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Drittes Kapitel.

Des Alterthumes heil'ge Stelle
Betretet nur mit ernster Scheu;
Es ist der Bildung erste Quelle,
Sie eilet nur zu schnell vorbei.

Stillschweigend schauten Joseph Tomkins und der Förster Joliffe dem Ritter Ditchley und seiner schönen Tochter nach, als diese schon längst hinter den Bäumen verschwunden waren. Dann musterten sie sich mit zweifelhaften Blicken, wie Leute, die nicht wissen, ob sie Freund oder Feind sind, und verlegen sind, ein Gespräch zu eröffnen. Gleich darauf hörten sie den Ritter mit seiner Pfeife den Bevis herbeilocken; der gute Hund aber, der den Schall gehört haben mußte, weil er den Kopf wandte und die Ohren spitzte, folgte doch dem Rufe nicht, sondern schnöberte immer um Joseph Tomkins' Mantel her.

»Du bist zwar ein vortreffliches Thier, aber mir graut's,« sagte der Förster, indem er seinem neuen Bekannten einen zweifelhaften Blick zuwarf. »Ich habe von Leuten gehört, die Hund und Wild anlocken können.«

»Bekümmere dich nichts um meine Eigenschaften, mein Freund,« sagte Joseph Tomkins, »sondern erfülle den Befehl deines Herrn.«

Joceline antwortete nicht sogleich, sondern steckte seinen Stab in die Erde, stützte sich darauf und sagte verdrüßlich: – »also, Herr Prediger, nach dem sauberen Nachmittags-Gottesdienst habt Ihr Euch das Vergnügen gemacht, mit meinem alten steifen Ritter zu kämpfen? Es war wohl zu Eurem Glücke, daß ich nicht kam, als noch die Klingen sich berührten, sonst hätte ich das letzte Lied über Eurem Schädel geläutet.«

Höhnisch lächelnd erwiederte der Independent: »Nein, mein Freund, das Glück war auf deiner Seite, denn wahrlich, nie wäre ein Küster für die Glocke, die er zog, besser bezahlt worden. Doch warum sollten wir streiten, oder warum sollte ich meine Hand erheben gegen die deinige? Du bist ein armer Bursche, der die Befehle seines Herrn vollzieht, und auch ich habe keine Gelüste, weder dein noch mein Blut dieser Sache wegen zu vergießen. Wie ich höre, sollst du mir das Schloß Woodstock, wie es genannt wird, friedlich übergeben. – Eigentlich gibt es jetzt kein Schloß mehr in England und soll auch in den zukünftigen Tagen keines geben, bis wir in das Schloß des neuen Jerusalems einziehen, und die Regierung der Heiligen beginnen wird auf Erden.«

»Nun da habt Ihr doch einmal einen hübschen Anfang, Freund Tomkins,« sagte der Förster; »wie die Sachen jetzt stehen, seid Ihr nicht weit davon, bald König zu sein, und was Euer Jerusalem betrifft, so möchte Woodstock ein recht artiger Grundstein sein, um damit anzufangen. – Nun wollt Ihr es jetzt überliefert haben und in Besitz nehmen? Ihr habt meine Befehle vernommen.«

»Ich weiß doch noch nicht,« sagte Tomkins, »ich muß mich vor Hinterlist in Acht nehmen, denn ich bin hier allein. Auch ist vom Parlamente das große Dankfest angeordnet worden, und die Armee hat ihre Zustimmung gegeben – vielleicht brauchen auch der alte Mann und die junge Dame einige Kleidungsstücke, oder wünschen noch Einiges von ihrem Eigenthum zu holen, und es wäre mir nicht lieb, wenn sie um meinetwillen in Nachtheil geriethen. Wenn du mich also morgen früh in Besitz setzen willst, so soll es in Gegenwart meiner Begleiter und des presbyterianischen Mairs geschehen; denn wenn bei der Ablieferung keine anderen Zeugen da wären, als du zur Auslieferung und ich zum Empfang, so könnten die Söhne Belials sagen: »ja ja, der treue Tomkins ist ein Edomite gewesen, der ehrliche Joc ist ein Hehler, der früh aufstand, und mit denen die Beute theilte, welche dem Manne dienten, sogar mit denen, welche zum Andenken an den Mann und seine Religion graue Bärte und grüne Röcke trugen.«

Bei dieser Rede betrachtete Joceline den Soldaten mit seinen durchdringenden schwarzen Augen, als wollte er entdecken, ob er es ehrlich meinte oder nicht. Dann fuhr er mit der Hand durch die Haare, wie Jemand, der in seinem Entschlusse nicht recht fest ist. – »Das ist alles recht schön gesagt, Freund,« sagte er endlich; »aber ich will offen mit dir reden, freilich befinden sich noch in jenem Hause einige silberne Becher und silberne Schüsseln, die dem allgemeinen Schicksal entgingen, mit ihren Kameraden in den Schmelztiegel zu wandern, um die Truppen unseres Ritters auf den Beinen zu erhalten. Nimmst du nun diese nicht, so könnte man leicht den Verdacht auf mich werfen, als hätte ich ihre Anzahl verringert, da ich nun als ein ehrlicher Mensch –«

»Wie einer, der nur je Wildpret stahl,« sagte Tomkins. »Nein, da muß ich dich unterbrechen.«

»Höre,« antwortete der Förster, »wenn ja einmal ein Hirsch, den ich schoß, einen Nebenweg nehmen mußte, so war das keine Unredlichkeit, sondern es geschah bloß, damit die Pfanne meiner alten Haushälterin nicht rosten möchte. Aber was silberne Schüsseln, silberne Krüge und dergleichen betrifft, so würde ich die eben so wenig gestohlen haben, als ich das geschmolzene Silber getrunken hätte. In dieser Hinsicht also wünschte ich, keinem schimpflichen Verdachte zu unterliegen. Willst du also die Sachen jetzt ausgeliefert haben, so ist es recht, wo nicht, so bin ich vorwurfsfrei.«

