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Sechzehntes Kapitel.

Wir haben unsern Freund Markham Everard dem Laufe seiner beunruhigenden Gedanken überlassen. Die alten Sagen vom Zimmer des Victor Lee, welche er zwar oft als ungegründet verwerfen wollte, trugen dennoch dazu bei, die gegenwärtige unbehagliche Spannung seiner Nerven zu erhöhen. Wenn er damit die Begebenheiten des Nachmittags verglich, die Waffe, womit man ihn bedroht hatte, den starken Arm, durch den er zur Erde geworfen wurde, so mußte ihn das natürlich auf die Vermuthung führen, daß in irgend einem Theil des weitläufigen Gebäudes ein Haufen Königlichgesinnter versteckt sein müsse, welche in der Nacht die Wache überwältigen, und an allen, besonders aber an Harrison, als an einem der königsmörderischen Richter, den Tod ihres Gebieters rächen würden.

Er machte sich jetzt Vorwürfe darüber, daß er sich so leicht das Versprechen des Stillschweigens hatte entreißen lassen, das so viele seiner Partei der Gefahr der Ermordung aussetzte. Er wollte eben aufstehen, um die Ronde zu machen, und um zu sehen, ob die Schildwachen wachsam auf ihren Posten wären, als die große Glocke (die in solchen Erzählungen selten schweigt) drei schlug, und durch alle Gallerien Trepp auf und Trepp ab die rauhen Stimmen der Schildwachen ertönten, welche sich mit dem gewöhnlichen Zuruf: »Alles in Ordnung« anriefen, und es beantworteten. Ihre Stimmen vermischten sich mit den tiefen Tönen der Glocke, und als sie schwiegen, konnte man kaum mehr den Nachhall der Glocke hören. Aber ehe noch der ferne Laut sich auflöste, schien er von Neuem zu erklingen, so daß Everard im Anfang nicht mehr unterscheiden konnte, ob ein zweites Echo die verklingenden Töne wiederhole, oder ob ein anderer eigener Schall die Stille unterbreche, welche beim Aufhören der Glockenschläge in dem alten Gebäude und in dem Walde herrschte.

Aber der Zweifel klärte sich bald auf, die musikalischen Töne, welche sich mit dem ersterbenden Nachhall der Glocke vermischt hatten, schienen ihn erst zu verlängern, dann ihn zu überleben. Eine wilde, rauschende Melodie ertönte in der Ferne, ward immer schallender, als sie sich näherte, ging von Zimmer zu Zimmer, von Kammer zur Gallerie, von Halle zu Thurm durch die verlassenen, entehrten Ruinen des alten Aufenthaltsortes so vieler Könige. Bei ihrem Nahen rief kein Soldat sie an, und keiner von allen Gästen in dem alten Gebäude wagte es, dem anderen seine unerklärliche Ahnung mitzutheilen.

Everard's gereizter Gemüthszustand erlaubte ihm nicht, sich ruhig zu verhalten. Die Töne näherten sich so sehr, daß es schien, als würde in dem anstoßenden Gemache ein Todtenamt gehalten. Er rief also seinem treuen Freunde Wildrake zu, der in der Stube neben ihm schlief, wozu die Verbandsthüre offen stand.

»Wildrake – Wildrake! – auf, auf! Hörst du denn den Lärmen nicht?« – Aber Wildrake antwortete nicht, obgleich die musikalischen Töne, welche nun durch das Zimmer hallten, einen Schlafenden wohl erwecken konnten, selbst wenn man ihn nicht gerufen hätte.

»Höre – Roger Wildrake – auf!« rief Everard abermals, indem er aus dem Bette sprang, und sein Schwert ergriff. – »Verschaffe dir ein Licht, und mache Lärm.«

Abermals keine Antwort. Seine Stimme verhallte mit den Tönen der Musik; und dieselbe sanfte Stimme, die seiner Meinung nach, immer noch der der Alexis ähnlich war, ward im Zimmer, und wie es ihm vorkam, nicht weit von ihm gehört.

