gänge auf.«

»Verlassen Sie sich auf mich, mein königlicher, gnädiger Souverain,« sagte Sir Henry, »aber Albert muß hier bleiben, und Alexis soll Ew. Majestät an seiner Stelle zu der Hütte des Joceline führen.«

»Alexis!« sagte Carl, erstaunt zurücktretend, – »wie, es ist finstere Nacht – und – und – und –« er sah auf Alexis, die unterdessen in das Zimmer zurückgekehrt war, und las Zweifel und Furcht in ihren Blicken; eine Anzeige, daß der Zwang, den er seit dem Morgen des vorgeschlagenen Zweikampfs seiner Neigung zur Galanterie auferlegt hatte, die Erinnerung an sein früheres Betragen noch nicht ganz vertilgt hatte. Er beeilte sich also, einen Vorschlag kräftig zurückzuweisen, der sie so sehr in Verlegenheit zu setzen schien. »Es ist mir unmöglich, Sir Henry, von Alexis' Diensten Gebrauch zu machen – ich muß gehen, als wären mir die Bluthunde auf den Fersen.«

»Alexis wird mit jedem Mädchen in Oxfordshire Schritt halten,« sagte der Ritter. »Und was würde Ew. Majestät die größte Eile helfen, wenn Sie den Weg nicht wüßten?«

»Nein, nein, Sir Henry,« fuhr der König fort, »die Nacht ist zu dunkel – wir verweilen uns zu lange – ich werde es selbst schon finden.«

»Verlieren Sie keine Zeit, Ihre Kleider mit Albert zu wechseln,« sagte Sir Henry, »überlassen Sie mir die Sorge des Uebrigen.«

Carl, immer noch zu Einreden geneigt, zog sich dennoch in das Zimmer zurück, wo er mit dem jungen Lee die Kleider wechselte; unterdessen sagte Sir Henry zu seiner Tochter: »Wirf deinen Mantel um, Mädchen, und ziehe deine dicksten Schuhe an. Du hättest den Pixie reiten können, aber er ist etwas zu feurig, und du bist eine furchtsame Reiterin, und warst es immer. – Es ist die einzige Schwäche, die ich an dir kenne.«

»Aber, mein Vater,« sagte Alexis, indem sie ihre Blicke fest auf Sir Henry richtete, »muß ich denn wirklich mit dem Könige gehen? Könnte nicht Phöbe oder die Jellicot uns begleiten?«

»Nein – nein – nein,« antwortete Sir Henry; »Phöbe, das thörichte Mädchen, hat, wie du weißt, heute Nacht Krämpfe gehabt, und ich glaube, ein Spaziergang wie der, den du vorhast, ist eben der Hysterie nicht sehr zuträglich. – Die Jellicot schleicht so langsam wie ein zerschlagener Karrengaul, ihre Taubheit abgerechnet, wenn man allenfalls mit ihr sprechen müßte. Nein – nein, du sollst allein gehen, und dir das Recht erwerben, daß man einst auf dein Grab schreiben kann: ›Hier liegt die, welche den König rettete!‹ – Und horch, denk' nur nicht daran, heute Nacht zurückzukommen, sondern bleib bei dem Gärtner und seiner Nichte. Bald wird Park und Forst mit Feinden angefüllt sein, und was hier vorfällt, wirst du morgen früh zeitig genug erfahren.«

»Ach, was werde ich alsdann erfahren?« sagte Alexis – »ach, wer kann's sagen? – Mein theuerster Vater, lassen Sie mich hier bleiben und Ihr Schicksal theilen! Ich will die zaghafte Weiblichkeit bei Seite legen und, wenn es nöthig ist, für den König kämpfen. Aber – ich darf nicht daran denken, seine einzige Begleiterin in der dunkeln Nacht und auf einem so einsamen Wege zu sein.«

»Wie!« sagte der Ritter, indem er seine Stimme erhob; »setzest du mir Ceremonien und thörichte Bedenklichkeiten entgegen, wenn es sich um die Sicherheit, ja um das Leben des Königs handelt? Bei diesem Zeichen meiner Treue,« er schlug auf sein greises Haar, »könnte ich glauben, daß du nicht wärest, wie es einer Tochter aus dem Hause Lee zu sein ziemt, ich würde –«