»Wirklich?« sagte Tomkins. »Und wer macht denn z. B. mich vorwurfsfrei, wenn sie allenfalls glauben sollten, es wäre etwas weggekommen? Die ehrwürdigen Herrn Commissäre, die das Gut betrachten, als wäre es ihr Eigenthum, werden es zuerst sagen; wir müssen also, wie du sagst, behutsam zu Werke gehen. Das Haus zuzuschließen und zu verlassen, wäre wieder thöricht gehandelt. Was meinst du, wie wäre es, wenn wir die Nacht dort verweilten, wo nichts ohne unser Vorwissen geschehen könnte.«

»Ja höre, was das anbelangt, so sollte ich ja in die Hütte gehen, um für den Ritter und Fräulein Alexis die Sachen zu ordnen; denn die alte Hanne, meine Haushälterin, ist stocktaub, und wird es schwerlich können. Aber wenn ich aufrichtig reden soll, so wünschte ich, daß nur heute Nacht der alte Lee nicht in meine Hütte gekommen wäre, weil er ohne Zweifel übler Laune ist, und in meiner Hütte etwas treffen könnte, das ihn wohl nicht erheiterte.«

»Es ist doch jammerschade,« sagte Tomkins, »daß ein so ehrwürdiger ernster Mann so ein arger Royalist sein muß, und wie die übrige Schlangenbrut dieser Art sich mit Flüchen, wie mit einem Gewande umkleidet.«

»Mein Freund, das soll wohl heißen, der alte Ritter hat die Gewohnheit angenommen zu fluchen,« sagte der Förster, »aber wer kann's ändern, – es ist nun einmal seine Gewohnheit. Wenn Ihr, Freund, jetzt wie Ihr da seid, plötzlich an einen Maien kämet, hörtet da Trommeln und Pfeifen, und tönende Glöcklein, sähet die Burschen hüpfend und die Mädchen schäckernd tanzen, bis Ihr das Scharlachband sehen könnt, wo es den hellblauen Strumpf befestigt – Gewiß, dann würde auch Euch das natürliche Gefühl zur Geselligkeit oder die Anhänglichkeit an dem alten Brauch übermannen, dann würdest selbst du, Freund, deine Ernsthaftigkeit bei Seite legen, deinen armseligen colossalen Hut und das blutdürstige, lange Schwert von dir werfen, und würdest springen, wie die Narren von Hogs Norton, wenn die Ferkel Orgel spielen.«

Der Independent wandte sich voll Grimm gegen den Förster, und rief: »He da, Herr Grünrock, was führst du für eine Sprache gegen Jemanden, der die Hand am Steuerruder hat? Freund, bändige deine Lippen, sonst werden deine Rippen es entgelten müssen!«

»O ho! Herr Kamerad, sprecht nur nicht gar zu stolz,« antwortete Joceline, »bedenke nur, daß du es mit keinem Fünfundsechziger zu thun hast, sondern mit einem ebenso gewandten und heftigen Burschen, wie du, der noch dazu jünger ist. Aber um's Himmelswillen, warum findest du denn so viel Aergerniß an einem Maienbaum? Hättest du doch nur den Philipp Hatzeldien von Woodstock gekannt, das war der beste Maientänzer zwischen Oxford und Bourford.«

»Um so viel schimpflicher für ihn,« erwiederte der Independent; »hoffentlich wird er seine irrigen Wege erkannt haben, und sich wie ein rechtschaffener Mann zu etwas Besserem bestimmt haben, als zu einem Jäger, einem Wilddiebe, einem Hanswurst, oder zu einem solchen ausschweifenden Gesellen, oder zu einem Zänker, hoffentlich wird er sich nicht mehr mit dem vermummten Lumpenpack, mit liederlichen Männern, mit leichtsinnigen Dirnen, mit Narren und Bierfiedlern, und mit allen dem Lumpengesindel eingelassen haben.«

»Nun es ist gut,« sagte der Förster, »daß Ihr gerade zu rechter Zeit außer Athem kommt, denn da stehen wir grade vor dem berühmten Maienbaum von Woodstock.«

In einem freistehenden Wiesenplatze, schön umgeben von hohen Eichen und wilden Feigen, stand von den übrigen abgesondert, eine ungeheure Eiche, welche die Nähe der anderen zu verachten schien. Die Zweige waren gespaltet und knotig, aber der mächtige Stamm zeigte, welche unermeßliche Größe der König der Bäume in den Forsten des fröhlichen England erreichen konnte. »Das nennt man die Königseiche,« sagte Joceline, »und die ältesten Männer von Woodstock können nicht sagen, wie alt sie ist. Man sagt, König Heinrich hätte mit der schönen Rosamunde darunter gesessen, und die Mädchen hätten dann um Bänder vor ihnen getanzt, und die Bauernbuben um Mützen Wettläufe gehalten.«

»Daran zweifelte ich jetzt einmal nicht, Freund,« sagte Tomkins, »denn ein Tyrann und eine Buhlerin waren recht passende Beschützer solcher Eitelkeiten.«

»Sprich, wie du willst,« erwiederte der Förster, »aber laß auch mich nach meiner Art sprechen. Da steht der Maien, wie du siehst, auf einen halben Pfeilschuß von der Königseiche entfernt, mitten in den Wiesen. Von den Zöllen von Woodstock bestimmte der König 10 Schilling, um jedes Jahr einen neuen zu setzen, und zwar einen Baum, der eigens zu diesem Zweck in dem Forste gezogen wurde. Jetzt aber ist er gebeugt, abgestanden und saftlos wie ein Dornenstrauch. Auch der grüne Rasen, der sonst glatt abgeschnitten und gewalzt wurde, bis er glatt war, wie ein Sammetteppich, auch der ist jetzt rauh und überwachsen.«

