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Viertes Kapitel.

– – – – Dort jener sammtne Wiesenweg,
Er windet sich um düstre Grotten und um heitre Lauben;
Kein Kieselstein verletzet deine Füße.
Gleich findest Obdach du vor Sturm und Regenschau'r,
Doch führt dich nicht die Flucht auf diesen Rosenweg,
An Klippen siehst du sie mit amarantnem Stabe.
Sie führt dich, und dein Blut bezeichnet deinen Schritt;
Sie führt dich, und der Sturm umtobet dir das Haupt,
Den abgezehrten Leib quält Hunger, Frost und Durst.
Doch führt sie dich empor auf kühne, edle Höhen,
Dort zeigt sich dein Gemüth dem Himmel nah' verwandt;
Du siehst das Irdische dann gestreckt zu deinen Füßen
So klein, so werthlos, so verschrumpft!

Anonymer.

Wir hoffen, daß der Leser sich noch erinnert, daß der Ritter Henry Lee nach seinem Kampfe mit dem republikanischen Soldaten sich nebst seiner Tochter wegbegab, um in der Hütte des wackeren Försters Joceline Joliffe eine Zufluchtsstätte zu suchen. Langsam wie früher schritten sie einher; denn auf der Seele des alten Ritters lastete der doppelte Kummer, daß er das letzte Ueberbleibsel des Königthums den Republikanern überliefern mußte, und die Erinnerung an seine eben erlittene Besiegung. Gar oft blieb er stehen, kreuzte die Arme auf der Brust, und rief sich alle Umstände in's Gedächtniß zurück, die ihn aus einem Hause vertrieben, das er durch lange Gewohnheit als sein eigenes betrachtete. Auch Alexis war von schmerzhaften Gefühlen durchdrungen, und ihre letzte Unterredung mit ihrem Vater war nicht so erfreulich, um sie wieder anzuknüpfen, ehe seine Stimmung sich beruhigt hatte. Denn bei einem vortrefflichen Charakter, und trotz der innigen Liebe zu seiner Tochter hatte Alter und Mißgeschick dem guten alten Ritter eine gespannte, leidenschaftliche Reizbarkeit gegeben, die ihm in seinen besseren Tagen unbekannt war. Seine Tochter und ein paar treue Diener, die ihm selbst bei seinen zerrütteten Vermögensumständen noch folgten, suchten seine Schwachheiten so viel wie möglich zu besänftigen und zu mildern, und bedauerten ihn selbst, wenn sie darunter litten.

Es dauerte lange, ehe er zu reden anfing, und dann bezog er sich auf einen schon erwähnten Vorfall.

»Es ist doch sonderbar,« sagte er, »daß Bevis lieber dem Joceline und dem Soldaten folgte, als mir.«

»Gewiß bemerkte seine Spürkraft in jenem Manne einen Fremden, dem er vorsichtig nachgehen wollte, und deßwegen blieb er bei Joceline,« erwiederte Alexis.

»Nicht doch Alexis,« antwortete der Ritter Lee, »weil mein Glück geflohen ist, so verläßt er mich auch. Es gibt in der Natur gewisse Gefühle, die sich sogar auf den sogenannten Instinkt unvernünftiger Thiere erstrecken, und sie das Unglück fliehen lehren. Selbst das Wild stößt einen kranken oder verwundeten Bock aus der Heerde. Verstümmle einen Jagdhund, und die ganze Kuppel wird ihn anfallen und zerreißen. Fische verschlingen andere von ihrer Gattung, wenn jene beschädigt sind. Schneide einer Krähe den Flügel ab, oder breche ihr ein Bein, und die anderen werden sie zu Tode hacken.«

»Das mag wohl bei den minder begabten Thierarten wahr sein,« sagte Alexis; »denn ihr ganzes Treiben ist ein beständiges Rauben und Morden. Aber der Hund verläßt seine Gattung, um sich zu Menschen zu halten, um seines Herrn willen flieht er die Nahrung, die Gesellschaft und die Vergnügungen seiner eigenen Race, und gewiß darf man auf einen so ergebenen freiwilligen Diener, wie sich Bevis stets zeigte, nicht leicht einen so schweren Verdacht werfen.«