»Dein Gefährte wird nicht antworten,« sagte die leise, sanfte Stimme. »Nur diejenigen hören den Lärm, deren Gewissen der Ruf erschreckt.«

»Schon wieder diese Maskerade!« sagte Everard. »Aber ich bin besser bewaffnet, als das letzte Mal; und wäre es nicht der Stimme wegen, so würde dem Sprecher sein Spaß theuer zu stehen kommen.«

Wir müssen im Vorbeigehen bemerken, daß es sonderbar war, daß in eben dem Augenblick, in welchem Everard eine menschliche Stimme hörte, aller Glaube an eine übernatürliche Erscheinung verschwand, und der Zauber, der ihn bisher fesselte, gelöst zu sein schien. So wahr ist es, daß (wenigstens bei dem Vernünftigen) der Einfluß einer eingebildeten oder abergläubischen Furcht nur auf dem Unbestimmten und Zweifelhaften der Sache beruht, und daß deutliche Töne und klare Begriffe die Vernunft sogleich wieder in ihre Rechte einsetzen. »Wir spotten der Waffen, womit du uns drohst – kraftlos sind sie gegen die Schutzgeister von Woodstock. Feuere, wenn du willst, und betrachte dann die Wirkung deiner Waffe. Wisse aber, daß wir dir nichts Uebels thun wollen – du bist aus dem Geschlechte der Falken, bist von edler Art, obgleich du, unberufen und irre geführt, dich zu Eulen und Fledermäusen hältst. Beflügele deine Flucht von hier an dem morgenden Tage, denn, wenn du ferner bei den Uhu's, den Fledermäusen und den Raben hausest, welche hier nisten, so trifft dich unvermeidlich dasselbe Schicksal, das Ihnen bevorsteht. Eile also von hinnen, damit diese Hallen zum Empfang derjenigen vorbereitet werden, welche ein größeres Recht haben, sie zu bewohnen.«

Everard antwortete mit erhobener Stimme: »Ich warne dich nochmals, biete mir nicht vergeblich die Stirne. Ich bin kein Kind, das man mit Gespenstergeschichten erschrecken, und keine Memme, die bewaffnet die Drohungen der Banditen fürchtet. Wenn ich auch nur einen Augenblick Nachsicht mit Euch habe, so geschieht es wegen theurer, irre geleiteter Freunde, die in das gefährliche Complott verwickelt sein mögen. Wißt, daß ich das Schloß mit Soldaten umzingeln lassen kann, welche in den verborgensten Gängen den Urheber dieses kühnen Frevels auffinden werden, und daß, falls die Durchsuchung nicht zum Zweck führen sollte, einige Fässer mit Pulver hinreichen, dieses Gebäude in einen Steinhaufen zu verwandeln, und die Urheber eines solchen schlecht gewählten Zeitvertreibs unter den Ruinen zu begraben.«

»Ihr sprecht stolz, Herr Oberst,« sagte eine andere rauhere Stimme, welche derjenigen glich, die ihn in der Gallerie angeredet hatte; »versucht Euren Muth – hieher.«

»Ihr solltet es nicht wagen, mich zweimal aufzufordern,« sagte Oberst Everard, »wenn ich ein Licht hätte, um zu zielen.«

Kaum hatte er es gesprochen, als ein Lichtstrahl das Zimmer durchzuckte, der den Sprechenden durch seinen Glanz verblendete, und ihn deutlich eine Gestalt sehen ließ, welche der des Victor Lee glich, wie er auf dem Gemälde dargestellt war, und der an der einen Hand ein völlig verschleiertes Frauenzimmer, in der anderen einen Feldherrnstab hielt. Beide Gestalten waren belebt und schienen nur sechs Fuß weit von ihm zu stehen.

»Wäre es nicht der Dame wegen,« sagte Everard, »so dürftet Ihr mich nicht so auf Tod und Leben fordern.«

»Schone uns nicht,« erwiederte dieselbe Stimme, »sondern thue das Schlimmste! Ich spotte deiner!«

»Wiederhole deine Herausforderung, wann ich drei gezählt habe,« sagte Everard, »und empfange dann den Lohn deiner Frechheit. Eins – ich habe den Hahn der Pistole gespannt – Zwei – ich verfehle nie mein Ziel. Bei allem, was heilig ist, ich feuere, wenn Ihr nicht geht. Wenn ich die nächste Zahl ausspreche, so schieße ich dich auf dem Platze todt. Ich vergieße ungern Blut – ich will es Euch noch möglich machen, zu entfliehen – eins – zwei drei.

Everard zielte nach dem Herzen, und feuerte seine Pistole los. Die Gestalt winkte zornig mit der Hand; ein lautes Gelächter erfolgte, und das Licht, das nach und nach schwächer ward, tanzte und flimmerte um die Erscheinung des alten Ritters umher, und verschwand. Dem Everard strömte das Blut kalt zum Herzen. »Wäre es aus menschlichem Stoffe gewesen,« dachte er, »so hätte ihn die Kugel durchbohren müssen – und ich besitze weder die Macht, noch die Lust mit übernatürlichen Wesen zu kämpfen.«