»Das ist alles ganz recht, Freund Joceline,« erwiederte der Independent, »aber was war denn eigentlich das Erbauliche bei der Sache? Was konnte Heilsames aus dem Pfeifen und Trommeln entstehen, oder lag die Weisheit allenfalls im Dudelsack verborgen?«

»Das mögen meinetwegen die Gelehrten entscheiden,« antwortete Joceline, »aber ich glaube einmal, ein Mensch könnte nicht immer ernsthaft sein, und den Hut tief ins Gesicht gedrückt haben. Ein junges Mädchen muß lachen, wie die Knospe blühen muß, und eben dadurch wird sie den Jünglingen noch mehr gefallen, denn der liebliche Frühling erweckt den Gesang der Vögel, und das muntere Rehkalb springt schäckernd in dem Gehölze. Aber die guten alten Zeiten sind vorbei, und böse Tage sind dafür gekommen. An den Feiertagen, die ihr Herrn Langschwerter abgeschafft habt, wimmelte dieser Rasen von fröhlichen Mädchen und wackeren Burschen. Hielt es doch sogar der brave, alte Pfarrer selbst für keine Sünde, hieher zu kommen und zuzusehen. Seine Gegenwart hielt das junge Volk in Ordnung, und lehrte es bescheiden zu sein. Bei seiner Fröhlichkeit gab's auch einmal einen derben Spaß, oder trockene Prügel beim nassen Becher, so geschah es doch in lauter Lieb' und Freundschaft, und lieber sind sie mir, als die blutigen Thaten, die nun mit furchtbarem Ernste ausgeübt werden, seitdem das presbyterianische Käppchen die Bischofsmütze verdrängte, seitdem unsere frommen Pfarrer und gelehrten Doktoren, deren Reden so reichlich mit Griechisch und Latein gespickt waren, daß sie den Teufel hätten in Verwirrung bringen können, seitdem sie, sage ich, den Webern und den Schuhflickern und den anderen freiwilligen Predigern haben weichen müssen, wie wir – nehmt's nicht für ungut – diesen Morgen haben hören müssen.«

Mit unerwarteter Ruhe erwiederte der Independent: »Höre mein Freund, ich will nicht mit dir streiten, wenn dir meine Glaubenslehre zuwider ist. Wenn Trommeln und Pfeifen dein Ohr so sehr erfreuen, so ist es freilich natürlich, daß ihm heilsame und ernste Betrachtungen und Lehren nicht sehr lieblich zu tönen scheinen. – Aber komm', wir wollen jetzt in das Jägerhaus eilen, damit wir noch vor Sonnenuntergang unser Geschäft beginnen können.«

»Das ist nun einmal aus mehr als einem Grunde rathsam und vernünftig,« antwortete der Förster; »denn man erzählt sich Dinge von dem Jägerhause, die schon manchen Mann abgeschreckt haben, die Nacht dort zuzubringen.«

»Wohnte denn nicht der alte Ritter und seine Tochter dort?« sagte der Independent. »So sagt es wenigstens meine Instruktion.«

»Ja freilich wohnten sie dort,« antwortete Joceline; »und als sie noch eine glänzende Wirthschaft führten, da ging alles recht gut, denn es gibt kein wirksameres Mittel, Furcht und Geister zu bannen, als ein kräftiges Bier. Aber als die Besten von unseren Leuten in's Feld zogen und zu Naseby auf der Flucht erschlagen wurden, da wurde es den Uebrigen zu einsam in dem alten Jägerhause, und viele Diener verließen den Dienst des Ritters, wahrscheinlich weil in neuerer Zeit das Geld fehlte, Reitknecht und Lakai zu bezahlen.«

»Das war freilich ein überwiegender Grund, seine Dienerschaft zu vermindern,« sagte der Soldat.

»Ganz richtig, Sir,« antwortete der Förster. »Jetzt fing man an von Fußtritten zu reden, welche man um Mitternacht in der großen Gallerie, und von flüsternden Stimmen, welche man Mittags in den Zimmern gehört haben wollte, und die Dienstboten behaupteten, das hätte sie vertrieben. Meiner schwachen Einsicht nach aber lag der ganze Spuk darin, daß, als Martini und Pfingsten kam, und keinen Lohn mitbrachte, die alten Blauröcke sich fortschlichen, ehe sie den Winterfrost fühlten. Denn gewiß ist kein Teufel so arg, als der, welcher sein Unwesen in leeren Taschen treibt, wo kein Kreuz ihn abhält!«

»Da hattet Ihr denn also eine kleine Dienerschaft,« sagte der Independent.

»Ja wohl,« antwortete Joceline, »aber einige Dutzend blieben immer noch zusammen; da wären einige Blauröcke im Jägerhaus, ein Jäger und meine kleine Person. Wir hielten zusammen, bis wir einmal einen Spazierritt machen mußten.«

»Aha, nach der berühmten Stadt Worcester,« sagte der Soldat, »wo ihr wie Würmer und Raupen zerdrückt wurdet; denn eigentlich seid ihr auch nichts Besseres.«

»Redet wie Ihr wollt,« antwortete der Förster, »ich werde mich wohl hüten, Jemanden zu widersprechen, der mächtiger ist, als ich. Wenn wir nicht geschlagen worden wären, so wäret Ihr nicht hier.«

»Mein Freund,« sagte der Independent, »du brauchst bei deiner Offenherzigkeit und bei deinem Vertrauen zu mir nichts zu fürchten. Ich kann ein guter Freund eines tapferen Soldaten sein, wenn ich gleich den ganzen Tag mit ihm herum stritt. – Aber da stehen wir ja dem Jägerhause gegenüber.«

Das Gebäude, welches der Soldat bemerkte, war im gothischen Styl erbaut, hatte aber späterhin mancherlei Vergrößerungen und Veränderungen erlitten, die der zunehmende Luxus und die Laune der englischen Könige erheischte, wenn sie um ihrer Jagdlust zu fröhnen, zuweilen nach Woodstock kamen. Der älteste Theil des Gebäudes, von dem noch manche Sagen im Munde des Volkes lebten, hieß der Thurm der schönen Rosamunde; er war von beträchtlicher Höhe, hatte schmale Fenster und feste dicke Mauern. Der Thurm hatte keine Thüre, sondern war so eingerichtet, daß man von oben herunter gehen mußte. Der Sage nach war dieser Thurm mit dem Hauptgebäude in alten Zeiten durch eine kleine Zugbrücke verbunden, die man vom Wartthurme des Schlosses aus, auf die Zimmer des Rosamunden-Thurmes herablassen konnte. Der Thurm des Schlosses aber war ungefähr zwanzig Fuß niedriger als jener, und hatte eine Wendeltreppe, welche man die Liebesleiter nannte, weil König Heinrich sie erstieg, wenn er vermittelst der Zugbrücke seine Geliebte besuchen wollte.