»Ich zürne nicht auf den Hund, Alexis, es betrübt mich nur. Ich habe irgendwo in einer glaubwürdigen Chronik gelesen, daß, als Richard II. und Heinrich von Bokingbroke sich auf dem Schlosse Berkeley befanden, ein Hund von derselben Race, den König, den er stets zu begleiten pflegte, verließ, und sich zum Heinrich hielt, den er damals zum erstenmale sah. Aus dem Abfall seines Lieblings prophezeihte Richard seine bevorstehende Entthronung. Späterhin wurde der Hund zu Woodstock unterhalten, und Bevis soll von seiner Race sein, die man sorgfältig aufzog. Welches Unheil ich aus seiner Flucht weissagen solle, das weiß ich nicht, aber mein Geist sagt mir, daß es nichts Gutes bedeute.«

Es rauschte im Laub, man hörte springen und laufen, und in demselben Augenblick stand der Hund neben seinem Herrn.

»Komm her, du alter Schelm,« sagte Alexis freundlich, »komm her und vertheidige deinen Charakter, der durch deine Abwesenheit sehr gefährdet wurde.«

Der Hund aber umkreiste sie schnell, und eilte sogleich wieder von hinnen.

»Ei du alter Schelm,« sagte der alte Ritter, »du bist gut abgerichtet, daß du ohne Befehl auf die Jagd gehst.« Einen Augenblick darauf kam Phöbe Maiblume hochgeschürzt ihres Weges daher, und die Last, welche sie trug, schien sie in ihrer Eile nicht aufzuhalten. Sie traf ihren Herrn und das Fräulein, als diese gerade zu der Hütte des Försters gelangten, welche das Ziel ihrer Wanderschaft war. Die ganze Gesellschaft sammt dem Hunde war jetzt vor der Thüre der Hütte des Försters versammelt.

In den besseren Zeiten Woodstocks zierte diesen Platz ein massives steinernes Gebäude, das für den Unteraufseher des königlichen Parks bestimmt war. Nicht weit davon befand sich eine liebliche Quelle, welche in wohl angelegten Kanälen und Becken durch den Hof des Gebäudes rieselte. Aber bei einigen Gefechten, die während des Bürgerkrieges in dieser Gegend vorfielen, wurde das kleine Waldgebäude angegriffen und vertheidigt, erstürmt und verbrannt. Ein benachbarter Gutsbesitzer, der sich in diesem Streite zu der Partei des Parlaments gehalten hatte, benutzte den Verfall der königlichen Sache und die Abwesenheit des Sir Henry Lee, als sich dieser in dem Lager des Königs befand, und ließ ohne weiteres die behauenen Steine und die Baumaterialien, welche das Feuer verschont hatte, wegnehmen, und benutzte sie zur Reparatur seines eigenen Wohnhauses. Nun baute sich der Förster, unser Freund Joceline, in wenigen Tagen theils mit eigener Hand, theils mit Hülfe einiger Nachbarn eine umzäunte Hütte, die ihm und einer alten Haushälterin, welche er seine Dame nannte, zum Aufenthaltsorte diente. Die Mauern waren mit Lehm überworfen, weiß angestrichen und mit Spalieren, an denen sich Wein und andere rankende Pflanzen hinaufzogen, umgeben. Das Dach war mit Stroh gedeckt, und der gewandte Joliffe hatte das Hüttlein so nett einzurichten gewußt, daß es dem Stande seines Besitzers nicht zur Unehre gereichte.

Der Ritter nahte sich dem Eingange; aber der erfinderische Geist des Baumeisters hatte in Ermangelung eines besseren Schlosses an der Thür, die selbst nur aus Weiden zusammengeflochten war, eine Art von Riegel ersonnen, welcher inwendig befestigt, das Aufgehen hinderte. In der Ueberzeugung, daß dieses eine Vorsichtsmaßregel der alten Haushälterin des Joliffe war, deren Taubheit sie alle kannten, bat der Ritter mit lauter Stimme um Einlaß – aber vergebens. Aergerlich über diesen Aufschub stemmte er sich mit Händen und Füßen gegen die Thüre, so, daß sie nicht widerstehen konnte, und der Ritter gewaltsam in die Küche, oder, wenn man lieber will, in das Vorgemach der Hütte eindrang. Mitten auf dem Vorplatze stand ein junger Fremder, in einem Reiseanzuge.

»Jetzt will ich zum letzten Male mein Recht ausüben,« sprach der Ritter, und ergriff den Fremden am Kragen, »für diese Nacht wenigstens bin ich noch Oberjägermeister von Woodstock. Wer und was bist du?«

Der Fremde ließ seinen Reisemantel, der sein Gesicht verhüllte, fallen, und verbeugte sich tief.