In diesem Augenblick unterbrachen ihn der König und Albert, die in's Zimmer traten, nachdem sie die Kleider gewechselt hatten; sie glichen sich etwas in der Gestalt, obgleich Carl augenscheinlich ein häßlicher, Lee aber ein schöner junger Mann zu nennen war. Auch die Farbe ihrer Haut war verschieden; doch konnte man den Unterschied nicht sogleich erkennen, da Albert eine schwarze Perrücke aufgesetzt und seine Augenbrauen gefärbt hatte.

Albert Lee ging der Fronte des Gebäudes zu und umging das Haus, um zu entdecken, in welcher Richtung der Feind sich nahe, damit sie sich über den Weg besprechen könnten, den einzuschlagen am sichersten für den königlichen Flüchtling sei. Unterdessen hatte der König, der zuerst in das Zimmer getreten war, einen Theil der heftigen Antwort vernommen, welche der Ritter seiner Tochter gab, und konnte die Ursache seiner Heftigkeit wohl errathen. Er ging mit der Würde auf ihn zu, die er sehr wohl anzunehmen wußte, wenn es ihm beliebte.

»Sir Henry,« sagte er, »es ist Unser Verlangen, ja sogar Unser Befehl, daß Sie sich bei dieser Gelegenheit der Ausübung Ihrer väterlichen Gewalt enthalten. Ich bin es überzeugt, Fräulein Alexis wird gute und triftige Gründe für ihre Wünsche haben, und ich würde es mir nie verzeihen, wenn sie um meinetwillen in eine unangenehme Lage versetzt würde. Ich bin mit Wäldern und Einöden zu gut bekannt, als daß ich fürchten müßte, meinen Weg unter meinen heimischen Eichen von Woodstock zu verlieren.«

»Ew. Majestät soll dieser Gefahr nicht ausgesetzt sein,« sagte Alexis, deren augenblickliches Schwanken durch die ruhige, klare und liebliche Weise, mit welcher Carl die letzten Worte sprach, überwältigt ward. »Sie sollen keiner Gefahr ausgesetzt werden, die ich verhindern kann; und durch den unglücklichen Lauf der Zeit, in der ich lebe, ist mir der Wald bei Nacht eben so bekannt geworden als bei Tag. Wenn Ihnen also meine Gesellschaft nicht lästig ist, so lassen Sie uns augenblicklich gehen.«

»Wenn Ihre Gesellschaft mit gutem Willen angeboten wird, so nehme ich sie mit Dankbarkeit an,« erwiederte der Monarch.

»Gern,« sagte sie, »sehr gern. Lassen Sie mich eine der Ersten sein, die jenen Eifer und jenes Zutrauen beweist, von denen ich hoffe, daß eines Tages ganz England wetteifern wird, sie für Ew. Majestät an den Tag zu legen.«

Sie sprach diese Worte mit einer solchen Lebhaftigkeit, und bewerkstelligte den unbedeutenden Kleiderwechsel mit einer Eile und Schnelligkeit, welche zeigte, daß ihre Furcht völlig verschwunden war, und daß ihr Herz ganz bei dem Auftrage sei, den ihr Vater ihr auszuführen gab.

»Alles in der Umgegend ist sicher,« sagte Albert Lee, welcher eintrat; »du kannst jeden Weg einschlagen, der dir beliebt, der verborgenste ist der beste.«

Liebreich ging Carl vor seiner Abreise auf Sir Henry Lee zu und ergriff ihn bei der Hand. »Ich bin zu stolz, Versprechungen zu leisten,« sagte er, »die je zu erfüllen ich vielleicht zu arm bin. Aber so lange Carl Stuart lebt, wird er sich stets der dankbare, verbundene Schuldner des Sir Henry Lee nennen.«

»Nicht doch, Ew. Majestät, sagen Sie das nicht,« rief der alte Mann aus, ringend mit der Bewegung seiner Seele, die ihn übermannte. »Er, der Alles fordern darf, kann ja nicht als Schuldner betrachtet werden, wenn er einen kleinen Theil davon annimmt.«