Das Jägerhaus selbst war von beträchtlichem Umfange, und enthielt eine große Anzahl kleiner Höfe, die von Gebäuden umgeben, die auf mannigfaltige Weise durch Thüren und Wendeltreppen und geheime Gänge mit einander verbunden waren. Die einzelnen Theile des unregelmäßigen Gebäudes waren, wie Doktor Rochecliffe, der ehemalige Pfarrer von Woodstock zu sagen pflegte, ein herrlicher Schmauß für den Alterthumsforscher der Architektur; denn sie enthielten Proben von jedem Styl, von dem rein normannischen an unter Heinrich von Anjou, bis zu dem gemischten, halb gothischen und halb classischen unter Elisabeth und ihrem Nachfolger. Auch war der alte Pfarrer eben so sehr in das Schloß zu Woodstock verliebt, wie Heinrich in die schöne Rosamunde, und er widmete dem Ausmessen und dem Studium desselben oft ganze Tage. Als aber der Freund des Alterthums durch die unruhigen Zeiten aus seiner Pfarre vertrieben wurde, hielt es sein Nachfolger Nehemia Holdenough für eben so sündlich, die Baukunst und die Bildhauerei der verblendeten Papisten zu studiren, als vor den Kälbern von Bethel niederzufallen. – Wir wollen aber zu unserer Geschichte zurückkehren.

»Dieses sogenannte königliche Jägerhaus trägt manches seltene Denkmal der alten Verkehrtheit,« sagte Tomkins, nachdem er die Fronte des Gebäudes aufmerksam betrachtet hatte. »Ich will mich herzlich freuen, wenn es zerstört wird und verbrannt, und die Asche in den Bach Kidron geworfen, auf daß das Land gereinigt werde, von den Sündendenkmälern unserer Vorfahren.«

Mit geheimem Unwillen hörte ihm der Förster zu, und überlegte bei sich, ob es nicht seine Amtspflicht erfordere, den Rebellen für eine so herabwürdigende Sprache zu züchtigen. Aber da er bedachte, daß der Vortheil der Waffen nicht auf seiner Seite war, und er auf jeden Fall eine strenge Widervergeltung fürchten mußte, so hielt er es für das Beste, allen Streit zu vermeiden, und seinen Freund oder Feind besser kennen zu lernen. Dabei hatte der Independent etwas so finsteres, geheimnißvolles, ein so ernstes, furchtbares Wesen, daß sich der offene Geist und der unbefangene Sinn des Försters in seiner Gegenwart niedergedrückt fühlte.

Das große Thor des Jägerhauses war wohl verwahrt, aber ein Pförtlein öffnete sich, als Joceline auf die Klinge drückte. Sie traten in einen kleinen Gang, den in früheren Zeiten ein Fallgitter schloß. Auf jeder Seite waren drei Schießscharten angebracht, um, falls das erste Thor gesprengt würde, den Feind einem lebhaften Feuer auszusetzen, ehe er an das zweite gelangen konnte. Aber die Maschinerie des Fallgitters war beschädigt, so daß es nicht mehr herunter gelassen werden konnte, um dem Feinde den Weg zu versperren.

Sie gingen nun an die große Halle, oder in den äußeren Vorsaal des Jägerhauses. Ein Theil dieses langen finsteren Zimmers war von einer Gallerie versperrt, die in alten Zeiten den Musikanten und den Minnesängern zum Aufenthaltsorte gedient hatte. Eine unregelmäßige Treppe führte auf beiden Seiten hinauf, und in jeder Ecke des Zimmers stand wie eine Schildwache die Abbildung eines normännischen Kriegers mit offenem Helme, und mit so finsteren Zügen, wie der Maler sie nur zu zeichnen vermochte.

Sie waren mit büffelledernen Jacken oder mit Panzerhemden bekleidet, trugen runde Schilde mit langen Nägeln in der Mitte, und Halbstiefeln, welche die Knöcheln der Füße bedeckten, aber nicht bis an das Knie reichten. Wie militärische Wachen auf ihrem Posten, hielten diese hölzernen Wächter große Schwerter oder Keulen in den Händen. Gar mancher leere Haken an der Mauer des dunklen Zimmers bezeichnete die Stelle, wo Waffen, die von alten Zeiten her, als Siegeszeichen aufbewahrt wurden, hinweggenommen worden waren, um wieder im Felde Dienste zu thun, wie Veteranen, welche die dringende Gefahr wieder an die Reihen ihrer jüngeren Mitkämpfer anschließt. An andern rostigen Haken sah man noch die Jagdtrophäen der Monarchen, welchen das Jägerhaus zugehörte, und die der jagdliebenden Ritter, deren Aufsicht es anvertraut worden war.