»Ihr armer Vetter Markham Everard,« sagte er. »Ich kam in Ihren Angelegenheiten hieher, obgleich ich fürchten muß, daß ich Ihnen in meiner eigenen nicht willkommen sein werde.«

Der alte Lee fuhr zurück, faßte sich jedoch sogleich, wie Jemand, der sich erinnert, daß er sich seinem Stande gemäß betragen müsse. Er antwortete mit erzwungener Feierlichkeit: »Es freut mich sehr, mein lieber Vetter, daß Ihr gerade heute nach Woodstock kommt, wo ich Euch nach vielen Jahren eine Aufnahme versprechen kann, die Eurer würdig ist.«

»Gott gebe, daß ich Sie recht verstehe,« sagte der junge Mann, während Alexis ihren Vater ansah, um zu erforschen, ob er gegen ihren Vetter günstig gestimmt sei, woran sie jedoch, seinem Charakter nach zu urtheilen, sehr zweifelte.

Der Ritter warf zuerst seiner Tochter, dann dem Markham Everard einen bittern Blick zu, und sprach: »Ich brauche wohl dem Herrn Markham Everard nicht erst zu sagen, daß wir außer Stand sind, ihn zu bewirthen, oder ihm auch nur einen Sitz in dieser erbärmlichen Hütte anzubieten.«

»Ich werde Sie mit dem größten Vergnügen nach dem Jägerhause begleiten,« sagte der junge Mann. »Ich glaubte wirklich, Sie wären schon dort, und fürchtete, Sie zu stören. Aber wenn Sie, mein theuerster Oheim, mir erlauben wollen, meine Base und Sie nach dem Jägerhause zu geleiten, so würde ich das für die größte Wohlthat halten, die Sie mir bis jetzt erzeigt haben, obgleich ich Ihnen schon so manches Gute und Liebe verdanke.«

»Sie verstehen mich nicht, Herr Everard,« antwortete der Ritter. »Wir werden weder heute Nacht, noch morgen in's Jägerhaus zurückkehren. Ich wollte Ihnen nur recht höflich zu verstehen geben, daß Sie im Jägerhaus eine für Sie passende Gesellschaft finden werden, die Ihnen einen Empfang bereiten kann, wie ich ihn in meiner gegenwärtigen Lage einer Person von Ihrer Wichtigkeit anzubieten nicht im Stande bin.«

»Um Gottes Willen,« sagte der junge Mann, indem er sich zu Alexis wandte, »sage mir, wie verstehe ich diese geheimnißvolle Sprache?«

Um den verbissenen Unwillen ihres Vaters nicht noch mehr zu steigern, zwang sich Alexis ihm zu antworten: »Wir sind durch Soldaten aus dem Jägerhause vertrieben worden.«

»Vertrieben – und durch Soldaten!« rief Everard im höchsten Erstaunen aus, »dazu ist keine gesetzliche Vollmacht vorhanden.«

»Gar keine,« antwortete der Ritter in demselben Tone der schneidenden Ironie, den er bisher gebraucht hatte, »und doch ist die Vollmacht eben so gesetzmäßig, als nur irgend eine, welche seit einem Jahre oder etwas länger in England ausgestellt wurde. Ich glaube, Sie sind oder Sie waren doch Jurist – wahrlich, Sir, die Ausübung Ihres Studiums gleicht dem Contracte eines ausschweifenden Jünglings mit einer reichen, alten Wittwe. Sie haben die Gesetze, welche Sie studirten, schon überlebt und bei Ihrem Tod haben sie Ihnen wahrscheinlich ein Legat vermacht – einen anständigen Zuwachs, oder eine kleine Vermehrung, wie man sich ausdrückt. Sie haben es zwiefach verdient – denn Sie tragen sowohl Ringkragen und Bandelier, als Sie mit Dinte und Feder umzugehen wissen – ob Sie auch schon gepredigt haben, weiß ich nicht.«

»Denken und reden Sie von mir so hart Sie wollen, Sir,« sagte Everard bescheiden, »aber ich kann mir das Zeugniß geben, daß ich mich in diesen schlimmen Zeiten nur von meinem Gewissen und von den Befehlen meines Vaters leiten ließ.«

»Oh, wenn Sie vom Gewissen reden,« sagte der alte Ritter, »dann muß ich, wie Hamlet sagt, ein Auge auf Euch haben. Nie betrügt ein Puritaner ärger, als wenn er an sein Gewissen appellirt, und was deinen Vater betrifft –«