Nun ward aber seine Beklemmung so groß, daß er fast krank niederfiel. Er schlich an's Kamin, und warf auf die noch glimmende Asche eine Handvoll trockner Späne. Sie loderte sogleich auf, und gewährte ihm Licht, das Zimmer nach jeder Richtung hin zu betrachten. Er schaute vorsichtig, ja fast ängstlich umher, und erwartete fast ein gräuliches Luftgebilde zu erschauen. Aber er sah nichts als die alten Möbel, den Schreibepult, und noch andere Dinge, welche noch in demselben Zustande waren, wie bei Sir Henry Lee's Abreise. Er fühlte ein unwiderstehliches, jedoch mit Scheu vermischtes Verlangen, das Bild des alten Ritters zu betrachten, dem die Gestalt so ähnlich sah. Er schwankte zwischen den widerstrebenden Gefühlen, ergriff aber endlich, mit verzweifeltem Entschluß die Kerze, die er ausgelöscht hatte, und zündete sie an, ehe das Flackern der Späne verlosch. Er hielt sie gegen das alte Gemälde des Victor Lee, und betrachtete es mit gespannter, aber keineswegs furchtloser Neugier. Fast kehrte die kindische Furcht seiner Knabenjahre zurück; denn es schien ihm, als ob das strenge, bleiche Auge des alten Ritters ihn verfolge, und mit seinem Unwillen bedrohe. Und obgleich er sich selbst den thörichten Glauben auszureden suchte, so drückten sich doch die vermischten Gefühle seines Gemüths in den Worten aus, welche halb an das alte Gemälde gerichtet zu sein schienen.

»Geist des Ahnen meiner Mutter,« sagte er, »sei es nun zum Guten oder zum Bösen, durch den Willen der Menschen oder übernatürlicher Wesen, daß diese Hallen beunruhigt werden; ich bin fest entschlossen, sie morgen zu verlassen.«

»Ich freue mich von ganzer Seele, das zu hören,« sagte eine Stimme hinter ihm.

Er wandte sich um, und sah eine schmale, weiße Figur, mit einer Art von Turban auf dem Kopf. Er ließ das Licht fallen, und ergriff sie.

»Du wenigstens bist doch verletzlich,« sagte er.

»Verletzlich!« erwiederte der, den er so mächtiglich gepackt hatte. – »Alle Welt, das könntest du, glaub ich', wissen, auch ohne mich der Gefahr auszusetzen, mich zu erwürgen. Wenn du mich nicht loslässest, so werde ich dir zeigen, daß ich auch noch ringen kann.«

»Roger Wildrake!« sagte Everard, ließ den Cavalier los und trat zurück.

»Roger Wildrake, ja freilich. Hieltst du mich für den Roger Bacon, der gekommen wäre, dir den Teufel bannen zu helfen? – denn es riecht hier verzweifelt nach Schwefel.«

»Das kömmt von der Pistole, die ich losfeuerte – hörtest du sie nicht?«

»Ach ja doch, es war das, was mich erweckte – denn unter der Nachtmütze, die ich aufsetzte, schlief ich wie ein Murmelthier. – Wahrhaftig es schwindelt mir noch davon.«

»Aber warum kamst du denn nicht gleich? – Nie war mir Hülfe nöthiger.«

»Ich kam so schnell wie möglich,« antwortete Wildrake; »aber es verstrich erst einige Zeit, ehe ich mich fassen konnte, denn ich träumte von dem verfluchten Schlachtfelde zu Naseby; – übrigens war auch meine Thüre verschlossen, und ich konnte sie nur erst dann öffnen, als mein Fuß die Schlosserarbeit vernichtete.«

»Was, sie war ja offen, als ich zu Bette ging,« sagte Everard.

»Aber als ich aufstand, war sie verschlossen,« erwiederte Wildrake, »ich wundere mich, daß du mich nicht hörtest, als ich sie sprengte.«

»Mein Geist war bei einer andern Sache beschäftigt,« sagte Everard.

»Auch recht,« versetzte Wildrake, »aber, was gab's denn? Da bin ich schlagfertig, wenn mir's mein Schwindel erlaubt, zu kämpfen. Das stärkste Bier, das ich je trank, gleicht dem von gestern Abend wie ein Gerstenkorn einem Scheffel Getreide. Es war ein wahrer Malzspiritus – ha – pah.«

»Auch ein Schlaftrunk, wie es scheint,« sagte Everard.

»Wahrscheinlich – sehr wahrscheinlich – nur ein Pistolenschuß konnte mich wecken, da ich doch sonst bei einem Schluck so leise schlafe, wie ein Mädchen, das am ersten Mai mit Sonnenaufgang aufstehen will, um den Thau zu sammeln. Aber was gibt es jetzt zu thun?«

»Nichts,« antwortete Everard.

»Nichts?« sagte Wildrake erstaunt.