Am unteren Ende der Halle ragte ein mächtiges steinernes, zehn Fuß hohes Kamin hervor, das mit vielen Namenszügen und mit dem Wappen des königlichen Hauses von England geziert war. Jetzt öffnete es seinen gewölbten Bogen wie eine Grabesstätte oder wie der Krater eines verloschenen Vulkans. Aber die schwarze Farbe des massiven Steinwerks zeigte, daß einst eine gewaltige Flamme den Kamin hinauf gelodert haben mußte, und sich manche Rauchwolke über die Häupter der fröhlichen Gäste verbreitete, deren Königs- und Adelswürde sie noch nicht so empfindlich gemacht hatte, um über eine so kleine Unbequemlichkeit zu klagen. Die alte Tradition des Hauses sagte, daß man dabei zwischen Mittag und Abend regelmäßig zwei Fuder Holz verbrannte; auch waren die Gestelle, die man für das Feuer in dem Kamine gebrauchte, in der Gestalt von so ungeheuren Löwen gearbeitet, daß man der Sage wohl Glauben schenken durfte. Man wußte noch unter Anderem aus der Sage genau den Platz, wo König Stephan saß, als er sich seine Strümpfe stopfte, und man erzählte sich noch die Späße, die er mit dem kleinen Winkin, dem Schneider von Woodstock, trieb.

Der größte Theil dieser rohen Belustigungen gehörte in die Zeit der Plantagenets; als aber das Haus Tudor zum Thron gelangte, hielten sie ängstlicher auf ihre königliche Würde, speisten in den inneren Sälen und Zimmern, und überließen die äußere Halle der Leibwache, welche die Nacht mit Trinkgelagen fröhlich durchschwärmte.

Joceline zeigte seinem düsteren Begleiter die Eigenheiten des Ortes, und beschrieb sie ihm kürzer, als wir es gethan haben Und dennoch hat der Uebersetzer sich erlaubt, noch gar vieles an der Beschreibung abzukürzen. A. d. Uebers.. Anfänglich schien der Independent theilnehmend zuzuhören, plötzlich aber erhob er seine Stimme, und rief in feierlichem Tone aus: »Stürze Babylon, falle, wie dein Gebieter Nebucadnezar gefallen ist! flüchtig irrt er umher, und du sollst sein eine Einöde und eine Wildniß, eine Wüste in der Hunger herrschen soll und Durst.«

»Nun daran wird's schon heute Abend nicht fehlen,« antwortete Joceline, »wenn nicht etwa die Speisekammer des guten Ritters zufällig besser versehen ist, als gewöhnlich.«

»Wenn wir unsere Pflicht erfüllt haben,« sagte der Soldat, »dann wollen wir für unsere Erquickung sorgen. – Wohin führen diese Thüren?«

»Jene rechts, führt zu den sogenannten Staatszimmern, die aber seit dem Jahre 1639 nicht mehr bewohnt sind, als Seine hochselige Majestät –«

»Kerl,« unterbrach ihn der Independent mit donnernder Stimme, »sprichst du allenfalls von Carl Stuart, als von einer Majestät, oder einem seligen – ich sage dir, hüte dich vor solchen Ausdrücken!«

»Es war nicht böse gemeint,« erwiederte der Förster, indem er mit Mühe eine empfindliche Antwort unterdrückte. »Ich habe nur mit Büchsen und Rehböcken zu schaffen, und nichts mit Titel- und Staatsangelegenheiten. Was übrigens auch seitdem vorgefallen sein mag, das ist und bleibt einmal wahr, daß dem armen Könige die Segnungen der Woodstocker folgten; denn er schenkte den Armen den Ortes einen Beutel voll Goldstücke, als er abreiste.«

»Schweig still, Freund,« sagte der Independent; »sonst muß ich dich für einen von jenen verblendeten Papisten halten, welche glauben, Almosen geben versöhne auch Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen. – Das waren also Carl Stuarts Zimmer, wie du sagst?«

»Und vor ihm die seines Vaters Jakob, und vor dem die der Königin Elisabeth, und vor dieser die des Königs Heinrich, der den Flügel baute.«

»Wohnte da nicht auch der Ritter und seine Tochter?«

»Nein!« antwortete Joceline. »Sir Henry Lee hat eine viel zu große Ehrfurcht vor Dingen – die man jetzt gar nicht mehr verehrt. Zudem sind die Staatszimmer in langen Jahren nicht mehr gelüftet worden, und in schlechter Ordnung. Die Zimmer des Oberjägermeisters befinden sich in jenem Gange zur Linken.«

»Aber wohin führt denn jene Treppe?« frug der Soldat.

»Aufwärts führt sie zu vielen Zimmern, die zu Schlafstuben und zu anderem Gebrauche dienten. Hinunterzu in die Küche, in die Amtsstube und in das Gewölbe des Schlosses, das Ihr jetzt, weil es schon Abend ist, nicht ohne Licht sehen könnt.«

»Wir wollen also die Zimmer unseres Ritters besuchen. Sind sie gut eingerichtet?« sagte der Independent.

»So wie es sich für eine Standesperson ziemt,« sagte der ehrliche Förster, konnte sich aber nicht enthalten, leise hinzuzusetzen: »sie werden wohl auch noch für einen schurkischen Stutzkopf wie du gut genug sein.« Er ging voran, um ihm die Zimmer des Oberjägermeisters zu zeigen.