Er wollte in diesem beschimpfenden Tone fortfahren, als der junge Mann ihn mit fester Stimme unterbrach: »Sir Henry Lee, ich hielt Sie immer für einen edeldenkenden Mann – sagen Sie von mir, was Sie wollen, aber reden Sie nichts von meinem Vater, was das Ohr des Sohnes nicht dulden, und sein Arm doch nicht rächen darf. Mich auf diese Weise zu beleidigen, hieße einen Unbewaffneten beschimpfen, oder einen Gefangenen schlagen.«

Sir Henry hielt inne, als fühle er sich von der Bemerkung getroffen. »Du hast wahr gesprochen, Mark, und wärest du der schwärzeste Puritaner, den die Hölle je ausspie, um dieses unglückselige Land zu verderben.«

»Denken Sie davon, was Sie wollen,« erwiederte Everard; »aber vor Allem kann ich Sie nicht unter dem Obdache dieser elenden Hütte sehen. Die Nacht droht mit Sturm – erlauben Sie mir nur, Sie in das Jägerhaus zu führen, und jene Aufdringlichen zu verjagen, welche wenigstens jetzt noch keine Vollmacht dazu haben können, Sie zu verdrängen. Ich werde keinen Augenblick länger verweilen, als bis ich die Botschaft meines Vaters ausgerichtet habe. – Gewähren Sie mir nur das, um der Liebe willen, welche Sie einst gegen mich hegten.«

»Ja, Mark,« antwortete sein Oheim fest, aber mit Kummer, »du sprichst die Wahrheit – einst liebte ich dich. Den blondgelockten Knaben, den ich reiten, schießen und jagen lehrte, der – wo er auch seine Arbeitszeit zugebracht hatte – in seinen Erholungsstunden in meiner Nähe war – ja, ich liebte den Knaben, und bin schwach genug, selbst das Andenken dessen zu lieben, was er war. – Aber es ist dahin, Mark, – es ist alles dahin; in seinen Thaten sehe ich nur den eingestandenen, fest entschlossenen Rebellen gegen seine Religion und gegen seinen König – einen Rebellen, der durch sein Glück noch verächtlicher wird, noch niederträchtiger durch den geraubten Reichthum, mit dem er seine Laster zu vergolden denkt. – Aber du glaubst vielleicht, ich sollte schweigen, weil ich arm bin, damit man mir nicht sage: ›Herr, sprecht, wenn es an Euch kommt.‹ – Wisse aber, daß, so arm und beraubt ich auch bin, ich mich doch selbst durch diese Rede entehrt glaube, die ich mit der anmaßenden Rebellenbrut wechsle. – Wenn du willst, kannst du in das Jägerhaus gehen – da liegt der Weg vor dir – glaube aber nicht, daß ich, um meine Wohnung oder um alle Habe, welche ich in den Zeiten meines Reichthums besaß, wieder zu erlangen, dich von freien Stücken auch nur drei Schritte weit begleiten werde. Wenn ich dich begleiten muß, so soll es nur dann geschehen, wenn deine Rothröcke mir die Hände auf den Rücken und die Füße an den Sattel meines Pferdes gebunden haben. Dann magst du mein Reisegefährte sein, wenn du willst, aber, beim Himmel, nicht früher.«

Alexis, die während dieser Unterredung schrecklich litt, und wohl wußte, daß jede weitere Widerrede den Zorn des Ritters nur noch mehr erregen würde, wagte es endlich, in ihrer Angst ihrem Vetter mit einem Zeichen anzudeuten, daß er die Unterredung abbrechen und sich entfernen sollte, da ihr Vater seine Abwesenheit so unbeschränkt gefordert hatte: Unglücklicherweise aber ward sie von ihrem Vater beobachtet, welcher darin das Zeichen eines geheimen Einverständnisses zwischen den beiden jungen Leuten zu sehen glaubte. Das war Oel in das Feuer seines Zornes und er mußte seine Selbstbeherrschung bis auf den höchsten Grad treiben, um seine Würde nicht zu vergessen und seine innere Wuth unter der beißenden ironischen Art zu verbergen, die er beim Anfang dieser ärgerlichen Unterredung angenommen hatte.