»Leben Sie wohl, mein guter Freund, leben Sie wohl!« sagte der König; »betrachten Sie mich als Ihren Sohn, als einen Bruder des Albert und der Alexis, die, wie ich sehe, schon ungeduldig sind. Geben Sie Ihren väterlichen Segen, und lassen Sie mich forteilen.«

»Der Gott, durch den die Könige regieren, der segne Ew. Majestät,« sagte Sir Henry niederknieend, indem er sein ehrwürdiges Antlitz und seine gefalteten Hände gen Himmel hob. »Der Herr der Heerschaaren segne Sie, rette Ew. Majestät aus der Gefahr, in der Sie jetzt schweben, und lasse Sie bald zum ruhigen Besitze der Krone gelangen, die Ihnen gebührt!«

Carl empfing seinen Segen wie den eines Vaters, dann machten er und Alexis sich auf zur Reise.

Als sie das Zimmer verlassen hatten, ließ der Greis beim Schlusse seines innigen Segens die Hand schlaff herabgleiten, und sein Haupt sank nieder auf seine Brust. Sein Sohn wagte es nicht, ihn in seinen Betrachtungen zu stören, doch fürchtete er, die Stärke seiner Gefühle möchte ihn überwältigen, und er könnte in Ohnmacht sinken. Endlich faßte er sich Muth, nahete sich ihm und berührte ihn sanft. Da sprang der alte Ritter auf und stand wieder da, derselbe thätige, gewandte, einsichtsvolle Hausherr, wie zuvor.

»Du hast Recht, Kind,« sagte er, »wir müssen uns aufmachen und Hand anlegen. Sie lügen, die rundköpfigen Verräther, die ihn ausschweifend und werthlos nennen! Er hat Gefühle, würdig des Sohnes des gesegneten Märtyrers. Du sahst, wie er selbst in der höchsten Gefahr lieber seine Sicherheit aufopfern, als Alexis' Begleitung annehmen wollte, als das thörichte Mädchen zu zweifeln schien, ob sie gehen sollte. Die Ausschweifung ist ihrer Natur nach selbstsüchtig und erwägt die Gefühle der Anderen nicht. Aber hast du Stange und Riegel hinter ihnen zugeschoben? denn wahrlich, ich sah sie kaum, als sie die Halle verließen.«

»Ich ließ sie durch das kleine Thor hinaus,« sagte der Oberst; »und als ich zurückkam, erschreckte mich Ihr Unwohlsein.«

»Freude – Freude, nur Freude, Albert – ich kann es keinem beunruhigenden Gedanken gestatten, meine Brust zu durchzucken, Gott wird den Abkömmling von hundert Königen nicht verlassen – der rechtmäßige Erbe wird den Schurken nicht in die Hände fallen. Eine Thräne glänzte in seinem Auge, als er Abschied von mir nahm – ich bin dessen gewiß. Möchtest du nicht für ihn sterben, Knabe?«

»Wenn ich heute Nacht mein Leben für ihn hergebe,« sagte Albert, »so thut es mir nur darum leid, weil ich dann morgen die Nachricht von seiner Errettung nicht vernehmen kann.«

»Gut – jetzt an unser Geschäft!« sagte der Ritter; »glaubst du, seine Art und Weise genüglich zu kennen, um in seiner Kleidung, die du trägst, die Frauen glauben zu machen, daß du der Page Kerneguy seiest.«

»Hm,« erwiederte Albert, »es ist nicht leicht, des Königs Person vorzustellen, wenn Frauen im Spiele sind. Aber es flimmert drunten nur noch ein schwaches Licht, und ich kann's versuchen.«