Der Gang, welcher in die Halle des Ritters führte, wurde zur Zeit der Gefahr von zwei mächtigen Thüren von Eichenholz geschützt, welche an große eiserne Riegel befestigt wurden, die von einer Seite des Portals quer über liefen und für die an beiden Seiten Löcher in den Stein gehauen waren. Am Ende des Ganges traten sie in ein kleines Vorzimmer, welches in den Gesellschaftssaal des guten Ritters führte, das von zwei Fenstern erleuchtet ward, welche eine weite Aussicht in den Forst gewährten. Die Stube war mit mehreren Abbildungen fürstlicher Personen geziert, aber unter den Familien-Bildnissen zeichnete sich besonders ein Gemälde in Lebensgröße aus, welches über dem Kamine hing, das gleich jenem in der Halle, massiv von Stein gebaut und mit Wappen und Devisen geziert war. Dieses Gemälde stellte einen Mann von etwa 50 Jahren dar, in vollständiger Rüstung in der scharfen, trockenen Manier Holbeins gemalt, und nach der entsprechenden Jahreszahl zu urtheilen, wahrscheinlich ein Werk dieses Künstlers selbst. Die Spitzen und Winkel der Rüstung, die kräftig in das Auge fielen, waren für den harten Pinsel der damaligen Zeit ein geeigneter Gegenstand der Darstellung. Der verblichenen Farben wegen, schienen die Züge des Ritters bleich und schwermüthig zu sein, wie die eines Wesens aus einer anderen Welt. Doch drückte sich Stolz und Uebermuth deutlich darin aus. Mit seinem Feldherrn-Stabe zeigte er auf den Hintergrund, wo in der – dem Künstler eigenen – Perspective eine brennende Kirche oder ein Kloster zu sehen war, aus welchem vier oder fünf Soldaten mit rothen Röcken im Triumph ein Gefäß wegtrugen. Eine Rolle über ihren Köpfen trug die Inschrift: Lee Victor sic voluit (so wollte es der Sieger Lee). Dem Bildniß gegenüber in einer Nische befand sich eine vollkommene Ritterrüstung, deren schwarze und goldene Farben und Verzierungen mit denen auf dem Bildnisse vollkommen übereinstimmten.

Das Gemälde war eins von denen, deren Ausdruck sogleich die Aufmerksamkeit derjenigen anzog, welche keine Kunstkenner waren; auch der Independent betrachtete es, bis ein flüchtiges Lächeln seine finsteren Mienen überzog. Freute es ihn, daß der alte Ritter ein religiöses Gebäude entweihte, oder lächelte er über die harte trockene Manier des Malers, oder erregte das merkwürdige Bild vielleicht andere Ideen in ihm, das konnte der Förster nicht unterscheiden. Der Soldat warf hierauf einen Blick auf das Fenster. Dieses bildete eine Nische, die einen oder zwei Schritte tief war. In der einen stand ein Lesepult von Nußbaumholz und ein hochgepolsterter Armstuhl mit Leder überzogen. Daneben befand sich ein kleiner Schrank, dessen Schubladen zum Theil offen waren, worin man Falkenkappen, Hundepfeifen und Sattelzeug entdecken konnte.

In der andern Fensternische befanden sich Gegenstände anderer Art. Neben einem Nähzeuge und einer Laute lag auf einem kleinen Tischchen ein Notenbuch und ein Stickrahmen. Die Vorhänge waren zierlicher geordnet, und auch die Blumentöpfe verriethen eine weibliche Aufsicht.

Gleichgültig betrachtete Tomkins die Gegenstände der weiblichen Beschäftigung, zog sich dann in das entlegenere Fenster zurück, und blätterte aufmerksam in einem Foliobande, der offen auf dem Pulte lag. Joceline, welcher sich vorgenommen hatte, seine Handlungen zu beobachten, stand stillschweigend in einiger Entfernung, als sich plötzlich eine Tapetenthüre öffnete, und ein freundliches Bauernmädchen mit einem Tischtuch in der Hand herein hüpfte, als wollte sie ein Haushaltungsgeschäft verrichten.

»Ei, ei, Herr Naseweiß!« sagte sie schnippisch zu Joceline, »was stöbert Ihr in dem Zimmer herum, wenn der Herr nicht zu Hause ist?«

Joceline Joliffe warf zur Antwort einen trüben Blick auf den Soldaten, als wollte er damit seine Rede erklären, und antwortete dann mit niedergeschlagener Miene und mit traurigem Tone: »ach liebe Phöbe, da kommen Leute, die mehr Macht haben, als unsereins und keine Umstände machen, wenn sie kommen, und bleiben so lange sie wollen.«

Dann schaute er noch einmal auf Tomkins, der mit dem Buche beschäftigt schien und schmiegte sich dann dicht an das ängstliche Mädchen, das bald den Förster, bald den Fremden betrachtete, als wären ihr die Worte des Einen unverständlich und die Absicht des Andern unbegreiflich.

»Liebe Phöbe,« flüsterte ihr Joliffe zu, wobei er seinen Mund ihrer Wange so sehr näherte, daß sein Hauch die Locken ihres Haares bewegte, »eile dich, mein liebes Kind, spring schnell wie ein Reh nach meinem Häuschen – ich komme dir bald nach und –«

»In dein Häuschen, du gefällst mir,« sagte Phöbe, »du bist ein kühner Jagdhund, der doch außer den Rehen im Park nie Etwas in Schrecken setzte – in dein Häuschen, meinst du, geschwind werde ich hinlaufen!«

»Ach, sei doch stille, Phöbe. Es ist jetzt keine Zeit zum scherzen. Eile in meine Hütte, sag' ich, wie ein Reh! denn sowohl der Ritter als Fräulein Alexis sind dort, und werden, wie ich fürchte, nicht wieder her kommen. – Es ist Alles aus, Mädchen – schrecklich ist die böse Zeit herangekommen – wir stehen am Abgrund, und werden bald hinabstürzen.«

»Ist's möglich, Joceline?« fragte das bestürzte Mädchen, mit dem Ausdrucke des Schreckens in ihrem Gesichte, das sie bisher mit ländlicher Coquetterie abgewandt hatte.

»Ach so gewiß, liebe Phöbe, als – –« der Schluß der Betheuerung ward unhörbar und erreichte nur Phöbens Ohr; um das zu bewerkstelligen, näherte er seine Lippen ihren Wangen so viel wie möglich, und da der Kummer sowie die Freude Vorrechte hat, so sträubte sich auch die arme Phöbe in ihrer Bestürzung nicht allzusehr, wenn ihre Wangen sogar von Jocelins Lippen berührt wurden.