»Wenn du dich fürchtest, den Waldweg bei Nacht allein zu gehen,« sagte er, »mein hochgeehrter Fremder, den ich wahrscheinlich als meinen Nachfolger in meiner Stelle verehren muß, so stelle ich dir hier ein bescheidenes Fräulein vor, die dich sehr gern begleiten, und dein Schildknappe sein wird. – Blos um ihrer Mutter willen laß einige kleine Heirathsceremonien vorhergehen. – In diesen glücklichen Tagen braucht Ihr weder Erlaubniß noch Priester, sondern könnt wie Bettler in einem Grabe zusammen gekoppelt werden, mit einer Hecke zur Kirche und einem Kesselflicker zum Priester. Ich bitte Sie um Verzeihung, wenn ich eine so einfache Bitte wage – vielleicht seid Ihr ein großer Geist, oder von überverliebter Natur, oder haltet die Heirathsceremonien für unnöthig, wie Knipperdolling und Jacob von Leyden.«

»Um's Himmelswillen, enthalten Sie sich solcher furchtbaren Scherze, mein Vater, und du, Markham, verlasse uns in Gottes Namen und überlasse uns unserem Schicksale. – Deine Gegenwart macht meinen Vater wahnsinnig.«

»Scherzen!« sagte Sir Henry, »ich war nie ernster. Wahnsinnig! – ich war nie ruhiger. – Ich konnte es mir nie einfallen lassen, daß sich die Falschheit auch meinem Hause nähern könnte – ich möchte eine entehrte Tochter eben so wenig an meiner Seite dulden, wie ein entehrtes Schwert; und dieser unglückliche Tag hat gezeigt, daß beides sein kann.«

»Sir Henry,« sagte der junge Everard, »belasten Sie Ihre Seele nicht mit einem Verbrechen, wie Sie es thun, wenn Sie Ihre Tochter auf diese Weise behandeln. Es ist schon lange, daß Sie mir Ihre Tochter verweigerten, als wir arm und Sie mächtig waren. Ich willigte in Ihr Gebot ein, alle Bewerbungen und Unterhandlungen zu vermeiden. Gott weiß, was ich dadurch litt, aber ich willigte ein. Auch komme ich nicht hieher, um meine Anträge zu erneuern, aber ich gestehe ein, daß ich Sie zu sprechen wünschte, nicht allein um des Fräuleins willen, sondern vorzüglich wegen Ihren eigenen Angelegenheiten. Zerstörung schwebt über Ihnen, und ist eben im Begriff, ihre Flügel zu senken, und Sie mit ihren Krallen zu ergreifen. – Ja, Herr, sehen Sie mich so verächtlich an, wie Sie wollen, so ist es; und um das Fräulein und Sie zu beschützen, kam ich hieher.«

»Sie schlagen also mein Geschenk aus,« sagte Sir Henry Lee; »oder glauben Sie vielleicht, es ruheten zu schwere Bedingungen darauf?«

»O, der Schande! schämen Sie sich, Sir Henry,« sagte Everard, der jetzt ebenfalls in Hitze gerieth; »haben denn die politischen Vorurtheile alles Vatergefühl so ganz in Ihrem Busen erstickt, daß Sie mit bitt'rem Spott und Hohn von der Ehre Ihrer eignen Tochter sprechen können? – Erhebe dein Aug', schöne Alexis, und sage deinem Vater, daß er in seinem schwärmerischen Eifergeist von dem Wege der Natur abgewichen ist. Sie mögen es wissen, Sir Henry, daß, wenn ich gleich die Hand Ihrer Tochter einem jeden Segen vorziehen würde, mit dem der Himmel mich begnadigen wollte, so würde ich sie doch nicht annehmen – mein Gewissen würde es nicht zugeben – wenn ich wüßte, daß es sie ihren Pflichten gegen Sie entzöge.«

»Sie sind ja gar zu gewissenhaft, junger Mann; – lassen Sie sich Ihren Zweifel von irgend einem ketzerischen Rabbi lösen, und er, der alles mitnimmt, was in sein Netz kömmt, wird Sie belehren, daß es eine Sünde gegen das Geschick ist, eine freiwillig dargebotene Gabe zurückzuweisen.«

»Ja, wenn sie freiwillig dargebracht und gütig angeboten wird, aber nicht, wenn das Anerbieten mit Spott und Hohn geschieht. Lebe wohl, Alexis – wenn etwas den Wunsch in mir rege machen könnte, das Anerbieten deines Vaters anzunehmen, der dich in einer Aufwallung eines unwürdigen Verdachts von sich stoßen wollte, so ist das der Grund, daß Sir Henry Lee, indem er solche Grundsätze hegt, auf eine höchst tyrannische Weise das Geschöpf unterdrückt, das von allen Andern, am meisten von seiner Güte abhängt – das, von allen Andern, am meisten seine Strenge fühlt, und das er von allen Andern am meisten lieben und hochachten sollte.«