»Ich sage es dir weniger zur Nachricht, als für andere, die es hören werden, daß ich morgen früh das Jägerhaus verlassen und wo möglich auch die Commissäre zu entfernen suchen werde.«

»Horch,« sagte Wildrake, »hörest du nicht ein Geräusch gleich dem fernen Schall des Beifallklatschens in einem Theater? Die Hexen des Ortes freuen sich deiner Abreise.«

»Ich werde Woodstock verlassen,« sagte Everard, »um es meinem Oheim wieder einzuräumen, wenn er es wieder beziehen will; ich thue es aber keineswegs, weil ich mich von den Kunststückchen, die man dazu anwandte, erschrecken lasse, sondern lediglich und allein, weil es schon früher meine Absicht war. Aber,« fügte er mit erhobener Stimme hinzu, »ich warne die Personen, welche dabei verwickelt sind, daß, wenn auch ihre Vorspiegelungen einen Narren, wie Desborough, blenden können, oder einen Frömmler, wie Harrison, oder eine Memme, wie Bletson –«

Hier fügte eine scheinbar nahe stehende Stimme die Worte hinzu: »oder eine weise, gemäßigte und entschlossene Person, wie Oberst Everard.«

»Bei'm Himmel,« sagte Wildrake, indem er sein Schwert zog, »die Stimme kam vom Gemälde her; ich will einmal die plattirte Rüstung durchbohren.«

»Laß sein,« sagte Everard, der nach einem augenblicklichen Erschrecken sogleich seine gewöhnliche Festigkeit wieder erlangte, und in seiner Rede fortfuhr. »Ich wiederhole es, daß alle Personen, welche in das Complott verwickelt sind, wenn's auch augenblicklich gelingt, wie künstlich auch der Knoten ihrer Kunstgriffe geschürzt sei, doch bei näherer Untersuchung ihrer Strafe nicht entgehen, und die gänzliche Zerstörung von Woodstock und der unaufhaltsame Sturz der Familien Lee die Folge ihres Frevels sein wird. Mögen alle, welche damit in Verbindung stehen, das bedenken und bei Zeiten davon abstehen.«

Er schwieg und erwartete eine Antwort, aber es erfolgte keine.

»Das ist doch eine seltsame Geschichte,« sagte Wildrake, »aber – pah – ha – es übersteigt jetzt meine Fassungskraft; es schwindelt mir, wie wenn ich eine Bowle Punsch sehe; ich muß mich setzen – hew, paw – um mit Muße sprechen zu können – großen Dank, du guter Lehnsessel.«

Sprach's, warf sich, oder fiel vielmehr nach und nach auf einen breiten Großvaterstuhl, welcher oft die Last des Sir Henry Lee getragen hatte, und in einem Augenblicke schlief er fest und gesund. Everard war weit entfernt davon, dieselbe Neigung zum Schlaf zu fühlen, obgleich er sich vor jedem weiteren nächtlichen Besuch sicher glaubte; denn er glaubte, daß sein Versprechen, Woodstock zu räumen, nun denen bekannt sein müsse, welche der Besuch der Commissäre zu so sonderbaren Maßregeln verleitet hatte. Auch war seine Meinung, welche eine Zeit lang dem Glauben an übernatürlichem Einflusse in der Sache huldigte, nun wieder zu der vernünftigeren Erklärung zurückgekehrt, sie einer geschickten Verbindung und Täuschung zuzuschreiben, wozu ein Gebäude, wie das zu Woodstock, so leicht Gelegenheit darbot.

Er schürte das Feuer, zündete das Licht an, legte den armen Wildrake, der sich wie ein Kind in den Sessel geworfen hatte, in eine bessere Lage, und warf sich dann auf's Bett, um über seine seltsamen Verhältnisse nachzudenken. Da gleiteten süße, leichte Accorde durch das Zimmer und die Worte: »gute Nacht – gute Nacht – gute Nacht!« die dreimal, immer leiser, immer ferner wiederholt wurden, schienen ihm die Versicherung zu geben, daß die Geister Waffenstillstand oder Friede mit ihm geschlossen hätten, und ihn für heute Nacht nicht mehr stören würden. Kaum hatte er den Muth, ihnen eine gute Nacht zuzurufen; denn obgleich er überzeugt war, daß es nur eine List sei, so war sie doch so gut ausgeführt, daß sie in ihm dieselbe Furcht erregte, die ein gebildetes Publikum während der Darstellung einer tragischen Scene fühlt, von der es wohl weiß, daß sie nur erdichtet ist, die aber durch ihre Natürlichkeit und durch richtige Darstellung dennoch die Leidenschaften erregt. Endlich überwältigte ihn der Schlaf, und verließ ihn nicht, bis das glänzende Tageslicht ihn erweckte.



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