Aber keine unbedeutende Sache war es in der Meinung des Independenten, der bisher von Joceline beobachtet, nun, seitdem dessen Zusammenkunft mit Phöbe so anziehend geworden war, wiederum den Förster mit lauernder Wachsamkeit belauschte. Kaum bemerkte er Jocelins trauliche Annäherung, als er seine Stimme bis zu dem gellenden Gekreische einer Säge erhob, so daß Joceline und Phöbe in entgegengesetzten Richtungen sechs Schritte weit von einander sprangen. Sogleich nahm er eine Predigers- und Sittenrichtersmiene an und rief: »Was untersteht ihr euch? ihr Menschen ohne Scham und Sitte! Wagt ihr es, selbst in unserer Gegenwart, Muthwillen zu treiben? Gedenkt ihr allenfalls, vor den Beamten der Commission des hohen Parlamentes die Streiche zu spielen, wie in der Bude eines Jahrmarkts oder in einer sündlichen Tanzschule, wo die schurkischen Meistersänger zu ihrer unheiligen Laute die Weise spielen: ›Komm küß' mich und lieb' mich, der Geiger ist blind.‹ Aber da,« so fuhr der Prediger fort, indem er furchtbar auf das Buch schlug – »da ist der König und der Hohepriester dieser Laster und Thorheiten! – Da ist er, den die verblendeten Weltkinder ein Wunder nennen der Natur! – Da ist er, den Fürsten zu ihrem Maître de plaisir und sittsame Mädchen zu ihrem Schlafgefährten machen. – Er war es, der zuerst lehrte, Hinterlist und Thorheit mit schönen Worten zu beschönigen. Da (abermals ein Schlag auf das Buch – und ach – hätte Horn oder Tieck es gesehen – es war die erste Folioausgabe – Schlegeln sogar ein Heiligthum, besorgt von Hemmings und Condel – es war eine Editio princeps!) dir,« so fuhr er eifrig fort, »dir, William Shakespeare, lege ich zur Last allen gesetzwidrigen Müssiggang, und alle unbescheidene Thorheit, welche das Land befleckte seit deiner Zeit!«

»Nun wahrlich, bei dem heiligen Abendmahl, das ist eine schwere Anklage,« sagte Joceline, der die kühne Sorglosigkeit seines Temperaments nicht mehr zügeln konnte. »Das ist gewiß der alte Liebling unseres Herrn, Meister Wilhelm von Stratford, dessen Seele jeden Kuß tragen soll, der seit König Jacobs Zeiten geraubt wurde? das ist freilich eine gar gefährliche Rechnung! – Aber wer, ums Himmels willen, soll denn das tragen, was die jungen Bursche und die Mädchen vor ihm thaten?«

»Spotte nicht,« erwiederte der Soldat, »damit ich, den eine innere Stimme hieher führt, dich nicht als einen Spötter behandeln muß. Ich sage dir hiermit an, seitdem der Satan vom Himmel abfiel, fehlte es ihm nie an Geschäftsführern auf Erden; aber noch niemals fand er einen Zauberer, der eine so ausgedehnte Macht besaß über das Gemüth, ja über die Seele der Menschen, als diesen satanischen Burschen, diesen Shakespeare. Will ein Weib ein Muster zu einem Ehebruch finden, so braucht sie nur den Shakespeare aufzuschlagen. Will ein Mensch wissen, wie er es anfangen muß, um seinen Mitmenschen zum Mörder zu bilden, hier findet er Unterricht. Will eine Frau hinter ihrem Vater einen heidnischen Neger heirathen, so findet sie da urkundliche Beispiele. – Sucht Jemand Lästerungen gegen seinen Schöpfer, das Buch bietet sie ihm in Menge dar. – Will ein Mensch seinen Bruder fleischlich zum Zweikampf herausfordern, hier findet er gleich die Form dazu. – Wollt ihr euch berauschen, Shakespeare bietet euch den schäumenden Becher dar. – Wollt ihr versinken in allen Wollüsten der Sinnlichkeit, er schläfert euer Gewissen ein mit den unwiderstehlichen Tönen seiner Laute. – Dieses Buch, sage ich, ist der Ursprung und der Urquell aller Uebel, welche das Land überschwemmen wie ein reißender Strom. Weg mit ihm, Männer Englands, zum Tophet mit seinem ruchlosen Werke, weist seine verfluchten Gebeine in das Thal der Verwesung, in das Thal Hinnom! Wahrhaftig, hätten wir nicht so geeilt, als wir im Jahre 1643 durch Stratford zogen, unter der Anführung des Sir William Woller, ich sage, hätten wir unseren Marsch nicht so sehr beschleunigt –«

»Ja ja, weil Prinz Rupert hinter euch her war mit seinen Reitern,« sagte der unverbesserliche Joceline.

»Ich sage,« fuhr der eifrige Soldat mit erhobener Stimme und mit ausgestreckten Armen fort, »nur weil wir auf das Commando unsern Marsch beschleunigten, und wir nicht seitwärts zogen, sondern dicht zusammenhielten, wie es tapferen Kriegern ziemt, nur dadurch ward ich verhindert, an jenem Tage die Gebeine des ruchlosen Lehrers der Ausschweifung und des Lasters aus ihrem Grabe zu reißen, und auf den nächsten Düngerhaufen zu werfen Horrendum dictu! A. d. Uebers.. Ich hätte sein Gedächtniß gemacht zum Gezisch und zum Spott.«

»Das ist doch noch das Bitterste von Allem, was er gesagt hat,« bemerkte der Förster, »das Auszischen würde dem armen William noch schlimmer gefallen haben, als alles Uebrige.«

Phöbe frug mit leiser Stimme: »Höre, Joceline, will der Herr vielleicht noch etwas sagen? Ach du lieber Himmel, was schwatzt der für große Worte, wenn ich nur eigentlich wüßte, was er damit will. Es ist aber doch ein rechtes Glück, daß unser guter Ritter ihn nicht sieht, wie er auf das Buch losdonnert. Gott steh' uns bei, es wäre gewiß Blut geflossen; aber lieber Gott, sieh nur einmal, wie er sein Gesicht verzerrt! Hat er vielleicht Leibschmerzen, was meinst du, Joceline, soll ich ihm ein Glas Liqueur anbieten?«