»Fürchten Sie nichts für mich, Mr. Everard,« rief Alexis aus, die aus Furcht vor dem, was noch daraus entstehen konnte, wo der Bürgerkrieg Verwandte und Mitbürger gegen einander in den entgegengesetzten Reihen kämpfen sah, ihre Schüchternheit beseitigte. – »Ach gehe, ich beschwöre dich, gehe fort! Nichts steht dem freundschaftlichen Verhältnisse zwischen meinem Vater und mir im Wege, als diese unglückseligen Familienzwiste – als deine unzeitige Anwesenheit. – Um's Himmelswillen, verlaß' uns.«

»So, meine Dame!« fiel der hitzige alte Ritter ein, »Sie spielen schon die gebietende Herrin! – Sie wollen wahrscheinlich in unserem Hause Befehle austheilen wie Goneril und Regan. Aber ich sage dir, Niemand soll mein Haus verlassen – und so niedrig es auch ist, so ist doch jetzt das mein Haus – während er mir noch etwas zu sagen hat, wie dieser junge Mann da spricht, mit gerunzelter Stirne und frechem Tone. – Sprecht heraus, Sir, und sagt das Schlimmste.«

»Fürchten Sie meine Stimmung nicht, Fräulein Alexis,« sagte Everard mit Festigkeit und Ruhe, »und Sie, Sir Henry, glauben Sie nicht, daß wenn ich mit Festigkeit rede, ich auch deßwegen zornig und beleidigend sprechen wollte. Sie haben mir gar vieles vorgeworfen, und wäre ich wirklich dem romantischen Rittergeist ergeben, so dürfte ich gar vieles selbst von einem Verwandten nicht unbeantwortet übergehen, weil ich durch meine Geburt und durch die Ansicht der Welt ein Edelmann genannt werde. Ist es ihnen gefällig, mir ein geduldiges Gehör zu schenken?«

»Wenn Sie bei Ihrer Vertheidigung bleiben,« antwortete der kräftige alte Ritter, »so bewahre mich Gott, daß ich Ihnen nicht ruhig Gehör schenken sollte, wenn selbst zwei Theile Ihrer Vertheidigungs-Rede aus rebellischen und der andere aus gotteslästerlichen Sätzen beständen. Seid nur kurz – es hat nur schon zu lange gedauert.«

»Ich will es thun, Sir Henry,« erwiederte der junge Mann; »doch ist es schwer, in wenigen Worten die Vertheidigung eines Lebens zusammenzudrängen, das zwar kurz, aber reich an Begebenheiten war. – Zu reich, wie ihre unwillige Miene sagt. Aber ich leugne es. Ich habe mein Schwert weder heftig noch unüberlegt für ein Volk gezogen, dessen Rechte mit Füßen getreten, dessen Gewissen gefesselt wurde. – Runzeln Sie die Stirne nicht, Sir, es ist zwar nicht Ihre Ansicht von der Sache, aber es ist die Meinige. Was meine religiösen Grundsätze betrifft, über welche Sie gespöttelt haben, so glauben Sie mir, daß wenn sie auch nicht auf gegebenen Formen beruhen, sie doch nicht minder aufrichtig als die Ihrigen sind, und – verzeihen Sie den Ausdruck, um so viel reiner, da sie nicht vermischt sind mit den blutdürstigen Ansichten eines barbarischen Zeitalters, welches Sie und andere den Codex der Ritterehre nennen. Es ist nicht mein eigenes natürliches Temperament, sondern die bessere Ansicht, welche mein Glaube mich lehrte, die mich in den Stand setzt, Ihre heftigen Schimpfreden anzuhören, ohne in einem gleich heftigen und vorwurfsvollen Ton zu antworten. Sie können die Beleidigung gegen mich nach Belieben bis auf den höchsten Grad steigern – und das nicht allein unserer Verwandtschaft wegen, sondern weil mein Glaube mir es auferlegt, es liebevoll zu dulden. Und das, Sir Henry, ist viel von Jemand aus unserer Familie. Aber mit einer weit größeren Entsagung, als das erfordert, muß ich auch von Ihren Händen die Gabe zurückweisen, die ich von allen Dingen unter dem Himmel am meisten zu erlangen wünsche, weil die Pflicht ihr befiehlt, Sie zu unterstützen und zu trösten, und weil es Sünde wäre, Ihnen in Ihrer Verblendung zu erlauben, Ihren Tröster von Ihrer Seite zu stoßen. – Leben Sie wohl Sir, ich scheide von Ihnen, indem ich Ihnen nicht zürne, sondern Sie bemitleide. – Wir werden uns vielleicht in besseren Zeiten wieder treffen, wenn Ihr Herz und Ihre Grundsätze jene unglückseligen Vorurtheile beherrschen werden, die sie nun verdunkeln. Leb wohl – Leb wohl, Alexis!«