»Thue es sogleich,« sagte sein Vater; »die Schurken werden gleich hier sein.«

Demzufolge verließ Albert das Zimmer, während der Ritter fortfuhr: »Gelingt es ihm, die Weiber wirklich glauben zu machen, daß Kerneguy noch hier sei, so wird das meinen Plänen eine neue Kraft verleihen – die Jäger würden auf eine falsche Spur geleitet werden, und das königliche Reh in Sicherheit sein, ehe sie es erspähen. Dann zieht man sie von einem verborgenen Orte zum anderen! Ha, der Osten wird ergrauen, ehe sie auch nur die Hälfte durchwühlt haben! – Ja, ich will Verstecken mit ihnen spielen, und ihnen die Lockspeise vorhalten, die sie nie erhaschen werden! Ich will ihnen einen Knoten knüpfen, der ihnen aufzulösen Mühe kosten wird. Aber was wird es mich wohl kosten?« fuhr der Ritter fort, indem er sein freudiges Selbstgespräch trübte. – »Ach Absalon, Absalon, mein Sohn! mein Sohn! Aber, mag es sein; er kann nur sterben, wie seine Väter, und für die Sache, für welche sie lebten. Aber er kömmt, Psch! – Albert, ist es dir gelungen? Hast du die königlichen Manieren täuschend nachgeahmt?«

»Ja, Vater,« erwiederte Albert; »die Frauenzimmer werden schwören, daß Louis Kerneguy bis zum allerletzten Augenblick im Hause war.«

»Recht so, denn es sind gute und getreue Geschöpfe,« sagte der Ritter, »und würden Alles schwören, was zur Sicherheit seiner Majestät beitragen kann; doch werden sie es ungezwungener und mit größerem Eindruck thun, wenn sie glauben, die Wahrheit zu beschwören. – Wie täuschtest du sie denn?«

»Durch eine thörichte kleine Nachahmung der königlichen Manieren, die zu erwähnen nicht der Mühe werth ist.«

»Geh', du Schurke!« erwiederte der Ritter. »Ich fürchte, des Königs Charakter muß unter deiner Mummerei leiden.«

»Hm,« murmelte Albert, was er nicht laut zu sagen wagte, »wollte ich seinem Beispiel genau folgen, so weiß ich wohl, wessen Charakter die größte Gefahr liefe.«

»Für jetzt also müssen wir uns über die Vertheidigung der Außenwerke, über die Signale und über die Weise besprechen, wie wir den Feind so lang als möglich aufhalten.« Dann nahm er wieder zu den geheimen Schubladen seines Schreibepults seine Zuflucht und zog eine Pergamentrolle hervor, auf welcher ein Plan gezeichnet war. »Dieses,« sagte er, »ist der Grundriß der Citadelle, wie ich sie nenne, die sich noch lange halten kann, wenn du gezwungen bist, die Zufluchtsörter zu verlassen, die du bereits kennst. Die Wildmeister mußten immer schwören, diesen Plan geheim zu halten, außer vor einer Person, auf den Fall eines plötzlichen Todes. – Wir wollen uns setzen und ihn zusammen studiren.«

Sie kamen also über die zu ergreifenden Maßregeln überein, und zwar auf eine Weise, die sich durch das, was noch erfolgte, am besten zeigen wird.

Endlich nahm der junge Lee, wohl bewaffnet und mit einigen Speisen und Getränken versehen, von seinem Vater Abschied, ging und schloß sich in Victor Lee's Zimmer ein, wo sich der Eingang in das Labyrinth der verborgenen Zimmer und der geheimen Schlupfwinkel befand, der den Verbündeten bei den phantastischen Streichen, die sie auf Kosten der republikanischen Commissäre spielten, so gute Dienste geleistet hatte.

»Ich hoffe,« sprach Sir Henry, an seinem Tische sitzend, nachdem er von seinem Sohn einen zärtlichen Abschied genommen hatte, »ich hoffe, Rochecliffe wird das Geheimniß dem Schurken Tomkins doch nicht ausgeplaudert haben, dem es nicht unähnlich sieht, daß er aus der Schule schwatzt. – Aber da sitze ich – vielleicht zum letzten Male, mit meiner Bibel in der einen Hand und dem alten Will zur anderen, Gott sei gedankt, vorbereitet darauf zu sterben, so wie ich lebte. – Ich wundere mich, daß sie noch nicht kommen,« sagte er, nachdem er eine Zeitlang gewartet hatte. – »Ich war immer der Meinung, der Teufel begabe seine Geschäftsträger mit einer feineren Spürkraft, wenn er sie zu seinen Privatangelegenheiten benützt.«



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