»Den verstehst du nicht, Mädchen,« sagte der Förster, »er ladet nur seine Muskete, um von Neuem zu feuern; denn während er die Augen verdreht und das Gesicht verzerrt, die Faust ballt und mit den Füßen stampft, weiß er wahrlich gar nicht, was um ihn herum vorgeht. Ich wollte darauf schwören, ich könnte ihm jetzt die Börse, wenn er nämlich eine hat, aus der Tasche ziehen, und er würde es nicht merken.«

»Nun, Joceline,« sagte Phöbe, »wenn es sich so verhält, so wird man leicht mit ihm fertig werden.«

»Laß das meine Sorge sein,« antwortete Joliffe, »sage mir nur heimlich und geschwind, was die Speisekammer enthält.«

»Ach nur wenig kalte Küche,« erwiederte sie, »ein kalter Kapaun, die große Wildpretpastete und ein paar Weißbrode, das ist Alles.«

»Auch recht,« erwiederte Joceline, »das wird zur Noth schon hinreichen, – wirf deinen Mantel um deinen niedlichen Körper, hole einen Korb, ein paar Teller und Bestecke, und trage den Kapaunen und die Weißbrode hinab. Die Pastete muß genug sein für diesen Soldaten und mich, und die Rinde kann uns zum Brode dienen.«

»Ganz recht,« sagte Phöbe, »ich selbst habe die Pastete gemacht, und die Rinde ist so dick wie die Mauern des Rosamunden-Thurms.«

»Da werden unsere Kinnladen lange zu beißen haben, bis sie durchkommen,« sagte der Förster. »Aber was gibts denn zu trinken? –«

»Nichts als eine Flasche Alicante, eine Bouteille Sect und eine mit gebranntem Wasser,« antwortete Phöbe.

»Lege die Weinflasche in deinen Korb,« sagte Joceline; »denn dem Ritter darf sein Abendtrunk nicht fehlen; und hurtig fort in die Hütte! Das ist für heute zum Abendessen genug, und morgen ist wieder ein neuer Tag. Aber beim Himmel, ich glaube der Mann belauscht uns – doch nein, er war nur in Gedanken vertieft, wahrscheinlich in sehr tiefsinnigen, wie gewöhnlich. Aber der Teufelskerl müßte unerforschlich sein, wenn ich nicht noch vor Ende der Nacht klug aus ihm würde. – Mach nun, daß du fort kömmst, Phöbe!«

Das Mädchen sah wohl, daß Joceline sich auf ihre Rede schicklicherweise nicht nähern konnte; sie flüsterte ihm daher schalkhaft in's Ohr: »Glaubst du auch, Joceline, daß der Liebling unseres Herrn, Shakespeare, wirklich das Unheil alle erfand, von dem der Herr sprach?«

Mit diesen Worten eilte sie von dannen, und Joliffe drohte ihr mit dem Finger, und rief ihr leise nach: »Ja spring nur, du Phöbe Maiblümlein, du leichtfüßigstes, leichtsinnigstes Mädchen, das je über den Rasen von Woodstock hüpfte. Eile ihr nach, Bevis, und bringe sie sicher in die Hütte zu unserem Herrn!«

Wie ein menschlicher Bedienter erhob sich der große Hund bei diesen Worten, und eilte der Phöbe durch die Halle nach, leckte ihr erst die Hand, um ihr zu zeigen, daß er da wäre, und trabte dann neben ihr her, um mit dem leichtfüßigen Mädchen Schritt zu halten, deren Schnelligkeit Joceline nicht ohne guten Grund gerühmt hatte. Wir lassen Phöbe mit ihrem Beschützer durch den Forst eilen, und kehren in das Jägerhaus zurück. Der Independent schien aus einem Traume zu erwachen. »Ist das junge Mädchen fort?« war seine erste Frage.

»Ja Sir,« erwiederte der Förster, »und wenn Eure Hochwürden noch Etwas zu befehlen haben, so müssen Sie sich mit männlicher Aufwartung begnügen.«

»Zu befehlen? Hm, das gerade nicht, ich glaubte nur, das Mädchen würde noch bis zu einer anderen Ermahnung warten. Ich gestehe es, mein Gemüth war sehr geneigt, ihr recht erbaulich zuzureden.«

»Wenn das ist, Sir,« antwortete Joliffe, »da können sie Eure militärische Hochwürden nächsten Sonntag in der Kirche treffen, dann kann sie zugleich mit der übrigen Gemeinde den besten Nutzen aus Euren Lehren ziehen. Aber solche junge Mädchen hören keine Privathomilien. – Aber was befehlen Sie jetzt? Wollen Sie vielleicht die anderen Zimmer besichtigen, oder das wenige Silbergeschirr, das noch übrig geblieben ist?«

»Ach nein,« sagte der Independent, »es wird spät und finster. Du hast doch Betten für uns, mein Freund?«

»Freilich, bessere als die, in denen Ihr je geschlafen habt,« antwortete der Förster.

»Auch wohl Holz zum Einfeuern und ein Licht und einige Erquickungen zur Erfrischung und Belebung des äußeren Menschen?« fuhr der Soldat fort.

»Ohne Zweifel,« antwortete der Förster, wobei er sich geschäftig zeigte, diese wichtige Person zu befriedigen.

In wenigen Augenblicken stand ein mächtiger Leuchter auf der eichenen Tafel, und die große Wildpretpastete mit Petersilie geziert auf einem reinlichen Tischtuche auf dem Speisetisch. Der Krug mit gebranntem Wasser, und ein zweiter mit starkem Bier machten eine nicht unerfreuliche Zugabe. Zu diesem Mahle also setzten sich traulich der Soldat, der sich in einem großen Sessel niederließ, und der Förster, der auf seine Einladung einen gewöhnlichen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches einnahm. Wir wollen sie für jetzt bei dieser angenehmen Beschäftigung verlassen.



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