Zweimal wiederholte er die letzten Worte, mit einem Ausdruck des Gefühls und des leidenschaftlichen Kummers, der so sehr von dem kräftigen und fast strengen Tone abwich, mit dem er den Sir Henry Lee angeredet hatte. Kaum hatte er die letzten Worte ausgesprochen, als er sich umwandte, die Hütte verließ; als schäme er sich der Zärtlichkeit, die sich in seine Rede gemischt hatte, eilte der junge Republikaner fest und entschlossen fort, und der Mond verbreitete sein helles Licht und den herbstlichen Schatten über den weit ausgedehnten Wald.

Alexis, welche während der ganzen Scene in der furchtbarsten Angst schwebte, daß die Heftigkeit des Temperamentes ihres Vaters ihn verleiten möchte, von heftigen Worten zu heftigen Handlungen überzugehen, sank, als der junge Everard die Hütte verlassen hatte, auf einen Sitz, der von Weiden geflochten war, und versuchte es, ihre Thränen zu verbergen, die von innigen Danksagungen begleitet waren, welche sie mit gebrochener Stimme gen Himmel sandte, dafür, daß trotz der nahen Verwandtschaft der Parteien keine unglückliche That die gefahrvolle heftige Unterredung beschlossen hatte. Phöbe Maiblume zwang sich, der Gesellschaft wegen, mitzuweinen, wenn sie schon von dem Vorgefallenen wenig verstand; jedoch so viel davon begriff, daß sie späterhin einem halben Dutzend Busenfreunde erzählen konnte, daß ihr alter Herr Sir Henry entsetzlich erbost gewesen wäre, und sich fast mit dem jungen Everard geschlagen hätte, weil er drauf und dran war, ihr Fräulein zu entführen. –

»Und was hätte er wohl auch Gescheiteres thun können,« sagte Phöbe, »da er sah, daß dem alten Mann, weder für sich noch für Fräulein Alexis etwas übrig blieb. Aber Mr. Markham Everard und unsere Dame die sprachen so verliebte Dinge zusammen, wie man sie sogar in der Geschichte des Argalus und der Parthenia nicht findet, die doch, wie das Mährchenbuch erzählt, die treuesten Liebenden in ganz Arcadien und sogar in Oxfordshire waren.«

Die alte Goody Jellycot in der Küche hatte ihre scharlachrothe Haube während des Streites mehr als einmal gerückt, aber da die ehrenwerthe Dame halb blind und mehr als halb taub war, so waren der Erkenntniß zwei Hauptthüren geschlossen; und wenn sie schon durch ein gewisses allgemeines Gefühl so viel begriff, daß die Edelleute sich zankten, so blieb ihr doch sowohl der Gegenstand des Streites, als auch das ein Geheimniß, warum man gerade Joceline's Hütte zum Schlachtfeld gewählt hatte. Aber in welchem Zustande befand sich das Gemüth des alten Ritters, dessen Lieblingsgrundsätze von den letzten Worten seines Neffen so heftig angegriffen wurden? Er war, um die Wahrheit zu sprechen, minder heftig bewegt, als seine Tochter es erwartete, und aller Wahrscheinlichkeit nach trug die kühne Vertheidigung seines Neffen über seine religiösen und politischen Ansichten mehr dazu bei, sein Mißvergnügen zu dämpfen, als es zu vergrößern. Obgleich er Widerspruch ziemlich ungeduldig ertrug, so waren doch Ausflüchte und Nebenwege dem geraden alten Ritter noch mehr zuwider, als männliche Rechtfertigung und gerader Widerspruch; und er pflegte zu sagen, daß er die Böcke am liebsten hätte, die am heftigsten zustießen. Doch begnadigte er das Weggehen seines Neffen mit einer Citation aus dem Shakespeare, den er wie viele andere mehr aus Gewohnheit und Achtung vor dem Liebling seines unglücklichen Herrn anführte, als daß er an seinen Werken wirklich viel Geschmack gefunden hätte. Auch war er nicht sehr gewandt in der Anführung der Stellen, die er auswendig wußte.

»Merke dir das Alexis,« sagte er, »der Teufel kann auch die heilige Schrift zu seinen Zwecken anführen; so wird auch dieser dein junger schwärmerischer Vetter, der nicht mehr Bart hat, als ein Bauernbursche, den ich am Maientage die Jungfrau Maria spielen sah, und den der Dorfbarbier zu flüchtig rasirt hatte, dieser junge Schwärmer würde es mit einem jeden bärtigen Presbyterianer und Independenten aufnehmen, seine Lehren und Gebräuche darlegen und uns mit seinem Text und seinen Predigten bestürmen. Ich hätte nur gewünscht, der ehrenwerthe und gelehrte Doctor Rochecliffe wäre gegenwärtig gewesen, der seine Batterie immer mit der vulgata und der septuaginta und wer weiß mit was noch besetzt hatte, der hätte ihm den presbyterianischen Geist mit Vierundzwanzigpfündern zu Boden gedonnert. Doch freut es mich, daß der junge Mann keine Schleichwege sucht; denn hätte er auch in religiösen Dingen des Teufels Ansichten, und in politischen die des alten Noll, so thäte er doch besser, es laut auszurufen, als dich mit krummen Wegen zu umgehen, oder uns auf eine falsche Spur zu führen. Komm, trockne deine Augen – der Streit ist vorüber, und wird wohl auch hoffentlich nicht sobald wieder aufleben.«

Ermuntert durch diese Worte erhob sich Alexis, und so betäubt sie auch war, so versuchte sie es dennoch, die Einrichtung zu dem Abendessen und zu ihren Lagerstätten in der neuen Wohnung zu besichtigen. Aber ihre Thränen rollten so heftig, daß sie ihren erzwungenen Eifer Lügen straften, und es war gut, sehr gut, daß Phöbe, wenn sie schon zu unwissend und zu einfach war, um die Größe ihres Kummers zu begreifen, ihr doch bei Mangel an Mitgefühl Beistand leisten konnte.

Mit großer Schnelligkeit und Gewandtheit ordnete das Mädchen alles was dazu nöthig war, um das Abendessen und die Betten einzurichten; bald schrie sie der Dame Jellycot in's Ohr, bald flüsterte sie mit ihrer Gebieterin, und betrug sich dabei so gewandt, daß sie nur der Geschäftsführer unter den Befehlen der Alexis schien. Als die kalte Küche aufgetragen ward, drang Sir Henry Lee freundlich in seine Tochter, doch auch einige Erfrischungen anzunehmen, als wollte er mit seiner jetzigen Freundlichkeit seine frühere Härte wieder gut machen. Er selbst aber zeigte sich als einen geübten Kriegsmann, dem weder die Demüthigung noch der Streit des heutigen Tages und die Sorge für den morgenden den Appetit zum Abendessen rauben konnte, das sein Lieblingsmahl war. Er verzehrte zwei Drittel des Kapaunen, und als er den ersten Humpen auf die glückliche Wiedereinsetzung Carls II. leerte, machte er einer Flasche Wein das Garaus; denn er gehörte zu einer Schule, welche gewohnt war, die Flamme ihres Royalismus mit schäumenden Bechern zu nähren. Er sang sogar einen Vers des Liedes: »der König kömmt wieder in sein Reich,« in welches Phöbe halb schluchzend und die Dame Jellicot gegen allen Takt und Melodie krächzend einstimmten, und die Stille des Fräulein Alexis nicht bemerkten. Endlich begab sich der fröhliche Ritter in einen Verschlag, nahe an der Küche auf dem Strohbette des Försters zur Ruhe, und schlief ungestört von dem Wechsel seiner Wohnung fest und tief. Minder ruhig schlief Alexis auf dem schlechteren Lager der alten Goody Jellicot im inneren Zimmer, während die Dame und Phöbe auf mit Laub gefüllten Matrazen so gesund schliefen, wie alle diejenigen, die sich ihr tägliches Brod mit ihrem Tagewerk verdienen müssen, und die der Morgen nur erweckt, um die Mühseligkeiten des vorigen Tages zu erneuern.



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